Spartakist Nr. 170 |
März 2008 |
Für Frauenbefreiung durch sozialistische Revolution!
Türkei: Frauen und permanente Revolution
Nieder mit islamischer Reaktion und türkischem Nationalismus!
Für eine Sozialistische Republik Vereinigtes Kurdistan!
Orhan Pamuk, preisgekrönter türkischer Autor, erzählte in seinem Roman Schnee, was ein Mitglied der Stadtverwaltung gegenüber Ka sagt, der aus dem politischen Exil zurückkehrt und eine Welle von Selbstmorden unter jungen Frauen und Mädchen untersucht: Natürlich ist der Grund dieser Suizide das Gefühl extremen Unglücks bei diesen unseren jungen Frauen Aber wenn Unglücklichsein ein triftiger Grund für Selbstmord wäre, würde die Hälfte der Frauen in der Türkei den Freitod wählen. Pamuks Roman spielt in Kars im Nordosten der Türkei. In der Stadt Batman, im Südosten Anatoliens, haben Hunderte junger Frauen versucht sich das Leben zu nehmen und Dutzende starben, eine regelrechte Epidemie von erzwungenen oder freiwilligen Selbstmorden. Der große französische utopische Sozialist Charles Fourier erklärte im 19. Jahrhundert, wie in jeder beliebigen Gesellschaft der Status der Frauen das allgemeine Ausmaß der menschlichen Emanzipation widerspiegelt. Diese Selbstmorde werfen ein grelles Licht auf die schreckliche Unterdrückung von Frauen in der Türkei, sie enthüllen eine Gesellschaft, die gekennzeichnet ist von tiefgehender religiöser und sozialer Reaktion, noch verstärkt und vertieft durch imperialistische Vorherrschaft.
In den politischen Kämpfen, die die Türkei seit einiger Zeit erschüttern, ist die gesellschaftliche Stellung der Frauen zur Hauptauseinandersetzung geworden. Der Wiederwahl von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan und seiner reaktionären Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) im Juli 2007 waren vorher im April massive Proteste zur Verteidigung des Säkularismus der kemalistischen türkischen Bourgeoisie und gegen den Plan der AKP, den Außenminister Abdullah Gül dessen Frau Kopftuch trägt zum Präsidenten zu ernennen, vorausgegangen. Einige türkische Kommentatoren nannten diese Proteste in Ankara, Istanbul und Izmir eine Revolution der Frauen, und es hieß, Millionen Frauen hätten sich beteiligt, erschrocken über die Gefahr, die der islamische Fundamentalismus darstellt.
Am 9. Februar stimmte das türkische Parlament einer Verfassungsänderung, die das Tragen von Kopftüchern an türkischen Universitäten erlaubt, zu trotz vorausgegangener nationalistischer Massenproteste in Ankara und Istanbul. Ein Artikel in junge Welt (9. Februar) beschrieb, wie sich das Erdogan-Regime vorläufig die Duldung der Generäle sicherte:
Vor nicht mal einem Jahr hatten die türkischen Generäle noch mit einem Putsch gedroht, sollte Erdogan die Islamisierung des Landes weiter vorantreiben. Doch auf einmal ist kein Einspruch mehr zu hören. Der Grund dafür ist ein Deal zwischen Regierung und Streitkräften, ließ die DTP-Abgeordnete Aysel Tugluk in einer Parlamentsrede kürzlich durchblicken. Erdogan hat den Militärs freie Hand in der Kurdenfrage gegeben und erhielt im Gegenzug freie Hand in der Kopftuchfrage.
Am 22. Februar, zeitgleich mit der Bodenoffensive der türkischen Armee gegen die Kurden im Nordirak, bestätigte Staatspräsident Gül die Aufhebung des Kopftuchverbots. Für den 7. März, anlässlich des Internationalen Frauentags, gibt es bereits Aufrufe von kemalistischen und NGO-Organisationen zu Massenprotesten in Izmir und Ankara gegen die Verfassungsänderung.
Die treibende Kraft hinter den Mobilisierungen war eine De-facto-Koalition der Armee, der bürgerlichen Republikanischen Volkspartei (CHP) und des Verfassungsgerichts, die sich als Wächter des säkularen Erbes von Mustafa Kemal Atatürk, dem nationalistischen Begründer der modernen Türkei, darstellen. Die Wahlen selbst wurden angesetzt, nachdem das Verfassungsgericht, ermutigt durch Drohungen des Militärs gegen die Regierung, Güls Ernennung im Mai 2007 für verfassungswidrig erklärt hatte. Der Protest in Ankara 2007 wurde organisiert vom Atatürkschen Denkverein, dessen Chef ein früherer Militärkommandant ist, gegen den zur Zeit wegen Planung eines Putsches 2003/04 ermittelt wird. Es ist eine tödliche Illusion, im Kampf für die Befreiung der Frauen das blutige Militär als Verbündeten zu sehen.
Für permanente Revolution!
In der Türkei, einem vom Imperialismus unterjochten Land, das Europa und Kleinasien verbindet, existieren massive soziale und politische Widersprüche. Leo Trotzki, der gemeinsam mit W. I. Lenin die Russische Revolution von 1917 führte, nannte dies kombinierte und ungleichmäßige Entwicklung. Als einziges der islamischen Länder ist die Türkei offiziell säkular, aber die moderne Türkei entstand nicht durch eine bürgerliche Revolution, sondern durch die Unterordnung des klerikalen osmanischen Staates unter die nationalistischen Kräfte, geführt von Atatürk. Der aufsteigende türkische Nationalismus bedeutete unbarmherzige Unterdrückung nationaler Minderheiten, insbesondere Massaker an Armeniern und Kurden. Bis zum heutigen Tag sieht man in jedem Aspekt der türkischen Gesellschaft eine ungleichmäßige soziale Entwicklung. Neben einem beträchtlichen Industrieproletariat gibt es die Bauernmassen, die in der anatolischen Kernregion immer noch vorkapitalistischen Formen der Ausbeutung unterworfen sind. Hinter Istanbuls Kneipen und schicken Cafés, hellen Einkaufszentren und unverschleierten Frauen in Jeans oder Miniröcken gibt es ein riesiges Land, das immer noch barbarischen, jahrhundertealten frauenfeindlichen Praktiken verhaftet und durch große Arbeitslosigkeit und schreckliche Armut gekennzeichnet ist.
Nun konkurrieren die Kräfte des politischen Islam mit denen der säkularen, vom Militär unterstützten Bourgeoisie darüber, wer das Schicksal der Türkei bestimmen und die Profite einstreichen soll. Wir revolutionären Marxisten lehnen diesen Rahmen ab, denn dies sind die Alternativen einer bankrotten herrschenden Kapitalistenklasse, die unfähig ist, dieses Land zu modernisieren. Stattdessen ist unser Ziel die revolutionäre Mobilisierung der machtvollen multiethnischen türkischen Arbeiterklasse, an der Spitze aller Unterdrückten, die allein in der Lage ist, die Ketten der Rückständigkeit zu zerbrechen.
Die Türkei ist mit ihren enormen sozialen Widersprüchen ein machtvolles Argument für Trotzkis Theorie der permanenten Revolution, die schon in der bolschewistischen Revolution von 1917 ihre lebendige Bestätigung fand. Trotzkis Theorie bietet das Programm zur Lösung der grundlegenden demokratischen Fragen, die sich in Ländern wie der Türkei durch die kombinierte und ungleichmäßige Entwicklung stellen, Länder, in denen sich der Kapitalismus erst in der Epoche des Imperialismus herausbildete. In solch ökonomisch rückständigen Ländern ist die schwache nationale Bourgeoisie, die abhängig von ihren imperialistischen Herren ist und ihr eigenes Proletariat fürchtet, unfähig, die demokratischen Aufgaben anzugehen, die zuvor mit den bürgerlichen Revolutionen Europas verknüpft waren: Trennung von Religion und Staat, Agrarrevolution, nationale Unabhängigkeit. Um die Lösung dieser Aufgaben sicher zu stellen, ist es notwendig, dass die Arbeiterklasse durch sozialistische Revolution die Macht ergreift. Eine Handvoll der mächtigsten Imperialisten, die die Welt schon zur Ausbeutung unter sich aufgeteilt haben, schnürt ökonomisch den Massen der halbkolonialen Länder die Luft ab. Wie Trotzki schrieb, gilt für solche Länder,
daß die volle und wirkliche Lösung ihrer demokratischen Aufgabe und des Problems ihrer nationalen Befreiung nur denkbar ist mittels der Diktatur des Proletariats als des Führers der unterdrückten Nation und vor allem ihrer Bauernmassen. (Die permanente Revolution, 1930)
Das Proletariat an der Macht wird die Bourgeoisie und ihre imperialistischen Herren enteignen, um eine vergesellschaftete geplante Wirtschaft einzuführen, in der sich die Produktion nach den gesellschaftlichen Bedürfnissen richtet und nicht nach Profitinteressen. Aber ohne internationale Ausweitung der Revolution, vor allem in die fortgeschrittenen kapitalistischen Länder, wird die Entwicklung der sozialen Revolution angehalten und letztlich umgedreht.
