Spartakist Nr. 180

November 2009

 

Nieder mit Klassenkollaboration zwischen ver.di und Hafenbossen!

Bremerhaven: Für die Wiedereinstellung aller entlassenen GHB-Arbeiter!

In Bremerhaven spielt sich ein Szenario ab, das grell beleuchtet, wie die Arbeiter für die von den Kapitalisten verursachte Wirtschaftskrise bezahlen sollen. Der Warenumschlag in den Häfen ist massiv eingebrochen. Den Containerumschlag in Hamburg traf es mit fast 30 Prozent Rückgang, den Automobilumschlag in Bremerhaven mit 52 Prozent. Die Hafenbosse vermeldeten, sie benötigten von den 2700 Beschäftigten des Gesamthafenbetriebsvereins (GHB) in Bremen und Bremerhaven nur noch 1100. Der GHB, gemeinsam von der Gewerkschaft ver.di und den Hafenbossen betrieben, verleiht Arbeiter im Bereich Hafen und Distribution. Gibt es keine Arbeit, werden die GHB-Beschäftigten aus der so genannten Garantielohnkasse bezahlt. Solange die Häfen einigermaßen boomten, war es sehr im Interesse der Bosse, schnell und flexibel auf qualifizierte Arbeitskräfte zurückgreifen zu können. Aber jetzt wollen sie aus ihren Profiten nicht die nötigen höheren Beiträge in die „Garantielohnkasse“ zahlen. Um die drohende Pleite des GHB abzuwenden, entschied der „Ausschuss für Personal und Arbeit“, paritätisch besetzt durch die Hafenbosse und die Gewerkschaft ver.di, dass die Arbeiter die Zeche zu zahlen haben. Harald Bethge, Landesfachbereichsleiter Verkehr bei ver.di, posaunt seine verräterische Position hinaus: „Es sei wichtig, Mitarbeiter schnell und mit verkürzter Kündigungsfrist zu entlassen, um das Unternehmen handlungsfähig zu halten, argumentiert er. Auch die geringe Abfindung hält er für gerechtfertigt: Sie orientiere sich an der Garantielohnkasse des GHB“ (taz.de, 26. Juli).

Das Konzept, dass die Gewerkschaft gemeinsam mit den Kapitalisten einen Betrieb führt, lehnen wir Kommunisten prinzipiell ab (auch in Hamburg, Lübeck und Rostock gibt es solche Vereine oder GmbHs). Diese angebliche „Sozialpartnerschaft“ basiert auf der Lüge, dass die Arbeiter gemeinsame Interessen mit „ihren“ Kapitalisten hätten, nach dem Motto „Wenn es der Firma gut geht, geht es allen gut“. Eine solche Klassenzusammenarbeit bedeutet bereits in normalen Zeiten die Unterordnung der Arbeiter unter die Profitinteressen der Kapitalisten. Und nun brachte die kapitalistische Wirtschaftskrise dieses System schnell an die Grenze des Zusammenbruchs. Wir Spartakisten kämpfen für die Unabhängigkeit der Gewerkschaft von den Kapitalisten und ihrem Staat. Gewerkschaftsbürokraten, die „mitbestimmen“ bei Entlassungen und Lohnkürzungen und vor allem um ihre Pfründe kämpfen und die kapitalistische Herrschaft nicht anrühren wollen, müssen durch klassenbewusste Arbeiter ersetzt werden. Gewerkschaftsvertreter haben nichts in gemeinsamen Ausschüssen, Aufsichtsräten usw. der Bosse zu suchen.

