Spartakist Nr. 182

März 2010

 

BT zu Haiti: Atemberaubender Zynismus

Der nachfolgende Artikel ist übersetzt aus Workers Vanguard Nr. 953, 26. Februar, der Zeitung unserer Schwesterorganisation Spartacist League/U.S.

Vor einigen Jahren bekamen wir per E-Mail eine Sammlung interner Mitteilungen zugesandt, die Anhänger der Internationalen Bolschewistischen Tendenz (BT) untereinander ausgetauscht hatten. Diese waren zwar ziemlich bescheuert, aber bezeichnend für das Niveau politischer Diskussion innerhalb der BT. Aufmerksam wurden wir aber bei folgender Erklärung des obersten Führers der Organisation, Bill Logan: „Unsere Orientierung geht in Richtung einer Fusion mit der IG [Internationalist Group], deren Vorbedingung natürlich eine programmatische Annäherung ihrerseits ist.“

Es scheint, dass die BT eine solche „Annäherung“ in der jüngsten Erklärung der IG gefunden hat, die Spartacist League sei „vom Nachgeben unter dem Druck der herrschenden Klasse zur unverhohlenen Rechtfertigung des Imperialismus übergegangen“ („Spartacist League Backs U.S. Imperialist Invasion of Haiti“ [Spartacist League billigt US-imperialistische Invasion Haitis], 30. Januar). Ein von der BT am 9. Februar auf ihrer Website veröffentlichter Artikel, „Imperialist Troops Out of Haiti!“ [Imperialistische Truppen raus aus Haiti!], pflichtet der „Einschätzung der IG über die skandalöse Kapitulation der SL vor der imperialistischen Intervention in Haiti“ bei. Als Antwort auf die „Einschätzung“ der IG verweisen wir unsere Leser auf unseren Artikel „Haiti: IG Conjures Up Revolution Amid the Rubble“ [Inmitten der Trümmer beschwört die IG die Revolution] (WV Nr. 952, 12. Februar). Was die BT anbelangt, so ist ihr Zynismus wie immer atemberaubend.

Die erste Erklärung der BT zu Haiti vom 29. Januar, zwei Wochen nach dem Beben, enthielt nicht die Forderung „Imperialistische Truppen raus aus Haiti!“ Und als es 2004 eine echte von den USA angeführte und von der UNO gesponserte Invasion Haitis gab, darunter ein Kontingent von 500 Soldaten aus Kanada, wo die BT ihre Hauptbasis hat, forderte die BT in ihrer Zeitung 1917 nicht „Imperialistische Truppen raus aus Haiti!“ (Tatsächlich konnten wir auf der gesamten Website der BT nur einen beiläufigen Hinweis auf diese Invasion finden.)

Die BT pfeift auf die imperialistische Unterdrückung der haitianischen Massen, eine Gleichgültigkeit, die zu ihrer allgemeinen höhnischen Verachtung besonderer Unterdrückung passt, ob es sich nun um die nationale Unterjochung Quebecs durch den imperialistischen Staat Kanada oder die brutale Segregation und staatliche Unterdrückung der schwarzen Ghetto-Massen in den USA handelt. Die Verwüstung Haitis ist für diese Renegaten einfach nur eine willkommene Gelegenheit, das zu tun, was schon immer ihre Lieblingstätigkeit war: sich die Spartacist League „vorzuknöpfen“. Diesmal sehen sie darin den zusätzlichen Nutzen, ihre amourösen Annäherungsversuche gegenüber der IG voranzutreiben.

In gewisser Weise unterscheiden sich die politischen Triebkräfte der BT und der IG voneinander. Die IG erklärte, das Erdbeben biete eine unmittelbare Möglichkeit für einen Arbeiteraufstand in Haiti – eine groteske Phantasie, die, wie wir feststellten, von ihrer Anpassung an den Dritte-Welt-Nationalismus herrührt. Die Empfindlichkeiten der BT sind die von Erste-Welt-Sozialdemokraten, die Illusionen in die angeblichen „humanitären“ Ambitionen des Imperialismus verbreiten. Genau diese Sichtweise wurde von der britischen Gruppe Workers Power (in Deutschland Gruppe Arbeitermacht) auf den Punkt gebracht. In einer Veröffentlichung auf ihrer Website vom 21. Januar, „Haiti – Aid or Colonisation?“, erhob Workers Power die absolut wahnhafte Forderung: „Die Soldaten sollen entweder ihre Waffen ablegen und den zivilen Agenturen zur Verfügung gestellt werden – oder Haiti verlassen“, und fügte hinzu: „Alles an Militärfahrzeugen und -ausrüstung, was von Nutzen sein könnte, soll unter zivile Aufsicht gestellt werden.“

