Spartakist Nr. 168

Herbst 2007

 

Gérard Le Méteil 1959 — 2007

In tiefer Trauer informieren wir unsere Leser über den Tod unseres geliebten Genossen Gérard Le Méteil, Mitglied der Ligue trotskyste de France. Gérard starb am 3. September in Dieppe unter ungeklärten Umständen, nachdem er, angeblich wegen betrunkenen Zustands in der Öffentlichkeit, in Polizeigewahrsam genommen worden war. Unser tiefes Mitgefühl gilt besonders Gérards achtjährigem Sohn Nicolas und ebenso Nicolas’ Mutter Valérie, der gesamten Familie Le Méteil und seinen vielen Freunden. Ein Genosse, der Gérard sehr nahe stand, schrieb im Gedenken an ihn: „Der Verlust von Gérard ist ungemein schmerzhaft für uns alle, für unsere Partei und für jeden einzelnen von uns. Es ist ein politischer Verlust, aber es ist auch ein persönlicher Verlust. Jeder schätzte Gérard auf beiden Ebenen: als einen Genossen und als einen Freund. Die Partei war sein Lebenszweck, und die Erfordernisse der Partei bestimmten immer seine persönlichen Entscheidungen. Die besten 25 Jahre seines Lebens widmete er der Partei.“

Gérard trat im April 1982 in die LTF ein und wurde im Dezember 1989 auf der Elften Nationalkonferenz der LTF ins Zentralkomitee gewählt. Gewonnen wurde er für die Ligue trotskyste, die französische Sektion der internationalen Spartacist Tendenz (die jetzt die Internationale Kommunistische Liga [Vierte Internationalisten] ist), zum Teil durch seine Beteiligung an einer Arbeitereinheitsfront-Mobilisierung gegen die Faschisten im Dezember 1981. Die Einheitsfront war initiiert worden von der LTF in der Hafenstadt Rouen, einem Industriezentrum im Nordwesten Frankreichs. Vier- bis fünfhundert Demonstranten wurden mobilisiert, darunter etwa 200 Gewerkschafter und ein Block von Studenten der Ecole Normale (einer pädagogischen Hochschule), den Gérard in Zusammenarbeit mit einem Genossen der LTF organisiert hatte. Die Mobilisierung stärkte die Verankerung der LTF-Ortsgruppe in Rouen, wo Gérard lange Zeit seines Lebens arbeitete.

Entscheidende Fragen bei der Rekrutierung von Gérard, der in einem Sportverein der Kommunistischen Partei mitgewirkt hatte, waren die Bedeutung der leninistischen Avantgardepartei und die trotzkistische Position der Verteidigung der Sowjetunion. Bevor er Mitglied wurde, nahm Gérard am 2. März 1982 an einer Veranstaltung der LTF teil, die auf dem zur Universität von Paris gehörenden Campus Tolbiac stattfand. Erst wenige Monate zuvor hatte das stalinistische Regime Polens Maßnahmen gegen die reaktionäre „Gewerkschaft“ Solidarnos´c´ in diesem deformierten Arbeiterstaat ergriffen. Unter der Volksfront des Sozialdemokraten Francois Mitterrand war Frankreich treibende Kraft der antisowjetischen Mobilisierung in Europa, bei der die Pseudotrotzkisten eine aktive Rolle spielten.

Wie anderswo auch gab es am Campus Tolbiac eine Polarisierung. Genossen der LTF in Rouen wurden buchstäblich angespuckt von Linken, die vorher zusammen mit uns gegen die Faschisten demonstriert hatten. Unsere Genossen am Tolbiac hatten am Telefon Drohungen erhalten, und Gérard kam aus Rouen, um bei der erfolgreichen Verteidigung unserer Veranstaltung gegen einen heulenden Mob von mehr als 30 Pseudotrotzkisten und anderen mitzumachen. Am Ende der Veranstaltung bildeten Campus-Sicherheitskräfte (vigiles) und autonome Jugendliche gemeinsam eine Spießrutengasse, um diejenigen anzugreifen, die die Veranstaltung verließen. Ein Genosse erinnerte sich an den wütenden Straßenkampf, der folgte: „Gérard zeigte beträchtlichen physischen Mut und landete einige wohlplatzierte Fausthiebe.“ Kurz nach dieser Erfahrung stellte Gérard den Antrag auf Mitgliedschaft in der LTF.

In den nächsten sieben Jahren wurde er als ein äußerst energischer und talentierter Aktivist am Campus von Rouen bekannt. Er konnte in der Cafeteria des Campus auf einen Tisch springen und mit einer leidenschaftlichen Rede Studenten dafür mobilisieren, gegen eine Gräueltat der Regierung oder der Univerwaltung zu protestieren. Diese Arbeit bedeutete auch täglichen politischen Kampf gegen unsere Opponenten in der Linken. Ständig war er bestrebt, Leute zu gewinnen, versuchte zu verstehen, woher sie kommen, und fand die überzeugenden Argumente. Das trug zu der politischen Klugheit und Tiefe bei, für die er bekannt war. Später setzte Gérard diese Erfahrung bei seiner politischen Ausbildung unserer jüngeren Genossen ein, von denen mehrere in der LTF und in anderen Sektionen der IKL Kader geworden sind.