Die Kämpfe der türkischen Arbeiterklasse wurden wiederholt von stalinistischen Reformisten zunichte gemacht, die das klassenkollaborationistische Programm der Revolution in Etappen propagierten und so Illusionen in die angeblich progressiven Kräfte der zutiefst antikommunistischen CHP verbreiteten. Das Programm des Kampfes für eine demokratische Revolution im Bündnis mit einem fiktiven progressiven und antiimperialistischen Flügel der Bourgeoisie, wobei der Kampf für den Sozialismus in eine unbestimmte Zukunft verschoben wird, hat eine blutige Niederlage nach der anderen bewirkt. Von den Massakern, die General Suharto 1965 an indonesischen Kommunisten beging, bis zu Pinochets Terrorherrschaft 1973 über die Massen Chiles hat die Geschichte immer wieder gezeigt, dass die erste Etappe der Etappenrevolution im Blut der Arbeiter und Unterdrückten ertrinkt. Die zweite Etappe folgt nie. Wie wir in unserer Grundsatzerklärung und einige Elemente des Programms (Spartacist, deutsche Ausgabe Nr. 20, Sommer 1998) schrieben:
Trotzkis Programm der permanenten Revolution ist die Alternative zu einem Hirngespinst, das auf die rückständige, vom Imperialismus abhängige Bourgeoisie des eigenen unterdrückten Landes als Mittel zur Befreiung vertraut.
In der Türkei ist ebenso wie in anderen rückständigen Ländern die Unterdrückung der Frauen tief verwurzelt im religiösen Obskurantismus und vorkapitalistischen Bräuchen, die vom Imperialismus manipuliert und aufrechterhalten werden. Vor allem ist die Institution der Familie überall die zentrale Quelle, die die Unterjochung der Frauen aufrechterhält.
Die Entwicklung des Kapitalismus im 17. und 18. Jahrhundert erzeugte die sozialen und politischen Revolutionen gegen Aristokratie, Monarchie und die Kirche, die die alte Feudalordnung stützten. Und Frauen profitierten davon besonders. Die elementaren Rechte, die Frauen im Westen als selbstverständlich ansehen Wahl des Ehepartners, Geburtenkontrolle, Scheidung, Zugang zu Bildung, Wahlrecht existieren nicht für Frauen in den an Traditionen gefesselten und von religiösen Führern beherrschten Ländern des Ostens. Christentum und Judentum mussten sich dem aufsteigenden Industriekapitalismus und bürgerlichen Nationalstaaten anpassen, während der Islam dies nicht musste, da er seine Wurzeln in jenen Teilen der Welt hatte, wo die imperialistische Durchdringung die soziale Rückständigkeit als Stütze für seine Vorherrschaft verstärkt. Aber auch bürgerlich-demokratischen Errungenschaften beseitigen nicht die grundlegende Unterdrückung der Frauen durch die Institution der Familie.
In Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats (1884) erklärte Friedrich Engels, dass die monogame, auf väterlicher Abstammung basierende Familie auf die Herrschaft des Mannes, mit dem ausdrücklichen Zweck der Erzeugung von Kindern mit unbestrittener Vaterschaft, gegründet ist. Zusammen mit dem Staat und der organisierten Religion ist die Familie die Hauptstütze der sozialen Reaktion, sie reglementiert die Bevölkerung, drillt Unterordnung unter Autoritäten und verstärkt den Griff der Religion. Arme und werktätige Frauen sollen die Aufgabe erfüllen, eine neue Generation ausgebeuteter Arbeiter für die Herrschenden heranzuziehen. Frauen am Herd sind isoliert vom Zentrum der Produktion, aber als Arbeiterinnen haben sie gemeinsam mit ihren männlichen Kollegen eine große potenzielle soziale Macht, das kapitalistische System umzustürzen. Nur eine sozialistische Revolution kann die Basis schaffen für die Ersetzung der Familie und für die gesellschaftliche Unabhängigkeit der Frauen, indem Kinderbetreuung, Wäschereien, Kantinen kollektiv organisiert werden.
Die Demonstrationen vom letzten Jahr, an deren Spitze die kemalistische Bourgeoisie und das Militär standen, zeigen: Werden Frauen nicht als Teil des Kampfes der Arbeiterklasse mobilisiert, können sie von anderen Kräften für reaktionäre Ziele mobilisiert werden. Das Schicksal der Frauen und ihr Kampf um Emanzipation ist eine strategische Frage. Da die Unterdrückung der Frauen integraler Bestandteil der kapitalistischen Eigentumsverhältnisse ist und ideologisch von der Religion propagiert wird, kann Frauenunterdrückung in der kapitalistischen Gesellschaft nicht abgeschafft werden. Ohne einen Kampf dafür, die Unterdrückung der Frauen, die alle Formen gesellschaftlicher Rückständigkeit verstärkt, zu beenden, wird es überhaupt keine proletarische Revolution geben.
Um das enorme revolutionäre Potenzial des Proletariats zu entfesseln, ist die Führung einer wirklich kommunistischen Arbeiterpartei nötig, die Frauen in ihre Führung hineinzieht. Sie muss bewaffnet sein sowohl mit einem Programm politischer Unabhängigkeit der Arbeiterklasse und für sozialistische Revolution als auch mit einer umfassenden Vorstellung einer Gesellschaftsordnung von Gleichheit und Freiheit. Eine solche Partei wird für volle Gleichheit von Frauen und ihre Integration in die Produktion kämpfen, wo sie soziale Macht erlangen. Eine solche Partei fordert gleichen Lohn für gleiche Arbeit und wird den Kampf führen gegen all solche rückständigen Praktiken wie Ehrenmorde, Polygamie und den Brautpreis. Der Kampf für grundlegende Bedürfnisse und demokratische Rechte Abschaffung der arrangierten und Zwangsehe und der Absonderung unter dem Schleier, Freiheit von Armut und gesetzlicher Unterordnung, das Recht auf Bildung und kostenlose Gesundheitsversorgung, einschließlich des Rechts auf kostenlose und sichere Abtreibung auf Wunsch greift die Grundlagen der imperialistisch-beherrschten kapitalistischen Gesellschaftsordnung an und wirft so nichts Geringeres auf als eine sozialistische Revolution.
Kopftuch-Kriege und Frauenunterdrückung
Die Imperialisten begrüßten die Wiederwahl der AKP im vergangenen Juli. Ein EU-Sprecher erklärte: Gül ist in Europa anerkannt, und Finanzanalysten in den USA sprachen ähnlich optimistisch über die AKP. In den fünf Jahren, die die AKP jetzt an der Macht ist, führte sie Privatisierungen durch, griff die türkischen Gewerkschaften an und befolgte in den meisten Fällen auch sonst Buchstaben getreu das Diktat des Internationalen Währungsfonds (IWF). Solange Erdogan den Imperialisten Stabilität und Profite liefert, wird sein Ziel, die Widersprüche der Türkei zugunsten des Islam zu lösen, seine europäischen und amerikanischen Herren nicht übermäßig aufregen.
