Spartakist Nr. 175

Januar 2009

 

Lenin über die Deutsche Revolution 1918/19

In seinem „Brief an die Arbeiter Europas und Amerikas“ vom Januar 1919 fasste W. I. Lenin, Führer der Oktoberrevolution von 1917, die entscheidenden Lehren aus der Entwicklung der Deutschen Revolution zusammen. Für Lenin und die Bolschewiki war die Revolution in Deutschland überaus wichtig, denn sie stellte die beste unmittelbare Möglichkeit zur internationalen Ausweitung der Russischen Revolution auf die entwickelten Industrieländer und zur Unterstützung der jungen Sowjetmacht dar. Dies wird von Lenin unterstrichen, der im selben Brief über den endgültigen Bruch des Spartakusbundes von der Sozialdemokratie und über die Gründung der KPD schreibt: „Da war die Gründung einer wahrhaft proletarischen, wahrhaft internationalistischen, wahrhaft revolutionären III. Internationale, der Kommunistischen Internationale, Tatsache geworden. Formell ist diese Gründung noch nicht vollzogen, aber faktisch besteht die III. Internationale heute schon.“

Der ganze Entwicklungsgang der deutschen Revolution und besonders der Kampf der „Spartakusleute“, d. h. der wahren und einzigen Vertreter des Proletariats, gegen den Bund des Verrätergesindels, der Scheidemänner und Südekums, mit der Bourgeoisie – all das zeigt klar, wie die Geschichte in bezug auf Deutschland die Frage gestellt hat:

„Sowjetmacht“ oder bürgerliches Parlament, unter welchem Aushängeschild (ob als „National“versammlung oder als „Konstituierende“ Versammlung) es auch immer auftreten möge.

Das ist die weltgeschichtliche Fragestellung. Heute kann und darf man das ohne jede Übertreibung sagen.

Die „Sowjetmacht“ ist der zweite weltgeschichtliche Schritt oder die zweite weltgeschichtliche Etappe in der Entwicklung der Diktatur des Proletariats. Der erste Schritt war die Pariser Kommune. Die geniale Analyse des Inhalts und der Bedeutung dieser Kommune, die Marx in seinem „Bürgerkrieg in Frankreich“ gegeben hat, zeigt, dass die Kommune einen neuen Staatstypus, den proletarischen Staat, geschaffen hat. Jeder Staat, auch die demokratischste Republik, ist nichts als eine Maschine zur Unterdrückung einer Klasse durch eine andere. Der proletarische Staat ist die Maschine zur Niederhaltung der Bourgeoisie durch das Proletariat, und diese Niederhaltung ist notwendig angesichts des wütenden, verzweifelten, vor nichts haltmachenden Widerstands, den die Gutsbesitzer und Kapitalisten, die ganze Bourgeoisie mitsamt ihren Helfershelfern, alle Ausbeuter leisten, sobald man darangeht, sie zu stürzen, sobald man die Expropriation der Expropriateure in Angriff nimmt…

Obige Zeilen waren noch vor dem bestialischen und niederträchtigen Meuchelmord geschrieben, den die Regierung Ebert-Scheidemann an Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg verübt hat… Man findet keine Worte für die ganze Abscheulichkeit und Niedertracht dieser Henkertaten der Pseudosozialisten. Die Geschichte hat offenbar einen Weg gewählt, auf dem die Rolle der „Arbeiterlieutenants der Kapitalistenklasse“ die „äußerste Grenze“ der Bestialität, Schändlichkeit und Niedertracht erreichen soll. Mögen die Kautskyaner, diese Narren, in ihrer Zeitung „Die Freiheit“ nur immer von einem „Gericht“ schwätzen, dem Vertreter „aller“ „sozialistischen“ Parteien (die Scheidemann, die Henker, werden von diesen Lakaienseelen weiterhin Sozialisten genannt) angehören sollen! Diese Helden philiströsen Stumpfsinns und kleinbürgerlicher Feigheit begreifen nicht einmal, dass das Gericht ein Organ der Staatsmacht ist und dass der Kampf und der Bürgerkrieg in Deutschland eben darum gehen, in wessen Händen diese Macht liegen soll: in den Händen der Bourgeoisie, die die Scheidemann als Henker und Pogromhelden und die Kautsky als Barden der „reinen Demokratie“ „bedienen“ werden, oder in den Händen des Proletariats, das die kapitalistischen Ausbeuter stürzen und ihren Widerstand brechen wird.

W. I. Lenin, „Brief an die Arbeiter Europas und Amerikas“ (21. Januar 1919)