Gérard war von Beruf Lehrer und ein langjähriges Mitglied der Gewerkschaft SNUipp. Sein Tod blieb nicht unbemerkt bei Linken und Gewerkschaftern in der Region und anderswo. Postarbeiter im Sortierzentrum Créteil, Paris, organisierten bei einer Betriebsversammlung während der Nachtschicht des 5. September eine Schweigeminute.

Da Gérard fest überzeugt worden war von dem Verständnis, dass wir vor allem die Partei der Russischen Revolution sind, war es ganz typisch, dass er von der Arbeit freinahm, um sich in die Intervention der IKL in die beginnende politische Revolution in Ostdeutschland 1989/90 zu stürzen. Er verfolgte die Arbeit unserer gesamten Internationale mit größter Aufmerksamkeit und war bekannt dafür, über das französische „Hexagon“ hinauszublicken. Er war ein hervorragender militärischer Führer und verantwortlich für unser Sicherheitsteam bei der Massendemonstration gegen die G8-Imperialisten in Genua, Italien, im Juli 2001, wo mindestens ein jugendlicher Demonstrant durch den Bullenterror starb.

Gérards’ genaue Kenntnisse der französischen Politik und der Geschichte der Arbeiterbewegung erstreckten sich auch auf die ehemaligen und heutigen französischen Kolonien. Er forschte über den französischen Generalstreik im Juni 1936, als die Stalinisten die Gelegenheit zu einer Arbeiterrevolution sabotierten, und hielt bei einer Veranstaltung darüber einen Vortrag. Ein Artikel, der auf seiner Rede basierte, wurde dieses Frühjahr in den Nummern 179 und 180 von Le Bolchévik veröffentlicht. Er verschlang neue Bücher, besonders über die Verbrechen des französischen Imperialismus, und er las ausgiebig über den Algerienkrieg, weil er gut verstand, dass diese Verbrechen immer noch die französische Bourgeoisie beflügeln bei ihrer rassistischen Unterdrückung nordafrikanischer Immiganten, ihrer Kinder und Enkelkinder. Häufig war es Gérard, der der Partei vorschlug, den Fall einer Immigranten-Familie oder eines Lagers von Roma aufzugreifen, die durch einen rassistischen Angriff der Regierung oder anderer bedroht wurden.

Eine seiner Stärken war, dass er sich über Widersprüche in der Gesellschaft und in der Linken bewusst war. Seine Effektivität ergab sich aus seinem politischen Verständnis und seinem offensichtlichen Vertrauen in die Macht unseres Programms. Ein Genosse zollte ihm mit folgenden Worten Tribut: „Er war eine 100-Prozent-Person, in seiner Liebe, seinem Hass, zu 100 Prozent ein Kommunist, ein Typ, der dich inspirieren konnte. Er war ein Aktivist, ein Führer, ein großer Redner mit einer tiefen Stimme, jemand aus einem Roman von Zola, voller Leidenschaft und immer mit einem traurigen, tragischen Leuchten in seinen Augen.“

Mitte der 1990er-Jahre, nach der kapitalistischen Konterrevolution in der Sowjetunion und Osteuropa, erlitt Gérard einen persönlichen Zusammenbruch und verließ die Partei für ein paar Jahre. Seine Rückkehr in die aktive Politik folgte auf die große Streikwelle in Frankreich Ende 1995. Er hatte viele der Probleme der französischen Sektion durchdacht, und Genossen erinnerten daran, dass er wie eine frische Brise war, sprudelnd vor Enthusiasmus über die kürzlichen Klassenkämpfe und, wie immer, voller aufschlussreicher und anregender Beobachtungen über Ereignisse im Land und in der Welt. Im September 1996 wurde er wieder in das Zentralkomitee gewählt, dem er bis zu seinem Tode durchgehend angehörte.

Genossen und Freunden fällt es sehr schwer, mit dem Verlust des Genossen Gérard zurecht zu kommen. Er war erst 48 Jahre alt, seit seiner Jugend ein talentierter Sportler, der zahlreiche Marathonläufe bestritten hatte. Wir hoffen, die Umstände seines Todes aufklären zu können. Ihm zu Ehren versammelten sich Genossen, Familienangehörige und Freunde am 9. September in Paris an der Mauer der Kommunarden auf dem Friedhof Père Lachaise. Ein Brief des Internationalen Sekretariats der IKL in New York gab unserem Genossen und Freund das Ehrengeleit:

„Gérard kämpfte für die Emanzipation der Arbeiter und aller Unterdrückten der Welt und für die Transformation der Gesellschaft vom Kapitalismus zum Sozialismus durch sozialistische Arbeiterrevolution. Damit diese befreiende Revolution erfolgreich ist, braucht sie die Führung durch eine revolutionäre politische Partei der Avantgarde der Arbeiter – die Vierte Internationale, für deren Wiederschmiedung wir von der Internationalen Kommunistischen Liga kämpfen. Diese Erinnerung an Gérard, als einen Genossen, ist Ausdruck unserer allergrößten Zuversicht, dass der Geist der Menschheit, der nach menschlicher Solidarität strebt, unbesiegbar ist.“