Spartakist Nr. 181

Januar 2010

 

Spartakist-Jugend

SAV unterstützte die Konterrevolution in der DDR

Dieser Herbst markierte den 20. Jahrestag des Mauerfalls. Neben dem offiziell organisierten Regierungsjubel hielten auch mehr oder weniger linke Gruppen ihre „Wendefeierlichkeiten“ ab. Darunter die SAV, deren Linie 1989/90 für die DDR zusammengefasst wird durch ihre damaligen Forderungen „SPD in die Offensive!“ und „Enteignet den gesamten Besitz der SED-PDS“. Für die SAV-Führung sind Hinweise darauf heute natürlich wenig sachdienlich, wo sie doch bemüht sind, sich dem anderen Flügel der deutschen Sozialdemokratie als loyale Opposition anzudienen: der Linkspartei. Um den Widerspruch zwischen dem „Antistalinismus“ der SAV (der nichts als sozialdemokratischer Antikommunismus ist) und ihrem scheinbar linken Auftreten für eine neue Arbeiterpartei aufzuzeigen, gingen wir zu ihren Veranstaltungen in Berlin und Hamburg. Ein Genosse der Spartakist-Jugend Berlin erklärte in der Diskussionsrunde am 23. Oktober, dass es 1989/90 zwei entgegengesetzte Optionen gab: Entweder politische Revolution zur Verteidigung der deformierten Arbeiterstaaten und zum Sturz der Bürokraten durch Arbeiterräte oder Anschluss an den „demokratischen“ deutschen Imperialismus, also kapitalistische Konterrevolution. Die Spartakisten kämpften bis zuletzt für die Verteidigung der Arbeiterstaaten, die SAV (jahrzehntelang in der SPD vergraben) unterstützte im Namen von „Demokratie“ Antikommunismus, von der klerikalen antisemitischen Solidarność bis zum Möchtegern-Zar Boris Jelzin. Der Genosse führte aus:

„Während wir 1989/90 warnten, dass die bürgerliche Arbeiterpartei SPD mit ihrem Eintreten für ,Demokratie‘, also ,demokratischen‘ Kapitalismus, das trojanische Pferd der Konterrevolution war, unterstützten die SAV-Vorläufer die gleichen Illusionen in bürgerliche ,Demokratie‘ z. B. durch die Forderung nach ,freien Wahlen‘. Die Frage dabei ist: Demokratie für welche Klasse? Gleichzeitig sahen […] die beiden SAV-Vorläufer natürlich nicht ihr Muttertier SPD, sondern die SED als Hauptfeind an. Während wir Spartakisten versuchten, prosozialistische Arbeiter, also auch Teile der SED-Basis, für den Kampf für ein rotes Rätedeutschland zu gewinnen, sahen die SAV-Vorläufer, wie eben auch gesagt wurde [vom Referenten], die kleinbürgerlichen Oppositionsgruppen wie das ,Neue Forum‘ als verhinderte ,sozialistische‘ Führung an.“

Der SAV-Referent hielt dagegen, dass „freie Wahlen“ doch eine ganz traditionelle Forderung der Linken sei. Ganz im Gegenteil: Die Forderung nach „freien Wahlen“ war im Kalten Krieg ein Schlachtruf „großer Demokraten“ wie Helmut Kohl, Ronald Reagan und Margaret Thatcher und wurde „traditionell“ als Codewort für bürgerlich-demokratische Konterrevolution verstanden. Schon Karl Kautsky unterstützte die kapitalistische Konterrevolution im Namen der „Demokratie“ gegen die Oktoberrevolution von 1917. Lenin erklärte in Die proletarische Revolution und der Renegat Kautsky (1918):

„Argumentiert man als Marxist, so muss man sagen: Die Ausbeuter verwandeln den Staat (die Rede ist hier von der Demokratie, das heißt von einer der Staatsformen) unweigerlich in ein Werkzeug der Herrschaft ihrer Klasse, der Ausbeuter über die Ausgebeuteten…

Argumentiert man als Liberaler, so wird man sagen müssen: Die Mehrheit entscheidet, die Minderheit hat sich zu fügen… Von einem Klassencharakter des Staates im allgemeinen und einer ,reinen Demokratie‘ im besonderen zu sprechen ist überflüssig; das gehört nicht zur Sache, denn Mehrheit ist Mehrheit und Minderheit ist Minderheit: ein Pfund Fleisch ist ein Pfund Fleisch und damit basta.“

Schon in ihrem Standardwerk zur eigenen Rolle 1989/90, Die gescheiterte Revolution von Robert Bechert, wird klar, wo die SAV den Hauptfeind sieht: Neben diversen Lippenbekenntnissen zu Rätedemokratie beschreibt Bechert, wie sie die „Forderung nach einem sofortigen Ende der Zusammenarbeit der Oppositionsführer mit dem Regime“ aufstellten. Die SAV war nichts als ein Haufen „radikaler“ Berater für die prokapitalistischen „Oppositionsführer“ von SDP-Pfaffen wie Thierse bis zu kleinbürgerlichen Bürgerbewegten wie Birthler. Wie es später im Text heißt, sei „die Forderung nach freien Wahlen zu dieser Zeit eine scharfe Waffe gegen das Regime“ gewesen. Genau, eine scharfe Waffe aus dem Arsenal der Imperialisten!

Der Tenor der Veranstaltung war Distanzierung von der DDR, nach dem klassischen Muster, den Arbeiterstaat mit dem stalinistischen Regime gleichzusetzen. Ein Unterstützer von REVOLUTION (mittlerweile Teil der Abspaltung RSO) vollbrachte das Kunststück, die SAV noch rechts zu überholen, indem er argumentierte, dass „alle Arbeiter im Stalinismus mehr oder weniger kostenlose Zwangsarbeiter“ waren! Ein älterer Herr war entsetzt über die Feindseligkeit gegenüber der DDR und verließ den Saal vorzeitig unter Protest. Hinterher diskutierten wir mit Teilnehmern und mobilisierten für unsere Veranstaltung zum Kampf für ein rotes Rätedeutschland (siehe Titelseitenartikel).