In dieser Hinsicht verlor die AKP nach ihrem Sieg keine Zeit. Der Entwurf einer neuen Verfassung wurde angekündigt, die das seit langem bestehende Verbot für Kopftücher an Universitäten und in öffentlichen Einrichtungen aufhebt und eine Klausel der gegenwärtigen Verfassung, die die Regierung verpflichtet, Gleichheit für Männer und Frauen sicherzustellen, durch eine Klausel ersetzt, die Frauen als eine verletzliche Gruppe, die besonderen Schutz braucht beschreibt. Gleichzeitig beginnen die Kräfte der islamischen Reaktion, die sich ermutigt fühlen, die politische und soziale Landschaft der Türkei zu verändern, auch in Städten wie Istanbul. Einige Behörden organisieren die Arbeitszeiten entsprechend der Gebetszeiten, und in höheren Schulen werden Jungen und Mädchen getrennt, eine völlig reaktionäre Maßnahme. Während des Ramadan letzten Herbst, der für Muslime heilig ist, servierten die meisten Restaurants keinen Alkohol mehr und die Polizei verprügelte brutal Menschen, die rauchten und Alkohol tranken. Seit mehr als zwei Jahrzehnten ist der politische Islam im Nahen Osten im Aufstieg begriffen, und das hat Auswirkungen, wie man ganz offensichtlich in Istanbul sieht, wo Schleier und Kopftuch immer mehr in den Vordergrund treten heute verhüllen sich mehr als 60 Prozent der türkischen Frauen in irgendeiner Form.
Das Verbot des Schleiers geht zurück auf die Anfänge der Republik, als Atatürk bei seiner Kampagne, das Land mit vorgehaltener Waffe zu modernisieren, massiv gegen religiöse Symbole zu Felde zog und Dekrete herausgab, die in Schulen und öffentlichen Einrichtungen jegliche Form religiöser Kleidung verboten. Der gegenwärtige Kopftuch-Krieg geht zurück auf Anfang der 1980er-Jahre, als die Militärs, die selbsternannten Wächter der säkularen Ordnung, das Verbot nach ihrem Putsch 1980 wieder einsetzten. Natürlich waren die aufsteigenden Kräfte des islamischen Fundamentalismus dagegen.
Als die islamische Wohlfahrtspartei von Necmettin Erbakan 1996 an die Macht geschwemmt wurde und den Schleier in Behörden erlaubte, bekräftigte das Militär erneut das Verbot des Schleiers als Teil ihrer Bemühungen, die Welle islamischer subversiver Aktivitäten zu stoppen. Erbakan wurde 1997 durch das Militär unter Zwang aus seinem Amt gedrängt und 1998 wurde seine Wohlfahrtspartei verboten. In diesem Kontext ging Leyla Sahin, eine Medizinstudentin, die 1998 von der Istanbuler Universität verwiesen wurde, weil sie sich weigerte ihr Kopftuch abzulegen, gegen das Verbot vor Gericht. Im November 2005 urteilte der bürgerliche Europäische Gerichtshof für Menschenrechte über ihren Fall und stützte das Verbot der Türkei gegen das Kopftuchtragen von Frauen an Universitäten.
Wir sind Gegner des Schleiers, egal in welcher Form, er ist sowohl ein Symbol als auch ein Instrument der Frauenunterdrückung, aber ebenso eindeutig sind wir gegen staatliche Verbote oder Restriktionen gegen den Schleier. Als Marxisten stehen wir für das demokratische Prinzip der Trennung von Religion und Staat, sind sowohl gegen staatliche Finanzierung religiöser Schulen als auch gegen Religionsunterricht in öffentlichen Bildungseinrichtungen. Wir sind für kostenlose säkulare Bildung für alle. Islamische Fundamentalisten werden natürlich jede Lockerung des Kopftuchverbots dazu benutzen, sozialen Druck auf Frauen auszuüben, sich zu bedecken. Trotzdem sind wir gegen staatliche Einmischung in private religiöse Praktiken, diese ebnet dem Staat den Weg, sich in das Leben religiöser Minderheiten einzumischen und Arbeiter- und linke Organisationen zu unterdrücken.
Ebenso stellen wir uns gegen die Verbote gegen verschleierte muslimische Mädchen und Frauen, die sich inzwischen überall in Europa verbreiten. Diese Verbote sind ganz einfach rassistisch und führten dazu, dass Mädchen der Schule verwiesen und Frauen von ihrem Arbeitsplatz und aus der Öffentlichkeit vertrieben wurden. Die unterdrückte muslimische Minderheit in Europa erleidet tagtäglich Erniedrigungen durch Rassismus, Segregation und Polizeigewalt. Die gegen den Schleier gerichtete Hysterie ist gleichzeitig eine Ausweitung des rassistischen Kriegs gegen Terror, der sich überwiegend gegen Muslime richtet.
Wenn in der Türkei oder auch in Westeuropa religiöse Frauen, die sich weigern ihre Kopftücher abzulegen, aus Schulen und Universitäten verbannt werden, dann vertieft das nur noch weiter ihre Isolation von säkularen Strömungen, was den Griff der religiösen Reaktion und die Vorherrschaft der Familie weiter verstärkt. Darüber hinaus werden durch Fälle wie den von Sahin oder von Erdogans Töchtern, die zum Studium in die USA geschickt wurden, wo sie das Kopftuch tragen können, demokratische Rechte vorgeschoben, um von der religiösen Reaktion abzulenken. Die Masse der türkischen Frauen, die meist arm sind, haben die Möglichkeiten von Erdogans Töchtern nicht. Ihr Schicksal ist weiterhin Zwangsehe, bedrückende Schufterei im Haushalt und aufeinanderfolgende Schwangerschaften.
Im Gegensatz zu dem, was Erdogan und islamische Frauengruppen behaupten, bedeutet der Schleier nicht Ausübung religiöser Freiheit und ist kein Zeichen der Unterordnung unter einen Gott. Er ist auch nicht einfach ein reaktionäres Symbol der religiösen Zugehörigkeit wie das christliche Kreuz oder die jüdische Jarmulke. Der Schleier ist das physische Symbol für die Unterwerfung von Frauen unter die Männer, die permanente, aufgezwungene Bekräftigung ihres niederen Status. Er weitet die Ausgrenzung von Frauen, die ihnen durch die reaktionäre Scharia (das islamische Gesetz) aufgezwungen wird, auch auf außerhalb ihrer Wohnung aus.
Die Verhüllung des Körpers der Frau als entzückendes kulturelles Attribut oder einfach eine Wahl der Kleidung darzustellen, ist liberaler Blödsinn. Ein solcher kultureller Relativismus beschönigt schreckliche Unterdrückung und Marxisten weisen das strikt zurück. Das Kopftuch mag leichter zu ertragen sein als der Tschador oder der Niqab Ganzkörper-Gefängnisse, unter denen die Trägerin kaum Luft bekommt , aber sie alle widerspiegeln die Sichtweise, Frauen seien Eigentum, nicht vollwertige Menschen. Der Schleier zeigt krass das soziale Programm der reaktionärsten Kräfte, die von Iran bis Saudi-Arabien und darüber hinaus am Werk sind er bedeutet schlicht und einfach totale Sklaverei der Frauen.
Atatürk und die Grenzen des bürgerlichen Nationalismus
Nach dem Zusammenbruch des Osmanischen Reichs und dessen Niederlage im Ersten Weltkrieg wurde der Nahe Osten zwischen dem britischen und dem französischen Imperialismus aufgeteilt. Der räuberische Vertrag von Sèvres sollte das Osmanische Reich zerstückeln und vom Balkan weghalten. Die Imperialisten machten ihre Rechnung jedoch ohne die Bolschewiki. Die Russische Revolution von 1917 und ihre Ausweitung ins hauptsächlich muslimische Zentralasien im Verlauf des blutigen dreijährigen Bürgerkriegs gegen die von den Imperialisten unterstützten konterrevolutionären Weißen Armeen war Auslöser für eine Reihe nationaler Aufstände und Volksaufstände in dem breiten, von britischen Truppen besetzten Landstreifen von Ägypten durch den fruchtbaren Halbmond bis Iran. In der Türkei erhielten Atatürk und seine bürgerlich-nationalistischen Kräfte Massenunterstützung durch einen Bauernaufstand 1919. Die türkische Republik, die aus den Überresten des Osmanischen Reiches hervorging, wurde 1923 gegründet, nach einem erbitterten Krieg, durch den die imperialistischen Kräfte vertrieben wurden, besonders die Briten, deren Ziel es war, ihre Herrschaft über die Türkei durchzusetzen. Die von Britannien gestützte Militäroffensive erlitt eine Niederlage, weil Sowjetrussland unter Lenin fortlaufende ökonomische und militärische Unterstützung an die Türkei leistete.