Die Beschäftigten der Hafenbetriebe verzichteten auf Überstunden und gingen verstärkt in Kurzarbeit, um GHBlern mehr Arbeit zu überlassen, von den Arbeitern dort als nachdrückliches Zeichen der Solidarität gedacht. Aber als SPD- und ver.di-Spitzen dies durchführten, wollten sie damit schon mal klarstellen, dass es nicht die Bosse, sondern ausschließlich die Arbeiter sein sollten, die Einbußen hinnehmen. Und dann ging es richtig los. Im Frühjahr schon wurden rund 900 Arbeitern ihre befristeten Verträge nicht verlängert. Und seit Ende Juli wurden noch mal über 100 GHBler entlassen und 217 bekamen „Änderungskündigungen“: Sie sollen in Bremen im Distributionsbereich, wo teilweise bereits seit vier Jahren ein entsprechender schlechterer Tarifvertrag gilt, für acht Euro arbeiten, was 50 bis sogar 65 Prozent weniger Lohn bedeutet. Einige Arbeiter mussten „Ergänzung“ durch Hartz IV beantragen, um überhaupt mit ihren Familien überleben zu können. Statt wirklich gegen Entlassungen zu kämpfen, gaben sich Betriebsrat und Gewerkschaft damit zufrieden, dass nicht wie von den Bossen gefordert 1600, sondern „nur“ 1000 Kollegen entlassen wurden. Nachdem die Entlassungen ausgesprochen waren, gab es dann plötzlich zu wenig Arbeitskräfte für kurzfristig angefallene Arbeiten – und die GHB-Führung setzte „rote Karten“, d. h. tageweise beschäftigte Arbeiter, ein und heuerte Leiharbeiterfirmen an. Das steigerte die Wut der GHB-Belegschaft auf die verräterische, mit den Bossen am „runden Tisch“ kungelnden Gewerkschafts- und Betriebsratsbürokraten noch mehr.

Ein Kampf ist notwendig für die Wiedereinstellung/Festeinstellung aller entlassenen Arbeiter bei vollem Hafenarbeiterlohn und die Rücknahme der Änderungskündigungen. Hafentariflohn für alle Hafenarbeiter, auch in ausgegliederten Bereichen wie der Distribution! Aufteilung der Arbeit auf alle Hände bei vollem Lohn! Die Ereignisse in Bremen und Bremerhaven sind eine Warnung für die Arbeiter in allen Häfen. Es geht darum, zu verhindern, dass durch die beispiellosen Angriffe der Bosse Hafenarbeiter wieder auf das Niveau von Tagelöhnern zurückgeworfen werden. Sich an die Regeln der Kapitalisten und deren „Sachzwänge“ zu halten untergräbt jede wirksame Verteidigung der Arbeiter. Aber ein effektiver Kampf kann nicht in Bremerhaven allein geführt werden, denn die Bosse können die Schiffe leicht umleiten, um den Widerstand der Arbeiter in einem Betrieb oder einem Hafen zu brechen. Um die enorme soziale Macht der Hafenarbeiter zu mobilisieren, braucht man eine klassenkämpferische Gewerkschaftsführung mit internationalistischer Perspektive. Denn nur gemeinsamer Klassenkampf in Bremen/Bremerhaven mit den Arbeitern in Rostock, Hamburg, Antwerpen und Rotterdam und anderswo, egal ob BLG, NTB, Eurogate, befristet oder fest, bietet überhaupt eine Basis, um die Angriffe abzuwehren und die Niederlage der Hafenarbeiter abzuwenden.

