Spartakist Nr. 164

Herbst 2006

 

Aufschrei über Günter Grass’ Geständnis

Das späte Geständnis des Schriftstellers Günter Grass vom 12. August in der Frankfurter Allgemeinen (FAZ), vor 62 Jahren Mitglied der Waffen-SS gewesen zu sein und nicht, wie früher in seinen Biografien aufgelistet, „Wehrmacht-Flakhelfer“, hat einen Sturm von Entrüstung entfacht. Dabei wurde dem 79-jährigen Grass „tiefste moralische Verkommenheit“ attestiert. Vor allem habe die „politisch-moralische Autorität“ „durch sein reichlich spätes Erinnern“ Schaden genommen. Günter Grass hat wie kaum ein anderer Schriftsteller mit seinen Stellungnahmen gegen Kirche und Staat im Nachkriegsdeutschland gegen die Verdrängung von Nazivergangenheit politisch polarisiert. Immer wieder hat er auf die nahtlose Übernahme von Nazi-Größen in die damalige Adenauer-Regierung der Bundesrepublik der 50er-Jahre hingewiesen. Beim Aufschrei über sein Geständnis wird vor allem sein Protest über Bitburg erwähnt, als Grass im Mai 1985 Bundeskanzler Kohl kritisierte. Seine Kritik an der kapitalistischen Wiedervereinigung, die er mit der Analogie zur Nazizeit als „Anschluss“ charakterisierte und wo er für die DDR den „Lastenausgleich“ forderte, hat 1990 einen ähnlichen Aufschrei der Empörung ausgelöst. 1997 griff er in einer Laudatio für den berühmten Schriftsteller Yasar Kemal aus der Türkei, dem der Friedenspreis des deutschen Buchhandels verliehen wurde, die damalige CDU-Regierung für deren brutale Abschiebepraxis an: „Spricht nicht der in Deutschland latente Fremdenhass, bürokratisch verklausuliert, aus der Abschiebepraxis des gegenwärtigen Innenministers, dessen Härte bei rechtsradikalen Schlägerkolonnen ihr Echo findet?“ Pompös wirft man ihm jetzt „Doppelzüngigkeit“ und „Heuchelei“ vor. Von Aberkennung des 1999 empfangenen Literaturnobelpreises und seiner Ehrenbürgerschaft von Gdansk war gar die Rede.

Die Lehren vom Zweiten Weltkrieg

Für uns Marxisten war der Zweite Weltkrieg, was die beteiligten kapitalistischen Länder angeht, ausnahmslos ein imperialistischer Krieg. Die Arbeiter aller Länder hatten im Zweiten Weltkrieg nur ein Krieg führendes Land zu verteidigen: die Sowjetunion. Deshalb kämpften die Trotzkisten auf der Seite der Sowjetunion und riefen zu ihrer bedingungslosen Verteidigung auf. Im Krieg zwischen Nazi-Deutschland und den „demokratischen“ Alliierten Britannien und USA traten wir für die Niederlage aller imperialistischer Mächte ein. Das Nazi-Regime, das aus einer Massenbewegung von entfesselten Kleinbürgern hervorwuchs, wurde durch machtvolle kapitalistische Interessen an die Macht gehievt. Die Kapitalisten riefen die Faschisten herbei, um die „Bedrohung“ durch eine proletarische Revolution der mächtigsten Arbeiterklasse in Europa abzuwehren. Die deutsche Arbeiterklasse war mächtig genug und in der großen Mehrzahl gewillt, Hitler an der Machtergreifung zu hindern. Was den Triumph des Nazismus ermöglichte, war die verbrecherische Kapitulation ihrer Führung, der stalinistischen wie der sozialdemokratischen. Und erst nach der Zerstörung der deutschen Arbeiterbewegung konnte Hitler zur grauenhaften „Endlösung“ schreiten. Der Nazi-Holocaust ist ein einzigartiges Verbrechen, bei dem die Vernichtung von ganzen Völkern – Juden, Roma und Sinti – industriemäßig organisiert wurde. Am Ende waren es die Rote Armee und die sowjetischen Partisanen, die trotz Stalin das Nazi-Regime zerschlugen und Europa vom Faschismus befreiten.

Die sozialdemokratische und stalinistische Volksfrontmär vom „antifaschistischen Krieg der Demokratien“ diente nur dazu, die amerikanische und westeuropäische Arbeiterklasse an die eigenen Bourgeoisien zu ketten. Hinsichtlich Deutschlands wurde mit der These der „Kollektivschuld des ganzen deutschen Volkes“ der Verrat der KPD- und SPD-Führer kaschiert, die kampflos vor dem Faschismus kapituliert hatten. Das Gespenst der Arbeiterrevolution verfolgte auch die „demokratischen“ Imperialisten und stand hinter ihrer Politik der Massen-Bombardierungen am Ende des Zweiten Weltkriegs, die die Demoralisierung der deutschen Bevölkerung zum Ziel hatten. Während des Krieges haben international nur die Trotzkisten diese wahllosen Terrorangriffe verurteilt, weil sie verstanden, dass der „Krieg für Demokratie“ eine Lüge war.

