Spartakist Nummer 157 |
Winter 2004/2005 |
Verteidigt Errungenschaften der '49er Revolution und weitet sie aus!
China: Tiananmen 1989 und Arbeiterkämpfe heute
Für proletarisch-politische Revolution!
Im Folgenden veröffentlichen wir den leicht redigierten Vortrag, den Keith Markin auf einer Diskussionsveranstaltung der Spartacist League/U.S. am 9. Oktober in Oakland, Kalifornien, hielt. Der erste Teil des Vortrags erschien in Spartakist Nr. 157 (Winter 2004/2005) und der zweite Teil in Nr. 158 (Frühjahr 2005). Übersetzt wurde der Artikel aus Workers Vanguard Nr. 836 und 837 (12. und 26. November 2004).
Eine der weltweit, insbesondere in China, am heißesten diskutierten Fragen ist die, ob China kapitalistisch oder sozialistisch ist. Die Bedeutung des Tiananmen-Aufstandes im Frühjahr 1989 ist ein weiteres Diskussionsthema in China. Was wird dort geschehen? Eines ist sicher: Die Situation dort ist nicht sehr stabil. Es gibt ein Buch mit dem passenden Titel One China, Many Paths [Ein China, viele Wege] mit Beiträgen von Intellektuellen aus China, das sich mit diesen Fragen befasst. Ich werde mich auf Artikel in diesem Buch beziehen.
Chinas Wirtschaft wächst weiterhin. Es hat sich zum weltweit wichtigsten Stahlproduzenten entwickelt. Gleichzeitig gibt es eine wachsende Kluft sozialer Ungleichheit, die nur noch von wenigen Ländern übertroffen wird. Während es einige Leute gibt, die ein 30 000-Dollar-Auto bar bezahlen können, lebt eine viel größere Anzahl in tiefster Armut, besonders auf dem Lande und im Westen Chinas. Die Wohlhabenden, die an der Ost- und Südküste wohnen, haben Zugang zu den modernsten Annehmlichkeiten.
Die Lüge vom Aufbau des Sozialismus unter chinesischen Vorzeichen führte dazu, dass zwischen 1995 und 2002 in China 15 Millionen Industriearbeitsplätze in Staatsbetrieben verloren gingen. Prostitution schnellt in die Höhe und auf dem Lande werden immer mehr weibliche Kinder getötet. Über 100 Millionen Menschen leben von weniger als 106 Dollar im Jahr. Die Vereinigten Staaten bewirtschaften ungefähr 40 Prozent mehr landwirtschaftliche Anbaufläche als China, doch in China gibt es 100mal mehr landwirtschaftliche Arbeitskräfte als in den USA. Und die USA haben mehr als sechsmal so viele Traktoren wie China. Diese schrecklichen Bedingungen haben mindestens 130 Millionen Chinesen vom Lande dazu gezwungen, zu Wanderarbeitern zu werden, die an der Ost- und Südküste nach Arbeit suchen.
Die Arbeiter haben nicht mehr ihre eiserne Reisschüssel, die den Arbeitern in den Staatsbetrieben einen Arbeitsplatz und Sozialleistungen garantierte. Ein Journalist, der den Nordosten Chinas bereiste, wo Millionen von Arbeitern entlassen worden sind, erklärte, dass früher ein durchschnittlicher Arbeiter einfach aufgrund eines Empfehlungsschreibens, damals so etwas wie eine gültige Kreditkarte oder eine privilegierte Stellung eine hervorragende Krankenhausbehandlung bekommen konnte. Er sagt: Dies ist für junge Leute [in China], die ihre Geschichte nicht kennen, so etwas wie eine Legende.
Nachdem das stalinistische Regime 1989 den Tiananmen-Aufstand niedergeschlagen hatte, wartete es ein paar Jahre, bevor es eine aggressivere Marktpolitik einleitete, wie zum Beispiel die Vermehrung der Freihandelszonen, wo ein Teil der stalinistischen Bürokratie als Arbeitskräftelieferant für die Imperialisten und die Offshore-Bourgeoisie fungiert. Doch das Proletariat und die Bauern waren alles andere als ruhig. Laut Polizeiberichten gab es von 1993 bis 1999 eine Zunahme der Proteste von ungefähr 8500 pro Jahr auf 32 000. Nach inoffiziellen chinesischen Berichten ist die Zahl der öffentlichen Proteste vermutlich in den letzten drei Jahren ständig angestiegen.
Im Frühjahr 2002 protestierten Tausende von Arbeitern der nordöstlichen Provinzen gegen die massenhaften Entlassungen und das Ausbleiben der ausstehenden Lohn- und Rentenzahlungen. Dieses Gebiet war einmal das industrielle Kernland Chinas; es ist zur Rostschüssel geworden. Bei den Protesten wurden auf Bannern Losungen verkündet wie Die Armee der Industriearbeiter will leben! und Es ist ein Verbrechen, Renten zu unterschlagen!
Das Gespenst des Tiananmen-Aufstandes wirft einen langen Schatten. Dies hat das herrschende Regime Hu Jintao/Wen Jiabao dazu veranlasst, sich eines populistischeren Stils zu befleißigen als sein Vorgänger, das technokratische Jiang-Zemin-Regime. Seitdem verspricht die Zentralregierung, im Nordosten zu investieren, um die Arbeiter zu beschwichtigen. Wohin die Ereignisse in China führen, ist nicht von vorneherein ausgemacht. Es wird durch sozialen Kampf entschieden.
Peter Taaffe, Führer der Socialist Party [in Deutschland Sozialistische Alternative Voran (SAV)], einer linken Gruppierung hauptsächlich in Britannien, bemerkte zum 16. Kongress der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) vor zwei Jahren: China befindet sich auf dem Weg zur vollständigen Restauration des Kapitalismus, doch die herrschende Clique versucht das allmählich zu erreichen und unter Aufrechterhaltung ihrer repressiven autoritären Herrschaft (Socialist, 22. November 2002). Maoisten und Neo-Maoisten außerhalb Chinas die Revolutionary Communist Party (RCP) [in Deutschland Revolutionäre Kommunisten (RK)] ist ein gutes Beispiel dafür glauben, China sei kapitalistisch und das schon seit einiger Zeit.
Neo-Maoisten innerhalb der Bürokratie wollen die Bürokratie durch eine andere Politik reformieren. Sie sind gegen die marktsozialistische Wirtschaft, glauben allerdings, China sei noch sozialistisch. Die chinesische Neue Linke ist heterogen. Die meisten unterstützen die Marktwirtschaft, stehen aber den Auswirkungen des Marktes kritisch gegenüber: Korruption, die Kluft zwischen Arm und Reich und so weiter. Sie sehen sich als einen Teil der Antiglobalisierungsbewegung. Wang Hui, ein prominenter Wortführer der chinesischen Neuen Linken, sagt, nach Tiananmen habe sich China voll und ganz den Diktaten des Kapitals und dem Treiben des Marktes angepasst. Wir Trotzkisten widersprechen all diesen Charakterisierungen Chinas und den von der chinesischen Neuen Linken gezogenen Schlussfolgerungen aufs Schärfste.
Ich möchte heute drei Punkte klarstellen: Erstens, in marxistischen Begriffen ist China ein bürokratisch deformierter Arbeiterstaat, denn das Kernstück der Wirtschaft beruht auf kollektiviertem Eigentum. Auf dieser Grundlage kämpft die Internationale Kommunistische Liga für die bedingungslose militärische Verteidigung Chinas gegen Imperialismus und Konterrevolution im Inneren. Zweitens, es gibt eine privilegierte Bürokratenkaste, die politisch über den Arbeiterstaat herrscht. Durch ihre Politik des Marktsozialismus bahnt die Bürokratie entweder einer kapitalistischen Restauration oder einem neuen revolutionären Ausbruch den Weg. Was während des Tiananmen-Aufstandes geschah, zeigt, ebenso wie der gegenwärtige Klassenkampf in China, die Widersprüche des deformierten Arbeiterstaates und den Doppelcharakter der Bürokratie. Und drittens, die historische Aufgabe des chinesischen Proletariats ist der Aufbau einer revolutionären Partei nicht ihres stalinistischen oder maoistischen Zerrbildes. Eine revolutionäre Partei ist notwendig, um die Arbeiter, Bauern und Unterdrückten zur Verteidigung der Errungenschaften der Revolution von 1949 durch eine proletarisch-politische Revolution, die eine Arbeiterdemokratie errichtet, zu führen. Die entscheidende politische Aufgabe einer solchen Partei ist es, das chinesische Proletariat vom nationalistischen Dogma des Sozialismus in einem Lande zu brechen und es für eine internationalistische, proletarische Perspektive zu gewinnen. Denjenigen, für die der Marxismus neu ist, werde ich nun erklären, was das alles bedeutet.