Atatürk und seine Republikanische Volkspartei erbten ein ökonomisch zurückgebliebenes Land ohne eine Konzentration moderner Industrie. Die kleine Kapitalistenklasse, die existierte, war armenisch und griechisch, mit einem kleineren jüdischen Bestandteil. Um den kapitalistischen Nationalstaat aufzubauen, setzte die kemalistische Bewegung türkischen Nationalismus als Waffe ein. Die Armenier im Ersten Weltkrieg Opfer einer völkermörderischen Kampagne wurden aus dem Land vertrieben, ebenso die Griechen, und die Juden wurden mit brutalen Pogromen verfolgt.
Die Kemalisten, die als Avantgarde der entstehenden türkischen Bourgeoisie agierten, begannen ein Reformprogramm, dessen Ziel es war, alle Hindernisse für die Entwicklung eines modernen kapitalistischen Nationalstaates aus dem Weg zu räumen. Um die Bollwerke des institutionalisierten Islams niederzureißen, erklärten sie das Land zu einer säkularen Republik und schafften das Kalifat (Amt des islamischen Herrschers) ab. Der Islam, der keine nationalen Grenzen anerkennt, stand im Widerspruch zum Ziel der Kemalisten, einen türkischen Nationalstaat aufzubauen, so verlor er seine Stellung als Staatsreligion. Das Gesetz der Scharia wurde ersetzt durch eine Verfassung, die auf dem Zivilrecht der Schweiz und dem italienischen Strafgesetz beruhte, Polygamie wurde verboten und religiöse Orden und Bruderschaften wurden illegal. Religiöse Symbole der Schleier in Schulen und öffentlichen Einrichtungen, der Fez überall wurden verboten. Das lateinische Alphabet wurde eingeführt und ebenso der westliche Kalender.
Auch die soziale Stellung der Frauen änderte sich. Durch das Blutbad des ersten imperialistischen Weltkriegs und des Unabhängigkeitskriegs gab es riesige Verluste unter Männern, deshalb fehlten Arbeitskräfte. So wurden Frauen in die Arbeiterschaft einbezogen. Bei den Kommunalwahlen 1930 erhielten sie das Recht zu wählen. 1934 erhielten sie das Wahlrecht für Parlamentswahlen als auch das Recht zu kandidieren, weit eher als Frauen in vielen europäischen Ländern. Bei den Wahlen 1937 wurden 18 Frauen als Abgeordnete ins Parlament gewählt (ein solches Ergebnis wurde danach nie wieder erreicht).
Atatürk sah sich als Modernisierer, der mit ein paar Federstrichen das Land aus dem Mittelalter ins 20. Jahrhundert befördern könnte. Seine Reformen, die einer rückständigen Gesellschaft aufgepfropft wurden, die zu 80 Prozent ländlich und von feudalen Strukturen dominiert war, waren notwendigerweise partiell und anfällig gegenüber Versuchen, sie wieder rückgängig zu machen. Der Türkei fehlte nicht nur eine nationale Bourgeoisie, sondern auch ein Proletariat von Bedeutung, das allein in der Lage gewesen wäre, das Land umzuwandeln und die Basis für andauernden sozialen Fortschritt zu legen. Wie Trotzki in Die permanente Revolution schrieb:
Unter den Bedingungen des imperialistischen Zeitalters kann die national-demokratische Revolution nur dann bis zum siegreichen Ende durchgeführt werden, wenn die sozialen und politischen Verhältnisse des Landes reif dazu sind, das Proletariat als den Führer der Volksmassen an die Macht zu stellen. Und wenn dieses noch nicht der Fall ist? Dann wird der Kampf um die nationale Befreiung nur sehr geteilte, und zwar gegen die werktätigen Massen gerichtete Resultate ergeben.
Die Resultate richteten sich in erster Linie gegen die noch jungen Kommunisten. Zwar hatte Atatürk nach dem sowjetisch-türkischen Vertrag das Verbot der Kommunistischen Partei aufgehoben, aber sobald das von den Briten unterstützte griechische Militär 1922/23 besiegt worden war, zerschlug Atatürk die Kommunisten und ermordete ihre Führer. Ziel des jungen Sowjetstaates und der Kommunistischen Internationale war gewesen, die Sache der sozialistischen Revolution in der Türkei voranzubringen, und die Komintern verurteilte scharf diese neuen Verbrechen der herrschenden Klassen in der Türkei.
Atatürks Reformen konnten nicht die grundlegenden demokratischen Fragen lösen. Es gab keine Versuche einer Landreform oder der Enteignung der Großgrundbesitzer. Ohne auch nur im Geringsten die Frage nationaler Minderheiten zu lösen, besonders die kurdische Frage, startete Atatürk im Namen des Kampfs gegen religiöse Rückständigkeit einen blutigen Feldzug gegen die Kurden. Bis Ende der 1930er-Jahre waren 1,5 Millionen Menschen entweder massakriert oder zwangsumgesiedelt worden. Der öffentliche Gebrauch und Unterricht in der kurdischen Sprache wurde verboten. Das Kalifat war zwar abgeschafft, eine wirkliche Trennung von Moschee und Staat jedoch nie durchgesetzt worden. Stattdessen wurde die religiöse Hierarchie mittels des Amts für religiöse Angelegenheiten unter staatliche Kontrolle gestellt. Heute kontrolliert diese Einrichtung mittels eines Stabs von 80 000 Imamen ein Netz von fast 77 000 Moscheen, den Religionsunterricht, Stiftungen und Wohltätigkeitsvereinen und diktiert sogar den Inhalt des Freitaggebetes.
Frauen in der Stadt, besonders aus der herrschenden Klasse, haben von den kemalistischen Reformen sicherlich profitiert. Aber das Leben der überwältigenden Mehrheit der Frauen, besonders auf dem rückständigen konservativen Land, hat sich kaum geändert. Das Verbot des Kopftuchs wirkte nicht als befreiende Maßnahme, sondern verschärfte noch den Ausschluss von Frauen aus Schulen, Regierungsämtern und dem öffentlichen Leben. Der Abgrund zwischen der säkularen, gebildeten Bourgeoisie und den des Lesens und Schreibens unkundigen Massen, zwischen Stadt und Land, vergrößerte sich noch weiter. Tatsächlich ist es ausgemachter Zynismus, wenn die kemalistische Elite als Vorkämpfer für Frauenrechte posiert. Der gleiche türkische Staat, der unter dem Deckmantel der Befreiung der Frauen den Schleier in Schulen verbot, unterzog jahrelang Schulmädchen, Frauen im Polizeigewahrsam und Mädchen in staatlichen Kinderheimen zwangsweise einem Jungfräulichkeitstest; diese Praxis wurde erst abgeschafft, nachdem fünf Mädchen 1999 versuchten, Selbstmord zu begehen. Der niedere Status von Frauen wird bekräftigt durch Lehrbücher, die Kindern die Botschaft einbläuen: Der Vater ist das Oberhaupt der Familie, und die Ehefrau, die das Essen kocht und sich um die Kinder kümmert, ist seine Gehilfin und Gefährtin.
Frauenbefreiung durch sozialistische Revolution!
Die sozialen Umwälzungen in Sowjetrussland, besonders in Zentralasien, stellten einen machtvollen Gegensatz zur Türkei Kemal Atatürks dar. Zwischen Kemalismus und Bolschewismus stand die gewaltige Errungenschaft einer tiefgehenden proletarischen Revolution. Nach dem die bolschewistische Revolution die Bourgeoisie enteignet, das Land nationalisiert und die Industrie vergesellschaftet hatte, gab sie den unzähligen unterdrückten Völkern des zaristischen Völkergefängnisses nationale Rechte und schaffte die Güter des Landadels ab. Die ersten Schritte, die der Arbeiterstaat unternahm, um die Wirtschaft im Interesse der Werktätigen zu planen, brachten ungeheure Errungenschaften für die werktätigen Frauen.
Das marxistische Verständnis, dass die Unterdrückung der Frauen mit dem Privateigentum und besonders mit der unterdrückerischen Institution Familie verbunden ist, war integraler Bestandteil des bolschewistischen Programms und der Strategie, den Sozialismus international aufzubauen. Die Russische Revolution zielte darauf ab, Frauen in vollem Ausmaß am ökonomischen, sozialen und politischen Leben teilnehmen zu lassen (siehe auch unseren Artikel Russische Revolution und Emanzipation der Frauen, Spartacist, deutsche Ausgabe Nr. 25, Frühjahr 2006). Aber den Bolschewiki war sehr klar, dass sie die Rückständigkeit und Armut Russlands nicht per Dekret überwinden konnten: Sie wussten, ohne qualitative ökonomische Entwicklung, die die materielle Basis legen würde für die Ersetzung der sozialen Funktionen der Familie, wäre die völlige Befreiung der Frauen eine utopische Fantasie. Deshalb bauten sie die Kommunistische Internationale auf und kämpften für die internationale Ausweitung der Revolution auf die fortgeschrittenen Industrieländer.