Kollektivschuld à la Grass

Die Teilung Deutschlands entlang einer Klassenlinie war ein Ergebnis des Zweiten Weltkriegs, im Osten wurde die deutsche Bourgeoisie enteignet und 1949 die DDR geschaffen, ein deformierter Arbeiterstaat. Im Westen wurde die Bourgeoisie von Auschwitz „rehabilitiert“ und behielt ihre Macht. Die Imperialisten halfen beim Wiedereinsetzen ehemaliger Nazis in Schlüsselpositionen der Politik und Wirtschaft. Nur ein starker deutscher Kapitalismus konnte gegen die Sowjetunion nützlich sein. Die amerikanischen Sieger hatten jeden Grund, gemeinsam mit ihren deutschen Verbündeten die Verbrechen des Dritten Reiches tief zu vergraben, als sie ihren Kalten Krieg gegen die Sowjetunion führten. Daher war die imperialistische Lüge der Kollektivschuld so praktisch wie einfach: Die Bevölkerung in ihrer Gesamtheit sei für die Schrecken des Nazi-Holocaust verantwortlich. Kern der Kollektivschuld-Argumente ist, das despotische, antisemitische Deutschland des Zweiten Weltkriegs der demokratischen, sozial gesinnten heutigen Bundesrepublik entgegenzusetzen. Und dies befördert die Bestrebungen des deutschen Imperialismus, Deutschland in ein „normales“ Land umzuwandeln mit Truppeneinsätzen vom Balkan über Afghanistan bis erstmals im Nahen Osten.

Günter Grass treibt in seinen eigenen Worten die „grauenhafte Erfahrung von Auschwitz“ um. Doch anders als die besten Elemente seiner Generation, die aus den Schrecken des Dritten Reichs und der Niederlage Nazi-Deutschlands im Krieg die Schlussfolgerung zogen, mit der Bourgeoisie, die Hitler an die Macht brachte, abzurechnen und für ein sozialistisches Deutschland zu kämpfen, erlegt Grass die Verantwortung für Auschwitz und alle anderen Gräuel des Nazi-Regimes dem gesamten deutschen Volk auf. In einem Interview mit Fritz Pleitgen behauptete Grass unverschämt, seine Generation hätte „kein[en] Ansatz von Anti-Faschismus“ gehabt, und wälzt das, was er als sein persönliches Versagen und das seiner ganzen Generation sieht, auf die Jugend von heute ab: „Sie sind absolut nicht verantwortlich dafür, ohne jede Schuld, und stehen dennoch in der Verantwortung, dass sich so etwas in Deutschland, aber auch nicht mal ansatzweise wiederholt“ (Spiegel Online, 10. Oktober 2002). Grass, dessen Werke machtvoll ein Bild vom Nazi-Mief im Westdeutschland nach dem Krieg widerspiegeln, in dem das Raubtier Bourgeoisie von Auschwitz sichtbar bleibt, vertritt jedoch die Position, „dass die Verfassung der Bundesrepublik die beste ist, die wir jemals in Deutschland gehabt haben“. Dies macht ihn zum Apologeten eines „besseren“ kapitalistischen Deutschlands. Wir Spartakisten wenden uns auch an die junge Generation, doch nicht mit Grass’ Treue zum Grundgesetz, sondern mit einem Verständnis, dass Faschismus und imperialistischer Krieg dem kapitalistischen System innewohnen und deshalb nur eine Arbeiterrevolution die Opfer des Holocaust wird rächen können.

Günter Grass und Waffen-SS

In seiner Biographie Beim Häuten der Zwiebel erklärt Grass, wie er sich 1943 als Freiwilliger mit 15 Jahren erfolglos zur Waffengattung der U-Boote gemeldet hatte und dann 1944 mit 17 Jahren vom Arbeitsdienst zur Division „Jörg von Frundsberg“ der Waffen-SS gezogen wurde.

„Zu fragen ist: Erschreckte mich, was damals im Rekrutierungsbüro unübersehbar war, wie mir noch jetzt, nach über sechzig Jahren, das doppelte S im Augenblick der Niederschrift schrecklich ist?

Der Zwiebelhaut steht nichts eingeritzt, dem ein Anzeichen für Schreck oder gar Entsetzen abzulesen wäre. Eher werde ich die Waffen-SS als Eliteeinheit gesehen haben, die jeweils dann zum Einsatz kam, wenn ein Fronteinbruch abgeriegelt, ein Kessel, wie der von Demjansk, aufgesprengt oder Charkow zurückerobert werden mußte. Die doppelte Rune am Uniformkragen war mir nicht anstößig.“