Was ist Marxismus?
Die Internationale Kommunistische Liga (Vierte Internationalisten) ist eine proletarische, revolutionäre und internationalistische Tendenz. Unsere Grundlage ist die Politik von Marx, Engels, Lenin und Trotzki. Die Debatten in China bleiben im Rahmen einer falschen Gleichsetzung von Maoismus mit Marxismus.
Um zu verstehen, wovon ich spreche und wodurch wir uns von den anderen politischen Tendenzen unterscheiden, will ich einige Kernpunkte zum Marxismus erklären. Zunächst einmal ist der Marxismus eine Wissenschaft. Das Merriam-Webster-Lexikon definiert Physik als eine Wissenschaft, die von der Materie und der Energie und ihren Wechselwirkungen handelt. Marxismus ist die Wissenschaft von der Veränderung der Welt durch internationale proletarische Revolution. Sie handelt von den wechselseitigen Beziehungen der Klassenkräfte im Klassenkampf und von dem politischen Bewusstsein des internationalen Proletariats. Der Ausgangspunkt für einen Marxisten ist das Verständnis, dass die Interessen der Kapitalisten mit denen des Proletariats unvereinbar sind.
Schon bin ich zu schnell. Ihr fragt: Was ist eine Klasse? Ich möchte Leo Trotzki zitieren. Er führte zusammen mit Lenin die Russische Revolution, die die proletarische Revolution aus der Sphäre der Theorie herausriss und ihr Leben einhauchte. In Der Klassencharakter des Sowjetstaats erklärt Trotzki, was genau eine Klasse ist und weshalb die chinesische Bürokratie keine Klasse ist (er bezog sich dabei auf die ehemalige Sowjetunion):
Der Begriff Klasse ist für Marxisten außerordentlich wichtig und zudem wissenschaftlich genau definiert. Eine Klasse ist nicht nur durch ihren Anteil an der Verteilung des Volkseinkommens, sondern auch durch ihre selbständige Rolle in der Wirtschaftsstruktur und ihre unabhängigen Wurzeln in der ökonomischen Basis der Gesellschaft bestimmt. Jede Klasse (der Feudaladel, die Bauern, das Kleinbürgertum, die kapitalistische Bourgeoisie, das Proletariat) bildet ihre besonderen Eigentumsformen heraus. Der Bürokratie fehlen alle diese sozialen Kennzeichen. Sie hat keine unabhängige Position im Produktions- und Verteilungsprozess inne. Sie hat keine besondere Wurzel in den Eigentumsverhältnissen. Ihre Funktionen beziehen sich im Grunde auf die politische Technik der Klassenherrschaft. Die Existenz einer Bürokratie ist, bei allen Unterschieden der Form und des spezifischen Gewichts, für jede Klassenherrschaft charakteristisch. Ihre Macht ist eine nur abgeleitete. Die Bürokratie ist untrennbar mit einer wirtschaftlich herrschenden Klasse verbunden; sie lebt von deren sozialen Wurzeln, steht und fällt mit ihr.
Ein anderer wichtiger marxistischer Begriff ist der Staat. Ein Staat besteht aus bewaffneten Menschen und Institutionen, die bestimmte Arten von Eigentum verteidigen. Ein kapitalistischer Staat verteidigt das Privateigentum an Fabriken, Rohstoffen und Banken (Produktionsmittel genannt). Die kapitalistische Produktion richtet sich danach, was für den Privatkapitalisten am profitabelsten ist. Ein Arbeiterstaat verteidigt kollektiviertes Eigentum an den Produktionsmitteln. Die Produktion richtet sich danach, was von der Gesellschaft wirklich gebraucht wird. Eine andere Bezeichnung für einen Arbeiterstaat ist die Diktatur des Proletariats.
Durch die internationale proletarische Revolution wird das System des Privateigentums an den Produktionsmitteln ersetzt durch ein System des Kollektiveigentums an den Produktionsmitteln. Eine sozialistische Revolution muss einen Arbeiterstaat errichten, um das kollektivierte Eigentum sowohl gegen die einheimischen Kapitalisten als auch gegen den Imperialismus zu verteidigen. Sie ist ein Schritt hin zur internationalen Revolution. Um die soziale Herrschaft der Arbeiterklasse zu beseitigen, ist eine soziale Konterrevolution nötig, die einen kapitalistischen Staat wiederherstellt, die Klassendiktatur der Bourgeoisie.
Die kapitalistische Produktion spielte in der Geschichte der Menschheit eine sehr wichtige Rolle. Sie führte zur Entwicklung der modernen Wissenschaften und der modernen Technik. Die Menschheit hat die Mittel, die Welt zu ernähren, aber die Kapitalisten und ihr System der Produktion, das imperialistische Kriege hervorbringt, sind Hindernisse, die man loswerden muss. Marxisten suchen das Problem des Mangels an Nahrung, Kleidung und Wohnung in der Welt durch eine internationale proletarische Revolution zu lösen. Der Sozialismus ist ein klassenloses, egalitäres, internationales Wirtschaftssystem, das auf materiellem Überfluss basiert. Unter einem sozialistischen System kann das Problem des Mangels in der Welt gelöst werden.
Sowohl die Chinesische Revolution von 1949 als auch die Russische Revolution errichteten kollektiviertes Eigentum an den Produktionsmitteln und einen Arbeiterstaat, der diese Art des Eigentums verteidigen sollte. Die kollektivierte Wirtschaft in der Sowjetunion und in China legte den Grundstein für einen sprunghaften sozialen Fortschritt, insbesondere für Frauen. In China wurde die barbarische Praxis des Fußbindens, ein Symbol für den erbärmlichen Status der Frauen, verboten. Doch es gab einen qualitativen Unterschied zwischen beiden Revolutionen. Die Russische Revolution vom Oktober 1917 wurde von einem klassenbewussten Proletariat unter der Führung von Lenins und Trotzkis bolschewistischer Partei durchgeführt, das die Unterstützung der armen Bauern gewann und das in der Eroberung der Staatsmacht den ersten Schritt zur sozialistischen Weltrevolution sah. Die Chinesische Revolution war das Ergebnis eines bäuerlichen Guerillakrieges unter der Führung von Mao. Das Proletariat kämpfte in China nicht selbst um die Macht.
Die Revolution von 1949 war von Anfang an deformiert unter der Herrschaft von Maos Regime der Kommunistischen Partei Chinas. Mao war ein chinesischer Stalin; Vorbild für das politische Regime des chinesischen Arbeiterstaats war das Regime von Stalin, der die privilegierte Bürokratie in der Sowjetunion repräsentierte, die dem Proletariat 1923/24 die politische Macht entrissen hatte.
Die Bürokratie bezieht alle ihre Privilegien daraus, dass sie wie ein Parasit über der kollektivierten Wirtschaft thront. Darauf beruht der widersprüchliche Charakter des von uns so bezeichneten bürokratisch deformierten Arbeiterstaats. China, Kuba, Vietnam und Nordkorea sind alles deformierte Arbeiterstaaten. In der Sowjetunion gab es Arbeiterdemokratie, bevor die stalinistische Bürokratie 1923/24 die politische Macht usurpierte; daher charakterisierten wir die Sowjetunion als einen degenerierten und nicht als einen deformierten Arbeiterstaat. Die bolschewistische Partei gewann nämlich bei den Wahlen zu den Arbeiter- und Soldatenräten 1917 eine Mehrheit. Es hat nie eine Arbeiterdemokratie in China, Kuba, Nordkorea oder Vietnam gegeben.
Die Bürokratie herrscht im Namen der Arbeiterklasse, denn alle ihre Privilegien stammen von dem Kollektiveigentum der Arbeiterklasse. Sie verteidigt den Arbeiterstaat, insoweit sie damit ihre privilegierte Stellung an der Spitze des Arbeiterstaats sichern kann. So verteidigt sie den Arbeiterstaat mit ihren eigenen Methoden.