Das im Juli 2009 gebildete Komitee „Wir sind der GHB!“ fordert unter anderem die Rücknahme aller Entlassungen und Änderungskündigungen sowie „absolute Loyalität des GHBV Betriebsrates und der Gewerkschaft ver.di gegenüber allen Arbeitnehmern“. Was für ein Zeichen für den Verrat der ver.di-Gewerkschaftsbürokraten, dass eine solche Selbstverständlichkeit überhaupt gefordert werden muss! Aber auch das Komitee vertritt, dass sich Arbeiter für die GHB opfern sollen! Als Maßnahmen für die „Rettung der Arbeitsplätze“ schlagen sie vor: „einen Krisenhaustarif, vorübergehende Kürzung der Sozialleistung und Löhne usw.“ („Unsere Forderungen!“, www.wirsindderghb.de.vu, undatiert). Sie erklärten in einem Interview mit der LINKEN am 27. August: „Der GHB insgesamt musste gerettet werden, auch durch Stellenabbau, das akzeptieren wir“ (www.dielinke-bremen.de). Das gleicht der Forderung der Irreführer in ver.di und Betriebsrat, dass die Arbeiter die Gürtel enger schnallen müssen, während die Bosse ungeschoren davonkommen. Das Komitee fordert im Wesentlichen nur eine andere „Sozialauswahl“. Anstatt sich darüber den Kopf zu zerbrechen, wer von den Arbeitern zuerst gehen muss und welche Kürzungen „nötig“ seien, ist eine Strategie von Klassenkampf notwendig gegen die Kapitalisten, deren System diese Krise hervorbrachte. Für die Aufteilung der Arbeit auf alle Hände, ohne Lohnverlust! Gleicher Lohn für gleiche Arbeit! Tatsächlich setzt die rationale Verteilung der Arbeit auf alle die Kontrolle der Arbeiter über die Produktion und erste Schritte der Planung voraus. Leo Trotzki, zusammen mit Lenin Führer der Oktoberrevolution 1917, hat bereits im Übergangsprogramm (1938) dargelegt, dass es darum geht, „das Proletariat vor Zersetzung, Hoffnungslosigkeit und Verderben zu bewahren… Kann der Kapitalismus die Ansprüche nicht befriedigen, die sich unvermeidlich aus den von ihm erzeugten Übeln ergeben, dann mag er zugrunde gehen. Ob jene Forderungen ,realistisch‘ oder ,unrealistisch‘ sind, ist hierbei eine Frage des Kräfteverhältnisses und kann nur durch den Kampf entschieden werden.“

Geschäftsleitung und Betriebsrat des GHB haben bei den Verhandlungen über einen Sozialplan eine „Einigungsstelle“ angerufen unter Vorsitz der Präsidentin des Landesarbeitsgerichts Bremen. Die Stimme dieser Vertreterin des Staates gab den Ausschlag für die Entscheidung des „Sozialplans“ der Geschäftsleitung. Der Betriebsrat übernahm es prompt, das schmutzige Werk der Bosse, Entlassungen und Änderungskündigungen, umzusetzen. Daraufhin sammelte ein GHBler Stimmen im Betrieb, um gerichtlich gegen den Betriebsrat vorzugehen und ihn auflösen zu lassen. Er erhält dabei Unterstützung vom Komitee. Aber das ist ein sehr falscher und gefährlicher Schritt! Wir lehnen es aus Prinzip ab, Gewerkschaften oder ihre Vertreter zu verklagen, denn wir sind gegen jegliche Intervention des kapitalistischen Staates in die Arbeiterbewegung. Die Arbeiterbewegung muss selbst ihr Haus sauber halten! Der Staat ist nicht neutral oder unabhängig, sondern Instrument der Kapitalistenklasse zur Verteidigung ihres Privateigentums an den Produktionsmitteln. Die Gerichte sind wie Polizei und Justiz Teil des staatlichen Repressionsapparates. Bei jedem Streik steht der Staat auf Seiten der Bosse und schützt die Streikbrecher. Polizei raus aus dem DGB! Kapitalistische Regierung: Hände weg von den Gewerkschaften!

DIE LINKE, neben der SPD die zweite bürgerliche Arbeiterpartei hierzulande, zeigte erneut ihre Funktion, die Arbeiter vom Kämpfen abzuhalten und sie stattdessen mit Illusionen in den bürgerlichen Staat abzulenken. Sie brachte einen Antrag in die Bremische Bürgerschaft ein: „Die Hafenbetriebe, allen voran die BLG, müssen daran gehindert werden, auf billige Leiharbeitsfirmen zu wechseln oder die Tarife zu senken“ (Drucksache 17/765, 23. April). Hier treibt sie zudem durch Hetze gegen Leiharbeiter einen Keil zwischen die „Stammbelegschaften“ und andere Arbeiter im Hafen.