Die ganze Welt identifiziert SS-Runen mit „Endlösung“ und Judenermordung. Die SS wird zu Recht zutiefst verabscheut. Die Waffen-SS wurde zu Beginn des Zweiten Weltkriegs aus heterogenen Teilen wie der SS-Verfügungstruppe, den KZ-Wachmannschaften, den SS-Totenkopfstandarten als militärische Elitetruppe des „Reichsführers“ Heinrich Himmler gegründet. Berüchtigtstes Mitglied ist Josef Mengele, KZ-„Arzt“ in Auschwitz. Die Waffen-SS war verantwortlich für den Massenmord an Zivilisten und Kriegsgefangenen und Waffen-SS-Schergen waren gut geeignet für die Posten als Folterknechte in den Konzentrationslagern. Unvergessen sind die Massaker von Oradour-sur-Glane oder Sant’Anna di Stazzema, wo ganze Ortschaften samt Greisen und Säuglingen hingeschlachtet wurden. Ausgeführt wurden diese Massaker von Panzer-Divisionen der Waffen-SS, „Hitlers politischen Soldaten“, im Sommer 1944, kurz bevor Grass seinen Einberufungsbefehl erhielt.

Gegen Ende des Krieges änderte sich der Charakter der Waffen-SS als einer besonderen Parteitruppe, manche Wehrmachtseinheiten wurden geschlossen der Waffen-SS eingegliedert, junge Wehrpflichtige wurden – ohne ihr Zutun – einberufen. Während die Gesamtzahl der Soldaten des Großdeutschen Reiches von 1943 bis 1945 von 9,4 auf 7,8 Millionen sank, erhöhte sich die Zahl der Mitglieder der Waffen-SS im selben Zeitraum von 450 000 auf 830 000 am Ende. Im Frühjahr 1945 waren also mehr als zehn Prozent der deutschen Soldaten Mitglieder der Waffen-SS. In seinem Leserbrief an den Berliner Tagesspiegel vom 20. August schreibt Werner T. Angress, auch bekannt als Autor von Die Kampfzeit der KPD 1921–23:

„Die Verurteilung von Grass wegen seiner kurzen Dienstzeit in der Waffen-SS ist völlig unangebracht. Als damaliger Gefangenenverhörer in der amerikanischen 82. Luftlandedivision, in der ich als jüdischer Emigrant aus Deutschland damals diente, begegnete ich vielen jungen Deutschen, die Ende 1944/Anfang 1945 im Alter von 17–18 Jahren in die Waffen-SS eingezogen worden sind. Sie waren also noch ,Teenagers‘. Im Mai 1945 bekam ich den Auftrag, in einem SS-Gefangenenlager nahe bei Ludwigslust, Mecklenburg, zusammen mit drei Kameraden die ,Schafe von den Böcken‘ zu trennen, also die, die freiwillig in die SS eingetreten waren, von denen, die man eingezogen hatte. Dabei habe ich mich besonders darum gekümmert, dass diese Jugendlichen in ein Wehrmachtsgefangenenlager transferiert wurden, da die Mehrzahl von ihnen eben nicht aus politischer Überzeugung in der Waffen-SS gedient hatten. Zu dieser Gruppe, wie man sie am Ende des Krieges in vielen SS-Einheiten fand, gehörte auch Grass. Schade ist nur, dass er seine kurze Mitgliedschaft in der Waffen-SS erst jetzt publik gemacht hat.“

Grass ist kein linker, sondern ein liberaler Intellektueller, der im Nachkriegsdeutschland in der Sozialdemokratie seine politische Heimat gefunden hat. In seiner berühmten Danziger Trilogie (Die Blechtrommel, Hundejahre, Katz und Maus) werden die Hitlerjahre aus der Perspektive von beteiligten Kindern und Jugendlichen erzählt, die während der Adenauer-Zeit im Westen Deutschlands wieder Fuß fassten. Die Blechtrommel, der Roman über den Alltag des Kleinbürgertums im Faschismus in Danzig, wurde als Gegenentwurf der offiziellen Verdrängung der Nazizeit in der Adenauer-Epoche gesehen. Grass schreibt:

„In den fünfziger Jahren, der Zeit politischer Restauration, sprach man von der Nazizeit, von der Zeit des Nationalsozialismus wie von einer dunklen Phase deutscher Geschichte, als sei das arme deutsche Volk von Erdgeistern, die über Nacht kommen, verführt worden. Nur weiß ich aus meiner eigenen Jugend, jeder wußte es im Grunde, daß das nicht alles nachts und auch nicht von Erdgeistern hergeleitet wurde, sondern am hellen Tag geschah, angekündigt war durch ,Mein Kampf‘ und vieles andere; und das brachte mich immer näher an mein Herkommen, an das heran, was ich verloren hatte, ein von den Deutschen begonnener und verlorener Krieg hat zum Verlust von Heimat geführt, Millionen Menschen betreffend und auch mich betreffend. Und so wagte ich mich an diesen Komplex heran. Es gibt da noch einen anderen Strang – auch um genau diese Legende, diese Dämonisierung der Nazizeit zu widerlegen mit dem Bedürfnis, die mir bekannte, vertraute, und für den Nationalsozialismus besonders anfällige Schicht des Kleinbürgertums in ihren Wünschen und Verstiegenheiten und Sehnsüchten darzustellen.“ (Zitiert in „Ausgehend vom Labesweg 13“, Heinz Ludwig Arnold, 23. Juni 2003)

Grass, 1927 in Danzig geboren und von deutsch-kaschubischer Herkunft, war immer antikommunistisch und antisowjetisch eingestellt, er bleibt damit im Rahmen des bürgerlichen Antifaschismus stecken, der die Arbeiterklasse auf der einen Seite zurückweist und andererseits jedem deutschen Individuum die Verantwortung für den Holocaust gibt. Klassenherrschaft der Bourgeoisie und Kapitalismus als Ursache für Faschismus werden ausgeblendet.