Die Bürokratie ist gegen die Perspektive einer Arbeiterrevolution im internationalen Maßstab. Die stalinistischen Bürokraten haben sich das nationalistische Dogma zu Eigen gemacht, dass der Sozialismus eine internationale, klassenlose, egalitäre Gesellschaft auf der Grundlage von materiellem Überfluss in einem einzigen Land aufgebaut werden könne. Das bedeutet, dass die Bürokratie in der Hoffnung auf Erhaltung des Status quo lieber dem Weltimperialismus entgegenkommt, damit sie weiterhin von dem Arbeiterstaat leben kann. Um die politische Herrschaft der Bürokratie zu ersetzen und die politische Form eines Arbeiterstaats in eine Arbeiterdemokratie zu verändern, ist eine proletarisch-politische Revolution notwendig, nicht eine soziale Revolution. Die wirtschaftlichen Grundlagen des Staates bleiben die gleichen.
Ein weiterer bedeutender Unterschied zwischen der Russischen und der Chinesischen Revolution ist der, dass die russische Bourgeoisie als Klasse zerstört wurde; bei der chinesischen Bourgeoisie war das nicht der Fall. Die Offshore-Bourgeoisie in Taiwan und Hongkong ist zusammen mit den Imperialisten die Hauptkraft für eine Konterrevolution in China, und die stalinistische Bürokratie stärkt diese Kräfte.
In unserem Artikel China: Schlagt imperialistischen Drang zur Konterrevolution zurück! (Spartakist Nr. 153 und 154, Winter 2003/2004 und Frühjahr 2004), der jetzt auf Chinesisch erschienen ist, erklären wir, weshalb China ein bürokratisch deformierter Arbeiterstaat ist. Es sind die kollektivierten Kernbereiche der Wirtschaft, die weiterhin dominieren, wenn auch nicht auf eine stabile und systematische Art und Weise. Der private Sektor (einschließlich des in ausländischem Besitz befindlichen Eigentums) besteht größtenteils aus Fabriken, die Leichterzeugnisse mit arbeitsintensiven Methoden produzieren. Schwerindustrie, Hightech-Bereiche und moderne Waffenproduktion sind überwiegend in Staatsbetrieben konzentriert. Gerade diese Unternehmen haben China in die Lage versetzt, ein Arsenal von Atomwaffen und Langstreckenraketen aufzubauen, um der Gefahr eines atomaren Erstschlags der amerikanischen Imperialisten begegnen zu können. Auch alle wichtigen Banken Chinas befinden sich in Staatsbesitz. Regierungskontrolle über das Finanzsystem ist entscheidend für die Aufrechterhaltung und Ausweitung der Produktion in der staatseigenen Industrie und für die Expansion des staatlichen Sektors insgesamt. Die Preisgabe des strikten staatlichen Außenhandelsmonopols durch die Beijing-Bürokratie erleichtert der Wall Street die Pläne zur Konterrevolution. Es sind genau diese kollektivistischen Kernbereiche von Chinas Wirtschaft, die die Kräfte des Weltimperialismus ausschalten und abwickeln wollen.
Die IKL kämpft für bedingungslose militärische Verteidigung aller deformierten Arbeiterstaaten gegen Imperialismus und innere kapitalistische Konterrevolution, weil diese Staaten kollektiviertes Eigentum zur Grundlage haben. Das bedeutet, wir machen für die Verteidigung nicht zur Bedingung, dass die stalinistische Bürokratie zuerst gestürzt werden muss, bevor wir China verteidigen. Warum ist das so wichtig hier in den USA und in anderen kapitalistischen Ländern der Welt? Wenn das Proletariat der USA, Japans und Deutschlands die historische Bedeutung der Errungenschaften der Chinesischen Revolution, z. B. der kollektivierten Wirtschaft, nicht versteht, dann wird es nie die Wichtigkeit einer Revolution gegen seine eigene Bourgeoisie verstehen. Wir sind für die revolutionäre Wiedervereinigung Taiwans mit China: Das bedeutet sozialistische Revolution in Taiwan, Enteignung der Bourgeoisie in Hongkong und proletarisch-politische Revolution auf dem Festland.
Tiananmen, eine beginnende proletarisch-politische Revolution
Zunächst die Vorgeschichte drei Schlüsselereignisse in China prägten den Tiananmen-Aufstand: die Kulturrevolution (196676), Chinas antisowjetische Allianz mit dem US-Imperialismus und die 1978 begonnenen Marktreformen.
Maos Kulturrevolution ist wichtig, weil sie das politische Bewusstsein der chinesischen Arbeiter, Bauern, Studenten und Intellektuellen in den 80er-Jahren stark prägte. Im Wesentlichen war sie ein Kampf zwischen zwei Flügeln der stalinistischen Bürokratie. Die Maoisten mussten den konservativen Flügel der Bürokratie (unter der Führung von Liu Shao-chi und Deng Xiao-ping) ausschalten, der China in seiner Erholungsphase nach den verheerenden Auswirkungen von Maos Großem Sprung nach Vorn, der in den späten 50er-Jahren stattfand, geführt hatte.
Millionen von Studenten wurden als Rote Garden mobilisiert, angeblich um gegen den Bürokratismus zu kämpfen und, so die RCP, gegen die Restauration des Kapitalismus. In der wirklichen Welt stellte sich das ganz anders dar. Als im Januar 1967 Arbeiter in Shanghai einen Generalstreik organisierten, um ihren Lebensstandard zu verteidigen, zeitgleich mit einem nationalen Eisenbahnerstreik, schickte Mao seine Roten Garden, und die zerschlugen die Streiks. Die Befehle, die die Roten Garden von Mao erhielten, könnte man als die Zwei Jede zusammenfassen: Unterstützt jede politische Entscheidung des Vorsitzenden Mao und befolgt jede Anordnung des Vorsitzenden Mao.
Es gibt ein Vorurteil, das aus der Klassengesellschaft stammt, wonach die Herrscher nur mit ihren Hirnen und die Sklaven nur mit ihren Händen arbeiten. Die Idee, dieses Klassenvorurteil der chinesischen Intelligenz dadurch zu beseitigen, dass man Studenten, Intellektuelle und Fachleute eine Zeit lang aufs Land hinausschickt, damit sie durch Arbeit mit den Bauern dazulernen, hat seine Vorzüge. Doch so, wie Maos Bürokratie das durchführte, wurde daraus eine brutale lang andauernde Bestrafung für viele von denen, die mit Mao nicht übereinstimmten, besonders für Intellektuelle und Fachleute.
Die Kulturrevolution polarisierte die chinesische Gesellschaft entlang falscher Trennungslinien, indem sie subjektiv revolutionäre jugendliche Studenten gegen Arbeiter, die ihren Lebensstandard verteidigten, ausspielte. In diesem Kampf innerhalb der stalinistischen Bürokratie gab es für Revolutionäre keine Seite zu beziehen. Mehr Menschen starben in der Kulturrevolution als bei der Niederschlagung von Tiananmen. Doch die RCP preist Maos Kulturrevolution.
Nach Maos Tod übernahm der Deng-Flügel der Bürokratie erneut die Kontrolle über die Regierung. Die 1978 begonnenen Marktreformen brachten eine neue Klasse von reichen Bauern auf dem Lande und von Kleinunternehmern hervor. Das hat, zusammen mit wachsender Arbeitslosigkeit in den Städten, den Grundstein für das riesige Wohlstandsgefälle gelegt, das im heutigen China existiert.
Studenten und die Intelligenz waren glühende Verfechter der Marktreformen. Deng verurteilte die Kulturrevolution, und dies löste Anfang der 80er-Jahre eine Zeit der Debatte innerhalb der Intelligenz aus. Zur vorherrschenden Einstellung chinesischer Intellektueller wurde das, was man Neue Aufklärung nennt und was in hohem Maße als Emanzipation von dem vermeintlich orthodoxen Marxismus angesehen wurde. Die Intellektuellen der Neuen Aufklärung, die auf die Studenten, die auf dem Tiananmen demonstrierten, starken Einfluss hatten, wussten sehr wenig von chinesischer Geschichte. Sie hatten einfach westliche Ideen in den Reformprozess importiert. Insbesondere hatten die Studenten und Intellektuellen eine Menge Illusionen, dass Marktwirtschaft notwendigerweise mit Demokratie einhergehen würde.
Für Marxisten ist Demokratie eine der politischen Formen eines Staates. Wie ich bereits sagte, wird der Klassencharakter eines Staates dadurch bestimmt, welche Art des Eigentums an den Produktionsmitteln von den Bullen und der Armee verteidigt wird. Wenn wir Marxisten von Demokratie sprechen, dann fragen wir: Für welche Klasse? Viele Studenten und Intellektuelle hatten Illusionen in die bürgerliche Demokratie der USA. Das war eine Folge von Chinas Allianz mit dem US-Imperialismus.