In den historisch muslimischen Regionen Zentralasiens nahmen die Bolschewiki die enorme Aufgabe in Angriff, die Frauen zu befreien. Wenn sie über Märtyrer, die an der Front der Frauenbefreiung gefallen sind sprachen, dann war die Rede von den entschlossenen und heroischen Aktivistinnen der Abteilung für die Arbeit unter Frauen (Schenotdel), die den Schleier anlegten, um den Frauen des muslimischen Ostens die Nachricht über die neuen Sowjetgesetze und -programme zu bringen, die ihr Leben verändern würden. In Zentralasien, wo ein kleines, aber bedeutsames Proletariat die Staatsmacht innehatte, konnte der Arbeiterstaat Einiges des wirtschaftlichen Überschusses der fortgeschritteneren städtischen Gebiete der Sowjetunion einsetzen. Es dauerte mehrere Jahrzehnte, bis die Produktionskapazität der Planwirtschaft genügend entwickelt war, um Arbeitsplätze, Bildung, medizinische Versorgung und Sozialleistungen in einem solchem Ausmaß zu entwickeln, dass sie primitive islamische Traditionen aushebeln konnte. Zu dieser Zeit war das revolutionäre Programm der Bolschewiki durch die nationalistische Ideologie des Stalinismus vom Aufbau des Sozialismus in einem Land und seiner konterrevolutionären Verherrlichung der Familie ersetzt worden. Trotz der Degeneration des sowjetischen Arbeiterstaats zeigte die Planwirtschaft ihre Überlegenheit in den großen Fortschritten, die für Frauen und die historisch muslimischen Völker im sowjetischen Zentralasien erreicht wurden, wo die Bedingungen vor der bolschewistischen Revolution so rückständig und dunkel waren wie im heutigen Afghanistan.
Es ist die unterdrückerische Institution der Familie, die der steigenden Zahl von Namus- oder Ehrenmorden in der Türkei zugrunde liegt, eine barbarische Praxis, die aus der Rückständigkeit ländlicher Gesellschaften herrührt. 1983 besprachen wir Yilmaz Güneys Film Yol, in dem ein Ehemann als Strafe für Ehebruch seine Frau ermordet. Ein junges Paar, zur Flucht gezwungen, da die Eltern mit ihrem Heiratswunsch nicht einverstanden sind, wird dann von der Familie der Braut aufgespürt und ermordet (siehe Spartakist Nr. 47, Juni 1983). Heute, 25 Jahre später, wird angenommen, dass jedes Jahr mindestens 200 Mädchen und junge Frauen von ihren Familien ermordet werden. Die wirkliche Zahl ist wahrscheinlich viel höher, da die meisten Ehrenmorde vertuscht und erst gar nicht gemeldet werden oder in Form von Zwangsselbstmorden stattfinden. Laut einem UN-Bericht gibt es weltweit mehr als 5000 Ehrenmorde pro Jahr, aber die Zahl ist in der Realität ganz sicher weit höher.
Junge Mädchen wurden als Verbrecher erwürgt, lebendig begraben oder zu Tode gesteinigt, weil sie eine einvernehmliche außereheliche sexuelle Beziehung hatten, weil sie einer arrangierten Heirat nicht zustimmten, weil sie einen kurzen Rock trugen, weil sie ein Rendezvous hatten, weil sie einem Jungen einen Blick zuwarfen oder von einem Fremden oder einem Verwandten vergewaltigt wurden. Bösartiger Tratsch in der Nachbarschaft kann die Todesstrafe nach sich ziehen. Bis vor kurzem wurden die Mörder nur leicht bestraft, da laut Gesetz ungebührliche Provokation als Verteidigung anerkannt wurde.
In den bitter armen ländlichen Gebieten der Türkei, wo die Ehre einer Frau den Wert einer Handelsware hat, werden junge Bräute gedemütigt, indem sie nach ihrer Hochzeitsnacht ein blutiges Bettlaken vorzeigen müssen. Anatolische Mädchen werden oft in sehr jungen Jahren an Männer verheiratet, die sie nie gesehen haben, kaum besser als Vieh, dass zu einem guten Preis gekauft wird. Scheidung wird als soziales Tabu angesehen und ist extrem selten; nur 2,6 Prozent der türkischen Frauen über dreißig sind unverheiratet. Heirat zwischen Menschen unterschiedlicher ethnischer Herkunft oder unterschiedlichen Glaubens ist nicht erlaubt. Wenn Frauen diese Linien überschreiten, kann dies für sie ein Todesurteil bedeuten (und auch für den Mann, der sie heiratet).
Das harte Leben türkischer und kurdischer Frauen endet nicht, wenn sie nach Europa emigrieren. In den abgesonderten Immigrantengemeinden werden durch Verbindungen mit der Heimat die reaktionären unterdrückerischen Traditionen bewahrt. Junge Frauen, die Immigranten sind oder Minderheiten angehören, sitzen in der Falle zwischen dem Rassismus der Gesellschaft, in der sie jetzt leben, und den erdrückenden strengen Familienregeln. Sie können keine Arbeit finden, mit der sie finanziell unabhängig wären, und so ist ihr Leben eine endlose Saga von Elend. Der Fall von Hatun Sürücü, einer jungen kurdischen Mutter in Deutschland, die 2005 von ihren Brüdern ermordet wurde, zeigt, dass Frauen ihr Leben riskieren. Ihr Verbrechen war, aus einer arrangierten Ehe auszubrechen, ein unabhängiges Leben mit ihrem Kind führen zu wollen und einen westlichen Lebensstil zu wählen. Wie wir in Der Mord an Hatun Sürücü (Spartakist Nr. 158, Frühjahr 2005) erklärten:
Das Konzept der ,Familienehre, d. h. die Kontrolle der Familie über die Sexualität der Frau, ist nicht ausschließlich islamisch, sondern verbunden mit einer Produktionsweise, in der ein Clan, eine Reihe miteinander verwandter Großfamilien, Land gemeinsam besitzen und bearbeiten.
Tatsächlich finden im Nahen Osten Ehrenmorde sowohl in christlichen als auch in muslimischen Familien statt. Engels brachte es scharf auf den Punkt: Um die Treue der Frau, also die Vaterschaft der Kinder, sicherzustellen, wird die Frau der Gewalt des Mannes unbedingt überliefert: Wenn er sie tötet, so übt er nur sein Recht aus (Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats, 1884).
Der Islam steigt auf, die Frauen fallen
Erdogan hat sich viel Mühe gegeben, zu zeigen, dass er nicht die türkische Version der iranischen fundamentalistischen Mullahs ist, und in gewisser Weise stimmt das. Aber er und die AKP haben immer ganz offen über ihr Ziel gesprochen, alle Hindernisse niederzureißen, die der Vorherrschaft des Islam in allen Lebensbereichen entgegenstehen. Gott sei Dank, diene ich der Scharia, so posaunte Erdogan einmal heraus (Wall Street Journal, 19. Oktober 2006). Nachdem er 1994 zum Bürgermeister von Istanbul gewählt worden war, ernannte er sich selbst zum Imam (muslimischer religiöser Führer) der Stadt, eröffnete öffentliche Veranstaltungen mit Gebeten und verbot Alkohol in kommunalen Restaurants. Dieses Verbot wurde inzwischen auf 61 der 81 Provinzen der Türkei ausgeweitet. Erdogan ist gegen Abtreibung und er versuchte erfolglos, Ehebruch unter Strafe zu stellen. Er schüttelt Frauen nicht die Hand. Jede Vorstellung, die Türkei sei ein moderater islamischer Staat, wies er zurück: Islam ist Islam (Todays Zaman, 10. Oktober 2007).