Warum schwieg Grass so lange? Offensichtlich war er nur kurze Zeit bei der Waffen-SS, noch dazu eingezogen, und es ist keine verbrecherische Aktion von ihm bekannt. Er hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass er als Jugendlicher an den Endsieg der Nazis glaubte. Die Reaktionen, die ihm jetzt entgegenschlagen, zeigen aber auf, wie sehr in Deutschland eine differenzierte Auseinandersetzung mit der Nazizeit unmöglich gemacht wurde, und zwar mit der Keule der Kollektivschuldlüge. Im Interview mit der FAZ vom 12. August betonte Grass über die Nachkriegszeit in Westdeutschland: „Wir hatten Adenauer, grauenhaft, mit all den Lügen, mit dem ganzen katholischen Mief. Die damals propagierte Gesellschaft war durch eine Art von Spießigkeit geprägt, die es nicht einmal bei den Nazis gegeben hatte.“ Angress bestätigt das. Befragt vom Berliner Tagesspiegel, ob „er sich vorstellen könne, warum Grass so lange geschwiegen habe?“, antwortete er: „Deutschland war schrecklich in den 50er Jahren. Und nachher war es zu spät.“

Die Lüge, dass allen Deutschen die Naziverbrechen anzulasten seien, ist auch im gesellschaftlichen Klima der heutigen als „normal“ belobhudelten „Berliner Republik“ gang und gäbe. Das ideologische Fundament der viel gepriesenen Wehrmachtsausstellung stellt die wehrpflichtigen Soldaten der Wehrmacht auf eine Stufe mit den Nazi-Verbrechern. Wie wir im Spartakist Nr. 163, Sommer 2006 („Wehrmacht, Holocaust und ,Kollektivschuld‘“) schrieben: „Die Aussage, dass die wehrpflichtigen Soldaten konterrevolutionärer Abschaum und Nazis wurden, weil sie gezwungen wurden, Massaker durchzuführen, verwischt die Klassenlinie, die in jeder imperialistischen Wehrpflichtigenarmee zwischen dem bürgerlichen Offizierskorps und den einfachen Soldaten verläuft, die hauptsächlich aus der Arbeiterklasse kommen. Und es verwischt die Differenz zwischen der Zwangsorganisation Wehrmacht und den freiwilligen Eliteeinheiten von Hitlers Regime wie SS, SD und Gestapo.“

Antisowjetische Allianz in Bitburg

Heute trumpft ein Teil der Grass-Gegner auf, er hätte schon 1985 zu Bitburg sagen sollen, er sei Mitglied der Waffen-SS gewesen. Am 5. Mai 1985 kam es zum obszönen Besuch Kohls und Reagans bei den SS-Gräbern auf dem Soldatenfriedhof von Bitburg. Der damalige US-Präsident Ronald Reagan wollte den „Feind“ aus dem Zweiten Weltkrieg in die Arme schließen. Der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl erhielt mit dem Besuch Reagans die Gegenleistung für sein Vorantreiben der gegen die Sowjetunion gerichteten amerikanischen Pershingraketen-Stationierung. Wie wir im Spartakist-Extra vom Juli 1985 (abgedruckt in Spartacist, deutsche Ausgabe Nr. 12, Winter 1986/87) „Bitburg: Kohl/Reagan stehen stramm vor SS-Massenmördern – Zerschlagt den antisowjetischen Kriegskurs!“ schrieben: „Und sie haben sich absichtlich einen Militärfriedhof mit SS-Gräbern ausgesucht. Für Reagan sind Hitlers Killer, die gegen Russland kämpften, einfach großartig – das Problem war nur, dass sie es im Interesse Berlins und nicht Washingtons taten.“ Ein Aspekt, der dem antisowjetisch eingestellten Grass entgeht. Bitburg ist untrennbar mit dem Wiederaufstieg des deutschen Nationalismus verbunden. Denn es war Kohl, der Reagan den Besuch in Bitburg vorschlug, es ging um die Rehabilitierung der SS und Waffen-SS, zeitgleich mit den Regierungsfeierlichkeiten hielt die „Totenkopf-Division“ der Waffen-SS eine Klausurtagung ab und es fanden von der Polizei beschützte Treffen der 12. SS-Panzerdivision „Hitlerjugend“ und des Ersten SS-Panzerkorps „Leibstandarte Adolf Hitler“ statt.