Wang Hui von der chinesischen Neuen Linken betont in Die Neue Kritik, dass China zwar schon immer am Außenhandel beteiligt war, aber Deng Xiaopings Politik der offenen Tür eine viel engere Verzahnung von China mit dem Weltmarkt erforderte. Wie ist das passiert? Ein entscheidender Schritt bei diesem Prozess war Chinas Überfall auf Vietnam 1978 [sic! 1979] der erste Aggressionskrieg der Volksbefreiungsarmee nach 1949.
Als China in Vietnam einmarschierte, stellte die Spartacist League/U.S. die Losung auf: China darf nicht Handlanger des US-Imperialismus sein! Doch weshalb marschierte China in Vietnam ein? Zunächst einmal geschah dies nur vier Jahre nachdem die vietnamesischen Arbeiter und Bauern den US-Imperialismus aus ihrem Land gejagt hatten. Dies war eine historische militärische Niederlage für den US-Imperialismus. Auch China hatte Freiwillige in Vietnam, die gegen den US-Imperialismus kämpften.
Während der Kulturrevolution wurde Maos China sehr feindselig gegenüber der Sowjetunion. Mao behauptete, dass die Sowjetunion, nicht der US-Imperialismus, die größte Bedrohung für die Welt sei. Das führte zum Besuch von Richard Nixon in Beijing 1972, wo er Mao genau zu dem Zeitpunkt die Hände reichte, als US-Kampfflugzeuge Vietnam bombardierten! Vietnam war ein enger Verbündeter der Sowjetunion. China marschierte nicht nur 1979 in Vietnam ein (übrigens eine klare Niederlage gegen die kampferprobten vietnamesischen Truppen), sondern unterstützte auch die von der CIA unterstützten Mudschaheddin in Afghanistan.
Mao und Deng hatten eines gemeinsam: Großmachtbestrebungen, die von dem nationalistischen und antimarxistischen Dogma ausgingen, dass der Sozialismus in einem einzigen Lande aufgebaut werden könne. Zu Chinas krimineller antisowjetischer Allianz mit den USA kam es, weil die USA ihre Politik gegenüber China änderten, nicht andersherum. Sozialismus in einem Lande bedingt Entgegenkommen gegenüber dem Imperialismus. Chinas Allianz mit dem US-Imperialismus trug zum Untergang des sowjetischen degenerierten Arbeiterstaates bei. Tatsache ist, dass ohne den Schutzschild sowjetischer Atomwaffen die Chinesische Revolution höchstwahrscheinlich mit atomarer Vernichtung durch den US-Imperialismus hätte rechnen müssen.
Der zunehmende Wohlstand infolge der Marktreformen betraf nur einen sehr kleinen Teil der chinesischen Bevölkerung. Galoppierende Inflation verschärfte diese wirtschaftliche Ungleichheit, und Korruption nahm überhand. In der Neuen Aufklärung entstanden über diese Frage Meinungsverschiedenheiten. Die Regierung unter Zhao Ziyang führte Antikorruptionskampagnen durch, doch die Studenten wollten eine wirksamere Kampagne.
Innerhalb Chinas ging es 1972 mit Illusionen in amerikanische Demokratie und in die Gutartigkeit des US-Imperialismus los. Mitte Februar 1989 zog Gorbatschow die Rote Armee aus Afghanistan ab. Die Tiananmen-Proteste begannen ungefähr zwei Monate später.
Die Besetzung des Tiananmen-Platzes begann mit einer Gedenkversammlung für den ehemaligen Generalsekretär der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) Hu Yaobang, der am 15. April gestorben war. Hu war sehr geachtet aus dem einfachen Grund, weil er einer der wenigen führenden Funktionäre war, dem nicht der Makel der Korruption anhing. Gruppen von Jugendlichen trugen ihre Forderungen in die Viertel der Arbeiterklasse, um deutlich zu machen, dass sie nicht gegen die Regierung oder die Partei seien.
Bis zum 4. Mai waren dann 300 000 Menschen auf dem Tiananmen-Platz zusammengeströmt. Es war der 70. Jahrestag der Bewegung vom 4. Mai 1919, die mit antiimperialistischen Studentendemonstrationen begonnen hatte und zwei Jahre später zur Gründung der Kommunistischen Partei Chinas führte. Bei der Demonstration am 4. Mai 1989 sangen Studenten und Arbeiter gemeinsam die revolutionäre Arbeiterhymne, die Internationale. Nach dem Protest vom 4. Mai beschlossen Studentenführer ohne jegliche soziale Macht und voller Angst vor einer Mobilisierung der Arbeiterklasse einen Hungerstreik zu beginnen, um der Regierung Zugeständnisse abzuringen.
Sympathie mit den Hungerstreikenden führte zu einer weiteren riesigen Demonstration am 17. Mai. An dieser Demonstration beteiligten sich massenhaft Fabrikarbeiter aus der Region rund um Beijing. Die Studenten, mit sehr wenig sozialer Macht, hatten die schwelende wirtschaftliche Unzufriedenheit des chinesischen Proletariats angefacht. Die Arbeiter wollten etwas unternehmen gegen die Angriffe auf ihre eiserne Reisschüssel, die frühere Garantie auf einen Arbeitsplatz und Sozialleistungen, und gegen die steigende Inflation. Sie begannen, sich unabhängig von der Bürokratie zu organisieren, zum Beispiel in der Beijinger Unabhängigen Arbeiterföderation. Die Arbeiterföderation verlangte eine Lohnerhöhung, Stabilisierung der Preise und trat gegen Korruption innerhalb der KPCh auf. Sie forderte Offenlegung der persönlichen Einkünfte und Besitztümer von Spitzenparteifunktionären. Die soziale Macht der Arbeiterklasse verlieh den Protesten ihren potenziell revolutionären Charakter.
Li Peng, Vollstreckungsbeamter für Deng Xiaoping und dessen Regime, versuchte bei den Hauptstadt-Eisen-und-Stahlwerken Arbeiter abzuschrecken und einzuschüchtern, die mit den Studentenprotesten sympathisierten. Die Drohung eines Generalstreiks brachte Li und Deng dazu, am 20. Mai das Kriegsrecht zu verhängen. Die 38. Armee bekam den Befehl, den so genannten konterrevolutionären Aufstand niederzuschlagen. Doch diese Truppen waren in Beijing stationiert und weigerten sich, gegen die Menge vorzugehen.
Die neu entstehenden chinesischen Arbeiterorganisationen begannen, Widerstand gegen die Ausrufung des Kriegsrechts zu organisieren. Sie bildeten Arbeiterstreikposten-Trupps und Gruppen von Todesmutigen, um demonstrierende Studenten gegen Repression zu schützen. Studenten und Arbeiter verbrüderten sich mit den Soldaten. Auf den Straßen Beijings drängten sich gewöhnliche Leute, die über Politik diskutierten und darüber redeten, wie sie sich den Weg vorwärts vorstellten. Die Polizei verschwand von den Straßen.
Nachdem sich die Autorität der Regierung in Beijing verflüchtigt hatte, begannen Arbeitergruppen, die Verantwortung für die öffentliche Sicherheit zu ergreifen, und übernahmen dringende Versorgungsaufgaben wie den Transport von Lebensmitteln und anderen lebenswichtigen Gütern. Eine Gruppe von Generälen der Volksbefreiungsarmee schickte ein Protestschreiben an Deng Xiaoping. Die Armee war politisch gespalten. Nicht horizontal, wie in einer sozialen Revolution, wo sich die Mannschaften von den Offizieren abspalten, sondern von oben nach unten. So sieht eine beginnende politisch-proletarische Revolution aus. Zwei Wochen lang wurde das befohlene Kriegsrecht nicht durchgesetzt.
Am 3. Juni gelang es Deng, die 27. Armee mobil zu machen, um das Kriegsrecht durchzusetzen. Das Blutvergießen begann. Berichten zufolge war bei Ankunft der Truppen am Tiananmen-Platz in den frühen Morgenstunden des 4. Juni ihr erstes Ziel der Stützpunkt der Arbeiter am Westende. Ein Studentenführer sah, wie Panzer die Zelte der Beijinger Unabhängigen Arbeiterföderation platt walzten und dabei 20 Menschen töteten. Den meisten Studenten wurde erlaubt, den Tiananmen-Platz unbehelligt von Strafmaßnahmen zu verlassen im Gegensatz zu dem Krieg, der gegen die arbeitende Bevölkerung der Stadt geführt wurde.