Dieses reaktionäre Klima, wo religiöse Gewalt mit Nationalismus konkurriert, ist todgefährlich. Eine 93-jährige Professorin für sumerische Geschichte wurde vor Gericht gestellt, weil sie ein Buch veröffentlicht hatte, in dem sie den Ursprung des Schleiers in Verbindung zu Prostituierten zur Zeit der Sumerer brachte. In den 1990er-Jahren gab es eine Reihe von Angriffen durch Fundamentalisten und ebenso durch Nationalisten und militärnahe Kreise, bei denen säkulare Schriftsteller, Akademiker, Feministinnen und Journalisten getötet wurden. In jüngerer Zeit wurden mehrere Intellektuelle und Schriftsteller wegen Verunglimpfung des Türkentums vor Gericht gestellt. Einer von ihnen war Orhan Pamuk. Nach einem internationalen Aufschrei wurden die Anklagen gegen ihn fallengelassen. Der türkisch-armenische Journalist Hrant Dink, der dafür eintrat, die Massenmorde an Armeniern aus den letzten Tagen des Osmanischen Reiches aufzudecken, hatte nicht soviel Glück. Seine Ermordung durch einen türkischen Nationalisten war direkte Folge seiner Verurteilung wegen Verunglimpfung der türkischen Identität.
Wie in großen Teilen des Nahen Ostens während der letzten zwei Jahrzehnte ist auch in der Türkei der Aufstieg des islamischen Fundamentalismus zu einer politischen Massenkraft reaktionäres Resultat der Desillusionierung über Unfähigkeit, Korruption und Bankrott von bürgerlichem Nationalismus, über stalinistischen Verrat und vor allem darüber, dass eine lebensfähige kommunistische Alternative fehlt. Frustration, Wut und Verzweiflung der Massen, die aus ihrer harten Not und Demütigung herrühren, haben einen fruchtbaren Boden für die Verbreitung des islamischen Fundamentalismus geschaffen. Religion ist das Opium des Volks, wie Marx sagte, aber es gilt auch:
Das religiöse Elend ist in einem der Ausdruck des wirklichen Elendes und in einem die Protestation gegen das wirkliche Elend. Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist.
Die Millionen verarmter Bauern, arbeitsloser Jugendlicher und schlecht bezahlter Wanderarbeiter in den Armensiedlungen rund um die großen Städte der Türkei finden in der Religion Trost. Sie richten ihre Hoffnungen nicht nur auf den Himmel, sondern mehr noch auf seine weltliche Repräsentanz in Form der islamischen Solidaritäts-Netzwerke aus Kliniken, Schulen, Wohltätigkeitsgesellschaften, Kooperativen und anderen kostenlosen persönlichen und Sozialleistungen. Diese sind inzwischen eine dringend benötigte Alternative zu den mageren Sozialleistungen der Regierung geworden, die gemäß den Diktaten des IWF ausgehöhlt wurden. Diese Millionen stellten ein schier endloses Reservoir für Rekrutierungen zum islamischen Fundamentalismus, der als antiimperialistisch posiert, als Retter vor Massenarmut und Verkünder sozialer Gerechtigkeit.
Der islamische Fundamentalismus begann Anfang der 1980er-Jahre unter der Militärherrschaft der säkularen Generäle aufzublühen. Der Islam wurde als potenzielles Bollwerk gegen Kommunismus und kämpferischen Gewerkschaften angesehen. Die Verfassung der Generäle machte Religionsunterricht an Schulen aller Ebenen unterhalb der Universität zur Pflicht. Die für die Ausbildung der Imame eingerichteten Religionsschulen waren Brutstätten für islamische Ideologie und lieferten der islamisch-fundamentalistischen Bewegung Aktivisten und Führer. Während der Militärherrschaft stieg die Zahl von Absolventen der Religionsschulen um das 14fache, verglichen mit einem dreifachen Anstieg der Zahl von Absolventen säkularer staatlicher Schulen.
Wendepunkt für die islamisch-fundamentalistische Bewegung war die iranische Revolution 1979. Durch den Massenaufstand, der eines der unterdrückerischsten vom Westen unterstützten Regime der Region stürzte, erhielt die islamische Reaktion in der Vorstellung vieler verarmter Muslime eine neue Bedeutung als antiimperialistische Befreiungsideologie (fälschlicherweise). Während die meisten Linken auf der ganzen Welt den iranischen Mullahs hinterherliefen, erklärte die Internationale Kommunistische Liga (damals internationale Spartacist Tendenz): Nieder mit dem Schah! Nieder mit Khomeini! Für Arbeiterrevolution im Iran! Nachdem die Mullahs an der Macht waren, versklavten sie die Frauen unter dem Schleier, schlachteten Tausende Arbeiter, Linke und Homosexuelle ab und verstärkten die mörderische Repression gegen Kurden und andere Minderheiten.
Das Wachstum des islamischen Fundamentalismus wurde noch weiter verstärkt in den 1980er-Jahren, als der US-Imperialismus die heiligen Krieger der afghanischen Mudschaheddin gegen die Intervention der Sowjetunion 1979 in Afghanistan massiv bewaffnete und organisierte. Das war die größte verdeckte Operation, die die CIA je unternahm, und stellte Afghanistan in die vorderste Front des unerbittlichen Feldzugs der Imperialisten zur Zerstörung der Sowjetunion durch kapitalistische Konterrevolution. Wir begrüßten die Intervention der Roten Armee aus ganzem Herzen, denn sie eröffnete den Weg zur Befreiung der afghanischen Völker, besonders der schrecklich unterdrückten Frauen, und wir riefen dazu auf, die Errungenschaften der Oktoberrevolution von 1917 auf die afghanischen Völker auszuweiten. Es war der erste Krieg in der modernen Geschichte, in dem die Emanzipation der Frauen eine zentrale Rolle spielte, und die Rote Armee kämpfte gegen die mörderischen, vom Imperialismus bewaffneten und finanzierten islamischen Fundamentalisten, die unverschleierten Frauen Säure ins Gesicht schütteten und Lehrer ermordeten, die Mädchen Lesen und Schreiben beibrachten. Wir prangerten den Rückzug der sowjetischen Truppen 1989 aus Afghanistan als einen Verrat an den Frauen und der unterdrückten afghanischen Bevölkerung an. Der Abzug der Roten Armee war ein Wendepunkt, der direkt mit dem letztendlichen Zusammenbruch der UdSSR selbst verbunden war, einer historischen Niederlage nicht nur für die Völker der Sowjetunion, sondern für die gesamte internationale Arbeiterklasse.
Wir Trotzkisten kämpften bis zur letzten Barrikade für die Verteidigung der Sowjetunion und der deformierten Arbeiterstaaten in Osteuropa. Dabei war unser Leitfaden unser trotzkistisches Programm der bedingungslosen militärischen Verteidigung dieser Staaten gegen Imperialismus und kapitalistische Konterrevolution sowie proletarisch-politischer Revolution, um die stalinistischen Bürokratien zu stürzen. 198992 intervenierte die Internationale Kommunistische Liga einzigartig zuerst in Ostdeutschland und dann in der Sowjetunion: Wir kämpften in Verteidigung der Errungenschaften der Oktoberrevolution von 1917. Trotz des Siegs der Konterrevolution in Osteuropa und der Sowjetunion lebt heute ungefähr ein Viertel der Weltbevölkerung immer noch in Ländern, über die die kapitalistischen Ausbeuter nicht herrschen. Heute kämpfen wir für die Verteidigung der verbliebenen deformierten Arbeiterstaaten China, Kuba, Vietnam und Nordkorea. Eine kapitalistische Konterrevolution wäre verheerend und würde die Kapitalisten international ermutigen, noch schärfere Angriffe gegen Arbeiter, Landarbeiter, Frauen, Minderheiten und Immigranten zu starten.
Die konterrevolutionäre Zerstörung der Sowjetunion hat das Wachstum des religiösen Obskurantismus weltweit enorm angefacht: islamischer Fundamentalismus in der muslimischen Welt, protestantischer Fundamentalismus in den Vereinigten Staaten, orthodox-jüdischer Fundamentalismus in Israel und der immer größer werdende Einfluss der katholischen Kirche. Im Nahen Osten wird als Folge des Zusammenbruchs der Sowjetunion der Sozialismus bestenfalls als gescheitertes Experiment gesehen, nicht als lebensfähige Alternative. In einer Region, in der der Kommunismus einst eine große und wachsende Anhängerschaft hatte, sehen die Massen heute weitgehend die Nationalisten einerseits und die Islamisten andererseits als die einzigen glaubwürdigen Alternativen an.
