Spartakist Nr. 184 |
Juli 2010 |
Verteidigt die Palästinenser!
Nieder mit der Blockade des Gaza-Streifens!
Blutiger Angriff Israels auf Gaza-Hilfsflotte
Israelische Truppen und Siedler: Raus aus den besetzten Gebieten!
Der nachfolgende Artikel ist adaptiert aus Workers Vanguard Nr. 960 (4. Juni 2010), Zeitung unserer Genossen der Spartacist League/U.S.
„Das war Mord.“ Mit diesen drei Worten brachte Greta Berlin von der Organisation Free Gaza Movement die Gräuel auf den Punkt, die Marine-Eliteeinheiten des zionistischen Staates Israel am 31. Mai bei einer Razzia vor Morgengrauen verübten, als sie sich aus Black-Hawk-Hubschraubern auf ein ziviles Schiff in internationalen Gewässern abseilten und anfingen, auf die 700 überwiegend türkischen Passagiere loszuballern. Mindestens neun Menschen an Bord der türkischen Mavi Marmara – dem Hauptschiff einer „Freiheitsflotte“ aus sechs Schiffen, die Medikamente, Baumaterial und andere Güter nach Gaza transportierten – wurden getötet, Dutzende wurden verletzt. Überlebende des Angriffs wurden nach Israel ins Gefängnis verschleppt oder abgeschoben. Wir fordern die sofortige Freilassung der Gefangenen!
Die Passagiere der Hilfsflotte vollzogen einen mutigen Akt des Widerstands gegen das israelische Embargo des Gaza-Streifens, das 2007 verhängt wurde, um die palästinensische Bevölkerung kollektiv zu bestrafen, weil sie die islamistische Hamas an die Macht gewählt hatte. Schon vorher war der Gaza-Streifen kaum mehr als ein riesiges Konzentrationslager, von allen Seiten umschlossen mit einem Elektrozaun, dem Mittelmeer oder der befestigten Grenze zu Ägypten. Jedoch wurde das Elend der 1,5 Millionen Menschen im Gaza-Streifen durch das Embargo enorm verschärft, so dass sie nun zum Überleben überwiegend auf kümmerliche Essensrationen von UN-Hilfsagenturen angewiesen sind. Seit Ende 2008, als ein Großteil des Gaza-Ghettos durch ununterbrochene Luftangriffe und eine Bodeninvasion von mehr als 10 000 Soldaten zu Asche und Schutt zermahlen wurde, hat Israel mehr als 1300 Bewohner des Gaza-Streifens abgeschlachtet, viele davon Frauen und Kinder. Und gerade am 1. Juni wurden in Gaza drei Menschen durch einen israelischen Luftangriff getötet.
Die israelische Regierung hat die Teilnehmer der Flotte als „gewalttätige Extremisten“ und „Terroristen“ verunglimpft. In den Augen der chauvinistischen kapitalistischen Herrscher des zionistischen Garnisonsstaates ist jede Verteidigung des unterjochten palästinensischen Volkes „Terrorismus“. Dabei nehmen sie sich auch ein Vorbild an ihren US-imperialistischen Schutzherren, deren „Krieg gegen Terror“ von der US-, der deutschen und anderen kapitalistischen Regierungen benutzt wird, um Massaker und Staatsterror gegen die Unterdrückten auf der ganzen Welt zu rechtfertigen. Zu den sogenannten „Terroristen“ der Flotte gehörten tatsächlich europäische Parlamentarier, ein pensionierter US-Diplomat sowie bekannte Schriftsteller und Filmemacher. Israelische Behauptungen, die Kommandoeinheiten hätten das Feuer erst eröffnet, nachdem sie von Passagieren angegriffen worden seien, stehen im Gegensatz zu zahlreichen Augenzeugenberichten und werden durch Videoaufnahmen vom Angriff Lügen gestraft. Auf jeden Fall gilt, wie Greta Berlin es ausdrückte: „Leute hatten das Recht, sich gegen Soldaten zu verteidigen, die mit Maschinengewehren bewaffnet waren.“
Voller Wut über das Massaker gingen Menschen – von San Francisco und New York über Europa bis zum Nahen Osten – auf die Straße. Die Spartacist League, die SpAD und andere Sektionen der Internationalen Kommunistischen Liga beteiligen sich an den Protesten. In Istanbul, Türkei, versuchten Demonstranten, das israelische Konsulat zu stürmen. Wir sagen: Nieder mit der Hungerblockade des Gaza-Streifens! Verteidigt das palästinensische Volk! Alle israelischen Truppen und Siedler raus aus den besetzten Gebieten, einschließlich Ostjerusalem!