Die BT wiederum verweist auf das Rote Kreuz und Médicins Sans Frontières (in Deutschland Ärzte ohne Grenzen) als die wahre Quelle der Hilfe für die verzweifelte haitianische Bevölkerung. Doch diese Organisationen sind nichts anderes als Agenturen des Imperialismus. Der selbsterklärte Zweck des Amerikanischen Roten Kreuzes ist es, „Verantwortlichkeiten zu übernehmen, die ihm von der Regierung übertragen werden“ – d. h. vom US-Imperialismus. Médicins Sans Frontières wiederum wurde als „humanitärer“ Arm des französischen Imperialismus gegründet. Einer der Gründer, Bernard Kouchner, ist jetzt französischer Außenminister.

Wie wir in „Erdbebenkatastrophe in Haiti: Imperialismus, Rassismus und Hungersnot“ (WV Nr. 951, 29. Januar; deutsche Übersetzung siehe Seite 24 dieser Ausgabe) bemerkten, sieht die harte Realität so aus:

„[Es gibt] für Haiti heute keine guten Alternativen. Das US-Militär ist die einzige Kraft vor Ort, die fähig ist – z. B. durch LKWs, Flugzeuge, Schiffe – den Transport dessen, was die haitianische Bevölkerung an Nahrungsmitteln, Wasser, medizinischen und anderen Hilfsgütern erreicht, zu organisieren. Und es tut dies auf die typische widerliche US-imperialistische Art und Weise. Wir sind von jeher gegen jede US- und UN-Besetzung in Haiti und anderswo eingetreten – und möglicherweise wird es in naher Zukunft nötig sein, einen Abzug der USA/UNO aus Haiti zu fordern –, aber wir werden nicht die Beendigung von Hilfe fordern, die die haitianischen Massen kriegen können.“

Haiti hatte nach zwei Jahrhunderten der Verwüstung durch koloniale und imperialistische Unterjochung schon vor dem Erdbeben kein Industrieproletariat und fast keine Infrastruktur. Unser Artikel betonte: „Der Schlüssel zur Befreiung Haitis liegt in einer proletarischen Revolution in der gesamten Hemisphäre, bei der die Mobilisierung des beträchtlichen haitianischen Proletariats in der Diaspora eine Schlüsselrolle spielen kann.“ Diese Arbeiter können ein lebendiges Bindeglied zum Klassenkampf des mächtigen nordamerikanischen Proletariats sein. Um die multirassische Arbeiterklasse der USA zu einem Verständnis ihrer Rolle als Totengräber des US-Imperialismus zu bringen, ist ein politischer Kampf gegen die verräterischen prokapitalistischen Gewerkschaftsführer notwendig, die die Arbeiterklasse, vor allem durch politische Unterstützung der Demokratischen Partei, an ihre kapitalistischen Ausbeuter ketten. Doch der beträchtliche Anteil des haitianischen Proletariats in Nordamerika wird in dem Artikel der IG zum Erdbeben und in der Polemik der BT gegen uns nicht erwähnt. Hintergrund sind ihre gemeinsamen Bindungen an „fortschrittliche“ falsche Arbeiterführer in den USA. Und hier gibt es trotz ihrer sonst unterschiedlichen Begierden eine wirkliche politische „Einheit“ zwischen IG und BT.