Warum diese brutale Repression beim ersten Anzeichen von Arbeiterprotest? Die stalinistische Bürokratie ist eine parasitäre Kaste, die sich auf eine kollektivierte Wirtschaft stützt. Die Bürokraten besitzen die Produktionsmittel nicht. Ihnen stehen nicht die unzähligen Fäden sozialer Kontrolle einer herrschenden Kapitalistenklasse zur Verfügung, wie etwa das Recht, Eigentum an ihre Kinder zu vererben. Ihre Macht kommt von ihrem Monopol der politischen Kontrolle über den Regierungsapparat. Da sie den Anspruch erheben, im Namen der Arbeiter zu regieren, können sie keinerlei unabhängige Arbeiterorganisation tolerieren. Jede wirkliche Arbeiterbewegung stellt notwendigerweise die Legitimität der stalinistischen Bürokratie in Frage. Dies ist der Widerspruch eines jeden deformierten Arbeiterstaats.
Es ist unmöglich, genau zu sagen, wie viele Menschen dem Massaker zum Opfer fielen, aber wahrscheinlich wurden mehrere Tausend getötet oder verwundet. Doch der Terror der Armee konnte die Rebellion nicht niederschlagen. Tatsächlich bewirkte er zunächst einen allgemeinen Anstieg des proletarischen Widerstandes, Trupps von Todesmutigen schossen in ganz China aus dem Boden. Die Proteste weiteten sich auf über 80 Städte aus, und das war nur die offizielle Angabe. Doch ohne eine kohärente Führung wurde der Aufstand schließlich durch staatliche Repression zerschlagen. Eine bekannte linke Gruppe in den Vereinigten Staaten, Workers World, verteidigte tatsächlich das Massaker und wärmte Deng Xiaopings Lüge auf, die Demonstranten seien konterrevolutionär und für bürgerliche Demokratie gewesen. Dies war zufällig auch international die Linie der Bourgeoisie. In dieser Periode hatte Workers Vanguard [Zeitung der Spartacist League/U.S.] folgende Schlagzeilen: Am 26. Mai: Aufruhr in China: Stürzt die Bürokraten Für den Kommunismus Lenins! Arbeiter- und Soldatenräte müssen herrschen! (WV Nr. 478). Am 9. Juni: Massaker in Beijing China vor dem Bürgerkrieg. Für die Einheit Chinas unter Führung der Arbeiter! (WV Nr. 479). Am 23. Juni: Verteidigt die chinesischen Arbeiter! Stoppt die Hinrichtungen! (WV Nr. 480).
Die Lehren vom Tiananmen
Wang Hui vertritt in seinem Artikel Die soziale Bewegung von 1989 und die historischen Wurzeln von Chinas Neoliberalismus die Ansicht: Die unmittelbare Ursache für das Scheitern der Bewegung war ihre gewaltsame Unterdrückung durch den Staat. Die indirekte Ursache jedoch war ihre eigene Unfähigkeit, die Kluft zwischen ihrer Forderung nach politischer Demokratie und der Forderung nach sozialer Gleichheit, welche ihre mobilisierende Kraft gewesen war, zu überbrücken. Dies ist sehr scharfsinnig. Welches politische Programm könnte diese Kluft überbrücken?
Während der Kulturrevolution war die Gesellschaft polarisiert zwischen Studenten und Arbeitern. Auf dem Tiananmen-Platz demonstrierten Studenten und Arbeiter, nicht ohne Meinungsverschiedenheiten, gemeinsam gegen die Bürokratie. Nur eine leninistische und trotzkistische Partei im Kampf für eine proletarisch-politische Revolution hätte die Kluft zwischen den Forderungen nach politischer Demokratie und sozialer Gleichheit überbrücken können. Doch die Arbeitergruppen gingen nicht darüber hinaus, Demokratie als Freiheit von bürokratischer Gängelung zu fordern. Eine revolutionäre Partei war nötig, um das politische Bewusstsein der Arbeiter mit den Lehren vergangener Kämpfe zu erfüllen.
Die beiden Wochen, in denen die Armee sich weigerte, das Kriegsrecht durchzusetzen, waren eine entscheidende Phase. Da gab es ein politisches Vakuum. Selbst eine ganz kleine chinesische bolschewistische Organisation hätte 1989 ausschlaggebend sein können, besonders in diesen zwei Wochen. Die Situation einer Doppelherrschaft, die sich entwickelte, als die Werktätigen die Herrschaft über die Städte in ihre eigenen Hände zu nehmen begannen, musste in einen Kampf um die politische Macht überführt werden. Dies hätte bedeutet, dafür zu kämpfen, die informellen Arbeiterversammlungen in Arbeiterräte umzuwandeln, die allen außer offen konterrevolutionären Tendenzen offen stehen würden.
Lenin beschrieb Sowjets (Arbeiterräte) als die unmittelbare Organisation der werktätigen und ausgebeuteten Massen selbst, die es ihnen erleichtert, den Staat selbst einzurichten und in jeder nur möglichen Weise zu leiten. Bei der Ausbreitung dieses Organisationstyps auf ländliche Gemeinden würden Wanderarbeiter eine entscheidende Rolle spielen. Auf nationaler Ebene zusammengefasst, hätten diese Organisationen die Basis für ein revolutionäres Regime der Arbeiterdemokratie bilden können, den Stalinisten entgegengesetzt und mit der Verpflichtung, einen Kampf auf Leben und Tod gegen kapitalistische Restauration zu führen.
Weil es an klarer Führung fehlte, war es offen reaktionären Kräften bei einigen Gelegenheiten möglich, sich Gehör zu verschaffen, einschließlich einiger, die Guomindang-freundliche Losungen riefen. Sozialistische Bestrebungen waren oft vermischt mit großen Illusionen in die Vereinigten Staaten und die bürgerliche Demokratie beispielhaft verkörpert durch die Statue der Göttin der Demokratie. Doch von Beginn an waren die Forderungen der Demonstranten, vor allem nach mehr demokratischen Rechten und einem Ende der Korruption, ihrem Charakter nach egalitär und innerhalb des Rahmens eines Arbeiterstaats. Arbeiter marschierten auf den Tiananmen-Platz mit Bildern von Mao Zedong und Zhou Enlai, nicht von Chiang Kai-shek.
Um Arbeiter, Soldaten und Studenten zu gewinnen, hätte sich eine bolschewistische Partei ohne Umschweife gegen den Nationalismus des Sozialismus in einem Lande aussprechen und die Tatsache klarstellen müssen, dass Mao und Deng nur zwei Seiten derselben antisowjetischen bürokratischen Medaille waren. Es wäre wichtig gewesen, einen Appell an die Arbeiter der Welt zu richten für die bedingungslose militärische Verteidigung des sowjetischen degenerierten Arbeiterstaats und der deformierten Arbeiterstaaten in Osteuropa, China, Nordkorea, Vietnam und Kuba. Eine politische Revolution in China wäre ein Zündfunke für die Arbeiter der ganzen Welt gewesen, von Japan und Südkorea bis Westeuropa und die USA, doch insbesondere in der Sowjetunion.
In einem von Revolutionary Worker 1999 veröffentlichten Interview (sie haben es kürzlich im Juni [2004] nachgedruckt) erklärt Li Minqi, der 1989 als Student auf dem Tiananmen-Platz demonstrierte, welche Lehren er aus dem Aufstand zog und wie er für das gewonnen wurde, was er als Marxismus ansieht (eine Art Neo-Maoismus): Anfangs teilte ich die unter den chinesischen Studenten vorherrschende bürgerliche Ideologie. Die Studentenbewegung hatte nicht die Erwartung, zu einer demokratischen Massenbewegung zu werden. Doch am 17. Mai, als die Arbeiter tatsächlich auf die Straße gingen, begann ich zu begreifen, dass dies etwas völlig anderes war, als ich erwartet hatte. Ich sagte mir: Dies gleicht mehr und mehr einer revolutionären Situation.
Li erklärt seine politische Entwicklung folgendermaßen:
In der Bewegung hatte ich bereits das Gefühl, dass etwas nicht stimmte. Die Führung der Studenten wagte es nicht, die Arbeiter zu mobilisieren, wagte es nicht, Schritte zu unternehmen, um eine politische Machtübernahme zu organisieren, und das hatte das Scheitern der Bewegung zur Folge. So begann ich meine bisherigen Überzeugungen und bisher für selbstverständlich gehaltene Dinge zu überdenken westliche Ideologie und Demokratie westlicher Art. Ich dachte mir, dass möglicherweise ein paar alternative Ideen notwendig waren. Und die nahe liegendste alternative Idee ist der Marxismus.