Es ist die Aufgabe der Arbeiterklasse in der Türkei, an der Spitze aller Unterdrückten die Herrschaft der türkischen Bourgeoisie zu stürzen. Der Schlüssel für diese Perspektive ist die Schmiedung einer marxistischen Arbeiterpartei. Solche Parteien müssen im gesamten Nahen Osten aufgebaut werden, um die verschiedenen Arbeiterklassen im Kampf gegen den Imperialismus und gegen die eigenen kapitalistischen Herrscher zu vereinen. Der Kampf für die Herrschaft der Arbeiter im Nahen Osten beinhaltet die Zerschlagung des Verbündeten der Türkei, des zionistischen Garnisonsstaates Israel, durch arabisch-hebräische Arbeiterrevolution. Die stalinisierten Kommunistischen Parteien des Nahen Ostens machten diese revolutionäre Perspektive durch ihre Unterordnung des Proletariats unter mythische progressive bürgerliche Kräfte zum Gespött. Deshalb tragen sie ihren Teil der Verantwortung für das Wachstum des islamischen Fundamentalismus unter den arbeitenden und unterdrückten Massen. Der Aufbau revolutionärer Arbeiterparteien ist unabdingbar, um wirklichen Marxismus einzuführen und das Proletariat des Nahen Ostens von Nationalismus und Fundamentalismus zu brechen, im Kampf für sozialistische Revolution.
Die Türkei und die imperialistische Ordnung:Vom Kalten Krieg zur EU
Seit dem Ende des Osmanischen Reiches vor mehr als hundert Jahren war die Türkei sowohl Handlanger als auch wertvolle Beute für die Imperialisten. Die Türkei hat die größte Armee der NATO in Europa und diente ihr im Kalten Krieg als strategisches Bollwerk gegen die Sowjetunion. Heute ist die Türkei militärisch den USA untergeordnet und ökonomisch vom deutschen Imperialismus abhängig. Das Land ist strategisch gelegen, ist Transitland strategischer Energieressourcen für Europa, es vertritt Interessen der Imperialisten im Nahen Osten und weitet deren Einflussbereich aus. 1991 fungierte die Türkei als Startrampe der US-Imperialisten für ihren blutigen Krieg gegen den Irak.
Die Armeegeneräle, die sich als Bewahrer von Atatürks Erbe sehen, vereinen bonapartistischen bürgerlichen Nationalismus mit prowestlichem Säkularismus und wütendem Antikommunismus. Als Handlanger des westlichen Imperialismus und der einheimischen nationalen Bourgeoisie inszenierten sie drei blutige, vom Imperialismus unterstützte Putsche, 1960, 1971 und 1980, um Unruhe in der Bevölkerung zu unterdrücken. Die Generäle sind eingeschworene Feinde der Arbeiterbewegung und der Linken und der Weg von Atatürks Erbe ist übersät mit den Leichen Tausender Kurden, Kommunisten und Gewerkschaftsführer. Einem Parlamentsbericht zufolge, der an die Öffentlichkeit durchsickerte, waren für viele der 14 000 ungeklärten Fälle in den 1990er-Jahren, wo Menschen ermordet wurden oder verschwanden, Sicherheitskräfte und die faschistoiden Todesschwadronen der Grauen Wölfe verantwortlich. Am 1. Mai 2007 wurden Arbeiter, die in Istanbul demonstrierten, brutal von der Polizei angegriffen; knapp 600 wurden verhaftet.
Die Frage des EU-Beitritts der Türkei prägt alle Aspekte des politischen Lebens im Land. Seit Jahren führt die türkische herrschende Klasse eine Kampagne, um der EU beizutreten, und sie geriet unter Druck, als Preis des Beitritts ihren Laden in Bezug auf Menschenrechte in Ordnung zu bringen. Zwar verdüstern sich die Aussichten einer EU-Mitgliedschaft, aber viele Türken denken oder hoffen, dass die EU dem Land Demokratie und Wohlstand bringen würde. Manche Kurden denken, die EU werde ihre Unterdrückung beenden, und viele Frauen glauben das gleiche. Aber das ist eine gefährliche Illusion.
Wir sind gegen die EU, ein Kartell der großen europäischen imperialistischen Mächte, bei dem es darum geht, die Konkurrenzfähigkeit gegen die amerikanischen und japanischen Rivalen zu verbessern und die imperialistische Ausbeutung der schwächeren Mitgliedstaaten zu verstärken. Ein solches Bündnis kann nur Bestand haben auf Kosten des multiethnischen Proletariats in Europa und derer, die unter dem Stiefel des Neokolonialismus stehen.
Für das Selbstbestimmungsrecht der Kurden!
Die kurdische Frage ist in der Türkei zentral. 25 bis 30 Millionen zählt die kurdische Bevölkerung im Nahen Osten, die größte Nation der Welt ohne Staat. Kurden stellen ein Fünftel der Bevölkerung der Türkei. Kurdistan umfasst die Osttürkei und erstreckt sich über einen Teil Syriens und über Nordirak bis in den Iran. Seit Mitte der 1980er-Jahre führt die türkische Armee, unterstützt und bewaffnet von den USA und Deutschland, einen blutigen Krieg gegen die unterdrückte kurdische Minderheit, in dessen Verlauf etwa 37 000 Menschen getötet und mehrere Tausend Dörfer niedergebrannt wurden. Die türkische Bourgeoisie ist so fest entschlossen, selbst das kleinste Anzeichen von kurdischem Separatismus auszuradieren, dass es jahrelang verboten war, in der Öffentlichkeit Kurdisch zu sprechen, und kurdische Namen waren ebenso verboten. Kurden wurden als Bergtürken bezeichnet.
In den letzten Jahren führte die türkische Bourgeoisie kosmetische Reformen ein, um die EU zufrieden zu stellen. Sie erlaubten zynischerweise kurdischen Sprachunterricht in Privatschulen, die sich fast niemand aus der armen kurdischen Bevölkerung leisten kann. Kurdische Radiosendungen wurden auf vier Stunden pro Woche begrenzt und Fernsehsendungen auf zwei Stunden. Und nichts davon beeinträchtigte die unaufhörlichen Angriffe der AKP-Regierung gegen die Kurden. Im März 2007 wurde Ahmet Türk, ein kurdischer Führer der Partei für eine Demokratische Gesellschaft (DTP) zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt, weil er respektvoll über den inhaftierten PKK-Führer Abdullah Öcalan gesprochen hatte, indem er ihn Sayin nannte, was Verehrter oder Herr bedeutet. Er wurde außerdem zusammen mit einem stellvertretenden Führer der DTP zu 18 Monaten Haft verurteilt wegen der Verbreitung von Parteiliteratur in kurdischer Sprache. Wir fordern Freiheit für Öcalan! Hände weg von Ahmet Türk und der DTP!
Die Lage der kurdischen Bevölkerung in der Türkei hat sich in den letzten Monaten drastisch verschlechtert. Am 21. Oktober 2007 griffen während einer antikurdischen Militäroffensive der Türkei nahe der irakischen Grenze PKK-Guerillakämpfer einen Militärkonvoi an und töteten 12 türkische Soldaten. Erdogan erklärte daraufhin: Unsere Wut, unser Hass ist groß. Dies war Signal für einen massiven Ausbruch von türkischem Nationalismus, in dessen Verlauf am 27. Oktober 300 000 in der anatolischen Stadt Kayseri demonstrierten. Tausende Läufer beim Eurasischen Marathon in Istanbul trugen türkische Fahnen und skandierten Parolen gegen die PKK. Angriffe von Schlägerbanden gegen kurdische Geschäfte wurden in der Presse kaum erwähnt, viele Kurden versuchten, die Pogromgewalt abzuwenden, indem sie an ihren Häusern und Arbeitsstätten türkische Fahnen aufhängten.
Am 22. Februar schickte das türkische Militär, mit offener Hilfe der US-Imperialisten, zehntausend Soldaten über die Grenze nach Irak, um kurdische PKK-Kämpfer zur Strecke zu bringen. Schon zuvor, im Dezember, wurden massive Luftangriffe auf irakisches Gebiet geführt. Und schon damals prahlte das Militär, sie hätten bei Angriffen auf Dörfer, Schulen und Krankenhäuser Hunderte Terroristen getötet. Laut einem UN-Bericht waren etwa 1800 Menschen gezwungen, aus ihren Häusern zu fliehen. Wir geben der PKK keine politische Unterstützung, aber wir rufen die internationale Arbeiterbewegung auf, diese blutigen Terrorangriffe des türkischen Regimes zu verurteilen. Die Arbeiterbewegung auch in der Türkei muss für die militärische Verteidigung der PKK gegen den türkischen Staat eintreten. Wenn das machtvolle türkische Proletariat gegen diese Angriffe in Verbindung mit Opposition gegen die US-imperialistische Besatzung des Irak und der Verteidigung der nationalen Rechte der Kurden mobilisiert, so wäre dies ein wichtiger Schlag im Interesse aller Unterdrückten. USA, NATO, Deutschland raus aus Afghanistan! Türkei Hände weg von der PKK! USA raus aus dem Irak! Türkische Armee raus aus Kurdistan!