Bitburg war eine Scheidelinie für die westdeutsche Gesellschaft und daher ist Grass’ bürgerliche Kritik über Bitburg an Kanzler Kohl bis zum heutigen Tage nicht vergessen:

„Ich weiß, dass bis in die Leitartikel dieser Tage Unschuldszeugnisse ausgestellt werden. Wir leisten uns gegenwärtig einen Bundeskanzler, dem die Unschuld, wenn nicht eingefleischt, so doch eingeboren ist. Fix sind abermals die Persilscheine der Fünfzigerjahre zur Hand.“ (Die Zeit, 10. Mai 1985, „Geschenkte Freiheit – Versagen, Schuld, vertane Chancen“)

Bitburg war eine ehrenvolle Anerkennung des Nachfolgestaats des Dritten Reiches, der Haupttriebkraft der NATO in Europa. Hitlers Machtübernahme war, wie Trotzki 1933 feststellte, die größte Niederlage für die Arbeiterklasse in der Geschichte. Es bleibt der Arbeiterklasse vorbehalten, die faschistische Bedrohung und die Schrecken des imperialistischen Kriegs zu beenden, indem sie das kapitalistische System durch weltweite proletarische Revolution zerschlägt.

Die Grass-Gegner sind ein ziemlich übler Haufen, wenn auch mit unterschiedlichen Motiven. Zum Beispiel sieht der Bundeswehr-Professor Michael Wolffsohn, der Folter als Maßnahme des Staates für anwendbar hält, Grass’ Lebenswerk für „vollkommen beschädigt“. Oder der kürzlich verstorbene Speer-Anbeter und Hitler-Biograph Joachim Fest. Er hat Mitte der 80er-Jahre Ernst Nolte, der Auschwitz als „bolschewistische Tat“ geißelte, die Seiten seiner FAZ geöffnet und damit eine „Rot-gleich-braun-Kampagne“ im berüchtigten Historiker-Streit losgetreten. Aber auch unter den Grass-Befürwortern finden sich üble Gesellen. Der notorisch rechte Arnulf Baring vermutet, „der Fall Grass werde zu einem gelassenen und gerechteren Urteil über die Verstrickung vieler Deutscher in den Nationalsozialismus führen“. Der 74-jährige hat flugs im September im Wiesbadener Landtag die Gelegenheit genutzt und die NS-Diktatur eine „beklagenswerte Entgleisung“ genannt und dafür plädiert, den Ausdruck „Integration“ durch „Eindeutschung“ zu ersetzen. Tatsächlich versuchen nicht wenige ihr Mütchen an Grass zu kühlen und versuchen es als „normal“ – ganz im Sinne eines neuen „Patriotismus“ – zu verkaufen, Mitglied der Waffen-SS gewesen zu sein. Damit verwischen sie den Unterschied zwischen den mörderischen Nazi-Schergen, die begeistert und freiwillig in der SS dienten, und denen, die aufgrund der allgemeinen Wehrpflicht in die Waffen-SS rekrutiert wurden.

Jetzt soll erneut die kalte Amnestie der Nazikader im Nachkriegsdeutschland durchgewinkt werden. Von Anfang an ergriffen die Nazi-Größen und Kriegsverbrecher die Gelegenheit im Westen unterzukommen. Nur in der DDR wurden zwei Angehörige der Waffen-SS-Division, die das Massaker in Oradour-sur-Glane ausführte, in den 80er-Jahren abgeurteilt, während kein einziger im Westen in Haft kam. In den Prozessen nach der Gründung der DDR 1949 wurden 12 881 Nazis verurteilt; im Westen, wo die Bevölkerung fast dreimal so groß war, waren es gerade halb so viele. Während der Staatsapparat der BRD mit lauter kleinen und großen Nazis durchsetzt war, bestand der Staatsapparat der DDR aus vielen ehemaligen Häftlingen der Nazi-Konzentrationslager, und viele ihrer prominentesten Bürger stammten aus jüdischen Familien. Jetzt soll das Grass’sche Geständnis vom SS-Waffendienst dazu dienen, die Nazis Globke (Verfasser der Ausführungsbestimmungen zu den Nürnberger Rassegesetzen 1935, dann Kanzleramtschef von Adenauer), Kiesinger (1940 bis 1945 im Außenministerium des Dritten Reichs, dann von 1966–69 Bundeskanzler) und Filbinger (Nazi-Marinerichter, der bis zum Kriegsende Todesurteile verhängte, 1966–78 Ministerpräsident von Baden-Württemberg) im Nachhinein weißzuwaschen. Der deutsche Imperialismus hatte sich nie mit der Entstehung der DDR abgefunden, die ihm den Zugriff auf ein Drittel des Landes entzog. Deshalb wird bis zum heutigen Tage eine wütende und rachsüchtige Hexenjagd gegen alles entfacht, was an die DDR und den Sieg der Roten Armee erinnert. Einer der Mörder, Heinz Barth, Mitglied der Waffen-SS-Division „Das Reich“, verantwortlich für das Massaker in Oradour-sur-Glane, in der DDR zu lebenslänglicher Haft verurteilt, hat sofort nach der kapitalistischen Wende seine Freiheit erhalten und als ehemaliges Mitglied der Waffen-SS um eine Rente im wiedervereinigten Deutschland geklagt.

