Spartakist Nr. 181 |
Januar 2010 |
Für das Selbstbestimmungsrecht der Basken!
Freiheit für die baskischen Nationalisten der ETA!
Nachfolgender Artikel wurde übersetzt aus le Bolchévik Nr. 189, September 2009, Zeitung der Ligue trotskyste de France, Sektion der Internationalen Kommunistischen Liga (Vierte Internationalisten).
Paris, 2. September Am 19. August wurden Alberto Machain Beraza, Beraza Aitzol Etxaburu und Andoni Sarasola während einer gemeinsamen Operation französischer und spanischer Bullen in Savoyen [Frankreich] festgenommen. Alle drei werden verdächtigt, der baskischen Unabhängigkeitsgruppe Euskadi Ta Askatasuna (Baskisches Vaterland und Freiheit, ETA) anzugehören und ihr Waffen und Sprengstoff geliefert zu haben. Im Rahmen der Unterdrückungsmaßnahmen gegen die baskisch-nationalistische Bewegung sitzen zurzeit in Frankreich 172 Menschen im Gefängnis (le Figaro, 1. September). Der französische Staat brüstet sich damit, seit Jahresbeginn 15 weitere Aktivisten an die spanische Polizei ausgeliefert zu haben, die der sozialdemokratischen Regierung von José Luis Zapatero untersteht; sie wurden eingekerkert wie die hunderten politischen Gefangenen, die heute in spanischen Gefängnissen dahinsiechen. Im Februar 2008 gab es nach Angaben der baskisch-nationalistischen Zeitung Gara (25. März 2008) 739 baskisch-nationalistische Gefangene in Frankreich und Spanien bei einer Bevölkerung von etwa zwei Millionen Basken [in beiden Ländern]. Man muss bis ins Jahr 1969 zurückgehen, zu den finstersten Zeiten Spaniens unter Franco, um eine vergleichbare Zahl zu finden! Wir fordern die sofortige Freilassung aller baskisch-nationalistischen Aktivisten und die Einstellung aller Verfahren gegen sie!
Diese Festnahmen erfolgen einige Wochen nach einer Reihe von Anschlägen, insbesondere gegen eine Kaserne der spanischen Guardia Civil, wo zwei Gardisten starben, und außerdem gegen den Sitz der Sozialistischen Partei in Durango sowie gegen touristische Einrichtungen auf Mallorca, wo es keine Opfer gab. Diese Anschläge zeigen, der Prahlerei der französischen und spanischen Polizei zum Trotz, dass die ETA, die nun seit 50 Jahren existiert, bei weitem nicht zerschlagen worden ist. Die nationalistische Bewegung kämpft gegen eine immer schärfer werdende nationale Unterdrückung. Die politische Organisation Batasuna, die als politischer Arm der ETA gilt, ist in ganz Europa verboten; und jede Organisation, die verdächtigt wird, ihr nahezustehen oder ihr einfach nicht feindlich gesonnen zu sein, wird regelmäßig verboten und darf an den demokratischen Wahlen in Spanien nicht teilnehmen.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat nun offiziell sein Einverständnis zu diesen Polizeistaatsmaßnahmen gegeben und sie als zwingende soziale Erfordernis bezeichnet, die in einer Demokratie notwendig sei (el Pais, 1. Juli). Deutlicher kann man nicht zeigen, dass die kapitalistische Demokratie nur ein parlamentarischer Schleier ist zu dem Zweck, die Diktatur der Kapitalistenklasse über die Arbeiter und Unterdrückten zu verhüllen. Menschenrechte bedeuten das Recht der Kapitalistenklasse, die Arbeiterklasse auszubeuten und ihre Bullen gegen diejenigen einzusetzen, die sie als Gefährdung ihrer Herrschaft ansieht. Angesichts der Repression des spanischen und des französischen kapitalistischen Staats muss sich die Arbeiterbewegung dem Verbot der nationalistischen Organisationen widersetzen und für das Recht auf Selbstbestimmung des baskischen Volkes kämpfen. Das ist das einzige Gegenmittel gegen das chauvinistische Gift, das die baskischen und die nicht-baskischen Arbeiter voneinander trennt und das die spanische Bourgeoisie dringend braucht, um ihr System kapitalistischer Unterdrückung aufrechtzuerhalten.
Nach den letzten Festnahmen besuchte der spanische Oberbulle, der Sozialdemokrat Alfredo Pérez Rubalcaba, am 26. August Paris, um mit dem neuen Minister der französischen Bullen, Brice Hortefeux, die polizeiliche Zusammenarbeit zwischen Frankreich und Spanien zu feiern. Diese Zusammenarbeit war in den 1980er-Jahren unter den sozialdemokratischen Regierungen von Mitterrand und Felipe González durch die Bildung von Todesschwadronen, den GAL [Grupos Antiterroristas de Liberación, Antiterroristische Freiheitsgruppen], mit Blut besiegelt worden. Die GAL ermordeten mindestens 27 mutmaßliche baskische Nationalisten. Diese Zusammenarbeit ist seitdem erfolgreich fortgesetzt worden, auch unter der Regierung Jospin-Buffet-Mélenchon vor gut 10 Jahren [die Sozialisten Lionel Jospin und Jean-Luc Mélenchon und die Kommunistin Marie-George Buffet]. Heute sind nicht nur die baskischen Nationalisten im Visier, sondern auch insbesondere die Arbeiter ohne gültige Papiere, die es geschafft haben, unter Einsatz ihres Lebens von Afrika nach Spanien zu gelangen, und versuchen die anderen europäischen Länder zu erreichen. Die Maßnahmen zur Ausweisung immigrierter Arbeiter nehmen rapide zu, auch gegen diejenigen, die ihren Aufenthalt legalisiert hatten. In Frankreich und in Spanien fordern wir: Volle Staatsbürgerrechte für alle Immigranten! Schluss mit den Abschiebungen!