Bande, die verpflichten

In den internen Mitteilungen der BT verweist der nachgeordnete Oberführer der Gruppe, Tom Riley, auf die Begeisterung sowohl der BT als auch der IG über den Hafenstreik gegen den Krieg, den die International Longshore and Warehouse Union (ILWU) [Hafenarbeitergewerkschaft] 2008 an der Westküste durchführte, als mögliche Eintrittskarte für eine Umgruppierung. Riley verspottet die Vorstellung der IG über ihre Rolle beim Zustandekommen der Aktion und schreibt: „Ich glaube, die IG hat sich selbst wirklich eingeredet, dass ihr Auftreten bei der Bay-Area-Konferenz und der dortige Verkauf ihrer Broschüre über Arbeiterstreiks gegen den Krieg einen entscheidenden Einfluss ausgeübt haben. Dies ist nicht nur Zynismus, sondern die reinste Wahnvorstellung.“ Dennoch ist er der Meinung, die „Meinungsverschiedenheiten zwischen IKL und IG zur ILWU-Gewerkschaftsaktion stellen für uns eine Gelegenheit dar“, und rät: „Was wir aber VOR ALLEM tun sollten, ist nicht, sie lächerlich zu machen, sondern die Logan-Frage und die Ursprünge der ILWU-Aktion aufzudröseln.“

Mit „dem Aufdröseln der Logan-Frage“ meint Riley, dass die IG vor jeder möglichen Vereinigung den BT-Führer Bill Logan als ihren eigenen „geliebten Führer“ anerkennen muss. Logan – erwiesenermaßen massiver Lügner und Soziopath – wurde 1979 aus unserer Tendenz wegen „Verbrechen gegen kommunistische Moral und grundlegenden menschlichen Anstand“ ausgeschlossen. Unter anderem hatte Logan seine Position in der Organisation als Vorsitzender unserer australischen Sektion dazu benutzt, Paare zu trennen und eine junge Frau zu einer Abtreibung zu drängen und, als dies fehlschlug, zu nötigen, ihr Kind wegzugeben. Als Logan ausgeschlossen wurde, klagte der IG-Führer Jan Norden, der damals ein führendes Mitglied unserer Organisation war, Logan eindringlich und mit Recht an als einen „kriminellen Soziopathen, der von allen Organisationen der Arbeiterklasse ferngehalten werden sollte“ (siehe „On the Logan Regime Part III“ [Über das Logan-Regime, Teil III], International Information Bulletin Nr. 16, November 1983, das öffentlich zugänglich ist).

Doch als sich Logan auf einer „Labor Conference to Stop the War“ [Gewerkschaftskonferenz gegen den Krieg] im Oktober 2007 in der Bay Area groteskerweise als Arbeiterführer aus Neuseeland auszugeben versuchte, zog Norden mit. Als ein Spartacist-Sprecher bei der Veranstaltung intervenierte, um Logan als widerlichen und gefährlichen Betrüger zu entlarven, versuchte Jack Heyman, der Lieblingsgewerkschaftsbürokrat von BT und IG, unseren Redner zu unterbrechen und Logan gegen „persönliche Verleumdungen“, wie er es nannte, zu verteidigen. Norden verhielt sich dabei ganz still und ergriff danach das Wort, wobei seine einzige Erwähnung Logans aus einer kurzen, ach so kameradschaftlichen Kritik an Logans Beschreibung eines australischen Gewerkschaftsboykotts bestand, der in den 1930er-Jahren gegen Roheisenlieferungen an Japan geführt wurde und den Logan als Beispiel für proletarischen Klassenkampf gegen den Krieg angeführt hatte. Mit anderen Worten, die IG schloss sich Heyman und der BT dabei an, die verkommene Gestalt Logan als Teil der Arbeiterbewegung anzuerkennen (siehe „Labor Opportunists, Renegades Embrace Bill Logan“ [Gewerkschaftsopportunisten und Renegaten heißen Bill Logan willkommen], WV Nr. 901, 26. Oktober 2007).

Das ist der Preis für den Zutritt zum reformistischen Sumpf in der Bay Area, wo sich Leute wie Heyman darauf spezialisiert haben, einer Politik, die die Gewerkschaft an den Klassenfeind kettet, insbesondere an die Demokratische Partei, ein „kämpferisches“ proletarisches Mäntelchen zu verpassen. Das ist es, was am 1. Mai 2008 zum Tragen kam. Der Hafenstreik an der Westküste an diesem Tag war eine machtvolle Demonstration der Art von proletarischer Aktion, wie sie gegen die Kriege und Besetzungen des US-Imperialismus mobilisiert werden muss. Doch die Spitzen der ILWU-Internationale kanalisierten die Aktion in „Amerika-loyalen“ Patriotismus und Unterstützung für Barack Obama, den Kandidaten der Demokratischen Partei für den Posten des Oberbefehlshabers des US-Imperialismus. Jegliche Erwähnung des von Obama befürworteten Kriegs in Afghanistan wurde fallen gelassen.

