Spartakist Nr. 163

Sommer 2006

 

WASG Berlin/SAV appellieren an bürgerliches Gericht

Prinzipienlose Manöver im sozialdemokratischen Sumpf

Berliner Wahlen

Am 31. Mai hat das Berliner Landgericht die bürokratische Absetzung des Berliner WASG-Landesvorstands durch den WASG-Bundesvorstand aufgehoben. Lafontaine & Co. wollten verhindern, dass die Kandidatur der WASG Berlin bei den kommenden Abgeordnetenwahlen die angepeilte Fusion der WASG mit der in Berlin mitregierenden Linkspartei.PDS stört. Gegen diese Entscheidung der WASG-Führung hatte SAV-Mitglied und Berliner WASG-Spitzenkandidatin Lucy Redler geklagt, und sie bezeichnete die Gerichtsentscheidung als einen „Erfolg für die WASG und die Menschen in Berlin, die sich gegen die unsoziale Politik des rotÃroten Senats wehren“. Zugleich sei die Gerichtsentscheidung eine Niederlage für jene, „die versucht haben, politische Positionen durch Sanktionen auszuhebeln“, sagte sie der AFP (Yahoo! Nachrichten, 31. Mai).

Solches Lob für ein bürgerliches Gericht zeigt nur, dass Redler und der SAV, die immer wieder ihr rührendes Vertrauen in den bürgerlichen Staat demonstrieren, jeglicher Klasseninstinkt fehlt und die Unterordnung unter den bürgerlichen Staat ein fester Bestandteil ihres sozialdemokratischen Programms ist. Die bürgerlichen Gerichte und die Polizei sind Instrumente des kapitalistischen Staates zur Aufrechterhaltung der bürgerlichen Klassenherrschaft durch Verfolgung und Abschiebungen von Immigranten, Angriffe auf linke und Arbeiter-Demonstrationen, Unterdrückung von Streiks und Klassenkampf im Allgemeinen. So hat das Berliner Landgericht vor allen einen unerwarteten „Erfolg“ für sich selbst und den kapitalistischen Staat zu verbuchen: die erfolgreiche Einmischung in die Arbeiterbewegung, denn letztlich entschied der Staat, und nicht die Mitglieder, über Redlers Kandidatur.

Grundsätzlich ist die WASG, wie auch SPD und PDS, eine Organisation, die geprägt ist durch den Widerspruch zwischen der proletarischen Basis und einer Führung mit bürgerlichem Programm: in Lenins Worten eine bürgerliche Arbeiterpartei. Die Klage der SAV/WASG Berlin gegen die WASG-Bundesleitung hat dem kapitalistischen Staat die Legitimation für diesen unerhörten Eingriff in eine linke Organisation geliefert und damit der Linken und Arbeiterbewegung viel schwereren Schaden zugefügt, als wenn die Berliner WASG nicht an den Wahlen hätte teilnehmen können. Dabei ist der SAV der prinzipienlose Charakter ihres Gerichtsverfahrens durchaus bewusst. So kann man auf der Homepage der SAV über deren schottische Schwesterorganisation, ebenfalls Teil des Komitees für eine Arbeiterinternationale (KAI), lesen, dass „der kapitalistischen Presse und den bürgerlichen Gerichten nicht das Recht eingeräumt werden darf, Einblick in interne Diskussionen der sozialistischen und der Arbeiterbewegung zu bekommen“ (sozialismus.info, 11. Juni).

Jeder klassenbewusste Gewerkschafter weiß, dass er bei jedem Streik von den Gerichten der Bosse bedroht wird. Ein deutsches Gericht hatte im April 2003 Streiks der Lokomotivführer für illegal erklärt. In den USA hat die verhängnisvolle Wirkung von Interventionen des kapitalistischen Staates in die Gewerkschaftsbewegung die Organisationen der Teamsters und der Bergarbeitergewerkschaft entscheidend geschwächt. Trotzki erklärte im Übergangsprogramm der Vierten Internationale zu den Aufgaben der Trotzkisten: „Sie kämpfen unversöhnlich gegen jeden Versuch, die Gewerkschaften dem bürgerlichen Staat unterzuordnen und das Proletariat durch die ,Zwangsschlichtung‘ oder alle möglichen anderen Formen polizeilicher – nicht bloß faschistischer, sondern auch âdemokratischer‘ – Bevormundung zu knebeln.“ Der autokratische Bismarck hatte der Sozialdemokratie stets einen Polizeioffizier in die Versammlungen gesetzt, um die Anerkennung der Autorität des kapitalistischen Staates zu erzwingen. Die SAV/WASG machen das bürgerliche Gericht zum Schiedsrichter ihrer internen Auseinandersetzungen und liefern damit dem bürgerlichen Staat eine viel bessere Gewähr für ihre politische Unbedenklichkeit, als es der bismarcksche Gendarm konnte, den auch die SPD nie hätte akzeptieren dürfen.

Zu Recht greift Redler die feige Stimmenthaltung der PDS im Berliner Abgeordnetenhaus im Falle der drohenden Abschiebung der kurdischen Familie Aydin an. Die PDS-Abgeordneten opferten die kurdische Familie der Administration des kapitalistischen Staates (von den Abschiebungen des SPD/PDS-Senats ganz zu schweigen). Doch die SAV/WASG bedienen sich der gleichen bürgerlichen Gerichtsbarkeit, um für ihre Kandidatur das Etikett „WASG“ vom WASG-Vorstand zu erzwingen. Die einen wie die anderen arbeiten für oder mit dem bürgerlichen Staat und sind ein Hindernis, wenn es darum geht, durch eine unabhängige Mobilisierung der Arbeiterklasse volle Staatsbürgerrechte für Immigranten zu erkämpfen und elementare Rechte der Arbeiter zu verteidigen. Daher ist der Anspruch der WASG/SAV, eine unabhängige Kandidatur gegen den bürgerlichen SPD/PDS-Senat darzustellen, ein Schwindel, und für klassenbewusste Arbeiter gibt es bei der kommenden Abgeordnetenhauswahl nichts zu wählen.

