Spartakist Nummer 156

Herbst 2004

Arbeiter, Immigranten, Arbeitslose, Frauen:

Gemeinsamer Klassenkampf kann Hartz, Agenda 2010 stoppen!

Volle Staatsbürgerrechte für alle Immigranten!

Wütende Demonstrationen mit bedeutender PDS-Beteiligung prägten in den letzten Monaten die Straßen der ehemaligen DDR, und in kleinerem Ausmaß gab es auch Demonstrationen in Westdeutschland gegen die so genannten Hartz-Gesetze der kapitalistischen SPD/Grünen-Regierung. Die Demonstrationen begannen, seit die Auswirkungen dieser Gesetze breiten Schichten der Bevölkerung klar geworden sind — insbesondere in der seit der kapitalistischen Konterrevolution von Massenarbeitslosigkeit geplagten ehemaligen DDR. Die Breite der Angriffe und Vielschichtigkeit der Opfer spiegelt sich auch in der Teilnahme an den Demonstrationen wider. So finden sich auch rechte und obskure Organisationen wie die Familienpartei oder die Mittelstandspartei auf den Demos ein. Selbst Nazis versuchten wiederholt daran teilzunehmen, um ihr völkermörderisches Programm zu verbreiten.

Die große Mehrheit der Leute realisiert jetzt, dass ihnen im Grunde alles genommen werden soll, bevor sie überhaupt Anspruch auf ein jämmerliches Almosen haben. Selbst dieses ist gefährdet, wenn sie sich weigern sollten, einen der 1-Euro-Jobs anzunehmen. Dies ist eine nur wenig verschleierte Form von Zwangsarbeit; ein Frontalangriff auf die Gewerkschaften, auf Jugendliche, auf Frauen, die noch stärker als bisher über finanzielle Abhängigkeiten an die Familie gekettet werden, und auf Immigranten, denen noch weitere Isolierung vom Arbeitsmarkt und sogar Abschiebung droht. Nieder mit den Hartz-Gesetzen und Agenda 2010!

Um die Angriffe zurückzuschlagen, müssen die Massendemonstrationen mit dem Kampf der organisierten Arbeiterklasse verbunden werden — d. h. Streiks und andere Aktionen, die die SPD/Grünen-Regierung in die Knie zwingen. Die Arbeiterklasse hat die soziale Macht, dies zu erreichen, da sie allen Reichtum dieser Gesellschaft schafft und damit auch die Möglichkeit hat, den Kapitalisten wirklich weh zu tun, indem sie die Produktion zum Stillstand bringt. Die Arbeiterbewegung muss die Führung der Proteste übernehmen und eine klassenkämpferische Antwort auf die ständigen Angriffe geben. Ein Sieg der DaimlerChrysler-Arbeiter bei den Auseinandersetzungen um Arbeitszeit und Löhne im Juli hätte dem Appetit der Bosse und ihrer SPD/Grünen-Regierung einen mächtigen Dämpfer verpasst. Aber die Arbeiter wurden wie die ostdeutschen Metaller im Sommer 2003 von ihrer eigenen Führung ausverkauft. Die VW- und Opel-Arbeiter, die jetzt in der Schusslinie stehen, haben die Macht, die Angriffe durch harten Klassenkampf zurückzuschlagen und damit auch den Arbeitern anderer Branchen ein Beispiel zu geben, dass man nicht vor den Bossen kuschen muss. Die sozialdemokratische Gewerkschaftsbürokratie arbeitet aber Überstunden, um ihren Kumpels in den Regierungssesseln nicht weh zu tun und sie an der Macht zu halten als das vermeintlich kleinere Übel. Um den Versuch zu vereiteln, Arbeitslose und Gewerkschaften gegeneinander auszuspielen, muss ein Kampf für eine gleitende Lohnskala und eine gleitende Skala der Arbeitszeit geführt werden und die vorhandene Arbeit auf alle Hände verteilt werden. Für ein Programm öffentlicher Arbeiten zu Tariflöhnen! Für die Verteilung der Arbeit auf alle Hände ohne Einkommensverlust! Organisiert die Unorganisierten!