Grass gegen Wiedervereinigung

Mit dem Zusammenbruch des Honecker-Regimes und dem Fall der Berliner Mauer 1989 geriet die DDR in den Strudel einer sich entwickelnden politischen Revolution. Die Internationale Kommunistische Liga unternahm die größte Mobilisierung in der Geschichte unserer Tendenz für eine trotzkistische Intervention in dieser außergewöhnlich offenen Situation. Unser politischer Einfluss zeigte sich, als am 3. Januar 1990 im Treptower Park in Ostberlin 250 000 Menschen an einer Einheitsfrontdemonstration teilnahmen, die wir Spartakisten initiiert hatten, als Protest gegen die faschistische Schändung des Ehrenmals für die Rotarmisten, die gefallen waren, als sie Berlin von den Nazis befreiten. Wir forderten: „Arbeiter- und Soldatenräte an die Macht“ durch sozialistische Revolution in Westdeutschland und proletarisch-politische Revolution in der DDR. Wir warnten vor der SPD, als dem „Trojanischen Pferd“ der kapitalistischen Konterrevolution.

Das Gespenst des organisierten proletarischen Widerstands gegen die kapitalistische Wiedervereinigung, das sich in Treptow zeigte, alarmierte die westdeutschen Imperialisten und deren sozialdemokratische Handlanger, die ihre Kampagne, die DDR in die Wiedervereinigung zu jagen, auf Hochtouren brachten. Die Stalinisten im Kreml und in der DDR kapitulierten vor den Imperialisten und beteiligten sich aktiv am Gewaltmarsch in die kapitalistische Wiedervereinigung. Und das war der Zeitpunkt, als der damalige DDR-Ministerpräsident Hans Modrow von der SED-PDS die These von der Kollektivschuld der Deutschen schluckte. Die imperialistische Presse jubilierte damals, weil sie verstand, dass Modrow nun den wesentlichen Unterschied zwischen der entnazifizierten DDR und der maßgeblich von Nazis und den US-Imperialisten aufgebauten BRD leugnete. In unserer damals fast täglich erscheinenden Arbeiterpressekorrespondenz vom 20. Februar 1990 erklärten wir:

„Die Deutsche Demokratische Republik entstand nicht aus dem Nichts, sie wurde durch die Zerschlagung von Hitlers Reich durch die Rote Armee aufgebaut, was 20 Millionen sowjetischen Bürgern das Leben kostete. Ihre Kader kamen zu einem großen Teil aus den Konzentrationslagern...

Die Bundesrepublik Deutschland erklärt sich offiziell zum Nachfolgestaat von Hitlers Drittem Reich und unterstreicht damit die Kontinuität des deutschen Imperialismus. Die westdeutschen Geheimdienste sind einfach durch die geschlossene Übernahme der antisowjetischen Spionage von Hitler (der Organisation Gehlen) aufgebaut worden...

Die DDR ist ein Arbeiterstaat, wenn auch von Anfang an bürokratisch deformiert, der von den Opfern des Naziterrors gegründet wurde.“

Als die Mauer fiel, trat Günter Grass gegen eine Wiedervereinigung ein. Er bevorzugte eine Konföderation zwischen der BRD und einer unabhängigen DDR. In seinen „Reden eines vaterlandslosen Gesellen“ aus Ein Schnäppchen namens DDR vom Februar 1990 heißt es: „Die grauenhafte und mit nichts zu vergleichende Erfahrung Auschwitz, die wir und die Völker Europas mit uns gemacht haben, schließt einen deutschen Einheitsstaat aus. Sollte er trotzdem mit nunmehr wirtschaftlicher Macht durchgesetzt werden, wird uns abermals nachbarschaftliches Misstrauen umgeben und ausgrenzen“, und weiter heißt es in einer anderen „Letzten Rede vorm Glockengeläut“:

„Uns altbekannte Konzerne okkupieren den Buch- und Zeitungsmarkt. Schon sind die Landvermesser der ehemaligen Großgrundbesitzer in Vorpommern und Mecklenburg umtriebig. Die neuen Kolonialherren ziehen ein und finden in Gestalt von Betriebsdirektoren, vormals der SED hörig, beflissene Zuarbeiter. Dagegen steht einzig der Katalog versprochener Wohltaten. Doch wem nützen im Verhältnis 1:1 ausgezahlte Gehälter, wenn eine Vielzahl noch funktionsfähiger DDR-Unternehmen nach kurzer Zeit zahlungsunfähig sein wird? Zunehmender Erwerbstätigkeit im Westen folgt, wie beim Ball mit der Delle, Arbeitslosigkeit im Osten. Nur dort könnte Zuwachs zu verzeichnen sein, wo unsere und unserer Nachbarn Ängste ihren Ursprung haben: im deutschen Rechtsradikalismus, zumal nicht auszuschließen ist, daß auch das Goldene Kalb, die harte D-Mark Schaden nehmen wird.“ („Einige Ausblicke vom Platz der Angeschmierten“, Mai 1990)