Hemmungslosen Terror gegen die Palästinenser verüben die israelische herrschende Klasse und ihre faschistoiden „Siedler“-Hilfstruppen seit jeher. In den letzten Jahren haben Israels Herrscher jedoch auch gezielt westliche Unterstützer der Palästinenser ins Visier genommen. 2003 töteten israelische Truppen zwei Aktivisten der propalästinensischen Organisation International Solidarity Movement (ISM): Die 23-jährige US-Amerikanerin Rachel Corrie wurde von einem Bulldozer zerquetscht, als sie versuchte, die Zerstörung eines palästinensischen Hauses zu verhindern; dem 21-jährigen britischen Fotojournalisten Tom Hurndall wurde von israelischen Soldaten in den Kopf geschossen, als er im Flüchtlingslager Rafah im Gaza-Streifen Kinder zu beschützen versuchte. In der Westbank wurde am 31. Mai der 21-jährigen US-Amerikanerin Emily Henochowicz durch Soldaten das linke Auge ausgeschossen, als sie gegen das Mavi-Marmara-Massaker protestierte.
Es überrascht nicht, dass das israelische Massaker von vielen Regierungen, nicht zuletzt dem Erdogan-Regime in der Türkei, einem inoffiziellen Sponsor der Flotte, verurteilt wurde. Die gleichen kapitalistischen Regime haben sich selbst als ebenso fähig erwiesen, Grausamkeiten gegen ethnische, religiöse und nationale Minderheiten zu verüben, wie die bürgerlichen Herrscher Israels. Was die Imperialisten angeht, so haben Britannien und Frankreich in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen, als sie antikoloniale Aufstände brutal unterdrückten und ein Volk gegen das andere aufhetzten, die Grundlage für das andauernde Elend der Palästinenser und anderer Völker des Nahen Ostens gelegt.
Die US-Regierung unter der Demokratischen Partei und Präsident Barack Obama wiederum weigert sich, Israel auch nur zu tadeln. Seit Jahrzehnten ist Washington der Hauptwaffenlieferant des zionistischen Staats, wofür es mehrere Milliarden Dollar pro Jahr berappt. Am Vorabend des israelischen Blitzkriegs Ende 2008 im Gaza-Streifen machte der damalige US-Präsidentschaftskandidat Obama bei einem Israel-Besuch deutlich, dass unter seiner Regierung der zionistische Staat bei seinem antipalästinensischen Terror weiterhin freie Hand hätte.
Bei dem Protest am 31. Mai in New York war ein beliebter Sprechchor: „Obama, es ist höchste Zeit – beende die israelischen Kriegsverbrechen!“ Die Obama-Regierung wird jedoch weder die israelischen Kriegsverbrechen beenden und noch weniger ihre eigenen. Der größte Feind der Arbeiter und unterdrückten Massen der Welt ist der US-Imperialismus, egal ob durch Demokraten oder Republikaner regiert. Heute verübt er regelmäßig Massaker an den Völkern Afghanistans und Pakistans. Und wenige Monate nachdem Washington das Erdbeben in Haiti ausnutzte, um 20 000 Soldaten zu entsenden und dieses winzige und verarmte schwarze Land erneut zu besetzen, führte die Regierung von Jamaika auf Geheiß der US-Herrscher ein Polizeimassaker an Dutzenden Slumbewohnern in Kingston durch. Schluss mit US-Hilfe für Israel! US-Imperialisten – Hände weg von der Welt! Bundeswehr raus aus dem östlichen Mittelmeer!
Israels Angriff auf die zivile Hilfsflotte verdeutlicht, wie zwecklos die Versuche diverser reformistischer Linker sind, sich bei den „demokratischen“ imperialistischen Mächten dafür einzusetzen, dass diese Druck auf Israel ausüben, damit es seine mörderische Unterdrückung abmildert. Norman Paech, ehemaliger Bundestagsabgeordneter der Linkspartei, der sich für die Palästinenser einsetzt und an Bord der Mavi Marmara war, sprach von „Kriegsverbrechen“ und vom Bruch „internationalen Rechts“. Dies reflektiert das illusionäre Konzept vieler Linker, die UNO und die OSZE unter Druck zu setzen, damit sie das Richtige tun, um eine Lösung für die Palästinenser zu erreichen. Tatsächlich war die vom US-Imperialismus dominierte UNO der Pate bei der Gründung Israels und der damit einhergehenden Vertreibung der Palästinenser. 1982 massakrierten mit Israel verbündete Falange-Milizen in den Palästinenser-Lagern Sabra und Schatila im Libanon 2000 Palästinenser unter der Aufsicht und offensichtlichen Billigung von UN-Truppen, die zuvor die PLO entwaffnet hatten. Erinnert euch an Sabra und Schatila – kein Vertrauen in die UNO!