Die Familie Aydin und Zehntausende von Immigranten und Flüchtlingen sind die Opfer der Abschaffung des Asylrechts auch durch Lafontaines SPD 1992. Während Revolutionäre für die Spaltung der fortgeschrittenen Arbeiter von der sozialdemokratischen Führung kämpfen, ist die SAV für die Einheit mit den sozialdemokratischen Verrätern und Irreführern in der Führung der WASG: „Leider gibt es viele Anzeichen dafür, dass eine Schicht von kritischen Mitgliedern sich enttäuscht zurückzieht… Ich rufe alle Mitglieder auf, in der WASG zu bleiben“ (Solidarität, Juni 2006). Die SAV liefert nur die Sonntagsreden für den zweiten Aufguss der Sozialdemokratie in Gestalt von Linkspartei/WASG.

Bei der Konferenz der linken WASG-Opposition am 20. Mai in Kassel, in die wir Spartakisten intervenierten, versuchte die SAV sich der Unterstützung anderer Linker in der WASG zu versichern. Hier verteilte die Gruppe Arbeitermacht (GAM), ebenfalls stolzes Mitglied der WASG, ihr Flugblatt „Für eine organisierte linke Opposition!“ Unfreiwillig traf die GAM zur Frage der Kandidatur der WASG Berlin gegen die Linkspartei.PDS den Nagel auf den Kopf:

„Ein achtbares Ergebnis bei den Wahlen, vor allem aber eine reale Gewinnung von und engere Verbindung mit den von der Senatspolitik Betroffenen (Arbeitslose, MigrantInnen, Beschäftigte im Öffentlichen Dienst, SchülerInnen und Studierende...) würde die innerparteiliche Opposition in der WASG stärken, den Druck von links auf die WASG und die L.PDS erhöhen (und auch oppositionelle Kräfte in der PDS stärken).“

Damit bestätigt die GAM selbst, dass es bei dieser Kandidatur nicht um Klassenunabhängigkeit geht, sondern nur darum, den Druck auf die PDS und damit indirekt den regierenden SPD/PDS-Senat zu erhöhen.

In ihrem Flugblatt kritisiert die GAM auch die Stellung der WASG zur bürgerlichen Regierung:

„Die Formel, dass die WASG nur eine Beteiligung an Regierungen, die Sozialabbau betreiben und gegen [sic!] Neo-Liberalismus eintreten, ablehnt, ist … zweideutig und falsch, weil dies die Übernahme der Verantwortung für das bürgerliche System durchaus einschließt (und damit noch immer ein Hintertürchen zur Regierungsbeteiligung offen lässt).“

In der Debatte über die Abschlusserklärung erhielt die GAM die geforderte Klarstellung, indem das kritisierte „Hintertürchen“ als Programm für die Übernahme der kapitalistischen Regierung bestätigt wurde: „Resolution der Teilnehmer der Kasseler Konferenz der linken WASG-Opposition vom 20. Mai 2006 (beschlossen, ohne Gegenstimmen): … Regierungsübernahmen kommen für uns nur in Frage, wenn wir für einen grundsätzlichen Politikwechsel über Mehrheiten verfügen und keine Kompromisse mit unseren substanziellen Inhalten eingehen müssen“ (sozialismus.info). Wir sind gespannt, mit welchen „Hintertürchen“ die GAM ihre prinzipienlose Unterstützung dieser Politik rechtfertigen wird.

Dagegen trat der Spartakist-Redner auf der Kasseler Konferenz auf: Er erinnerte an den Aufruf der SAV zur Berliner Wahl 2001 „Deshalb empfehlen wir bei der Zweitstimme die Wahl der PDS“ und erklärte, dass man nach der Konterrevolution 1990 und der Rolle der PDS beim Ausverkauf der DDR, wo Christa Luft die Treuhand gründete, Betriebe und Kindergärten massenweise dicht gemacht wurden, wahrlich keine Kristallkugel benötigte, um den Sozialabbau vorherzusehen, den die PDS in den bürgerlichen Regierungen von Berlin und Meck-Pomm dann umsetzte. Der Wahlaufruf der SAV für die PDS war genauso ein opportunistisches Manöver wie jetzt die SAV-Unterstützung für den Aufbau der reformistischen Wahlpartei WASG. Die WASG wurde von einigen IG-Metall-Bürokraten wie Klaus Ernst ins Leben gerufen, als Arschabdeckung für ihre Politik des Ausverkaufs der Tarifverträge und um Streiks gegen die Agenda 2010 der bürgerlichen Regierung Schröder zu verhindern. Reformismus heißt, seit Bernstein schon, Arzt am Krankenbett des Kapitalismus zu sein, und das geht nicht, ohne den Arbeitern das Blut auszusaugen, denn davon lebt das kapitalistische Profitsystem. Daher hat jede sozialdemokratisch geführte Regierung immer die erkämpften Rechte der Arbeiter angegriffen. Diese reformistische Politik ist verantwortlich für den größten Verrat in der Geschichte der Arbeiterbewegung: 1914 und 1933. Der bürgerliche Staat kann nicht reformiert werden, er muss, wie Marx erklärte, zerschlagen werden. Das genaue Gegenteil davon ist Lucy Redlers Anrufung des Gerichts des bürgerlichen Staats, dies kann nur der Arbeiterklasse schaden. Wir kämpfen für den Bruch vom Reformismus, für eine revolutionäre Partei!