Grass’ Gegnerschaft zu einer deutschen Wiedervereinigung macht ihn jedoch nicht zu einem Gegner des Kapitalismus oder gar zu einem Freund der DDR. Er begrüßte die klerikale und antisemitische polnische Solidarność, deren Konterrevolution den polnischen Arbeiterstaat Ende der 80er-/Anfang der 90er-Jahre zerstörte. Sein Verhältnis zur DDR war gekennzeichnet von Antikommunismus, den er sich während des ersten Kalten Kriegs in den 50er-Jahren aneignete. Eine Gleichsetzung der Naziherrschaft mit dem Regime in der DDR war nicht nur ein Steckenpferd rechter Konservativer wie Nolte; nein, auch einem Liberalen wie Grass war sie nicht fremd. Als die DDR die offene Grenze zu Westberlin abriegelte – eine bürokratische Maßnahme der Stalinisten, die wir verteidigten, da sie dem Schutz des Arbeiterstaates vor imperialistischer Durchdringung und wirtschaftlicher Ausblutung diente –, wandte sich Grass in einem Brandbrief an Anna Seghers, eine jüdische Kommunistin, die den Verfolgungen der Nazis nur knapp entrann und in der DDR zur Vorsitzenden des Schriftstellerverbands wurde:

„Die Angst Ihres Georg Heisler hat sich mir unverkäuflich mitgeteilt; nur heißt der Kommandant des Konzentrationslagers heute nicht mehr Fahrenberg, er heißt Walter Ulbricht und steht ihrem Staat vor... Es darf nicht sein, daß Sie, die Sie bis heute vielen Menschen der Begriff aller Auflehnung gegen die Gewalt sind, dem Irrationalismus eines [Faschisten wie] Gottfried Benn verfallen und die Gewalttätigkeit einer Diktatur verkennen, die sich mit Ihrem Traum vom Sozialismus und Kommunismus, den ich nicht träume, aber wie jeden Traum respektiere, notdürftig und dennoch geschickt verkleidet hat.“

Jedoch scheiterte sein Appell („Wer schweigt, wird schuldig“, 14. August 1961) an die DDR-Schriftsteller kläglich. So antwortete Stefan Hermlin an Günter Grass: „Ich habe meiner Regierung am 13. August kein Danktelegramm geschickt und ich würde meine innere Verfassung auch nicht als eine solche âfreudige Zustimmung‘, wie manche sich auszudrücken belieben, definieren... Aber ich gebe den Maßnahmen der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik meine uneingeschränkte ernste Zustimmung ... den gefährlichsten Staat der Welt, die Bundesrepublik, auf ihrem aggressiven Weg zu bremsen“ (aus Hans Werner Richter, Die Mauer oder der 13. August, Rowohlt, 1961).

Sehr bald peitschte die kapitalistische Wiedervereinigung den Nazi-Terror hoch, der noch durch die Abschaffung des Asylrechts, initiiert von der SPD mit den Petersberger Beschlüssen, angefacht wurde. Konsequent trat Günter Grass 1993 aus Protest gegen die Asylvernichtungspolitik aus der SPD aus. Er hat einige anständige Aktionen gemacht wie zum Beispiel bei der Demonstration gegen den Brandanschlag von Mölln in der ersten Reihe mitzulaufen und eine Stiftung zur Unterstützung von Roma und Sinti ins Leben zu rufen. Zeitgleich mit dem Erwerb des Literaturnobelpreises hat ihn die „grauenhafte und mit nichts zu vergleichende Erfahrung Auschwitz“ dazu geführt, aus vollem Herz den Balkankriegseinsatz der damaligen SPD/Grünen-Regierung zu unterstützen. Wie wir in „Holocaust, ,Kollektivschuld‘ und deutscher Imperialismus“ (Spartacist, deutsche Ausgabe Nr. 20, Sommer 1998) schrieben: „Wenn sich deutsche Liberale die ,Kollektivschuld‘ zu eigen machen, drückt dies überhaupt keine Opposition gegen den wiederaufsteigenden deutschen Chauvinismus aus, sondern dient als Feigenblatt dafür, aggressiv für eine imperialistische Militärintervention zu trommeln, die auf dem Balkan und in anderen Ländern ,den Völkermord stoppen‘ soll.“