Li wurde vom Deng-Regime verhaftet und verbrachte zwei Jahre im Gefängnis. Jetzt ist er ein Emigrant. Li sah keine Alternative zum Maoismus und zog daher einige falsche Schlussfolgerungen aus der Niederlage. Für den wachsenden Nationalismus in China macht er den neuen chinesischen Kapitalismus verantwortlich. Dies ist in zweierlei Hinsicht falsch: China ist nicht kapitalistisch, und Sozialismus in einem Lande ist die Grundlage für den heutigen chinesischen Nationalismus. In einer Diskussion, die in One China, Many Paths [Ein China, viele Wege] wiedergegeben wird, wird Li nach seinen Ansichten zu Chinas Krieg gegen Vietnam 1979 gefragt und antwortet, er habe dazu nichts zu sagen. Aber Lis Erfahrung zeigt, wie der Einfluss der Arbeiterklasse, die bei den Tiananmen-Ereignissen ihre soziale Macht zeigte, das politische Bewusstsein einiger Studenten verändert hat. Mit einer revolutionär-marxistischen Führung kann die Arbeiterklasse den Lauf der Geschichte verändern.
Das Gespenst vom Tiananmen, die Intelligenz und der Kampf der Arbeiterklasse heute
Ein paar Jahre nach der Zerschlagung des Aufstandes ging die Bürokratie mit ihrer Marktpolitik in die Offensive. Zwischen 1993 und 1999 vervierfachten sich die Proteste gegen die Marktreformen. Seit den späten 90er-Jahren waren Meinungsverschiedenheiten innerhalb der chinesischen Intelligenz offenbar, die den wiederauflebenden sozialen Kampf gegen die Marktreformen widerspiegeln: neoliberale Intellektuelle und Hardliner innerhalb der KPCh unterstützen im Wesentlichen die Unterdrückung vom Tiananmen. Sie argumentieren, wenn die Bewegung nicht gestoppt worden wäre, hätte sich China nicht zu einer wohlhabenderen Nation entwickelt. Die neoliberalen Intellektuellen nannten ihre Gegner die Neue Linke, um anzudeuten, dass es Marxisten seien, denn die Neue Linke widersetzte sich der Verschlechterung der Lebensumstände der Massen. Sie waren auch gegen die Unterdrückung des Tiananmen-Aufstandes.
Die Neoliberalen beklagen, dass es noch nicht genug Privatisierung gegeben habe und dass deshalb China noch immer sozialistisch sei. Die Neue Linke ist der Meinung, es gebe bereits genug Privatisierungen, um China kapitalistisch zu nennen. Wang Hui [ein Vertreter der Neuen Linken] erkennt jedoch, dass China sich von anderen kapitalistischen Staaten unterscheidet, da es der einzige Staat war, der sich erfolgreich durch die ostasiatische Finanz-/Wirtschaftskrise von 1997/98 navigierte. Wang schreibt dies dem Nationalstaat zu. Aber Thailand und Südkorea sind auch Nationalstaaten. Wang Hui hält Internationalismus und Marxismus für altmodisch.
Das kollektivierte Eigentum ist der Grund, warum China in der Lage war, sich erfolgreich durch diese Finanz-/Wirtschaftskrise zu manövrieren. Das fortbestehende Staatseigentum am Finanzsystem erlaubte es dem Beijinger Regime bis jetzt, den Fluss von Geldkapital aus und nach Festlandchina effektiv (wenn auch nicht vollständig) zu kontrollieren. Chinas Währung, der Yuan (auch Renminbi genannt) ist nicht frei konvertierbar. Er wird auf internationalen Währungsmärkten nicht (legal) gehandelt.
Sachkundige Wortführer des westlichen Imperialismus wissen, dass die Privatisierung und vor allem Internationalisierung des Finanzsystems ein unerlässlicher Schritt ist, um die Herrschaft des KPCh-Regimes über die Banken zu brechen. Jedoch hat die Bürokratie keine Kontrolle über die Tatsache, dass die kapitalistische Enklave Hongkong ein sich immer weiter öffnendes Einfallstor für illegale Währungstransaktionen in beide Richtungen ist. Die Enteignung von Hongkongs Finanziers und anderer Teile seiner Bourgeoisie ist lebensnotwendig, um Chinas Wirtschaft vor dem zerstörerischen Ansturm der imperialistischen Bankiers zu schützen.
Zu der Debatte über einen Zusatz zur chinesischen Verfassung, der private Eigentumsrechte unantastbar machen sollte, bemerkte Wang Hui mit Hinweis auf die brutalen Privatisierungen als Folge der Konterrevolution in der ehemaligen Sowjetunion: Ein Jahrzehnt später ist in China die Frage der Eigentumsrechte zur zentralen sozialen Frage geworden. Das Prinzip, dass Privateigentum gesetzlich geschützt werden sollte, ist unter den Intellektuellen nicht umstritten. Wang Hui sieht, dass das Privateigentum die Schlüsselfrage ist, doch er und die Neue Linke ziehen die falsche Schlussfolgerung. Ihre Differenz mit den Neoliberalen liegt darin, wie jemand zu dem Eigentum kommt. Die Neoliberalen akzeptieren stillschweigend illegale Enteignungen; die Neue Linke ist dagegen. Das heißt, sie sind für einen Kapitalismus mit menschlichem Gesicht. In seine eigenen Widersprüche verstrickt sich Wang in der Frage der Privatisierung des Landes. Ihm ist klar, dass bei einer Privatisierung des Landes gewöhnliche Bauern über Nacht ruiniert würden. Marxisten wissen, dass neben den armen Bauern selbst die einzige Klasse, deren Interesse gegen die Landprivatisierung gerichtet ist, das Proletariat ist.
Der Nationale Volkskongress verabschiedete im Frühjahr [2004] ein Gesetz, das erklärt: Das rechtmäßig erworbene Privateigentum der Bürger ist unantastbar. Es war nur eine Frage der Zeit, bis solch ein Gesetz beschlossen wurde. Letztes Jahr wurde Unternehmern die Parteimitgliedschaft gestattet. Tatsächlich bewirkte dieses Gesetz weder eine bedeutsame Veränderung in der sozialen Zusammensetzung der KPCh, die 66 Millionen Mitglieder hat, noch in ihrer maßgeblichen Ideologie. Einer offiziellen Untersuchung zufolge sind von Chinas zwei Millionen privater Firmeninhaber 600 000 Parteimitglieder und das schon seit einiger Zeit. Die überwiegende Mehrzahl davon waren langgediente Leitungskader der KPCh, die die von ihnen geleiteten kleinen Staatsunternehmen übernahmen, als diese im Laufe der letzten Jahre privatisiert wurden.
Staatliche Industriebetriebe können bis zu einem gewissen Grad vor wachsender Importkonkurrenz abgeschirmt werden, indem die Regierung über die Banken Zuschüsse gewährt. Doch für Chinas Kleinbauern gibt es keinerlei Möglichkeit, mit dem kapitalintensiven, wissenschaftlich betriebenen Agrobusiness der Vereinigten Staaten und anderer bedeutender Nahrungsmittel exportierender Länder zu konkurrieren. Die politische Leitlinie in der Agrarpolitik des Regimes ist nicht Schutz für die Vielzahl von Kleinbauern. Es ist vielmehr die Tendenz zu großflächigen, de facto in Privatbesitz befindlichen landwirtschaftlichen Anwesen.
Letztendlich ist der einzige Weg, den Mangel an Ackerland in China im Interesse der Arbeiter und armen Bauern zu beheben, die Ausweitung der Revolution auf einen industriell fortgeschrittenen kapitalistischen Staat wie Japan. Doch die Bürokratie steht dieser Perspektive im Weg. In der Zwischenzeit würde eine Regierung, die auf Arbeiter- und Bauernräten basiert, nicht nur das Anheuern von Arbeitskräften und die Hinzupachtung von Land durch reiche Farmer verbieten oder einschränken, sondern auch die Rekollektivierung der Landwirtschaft vorantreiben. Sie würde denjenigen Bauern, die sich Kollektiven anschließen, materielle Anreize in Aussicht stellen wie die besten Traktoren und Kunstdünger, und ihnen reduzierte Steuern und billige Kredite anbieten. Eine Zunahme der landwirtschaftlichen Produktivität würde einen enormen Zuwachs an Industriearbeitsplätzen in städtischen Regionen notwendig machen, um den gewaltigen Überschuss an Arbeitskräften zu absorbieren, die auf dem Lande nicht mehr benötigt werden. Zweifellos wäre dies ein langwieriger Prozess, insbesondere angesichts der begrenzten Größe und des relativ niedrigen Produktivitätsniveaus von Chinas industrieller Basis.