Während des Polizeigipfels am 26. August hat Rubalcaba besonders hervorgehoben, dass die Verfolgung der ETA aktuell das wichtigste Problem in Spanien sei (Video der Pressekonferenz auf www.interieur.gouv.fr). Und das zu einem Zeitpunkt, wo die Wirtschaftskrise Spanien mit einer Wucht zugrunde richtet, die schlimmer ist als in den meisten anderen europäischen Ländern! Offiziell gibt es in Spanien fast vier Millionen Arbeitslose, ein Fünftel der erwerbstätigen Bevölkerung. Rubalcabas Erklärung veranschaulicht beispielhaft, wie die spanische Bourgeoisie die Repression gegen das baskische Volk dazu benutzt, die Basken zum Sündenbock der kapitalistischen Krise zu machen, um so jede proletarische Mobilisierung zu verhindern angesichts geplanter Massenentlassungen und der Zwangsräumung vieler hochverschuldeter Familien aus ihren Wohnungen. Das ist ein klassisches Beispiel dafür, wie die Bourgeoisie spaltet, um besser zu herrschen. Daher ist es für die revolutionäre Einheit des Proletariats in Spanien und auf beiden Seiten der Pyrenäen unbedingt notwendig, dass die Arbeiterbewegung für die Verteidigung des baskischen Volkes mobilisiert wird und sein Recht auf Selbstbestimmung verteidigt, einschließlich des Rechts auf Unabhängigkeit von Spanien und/oder Frankreich. Aber die spanische reformistische Linke, treu ergebener Diener bei der Verteidigung der Interessen ihrer eigenen Kapitalistenklasse, steht offen oder implizit auf der Seite ihrer eigenen Bourgeoisie und der sozialdemokratischen Regierung gegen die baskisch-nationalistischen Aktivisten.
Wenn die ETA in krimineller Weise Bomben in Restaurants und anderen touristischen Einrichtungen legt, so richtet sie sich potenziell gegen jeden. (Der Tourismus ist ein Stützpfeiler der nationalen Wirtschaft und stellt einen bedeutenden Anteil an Arbeitsplätzen.) So wurden am 30. Dezember 2006 zwei junge Immigranten aus Ecuador bei einem Attentat auf dem Flughafen von Madrid getötet, für das die ETA Verantwortung übernahm. Durch das Entfachen von Gewalt zwischen den Völkern schürt die ETA nationalistische Ängste und Hass auf allen Seiten und hilft damit den spanischen Reformisten, die nicht-baskische Arbeiterklasse an die spanische Bourgeoisie zu ketten. Ziel der baskischen Nationalisten ist einfach die Bildung eines von den spanischen und französischen Unterdrückern losgetrennten baskischen Nationalstaats, eines bürgerlichen Staats, der die besonderen Interessen der baskischen Bourgeoisie verteidigt, sowohl nach außen als auch gegen die Arbeiter im Baskenland selbst, seien sie nun baskischer oder nicht-baskischer Herkunft.
Die Entführung und Hinrichtung von Bullen, bürgerlichen Politikern und Industriebossen sind keine Verbrechen gegen die Arbeiterklasse, aber es sind nutzlose Taten, die der nationalistischen Perspektive der ETA-Mitglieder entspringen. Sie stehen im Gegensatz zu einer Strategie der Mobilisierung der Masse der Unterdrückten (in diesem Fall insbesondere der spanischen oder katalanischen Massen) und zu einer Perspektive sozialistischer Revolutionen auf beiden Seiten der Pyrenäen. Als Marxisten-Leninisten lehnen wir die kleinbürgerliche Strategie des individuellen Terrors im Kampf gegen die kapitalistische Unterdrückung ab. Wir gehen von den historischen Interessen der Arbeiterklasse aus, der einzigen sozialen Klasse im Kapitalismus, die aufgrund ihrer Verbindung zu den Produktionsmitteln die soziale Macht besitzt, das kapitalistische System zu stürzen. Dennoch verteidigen wir die Unterdrückten, wenn sie gegen die Bourgeoisie und deren Staat vorgehen, gegen die Repression der Kapitalisten.