Notwendig ist, gegen die Angriffe in die Offensive zu gehen, indem die Macht der Gewerkschaften in den Betrieben mobilisiert wird und dadurch die Einheit von türkischen, kurdischen und anderen eingewanderten Arbeitern — die im Westen insbesondere von Hartz IV betroffen sind — zusammen mit den Arbeitslosen hergestellt wird. Stattdessen demobilisieren die Gewerkschaftsbürokraten. Aber den Gewerkschaften den Rücken zu kehren, wie es viele tun, weil sie über die Bürokraten verzweifeln, die alle Kämpfe ins Abseits führen, hilft nur den Bossen: Die Gewerkschaften stellen noch immer eine wichtige soziale Macht gegen unbeschränkte kapitalistische Ausbeutung dar. Notwendig ist der politische Kampf gegen die sozialdemokratischen Ausverkäufer! Für eine klassenkämpferische Gewerkschaftsführung!

DGB-Bonze Sommer ging sogar so weit, aktiv gegen die Montagsdemos zu mobilisieren: „Ich habe die große Sorge, dass der Unmut der Bevölkerung von politischen Rattenfängern missbraucht wird — wir wollen zunächst sehen, wer da politisch am Werk ist“ (Berliner Zeitung, 13. August). Dass sich Nazis unter Demonstranten mischen konnten und z. B. in Gera ihren rassistischen mörderischen Dreck verbreiten konnten, dient den Herrschenden, die die Arbeiterklasse entlang nationaler/ethnischer Linien spalten wollen. Tatsächlich sind es nicht die Proteste gegen die Hartz-Gesetze, die den Nazis Auftrieb geben, wie Schröder und Co. behaupten, sondern die kapitalistische Gesellschaft, die durch Massenarbeitslosigkeit breiten Schichten jede Zukunft raubt. Indem SPD und PDS diese kapitalistische Gesellschaft im Interesse der Kapitalisten verwalten und als alternativlos darstellen, sind sie es, die den Nazis den Weg bahnen. Nur eine internationale sozialistische Planwirtschaft kann Arbeit für alle garantieren und die Ursachen von imperialistischen Kriegen aus der Welt schaffen.

Die Nazis könnten leicht rausgeschmissen werden, wenn die Gewerkschaften sich konsequent gegen die Angriffe der SPD/Grünen-Regierung stellen würden. Integrierte Ordnergruppen von deutschen, türkischen und anderen eingewanderten Arbeitern könnten dem Nazi-Spuk auf den Demos und sonstwo ein schnelles Ende bereiten. Für Arbeiter/Immigrantenmobilisierungen, um die Nazis zu stoppen!

Volle Staatsbürgerrechte für alle Immigranten!

Die hohe Stimmenzahl der Nazis von DVU und NPD bei den Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen wird zu noch stärkerem Terror gegen Immigranten und Linke führen, da die Nazis sich im Aufwind sehen. Die Nazis wachsen aufgrund der staatlichen rassistischen Hetze gegen Immigranten, insbesondere mit muslimischem Hintergrund. Da werden Moscheen ohne irgendwelche Verdachtsmomente durchsucht, eine Islam-Konferenz in Berlin mit fadenscheiniger Begründung verboten, Leute abgeschoben und ihnen ihre Aufenthaltsrechte genommen auf Grund dessen, was sie angeblich denken; alles mit dem erklärten Ziel, einzuschüchtern und dem — sehr zweifelhaften —, „Ansehen Deutschlands“ nicht zu schaden.

Die staatliche Unterdrückung zielt aber letztlich gegen die Arbeiterbewegung insgesamt. Seit mehr als zehn Jahren ist die kurdische PKK zusammen mit zahlreichen anderen kurdischen Vereinen verboten und ist nach wie vor Ziel staatlicher Verfolgung hier. Zur gleichen Zeit werden linke Türken und Kurden in die Folterkeller der Türkei abgeschoben. SPD-Innenminister Schily schlägt jetzt sogar vor, dass Flüchtlinge in Lagern in Nordafrika interniert werden. Die Arbeiterbewegung muss mobilisiert werden zur Verteidigung aller gegen staatliche Verfolgung und rassistische Unterdrückung. Notwendig dafür ist der Bruch mit sozialdemokratischer Klassenkollaboration und der Aufbau einer revolutionären Arbeiterpartei, bestehend aus deutschen, türkischen, kurdischen und Arbeitern anderer ethnischer Minderheiten als Tribun aller Unterdrückten.