Der Unabhängigkeitskampf des kurdischen Volkes ist nicht nur zutiefst mit dem Kampf für Frauenbefreiung verbunden, er ist auch ein wichtiger Test für die revolutionäre Integrität jeder Partei, die beansprucht, die Arbeiterklasse zu führen. Er ist integraler Bestandteil des Kampfes für proletarische Macht, denn hier geht es um den Sturz der bürgerlichen Herrschaft in der Türkei, in Iran und Syrien und um die Beendigung der amerikanischen imperialistischen Besatzung des Irak. Aber die kurdisch-nationalistischen Führer arbeiteten aktiv und militärisch bei der Invasion des Irak mit den USA zusammen und agieren heute als Handlanger der US-Besatzer. Wie wir in Die US-Besatzung und die kurdische Frage (Spartakist Nr. 163, Sommer 2006) schrieben:
Das ist ein zynischer Abklatsch von Selbstbestimmung des kurdischen Volkes, das Generationen von Unterdrückung durch verschiedene kolonialistische und nationalistische Regime zu erdulden hatte. Die kurdischen nationalistischen Führer im Irak haben sich den amerikanisch angeführten Besatzungsstreitkräften untergeordnet. Und viele irakische Kurden betrachten irrtümlicherweise die Besatzung mit Wohlwollen, als einen Garanten gegen arabische Eroberung. Jeder Kampf für kurdische Unabhängigkeit, der nicht den Widerstand gegen die Besatzung und gegen die nationalistischen Parteien, die ihr dienen, zu seinem Ausgangspunkt macht, wird unausweichlich der Besatzung untergeordnet sein
Als Teil des multinationalen Proletariats des Nahen Ostens können die kurdischen Arbeiter eine führende Rolle beim Sturz des verrotteten Gefüges spielen, das im Dienste der imperialistischen Herrscher errichtet wurde. Kurdische und türkische Arbeiter in Europa, besonders in Deutschland, können ein lebendiges Bindeglied sein zur Verknüpfung des kurdischen Unabhängigkeitskampfes mit dem Kampf für sozialistische Revolution im Nahen Osten und in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern Westeuropas. Dieser Kampf erfordert die Führung durch internationalistische Arbeiterparteien, die sich die Losung Sozialistische Republik Vereinigtes Kurdistan als Teil einer sozialistischen Föderation des Nahen Ostens auf ihre Fahne schreiben.
Für den Kommunismus von Lenin und Trotzki!
Die vom IWF aufgezwungenen Austeritäts-Maßnahmen riefen Arbeitermassenstreiks hervor, die die Türkei während der gesamten 1990er-Jahre erschütterten. 2001, im Kontext großer, gewerkschaftsdominierter Proteste in Städten der ganzen Türkei, verweigerte die Regierung den USA die Benutzung türkischen Gebiets für die Stationierung von Truppen, was die Eröffnung einer Nordfront im Irakkrieg verhinderte. In den letzten Jahren hat die Arbeiterklasse jedoch bedeutende Niederlagen hinnehmen müssen, infolge zyklischer Wirtschaftskrisen, einer Reihe von Naturkatastrophen und massiver Arbeitslosigkeit aufgrund der brutalen Austeritäts- und Privatisierungsmaßnahmen von IWF und EU und auch infolge von Jahrzehnten des Verrats und der Desorientierung durch die Stalinisten.
Obwohl das integrierte türkische/kurdische Proletariat unter Beschuss steht, hat es nicht aufgehört zu kämpfen. Am Internationalen Frauentag im März 2007 demonstrierten Tausende Frauen, denen sich Gewerkschaften anschlossen, in Istanbul. Auf ihren Bannern stand: Lasst meinen Körper und meine Ehre in Ruhe, Unser Körper gehört uns und Keine ,Ehrenmorde. Sie forderten Gleichheit und Tagesstätten für Kinder arbeitender Frauen. Sie forderten ein Ende der IWF-Einmischung und ein Ende der Besatzung des Irak. Kurdische Frauen schlossen sich an, die Frieden forderten, und mutige schwule und lesbische Aktivisten protestierten gegen ihre Unterdrückung. Diese Demonstrationen sprachen viele der brennenden Fragen an, mit denen Revolutionäre konfrontiert sind, die einen Weg zum Sturz der kapitalistischen Klassenherrschaft in der vom Imperialismus abhängigen Türkei suchen.
Inmitten der Demonstranten marschierten streikende Arbeiterinnen in T-Shirts und Basecaps der deutsch-italienischen Firma Novamed aus einer anatolischen Freihandelszone. Der Streik dieser Arbeiterinnen, der nach 16 Monaten endete, warf ein grelles Licht auf die brutalen Arbeitsbedingungen von Frauen. Zu den Übergriffen des Betriebs, darunter eine Schwangerschaftsliste, die regeln sollte, wann es Frauen erlaubt war, schwanger zu werden, kam die schwer lastende gesellschaftliche Unterdrückung. Bevor die Streikenden von Novamed überhaupt die Gewerkschaft ins Leben rufen konnten, mussten sie zuerst die Unterstützung ihrer Ehemänner und ihrer Familien bekommen. Dieser Streik rief weit verbreitete Solidarität hervor und errang einen Tarifvertrag und Lohnerhöhungen. Ein Streik Ende 2007 von 27 000 Arbeitern bei Türk Telekom gegen Angriffe auf die Gewerkschaft und für einen neuen Tarifvertrag hatte Auswirkungen auf alle Städte der Türkei.
Im Nahen Osten kann der Kampf gegen den Imperialismus und seine neokolonialen Stellvertreter-Regime nicht innerhalb der Grenzen eines einzelnen Landes gelöst werden. Gerechtigkeit für das palästinensische Volk, nationale Emanzipation für die Kurden und andere ethnische und religiöse Minderheiten, Befreiung der Frauen von Schleier und islamischem Recht erfordern, die kapitalistischen Regime von Iran über Ägypten bis zu den Küsten des Bosporus hinwegzufegen und eine Sozialistische Föderation des Nahen Ostens zu errichten. Der Kampf für proletarische Macht im Nahen Osten muss verbunden werden mit dem Kampf für die Herrschaft der Arbeiter in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern. Dies erfordert die Schmiedung internationalistischer Arbeiterparteien, um die arbeitenden Massen der Region für den Kommunismus von Lenin und Trotzki zu gewinnen und unbeugsam für die Macht der Arbeiterklasse zu kämpfen.
Der Weg heraus aus der Sackgasse in der Türkei liegt in der Schmiedung einer revolutionären Führung des Proletariats an der Spitze der Bauernmassen, nach dem Vorbild von Lenins Bolschewiki und basierend auf Trotzkis Programm der permanenten Revolution und der politischen Unabhängigkeit des Proletariats. Einer solchen Partei wird ebenso wie den Bolschewiki bewusst sein, dass der Kampf für die Frauenbefreiung eine Antriebskraft für die Revolution ist. Wie Trotzki 1924 über die muslimischen Frauen Zentralasiens schrieb:
Dies bedeutet aber zugleich, daß die in der Lebensführung, in den Sitten und Gebräuchen, in der Betätigung am meisten festgekettete orientalische Frau, die versklavteste der Sklavinnen, wenn sie gemäß den Forderungen der neuen wirtschaftlichen Verhältnisse den Schleier abgelegt haben wird, sich sofort einer gewissen geistigen Stütze beraubt fühlen wird; sie wird leidenschaftliches Dürsten danach empfinden, neue Gedanken, ein neues Bewußtsein zu erhalten, die ihr erlauben, ihre neue Lage in der Gesellschaft geistig zu beleben. Und es wird keinen besseren Genossen im Osten geben, keinen besseren Kämpfer für die Gedanken der Revolution, für die Gedanken des Kommunismus, als die erwachte arbeitende Frau.