Die Arbeiterbewegung muss die baskischen Nationalisten gegen die Repression, der sie ausgesetzt sind, verteidigen und sich gleichzeitig gegen ihre Ideologie wenden. Hinter der Repression gegen das Baskenland steht die Bestrebung der Bourgeoisie, die gesamte multiethnische Arbeiterbewegung zu spalten. In einer Region, in der die Polarisierung entlang nationaler Linien so stark ist, dass zehntausende Menschen zu Demonstrationen für oder gegen die Rechte der Basken mobilisiert werden können, muss eine proletarische Avantgarde den Kampf gegen die nationale Unterdrückung führen. Ohne dieses wesentliche Element wird das Zusammenwirken der historischen Macht der nationalistischen Ideologie, der enormen Last der brutalen nationalen Unterdrückung und des Sozialchauvinismus der französischen und spanischen Linken die baskischen Arbeiter in die Arme der baskischen Nationalisten treiben, die heute die Hauptkraft in den regionalen Gewerkschaften darstellen (siehe hierzu insbesondere unseren Artikel zur baskischen Frage in le Bolchévik Nr. 146, Sommer 1998).
Die französische reformistische Linke betrachtet die baskische Frage zunächst einmal als ein rein spanisches Problem; so verteidigt sie implizit die Einheit und Unteilbarkeit der kapitalistischen französischen Republik (trotz der Tatsache, dass bei den letzten Europawahlen vor einigen Monaten im Departement Pyrénées-Atlantiques [zu dem auch der französische Teil des Baskenlandes gehört] nahezu 10 000 Stimmen für die nationalistischen Listen abgegeben wurden). Lutte ouvrière (LO) stellt den Terror der sozialdemokratischen kapitalistischen Regierung in Spanien auf dieselbe Stufe wie die Attentate der ETA:
Die Politik der ETA, die in Wirklichkeit alle Spanier, auch die Arbeiter, als ihre Gegner betrachtet, ist offensichtlich kriminell. Aber sie sind nicht die einzigen, die innerhalb der spanischen Arbeiterklasse für Verwirrung sorgen. Diejenigen in der spanischen Linken, deren einzige Ambition es ist, in einer Regierung die Geschäfte der Bourgeoisie zu verwalten, und die sich immer wieder einer Rechten anpasst, die vom Franco-Erbe schwer belastet ist, landen bei den gleichen Konsequenzen. (Lutte de Classe Nr. 104, April 2007)
Die Reformisten von Lutte ouvrière sind wohlbekannt für ihre Kapitulation gegenüber den Anti-Terror-Kampagnen der Bourgeoisie, besonders durch ihre Weigerung, die flächendeckenden rassistischen Polizeikontrollen auf französischen Bahnhöfen und Flughäfen im Rahmen des Vigipirate-Plans abzulehnen.
Was die NPA [Neue Antikapitalistische Partei] von Olivier Besancenot und Alain Krivine angeht, so hat sie unserer Kenntnis nach niemals eine Position zur baskischen Frage bezogen. Ihre vorherige Inkarnation, die Ligue communiste révolutionnaire, hatte am 1. Februar 2007 in der Zeitung Rouge einen Artikel veröffentlicht, in dem es hieß:
Die anderen linken Basken müssen die abertzale [nationalistische] Linke davon überzeugen, dass die ETA die Waffen nicht deshalb niederlegen soll, weil der spanische Staat dies als Bedingung zur Erneuerung des Dialogs fordert, sondern weil dies notwendig ist, um eine demokratische Allianz für die nationale Selbstbestimmung zu schaffen, die allein die Umwandlung des heutigen Mehrheitsgefühls der baskischen Gesellschaft in eine staatsbürgerliche Mobilisierung ermöglicht.
Auch wenn sie gelegentlich die Freiheit einiger baskischer Aktivisten fordert, will sie diese in Wirklichkeit gerade im Namen derjenigen kapitalistischen Demokratie entwaffnen, die die Basken unterdrückt. Vor 36 Jahren haben die spanischen Genossen von Krivine ihre Organisation im Baskenland in einen Flügel des baskischen Nationalismus aufgelöst, der aus der politischen Bewegung der ETA hervorging. Heute kapitulieren sie direkt vor dem kapitalistischen spanischen Nachfolgestaat Francos.
Die Arbeiterkämpfe der 1930er- und 1970er-Jahre in Spanien haben gezeigt, dass die Lösung der nationalen Frage dieses Landes unausweichlich verbunden ist mit dem Kampf für Arbeitermacht auf der gesamten Halbinsel. Wir kämpfen für den Aufbau einer leninistischen proletarischen Avantgardepartei, die das Recht der Basken auf Selbstbestimmung auf beiden Seiten der Pyrenäen verteidigt. Nur eine solche Partei wird in der Lage sein, Basken und Katalanen mit den Arbeitern in ganz Spanien und, auf der anderen Pyrenäenseite, Frankreich zu vereinen im gemeinsamen Kampf für die Arbeiterrevolution, die in Spanien das Franco-Erbe hinwegfegen wird durch den Sturz der Bourgeoisie, einschließlich ihrer baskischen und katalanischen Bestandteile, und durch die Errichtung einer Arbeiterregierung. Nieder mit der Hexenjagd gegen die baskischen Nationalisten! Für trotzkistische Parteien in Spanien und Frankreich als Teil einer wiedergeschmiedeten Vierten Internationale!