Als das Komitee „Wir sind der GHB“ am 29. August in Bremerhaven eine Demonstration durchführte, beteiligten sich Spartakist-Verkäufer, um den Kampf für Wiedereinstellungen zu unterstützen und mit den Arbeitern über die Notwendigkeit der Klassenunabhängigkeit von den Kapitalisten und deren Staat zu diskutieren. Tatsächlich beteiligten sich an der Demo auch Arbeiter sogenannter „Fremdfirmen“, die von vornherein meist schlechtere Lohn- und Arbeitsbedingungen haben und als erste entlassen werden. Die Rechte, die ihnen verwehrt sind, werden allen genommen! Ihre Beteiligung unterstreicht, dass die Forderung des Komitees „keine Unterwanderung von Fremdfirmen“ wirklich falsch ist und ins gleiche Horn wie der oben zitierte Antrag der Linkspartei stößt. Der Kampf für eine klassenkämpferische Gewerkschaftsführung im Hafen beginnt bei der Organisierung der Unorganisierten und dem Kampf für gleichen Lohn für gleiche Arbeit. Es ist Aufgabe der Gewerkschaften, das sicherzustellen! Für uns Kommunisten ist es das Ziel, Arbeiter von dem sozialdemokratischen Reformismus von SPD und Linkspartei zu brechen und sie für eine revolutionäre Perspektive zu gewinnen, für den Aufbau einer revolutionären multiethnischen Arbeiterpartei.

Auf der Demo am 29. August gab es auch ein Banner: „DANKE VERDI FÜR NIX“. Tatsächlich sind bereits Gewerkschaftsmitglieder ausgetreten, aus Wut über den Verrat der Gewerkschaftsführung. Mitglieder haben guten Grund, auf ihre Führung wütend zu sein. Aber sie müssen die probürgerliche Führung rausschmeißen, nicht die Organisation aufgeben! Gewerkschaftliche Organisierung ist die Grundlage für jegliche erfolgversprechenden Kämpfe gegen die Bosse, denen alle Instrumente des Staates zur Verfügung stehen. Jeder Austritt aus der Gewerkschaft schwächt die Kampfkraft gegen die Bosse. Die Gewerkschaften wurden ursprünglich als Streikkassen aufgebaut, damit Arbeiter im Konflikt mit den Bossen nicht ausgehungert werden können. Wir kämpfen für starke Industriegewerkschaften und wollen sie mit einer neuen, klassenkämpferischen Führung zu Instrumenten des Klassenkampfes machen. Die Regel: ein Betrieb, eine Industrie – eine Gewerkschaft ist eine wesentliche Errungenschaft der Arbeiterbewegung, die mit hohen Opfern erkämpft wurde. Nur so können Arbeiter gegen die Bosse vereint werden.

Die jetzige Krise zeigt plastisch, dass jegliche von den Arbeitern hart erkämpften Errungenschaften immer in Gefahr sind, solange das kapitalistische Ausbeutungssystem herrscht. Erst wenn der Kapitalismus in einer Revolution besiegt wird, muss niemand mehr um sein Auskommen fürchten. Diejenigen, die arbeiten und die Werte schaffen und den gesamten Lebenskreislauf der Gesellschaft auf diesem Planeten am Laufen halten, müssen herrschen. Internationale sozialistische Planwirtschaft und demokratische Kontrolle über Produktion und Qualität treten an die Stelle von Ausbeutung, Unterdrückung und kapitalistischer Konkurrenz. Um diese Perspektive in die Arbeiterkämpfe zu tragen, bedarf es einer multiethnischen revolutionären Arbeiterpartei, deren Aufbau sich die Spartakisten auf ihre Fahnen geschrieben haben.