Die Verwirklichung dieser Perspektive hängt von der Hilfe ab, die China von einem sozialistischen Japan oder einem sozialistischen Amerika erhalten würde. Ihr seht, alle Wege führen zur Notwendigkeit von internationaler Revolution. Die schrecklichen Lebensbedingungen, unter denen chinesische Bauern leiden, waren ebenso wie ihre Überzeugung, das alles nur noch schlimmer wird, der Grund dafür, dass in China im Laufe des letzten Jahrzehnts viele ausgedehnte Bauernproteste und -aufstände stattfanden, die sich vor allem gegen die zunehmende Steuerlast und gegen Korruption richteten.
Von Anzeichen ernster Probleme für die stalinistische Bürokratie berichtete ein Artikel der Herald Tribune (3. Juni): Im Gegensatz zu Tiananmen 1989 gibt die Polizei immer häufiger zu, dass die meisten Demonstranten getrieben sind von berechtigtem Groll gegen habgierige Manager und korrupte örtliche Funktionäre und nicht einfach nur Handlanger antikommunistischer Verschwörer sind. In Anerkennung der Tatsache, dass die Proteste weit verbreitet sind und sich wachsender Sympathie unter der Bevölkerung erfreuen, ist die Polizei eifrig bemüht, sich neue Techniken der Protesteindämmung und -entschärfung anzueignen, anstatt Demonstrationen brutal zu zerschlagen.
Das Tempo der Bürokratie bei der Durchführung von Marktreformen ist begrenzt durch ihre Furcht vor dem Proletariat, vor allem vor dem Gespenst eines neuerlichen Tiananmen-Aufstandes. Fuxin im Nordosten des Landes, nordwestlich von Shenyang gelegen, hat bis Ende 2000 530 Millionen Tonnen Kohle produziert. Würde man Lastwagen mit jeweils 60 Tonnen Kohle beladen und sie Stoßstange an Stoßstange hintereinander aufstellen, würde das 4,3-mal um den Erdball herumreichen! Am 31. Januar 2003 verbrachte Wen Jiabao die chinesische Neujahrsnacht mit Bergarbeitern 720 Meter unter der Erde. Er tat das aus gutem Grund. Offiziellen Statistiken zufolge sind 200 000 der 400 000 Bergarbeiter des Bergbaubüros Fuxin entlassen worden. Ein Artikel bemerkt: In den Augen der Arbeiter gibt es eine unverbrüchliche Verbindung: Chinas Bodenschätze gehören dem Staat, und ,die Arbeiterklasse ist Herr im Staat und Herr der Industrie; warum können dann in der Realität die Arbeitsplätze der ,Herren einer nach dem anderen für eine schäbige ,Existenzvorsorge ausverkauft werden?
Dies trifft den Kern der Widersprüchlichkeiten des chinesischen Arbeiterstaats. Die folgenden Beispiele zeigen, dass ein Teil der Arbeiterklasse die Notwendigkeit sieht, das vergesellschaftete Eigentum zu verteidigen; sie verstehen, dass der Kapitalismus noch nicht wiederhergestellt ist, aber ihr politisches Bewusstsein hat echte Grenzen und Widersprüche.
In einem anderen interessanten Artikel mit dem Titel Industrial Restructuring and Workers Resistance in China [Industrielle Umstrukturierung und Arbeiterwiderstand in China] beschreibt Feng Chen (von der Hong Kong Baptist University), wie die Arbeiter in den staatseigenen Betrieben ganz andere Auffassungen von Eigentumsrechten haben als die Arbeiter in Privatunternehmen. Letztere streiken hauptsächlich für Löhne oder ihre Arbeitsbedingungen, während sich einige Arbeiter der staatseigenen Betriebe mit der Frage von Eigentumsformen und den damit zusammenhängenden Eigentumsverhältnissen für den Fall der Umstrukturierung (Privatisierung) ihrer Betriebe befassen. Feng sagt, dass es in einigen Fabriken eine offene Kampfansage gegen den Übergang zu kapitalistischen Eigentumsverhältnissen gegeben habe.
Eine Methode der Hintertreibung von Privatisierungen ist die Fabrikbesetzung. Als zum Beispiel die Arbeiter einer Plastikfabrik in Shanghai hörten, dass ihre Fabrik zu einer Fusion mit einer anderen gezwungen werden sollte (was Entlassungen bedeuten würde), blockierten sie alle Eingänge zur Fabrik und verweigerten dem Parteisekretär den Zugang. Die Arbeiter rechtfertigten die Fabrikbesetzung als Verteidigung öffentlichen Eigentums, auf das sie ein legitimes Anrecht hätten. Wären diese Proteste organisiert, könnten sie einen Flächenbrand von Kämpfen auslösen.
Feng sagt: Diese Aktionsform lässt sich zurückverfolgen auf die Tradition von Arbeiterkämpfen in den letzten Jahren der Chinesischen Revolution. Einige Arbeiter erklärten stolz, dass ihre Aktion zur Verteidigung der Fabrik denen ihrer Vorgänger am Vorabend der kommunistischen Machtübernahme im Jahre 1949 ähnelte, als pro-kommunistische Arbeiter ,Arbeiterwachmannschaften (gongren jiuchadui) bildeten, um Fabriken vor Sabotageakten durch die Guomindang zu schützen (Interview, Januar 2000).
In einigen Fällen brachten die Arbeiterproteste gegen Umstrukturierung die Kontroverse schließlich vor die Arbeiter- und Personalräte. Diese haben laut Gesetz die Aufgabe, die Betriebsleitung zu überwachen, sind aber in Wirklichkeit größtenteils machtlos, weil die Gewerkschaften auf die sich diese Räte stützen auf Betriebsebene keine Macht besitzen. Die Arbeiter stehen diesen Räten zwar allgemein ziemlich zynisch gegenüber, aber es gibt Fälle, wo sie zu einer entscheidenden Arena des Kampfes gegen Umstrukturierung wurden.
Bei der SL Company hielt der Betriebsrat ein unternehmensweites Referendum ab, und der Privatisierungsplan wurde von 80 Prozent der Belegschaft abgelehnt. Laut den dortigen Arbeitern war dies das erste Mal in der Betriebsgeschichte, dass sie über etwas abstimmten, was für ihre Interessen wichtig war.
Arbeiter der Zuckerfabrik von Changjiang erklärten im Juli 1999 in einem Petitionsschreiben an die Bezirksgewerkschaft: In welcher Weise die Eigentumsform umstrukturiert wird, sollte von den Arbeitern demokratisch entschieden werden. Die Bezirksregierung kann das nicht von sich aus entscheiden... Die Arbeiter sind Herr des Unternehmens und der Hauptträger (zhuti) der Reform. Umstrukturierung, ohne die Arbeiter- und Personalräte mit einzubeziehen, und Verkauf der Fabrik, ohne die Arbeiter zu informieren, sind schwerwiegende Verletzungen der demokratischen Rechte der Arbeiter. Wir fordern unsere demokratischen Rechte zurück.
Das ist ein machtvolles Beispiel, dass die Arbeiter nicht gewillt sind, die weiße Flagge zu hissen, wenn es um das kollektivierte Eigentum geht. Sie haben eine Antwort auf die Frage Demokratie für welche Klasse?: Demokratie für die Arbeiter, für ihren Kampf zur Verteidigung des kollektivierten Eigentums. Eine gravierende politische Beschränkung liegt jedoch darin, dass sie das kollektivierte Eigentum des Arbeiterstaats insgesamt verteidigen müssen, nicht nur das ihrer eigenen Fabrik. Sie müssen verstehen, dass sie Teil des internationalen Proletariats sind. Das unterstreicht die Notwendigkeit einer leninistischen Partei, die dieses Bewusstsein ins Proletariat hineinträgt.
Ein schwerwiegendes Missverständnis, mit dem ich mich befassen will, ist die Vorstellung, dass sich Maximierung der Produktivität und Egalitarismus in einem Arbeiterstaat widersprechen. Diese Ansicht besagt, dass nur der Markt dazu imstande sei, Manager und Arbeiter zu disziplinieren, um die Produktion zu maximieren, und dass Egalitarismus nur in einer Kommando-Planwirtschaft möglich sei. Der falsche politische Ausgangspunkt dieser beschränkten Sichtweise besteht darin, dass somit die einzig mögliche politische Form eines Arbeiterstaats das politische Monopol der stalinistischen Bürokratie ist.