Unterdrückung des palästinensischen Volkes ist Bestandteil des Zionismus seit seiner Entstehung in Europa in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als er die messianische Ersatz-Mission in Angriff nahm, „ein Land ohne Volk für ein Volk ohne Land“ zu erobern. Ungeachtet der Absichten einiger der frühesten sozialistisch eingestellten jüdischen Immigranten in Palästina hat das zionistische Projekt in der Praxis immer bedeutet, ein Volk aus dem Land zu vertreiben und durch ein anderes Volk zu ersetzen. Auf jahrzehntelange Landnahme folgte 1947/48 die Massenvertreibung von Palästinensern und die Ghettoisierung der Araber, die im neuen Staat Israel verblieben. Die Eroberung der besetzten Gebiete beflügelte 1967 die Träume von einem „Groß-Israel“ und führte zur weiteren Vertreibung von Palästinensern im Gaza-Streifen, in Ostjerusalem und in der Westbank, die inzwischen von einer Mauer umgeben und von Militärposten durchsetzt ist. Zur rechten Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu gehören Gestalten wie Außenminister Avigdor Lieberman, der offen für „Transfer“ eintritt – die völkermörderische Vertreibung aller palästinensischen Araber.
Der antizionistische US-Akademiker Norman Finkelstein hatte durchaus einen Punkt, als er Israel in einem Interview mit Russia Today TV am 31. Mai beschrieb als „einen durchgeknallten Staat mit 200 bis 300 Atomwaffen, der tagtäglich Iran und die Hisbollah im Libanon mit Krieg bedroht“. Es ist erwähnenswert, dass das Massaker auf dem türkischen Schiff erfolgte, nachdem nur zwei Wochen zuvor die USA und Israel einen von der Türkei und Brasilien arrangierten Deal verurteilten, in dessen Rahmen Iran mit Brennstoff für seine Nuklearreaktoren versorgt werden sollte. Während Washington versucht, das imperialistische Wirtschaftsembargo gegen den Iran zu verschärfen, spricht Israel weiterhin offen davon, das Land zu bombardieren. Solche Drohungen unterstreichen, dass Iran Nuklearwaffen braucht, um sich gegen die Imperialisten und ihre Juniorpartner zu verteidigen.
Israel/Palästina ist ein Paradebeispiel der völkermörderischen Logik des bürgerlichen Nationalismus, besonders im Hinblick auf die Auswirkungen auf diese Völker, die geografisch vermischt sind. Die nationale Befreiung des palästinensischen Volkes – einschließlich des Rechts aller Flüchtlinge und ihrer Nachkommen, in ihre Heimat zurückzukehren – erfordert notwendigerweise Arbeiterrevolutionen, um den zionistischen Staat von innen zu zerschmettern und um die benachbarten herrschenden Kapitalistenklassen in Syrien, Jordanien und im Libanon wegzufegen, die selbst über beträchtliche palästinensische Bevölkerungsteile herrschen. Die nationalen Rechte sowohl des palästinensisch-arabischen als auch des hebräischsprachigen Volkes – ebenso die der Kurden und unzähliger anderer – werden allein im Rahmen einer sozialistischen Föderation des Nahen Ostens gesichert sein.
Die Länder des Nahen Ostens sind, ungeachtet der zunehmenden Verfestigung ultrachauvinistischer und religiöser Reaktion in Teilen der hebräischsprachigen Bevölkerung und des Anwachsens von islamischem Fundamentalismus innerhalb der palästinensischen und anderer arabischer Bevölkerungen, in Klassen gespaltene Gesellschaften. Insbesondere in Ägypten gab es in den letzten Jahren eine anwachsende Flut von Arbeiterprotesten und Streiks. Trotz enormer Sympathie unter Ägyptern für die Palästinenser arbeitet das Regime von Hosni Mubarak, das seit Jahrzehnten unter einem Ausnahmezustand herrscht, bei der Durchsetzung der Blockade des Gaza-Streifens aktiv mit den zionistischen Herrschern zusammen.
Die Solidarität unter den Völkern des Nahen Ostens mit dem unterdrückten palästinensischen Volk muss in Richtung proletarischer Revolution gegen ihre eigenen Herrscher geleitet werden, die – egal ob bürgerliche Nationalisten oder islamische Traditionalisten – grundlegend Werkzeuge des westlichen Imperialismus sind. Im Gegenzug würde revolutionärer Kampf im Iran und in den arabischen Ländern helfen, die hebräischsprachige Arbeiterklasse, zu der auch eine große Zahl unterdrückter und verarmter sephardischer Juden gehört, vom Gift des zionistischen Chauvinismus loszubrechen. Ein Fünftel der Bevölkerung Israels sind außerdem palästinensische Araber, die seit der Geburt des zionistischen Staates 1948 krasser Diskriminierung ausgesetzt sind.
Es ist im Klasseninteresse der Arbeiter Israels, den zionistischen kapitalistischen Staat zu zerschlagen und ihre Ausbeuter wegzufegen. Doch damit es dazu kommt, müssen Klassengrundsätze die Oberhand gewinnen. Notwendig ist die Schmiedung multinationaler, multiethnischer marxistischer Arbeiterparteien im ganzen Nahen Osten, die in Gegnerschaft zu allen Formen des Nationalismus und religiösem Fundamentalismus aufgebaut werden. Solche Parteien sind die unverzichtbaren Werkzeuge, um einen erfolgreichen Kampf für sozialistische Revolution zu führen, der auf internationaler Ebene schließlich die Tür für menschliche Gleichheit und Befreiung öffnen kann.