Jahrzehntelang sehnte sich die deutsche Bourgeoisie danach, von den Fesseln der europäischen Nachkriegsordnung befreit zu sein. Die kapitalistische Wiedervereinigung ermöglichte dies. Die Schröder-Fischer-Regierung trug maßgeblich zu einer „Normalisierung“ genannten Sichtweise auf das imperialistische Deutschland bei. Endlich konnte die deutsche Bourgeoisie versuchen, nicht nur ökonomisch eine Weltmachtrolle zu spielen, sondern auch zu beginnen, militärisch wieder mitzumischen. Das Erstarken des deutschen Imperialismus spiegelte sich auch in den gesellschaftlichen Debatten über Nazi-Vergangenheit und den Zweiten Weltkrieg wieder. Tabuthemen von gestern wie die amerikanischen und britischen Kriegsverbrechen in Deutschland oder die massenhaften Vertreibungen Deutscher aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten wurden auf einmal diskutiert. Noch vor wenigen Jahren wurde die gerechte Empörung über den Bombenterror gegen die deutsche Zivilbevölkerung erdrosselt, indem er als „gerechte Strafe für deutsche Schuld“ dargestellt wurde. Heute entdecken bürgerliche Feuilletonisten die „deutschen Opfer“. Doch ohne die Gründe für die imperialistischen Terrorbombardierungen zu benennen, nämlich die deutsche Zivilbevölkerung einzuschüchtern aus Furcht vor einer Arbeiterrevolution in Deutschland als Folge der Niederlage im Zweiten Weltkrieg, läuft die Entgegenstellung der „deutschen Opfer“ zu den „deutschen Tätern“ auf ein Anwachsen des deutschen Nationalismus hinaus.

Im Krebsgang und Vertriebenenfrage

Günter Grass’ Im Krebsgang mischte sich in diese Debatte ein. Richtig ist die Feststellung im Buch, dass durch das jahrzehntelange Schweigen der Linken in Westdeutschland zu den Vertreibungen dieses Thema den erzrevanchistischen Vertriebenenverbänden und den Nazis überlassen wurde, die die Grenzen von 1937 fordern. Doch Grass’ Unfähigkeit, die Gesellschaft in Klassen getrennt zu verstehen, führt ihn dazu, die vollkommene Impotenz des deutschen Nachkriegsliberalismus in einer Novelle zusammenzufassen. Im Krebsgang bedient das populäre antikommunistische Vorurteil, dass das Anwachsen der Nazis in Ostdeutschland ein Ergebnis einer „kommunistischen Diktatur“ im Osten sei, und schlingert hin und her zwischen kollektivschuldigem Moralismus, ob es denn nicht falsch sei, über an Deutschen geschehenes Unrecht zu reden, und dem nationalistischen Drang, endlich einen Schlussstrich unter die Geschichte zu ziehen und wieder eine „normale“ Nation zu sein.

Wir stehen in der Tradition der Vierten Internationale, deren europäische Sektionen 1945 in ihrem machtvollen Appell „Internationale Solidarität mit dem deutschen Proletariat!“ ein sozialistisches Programm für die europäische Arbeiterbewegung verteidigten. Ihr Appell sprach sich unter anderem gegen die Vertreibung von Millionen arbeitender Menschen aus ihren Heimatgebieten aus und warnte: „Gerade die Behandlung des deutschen Volkes nach dem Grundsatz der Kollektivschuld gibt den verkappten Faschisten neue Möglichkeiten, in trüben nationalistischen Gewässern zu fischen. Das umso mehr, als sich logischerweise der Schuldanteil der wirklich schuldigen Nazis vermindert und sie Aussicht haben, der gerechten Strafe zu entgehen, wenn das gesamte deutsche Volk schuldig ist.“ An die deutschen Arbeiter gerichtet, sagt der Appell: „Seid Euch dessen bewusst, dass nur Ihr als einheitliches und geschlossenes Proletariat den Faschismus ganz ausrotten könnt. Erkennt, dass ,Antifaschismus‘ an sich nichts besagt. Faschismus und Imperialismus können nur durch den Sturz des Kapitalismus und durch den Sieg des internationalen Sozialismus beseitigt werden. Es lebe die deutsche proletarische Revolution! Es lebe die Union der sozialistischen Nationen!

Grass’ manchmal ambivalentes Verhalten hat zu widersprüchlichen Reaktionen innerhalb und außerhalb des sozialdemokratischen Lagers geführt. Allein damit, dass er allgemein bekannte Wahrheiten über die brutale Kahlschlagpolitik von Treuhand und Co. aussprach, hat er im Osten Deutschlands viele Anhänger gewonnen, und sein Wenderoman Ein weites Feld (1995) hat den Protest westlicher SPD-Prominenter hervorgerufen, denen die Treuhandchefin zu martialisch dargestellt war. Bald hat Günter Grass wieder Wahlkampf für die SPD gemacht. Und wenn er noch gestern den Kahlschlag einer CDU-Regierung anprangerte, so unterstützte er voller Inbrunst den Sozialkahlschlag der Regierung seines Duzfreundes Schröder in Form der Hartz-Gesetze. Bei aller harschen und gerechten Kritik an Übeltaten und Verbrechen verschiedener deutscher Nachkriegsregierungen war Grass unfähig, das wesentliche Übel der Gesellschaft zu benennen und zu verurteilen – den Kapitalismus. Wie Trotzki einmal bemerkte, ist die Beschwörung der „Demokratie“ das sozialdemokratische Alibi für die Unterstützung der Diktatur der Bourgeoisie, im Gegensatz zum Kampf für die Arbeiterdemokratie, die in der revolutionären Staatsmacht des Proletariats verwirklicht wird.