Das einzige, was die Neo-Maoisten innerhalb der Bürokratie zu bieten haben, ist eine Kommando-Planwirtschaft. Diese hat ihre Grenzen darin, dass sich die Arbeiter, die technische Intelligenz und die Betriebsleiter nicht mit der Regierung identifizieren, die den Plan macht, was dazu führt, dass der Plan an seiner Basis ignoriert und untergraben wird. So haben stalinistische Regime naturgemäß die Neigung, zentralisierte Planung und Leitung durch Marktmechanismen zu ersetzen, um die Arbeiter und Betriebsleiter zu disziplinieren. Trotzki bemerkte in Verratene Revolution in einem Kommentar zur Kommando-Planwirtschaft unter Stalin: Die Sowjetproduktion scheint wie von einem grauen Stempel der Gleichgültigkeit gezeichnet. In einer nationalisierten Wirtschaft setzt Qualität Demokratie für Erzeuger und Verbraucher, Kritik- und Initiativfreiheit voraus, d. h. Bedingungen, die mit einem totalitären Regime von Angst, Lüge und Kriecherei unvereinbar sind. Arbeiterdemokratie ist entscheidend als Brücke zwischen Produktivitätsmaximierung und Egalitarismus innerhalb des Arbeiterstaats. Dafür ist eine revolutionäre proletarische Partei notwendig.
Arbeiter aller Länder, vereinigt euch!
Ich habe klargestellt, dass China ein bürokratisch deformierter Arbeiterstaat ist, weil das Herzstück der Wirtschaft aus kollektiviertem Eigentum besteht, und dass die stalinistische Bürokratie eine privilegierte Kaste mit widersprüchlichem Charakter ist, keine Klasse; sie kann nicht reformiert werden. Eine Wiedereinführung der eisernen Reisschüssel, während sich die Bürokratie immer noch an die politische Macht klammert, wird das Hauptproblem nicht lösen: Die Bürokratie ist dagegen, dass die Arbeiter für ihre eigenen, revolutionär-internationalistischen Interessen mobilisiert werden. Die Politik der Bürokratie, basierend auf dem Aufbau des Sozialismus in einem Lande, unterminiert die Verteidigung des Arbeiterstaats. Die Bürokratie muss von den Arbeitern beiseite geräumt werden.
Die von mir angeführten Beispiele zeigen deutlich, dass das Programm einer proletarisch-politischen Revolution auf der Grundlage bedingungsloser militärischer Verteidigung des chinesischen deformierten Arbeiterstaats und zur Errichtung einer echten Arbeiterdemokratie für chinesische Arbeiter kein Hirngespinst ist. Der Aufbau einer revolutionär-internationalistischen, leninistisch-trotzkistischen Partei ist notwendig, um dieses Programm in die Tat umzusetzen. Das ist die elementarste historische Aufgabe des chinesischen Proletariats. Für solch eine Partei ist eine politische Revolution zur Errichtung einer Arbeiterdemokratie und zur Einführung einer zentralisierten Planwirtschaft mit einem strikten Außenhandelsmonopol Teil des Programms der internationalen proletarischen Revolution. Arbeiter in den staatseigenen Betrieben müssen ihren Kampf mit dem der Arbeiter in den Privatunternehmen verbinden um diese Unternehmen zu enteignen , mit den Wanderarbeitern, mit den armen Bauern, den Frauen und den unterdrückten Minderheiten. Die Partei muss ein Tribun der gesamten Bevölkerung sein. Nationalismus ist falsches Bewusstsein.
Es ist entscheidend, zu verstehen, dass das japanische Proletariat ein Verbündeter für das chinesische Proletariat sein kann. Es gibt eine Geschichte des Widerstands des japanischen Proletariats gegen die Aggression des japanischen Imperialismus gegenüber China. 1927 verlangte die Kommunistische Partei Japans den bedingungslosen Abzug der japanischen Truppen aus der Mandschurei und das Streik- und Organisationsrecht für chinesische, koreanische und japanische Arbeiter. 2001 weigerten sich die Werftarbeiter von Sasebo, ein Schiff mit Waffen für US-Truppen in Afghanistan zu beladen. Die Arbeiter aller Länder können sich vereinigen. Die IKL kämpft für die Wiederschmiedung von Trotzkis Vierter Internationale, der Weltpartei der sozialistischen Revolution.
Die chinesische Neue Linke ist voller Widersprüche. Die meisten verteidigen im Prinzip die Unverletzlichkeit des Privateigentums, doch die Schattenseite des Marktes gefällt ihnen nicht. Insbesondere ist ihnen klar, dass durch eine Privatisierung des Landes die armen Bauern zugrunde gerichtet werden. Die chinesische Neue Linke will das Unmögliche: Kapitalismus mit menschlichem Gesicht. Nur das Proletariat, unterstützt von den armen Bauern, kann das verstaatlichte Land verteidigen. Außerdem würde China durch den Kapitalismus nicht modernisiert werden. Ein kapitalistisches China würde aussehen wie eine Mischung aus dem Kriegsherrentum der Zeit nach der ersten Chinesischen Revolution 1911 und dem heutigen nach-konterrevolutionären Russland.
Die Frage von Demokratie kann nicht losgelöst werden vom Klassencharakter des Staats. So verkündete zum Beispiel der pseudotrotzkistische Ableger des Vereinigten Sekretariats in Hongkong, Pioneer, in der Schlagzeile seiner Erklärung vom Neujahrstag 2004 zur Unterstützung der an diesem Tag stattfindenden Protestdemonstration: Für allgemeine Wahlen mit allgemeinem Wahlrecht und freien Nominierungen! Dieser Aufruf ist praktisch identisch mit der Forderung, die der Vertreter des US-Imperialismus in Hongkong im Monat zuvor aufgestellt hatte. Die vorrangigste Aufgabe in Hongkong ist die Enteignung der dortigen Bourgeoisie. Diese Aufrufe zur Demokratie ohne die Absicht einer Verteidigung des kollektivierten Eigentums auf dem Festland sind ein Deckmantel für eine gar nicht so demokratische Konterrevolution.
Für alle, die China kapitalistisch nennen, hier eine kurze Anekdote aus einem Roman von Ha Jin, Verrückt. Während der Tiananmen-Proteste rief ein Reaktionär den Arbeitern zu: Hört auf, Sklaven zu sein! Ein Schlosser antwortete: Wie kannst du es wagen, mich einen Sklaven zu nennen. Chinesische Arbeiter sind nicht bereit zu kapitulieren; sie sind keine Sklaven. Sie wollen kämpfen, um das kollektivierte Eigentum zu verteidigen. Sie können die Herren ihres Staats sein, doch sie brauchen eine Führung.
Zum Schluss möchte ich noch ein paar Punkte machen über die Intervention der IKL in die beginnende proletarisch-politische Revolution in Ostdeutschland 1989/90. Die Aufgaben des internationalen Proletariats sind gewaltig. Unsere Intervention hat gezeigt, dass ein revolutionäres Programm wenn ein kleiner Riss vorhanden ist in einer revolutionären Situation, wie zum Beispiel in den beiden Wochen, die es dauerte, um das Kriegsrecht während des Tiananmen-Aufstandes durchzusetzen, ungeheuren Einfluss haben kann. Arbeiter kamen zu uns und fragten, wie bilden wir Arbeiterräte? Es gab so viele ostdeutsche Arbeiter, die in Erwägung zogen, wofür die IKL kämpfte, dass sich die herrschende stalinistische Regierung gezwungen sah, nach der faschistischen Schändung des sowjetischen Ehrenmals in Treptow an einem Einheitsfrontprotest teilzunehmen, den wir gegen die Faschisten und zur Verteidigung des deformierten Arbeiterstaats initiiert hatten. Eine Viertelmillion Arbeiter beteiligten sich. Zum ersten Mal überhaupt standen Trotzkisten in einem deformierten Arbeiterstaat mit den Stalinisten auf einem Podium. Wir kämpften darum, die revolutionäre Führung zu werden. Von der Rednerbühne aus rief unsere Sprecherin auf: Arbeiter- und Soldatenräte an die Macht!
Dies war die beste Verteidigung gegen kapitalistische Konterrevolution. Zwei Programme konkurrierten miteinander: unseres, das Programm einer proletarisch-politischen Revolution, und das stalinistische Programm der Kapitulation und Konterrevolution. Die Treptower Mobilisierung jagte den Machthabern Angst ein, sowohl im Osten als auch im Westen, und unsere Kräfte waren zu gering. Wir haben verloren. Die Lehren dieses Kampfes und des Tiananmen-Aufstandes muss sich das internationale Proletariat zu Eigen machen. Die entscheidende Frage ist nicht, wie man China modernisieren kann, sondern wie man ein internationales Rätesystem errichtet, das das Problem des Mangels in der Welt lösen kann.