Doch die Demonstrationen sind weitgehend von Wut und Ausweglosigkeit geprägt und haben zum Teil einen bitteren, stark populistischen Beigeschmack, der auch die Nazis ermutigt. So wirbt das „Berliner Bündnis Montagsdemo“, in dem die reformistische MLPD zentral vertreten ist, mit der Hauptlosung: „Weg mit Hartz IV — das Volk sind wir!“, während sich das andere Berliner Bündnis gegen Hartz IV kaum weniger klassenübergreifend an die Bevölkerung wendet. Am 20. September, als der MLPD-Block mit „Wir sind das Volk!“ aufmarschierte, war es deutlich zu bemerken, dass bei den hinter ihnen laufenden Immigrantenorganisationen Schweigen herrschte. Nicht nur schließt dieser Slogan die türkischen und anderen immigrierten Arbeiter aus, die im Westen der größte Teil der von Hartz IV Betroffenen sind. Es ist auch eine Anleihe an die Demonstrationen im Herbst 1989, als Hunderttausende in der DDR gegen die stalinistische Bürokratie auf die Straße gingen und elementare Rechte einforderten. Ohne eine Perspektive auf die unabhängige Mobilisierung der Arbeiterklasse wurde jedoch aus der klassenübergreifenden Losung „Wir sind das Volk“ die nationalistische, offen konterrevolutionäre Parole „Wir sind ein Volk!“ Im Verlauf der Konterrevolution in der DDR führte dies zu Terror gegen Immigranten, Flüchtlinge und Linke und zu den rassistischen Pogromen von Hoyerswerda und Rostock. Die in den 80er-Jahren zutiefst antisowjetische MLPD rechtfertigt in ihrem Aufruf zu ihrer 3.-Oktober-Demo gegen Hartz IV, dass sie die kapitalistische Konterrevolution in der DDR 1990 unterstützt hat: „Tatsache ist, dass die demokratische Bewegung der DDR die Wiedervereinigung erkämpft hat und dass die breite Masse der Bevölkerung in Deutschland die Überwindung ihrer Spaltung ausdrücklich begrüßt“ (Erklärung des ZK der MLPD, 12. September). Wenn angebliche Linke sich Parolen wie „Das Volk sind wir!“ auf ihr Banner schreiben, dann ist das reine Scharlatanerie, die nur dazu angetan ist, das Klassenbewusstsein der Arbeiter zu senken.

Seit der kapitalistischen Konterrevolution in der DDR vor vierzehn Jahren demontieren die Kapitalisten den „Sozial“staat, den sie nun für überflüssig halten. Gleichzeitig rüsten sie den Staat auf, um verschärft Repression gegen die Arbeiterklasse ausüben zu können. Ihre bürgerlichen Ideologen verbreiten die Lüge vom „Tod des Kommunismus“, was ihnen von vielen Linken abgekauft wird. Nichts ist falscher als das, denn der Kapitalismus, und die damit einhergehende Spaltung der Gesellschaft in Klassen, bringt notwendigerweise Klassenkampf hervor. Ob die Arbeiterklasse aber in diesen Kämpfen siegreich ist oder geschlagen wird, hängt zentral von ihrer Führung ab. Die SPD an der Macht kam den Kapitalisten gerade recht, die Angriffe auf die Errungenschaften der Arbeiterklasse massiv zu verstärken, denn durch ihren Charakter als bürgerliche Arbeiterpartei — eine Partei mit einer Arbeiterbasis, aber einem durch und durch bürgerlichen Programm — hat die SPD den für die Kapitalisten unschätzbaren Vorteil, dass sie mittels der Gewerkschaftsbürokratie die Gewerkschaften kontrolliert. Erst dadurch wurden Angriffe möglich, die noch unter Kohl am Widerstand der Gewerkschaften scheiterten. Für die Kapitalisten und ihren Staat, inklusive ihren sozialdemokratischen Verwaltern, muss die Ausbeutungsrate erhöht werden, damit das imperialistische Deutschland und die von ihm dominierte EU ernsthaft mit den USA um Rohstoffe und Märkte in Konkurrenz treten können. Die militärischen Anfänge davon haben wir schon gesehen mit den Bundeswehrtruppen auf dem Balkan und in Afghanistan. Um die notwendige Stärke zu erreichen, sollen die Arbeiter und alle Unterdrückten erst ökonomisch bluten, um dann später wieder als Kanonenfutter herzuhalten. Der Schlüssel, dies zu verhindern, ist das Verständnis, dass das historische Interesse der Arbeiterklasse unversöhnlich den Interessen der Kapitalisten und des imperialistischen deutschen Staates entgegengesetzt ist.