Die BT stimmt nicht mit der IG darin überein, dass wir über Haiti eine „qualitative Degeneration“ durchgemacht hätten. Freundschaftlich rügt sie die IG-Führer wegen ihrer „absichtlich blinden Loyalität gegenüber allem, was die SL vor ihrem [der IG] eigenen Abgang im Jahr 1996 tat“. Für die BT fand unsere „qualitative Degeneration“ 1983 statt, als wir die konjunkturelle Forderung „Marines raus aus Libanon, sofort und lebend!“ aufstellten, um den verbreiteten Abscheu gegenüber dem Tod von 240 US-Marineinfanteristen aufzugreifen und gegen die imperialistischen Herrscher der USA zu richten. Die BT warf uns „Sozialpatriotismus“ vor, weil wir den Bombenanschlag auf die Kasernen der Marineinfanteristen nicht als einen Akt des „Antiimperialismus“ feierten.

Auf der Titelseite von WV war unsere Libanon-Losung mit der Forderung verbunden: „USA raus aus Grenada, tot oder lebend!“ (siehe WV Nr. 341, 4. November 1983). Wir gaben bei dem blutigen Bürgerkrieg im Libanon keiner der kämpfenden Parteien militärische Unterstützung, und es war dort keine Kraft bekannt, die gegen die US-Imperialisten kämpfte. In Grenada hatten wir eine Seite zu beziehen: mit den Kubanern und anderen, die tatsächlich gegen die US-imperialistischen Invasoren kämpften. Zu jener Zeit erhoben wir auch die Losung „Tötet die Invasoren“ gegen konterrevolutionäre CIA-Banden, die das linksgerichtete Sandinistenregime in Nicaragua zu stürzen versuchten; wir begrüßten die sowjetische Rote Armee in Afghanistan und forderten sie dazu auf, die vom Imperialismus unterstützten islamischen Reaktionäre zu vernichten; und wir unterstützten die Unterdrückung der imperialistisch geförderten Konterrevolution der Solidarność in Polen.

Nichts davon taten wir, um uns an Leichen zu ergötzen, sondern wir taten es aus unserer revolutionär-internationalistischen Verpflichtung heraus, mit der imperialistischen Barbarei Schluss zu machen. Wie wir in „Marxismus und Blutrünstigkeit“ (Spartakist Nr. 49, März 1984) schrieben: „Wir sind für den Sieg einer gerechten Sache. Notwendigerweise steht im Mittelpunkt der gerechten Sache vor allen Dingen die Zerschlagung der Ausbeuter- und Unterdrückerklassen und der Sieg des Sozialismus“ (Hervorhebung im Original). Im Gegensatz dazu war, wie wir damals bemerkten, die Blutrünstigkeit der BT eine zweckdienliche gegen uns gerichtete Pose und umgekehrt proportional zur Entfernung vom Ort des Blutvergießens. Schließlich sind die Gründungsmitglieder der BT eine Ansammlung erbitterter Ex-Mitglieder unserer Organisation, die Anfang der 1980er-Jahre, als der scharfe Wind des zweiten Kalten Krieges blies, wegen unserer Politik der Verteidigung der Sowjetunion kalte Füße bekamen.

Obgleich die IG schon einigermaßen dabei ist, die Verbrechen des BT-Führers Bill Logan zu vergeben und zu vergessen, hat Logan selbst die Auffassung geäußert, „einige gegenwärtige Mitglieder der IG wären nicht zu der persönlichen Veränderung fähig, die eine Fusion verlangt“. Vielleicht kann Logan seine gut belegten Fachkenntnisse in sadistischen und kultähnlichen Praktiken für solch eine „persönliche Veränderung“ einsetzen. Heute macht der BT-Führer für seine Dienste als „Zelebrant“ Reklame – die New-Age-Version eines Gesundbeters –, der sich auf „Trauerfälle“, „Untreue“, „Zerrüttung von Partnerschaften“, „sexuelle Fragen“ spezialisiert hat und auf weitere Zeremonien, die von den „anglikanischen und presbyterianischen Einflüssen meiner Kindheit“ stammen. Wenn bei dem „Umgruppierungs“tanz der BT mit der IG alles gut läuft, kann Logan die Trauungszeremonie vollziehen.