PDS: Vom Ausverkauf der DDR zum Verwalter von Zwangsarbeit im Kapitalismus

Die PDS tritt in heuchlerischer Weise als Interessenvertreterin der „Ostdeutschen“ auf. Tatsächlich aber hat sie mit dem Ausverkauf der DDR massiv mit dazu beigetragen, dass die Industrie dieses deformierten Arbeiterstaates zerstört wurde. Die stalinistische SED hatte mit ihrem „Aufbau des Sozialismus in einem halben Land“ und ihrer „friedlichen Koexistenz“ mit dem Imperialismus — ein reaktionär-utopisches Programm — Schiffbruch erlitten und die DDR-Wirtschaft in eine Sackgasse geführt. Dagegen kämpften wir Trotzkisten 1989/90 für den Sturz der stalinistischen SED-Bürokratie und ihre Ersetzung durch Arbeiter- und Soldatenräte. Wir traten ein für die revolutionäre Wiedervereinigung in einem Roten Rätedeutschland. Wir waren die Einzigen, die sagten: „Nein zur kapitalistischen Wiedervereinigung!

Die PDS gibt vor, gegen die Hartz-Gesetze zu sein; tatsächlich aber setzt sie diese durch, wo sie gemeinsam mit der SPD in einer Regierung ist, wie in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern. Sie nutzte die Proteste gegen Hartz, um zu versuchen auch in Brandenburg in die Regierung zu kommen, und die Verhandlungen mit der SPD scheiterten nicht an Hartz IV. Die PDS will noch mehr Verantwortung für die Sauereien des Kapitalismus übernehmen. Das machte ihr Berliner Wirtschaftssenator Harald Wolf im Neuen Deutschland (12. August) nur allzu deutlich, als er sich über die Vorzüge von „1-Euro-Jobs“ ausließ: „Es ist ja nicht so, dass es in Berlin nicht genug Arbeit gäbe, es gibt zu wenig bezahlte Arbeit. Aber es wird im Kreis der Arbeitslosengeld-II-Empfänger viel qualifiziertes Potenzial geben. Warum soll man diese Menschen nicht in sinnvollen Tätigkeiten im kommunalen Interesse einsetzen?“ Was Wolf und die PDS hier umsetzen, ist Zwangsarbeit zu absoluten Minimallöhnen. Der SPD/PDS-Senat ist schon Vorreiter, die Tarifverträge für den öffentlichen Dienst auszuhebeln, was sich gegen die gesamte Arbeiterbewegung richtet. Die deutsche Bourgeoisie greift hier auf die Erfahrungen mit Hitlers Arbeitsdienst zurück. Und die PDS ist ein sehr williger Komplize bei der Umsetzung. Das bestätigt dann auch der Partei-Chef Lothar Bisky: „Wir haben eine Verantwortung. Wenn ich ein Populist wäre, würde ich die PDS jetzt aufrufen, die Landesregierungen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern zu verlassen und gemeinsam gegen Hartz auf die Straße zu gehen. So was aber mache ich nicht“ (Tagesspiegel, 15. August). Bisky und Co. verstehen, dass den Kapitalismus zu verwalten bedeutet, Verantwortlichkeit gegenüber dem Kapital zu beweisen nach dem Motto „Wes Brot ich ess, des Lied ich sing“.

Die offizielle PDS-Politik ist schon seit der Konterrevolution 1990 nur noch Liebedienerei vor der dreckigen Bourgeoisie. Die PDS macht für diese die schmutzige Arbeit, den Arbeitern und Arbeitslosen der Ex-DDR die Vorzüge des Kapitalismus zu vermitteln, was jetzt heißt, das Elend zu verwalten. Die PDS-Linke um die Kommunistische Plattform und die junge Welt tritt normalerweise kritisch gegenüber der Regierungsbeteiligung der PDS auf. Doch sie brachte während des Wahlkampfes kein Wort der Kritik an Wolf und Co. heraus und war im Prinzip auf Stimmenfang für die PDS aus. Damit haben sie einmal mehr bewiesen, dass sie nicht mehr sind als ein linkes Feigenblatt für die PDS. Der größte Teil der pseudotrotzkistischen Linken half 2001 die PDS in die Berliner Landesregierung zu hieven. Die Wahlalternative (WASG) — ein Zusammenschluss von Sozialdemokraten aus der Gewerkschaftsbürokratie, die von der SPD enttäuscht sind — ist das neueste Mittel dieser Linken, um bloß nicht mit sozialdemokratischer Politik zu brechen.

„Wahlalternative”, Lafontaine und die Linke

Die WASG hatte nichts zu dem Kampf der Daimler-Arbeiter und dem Ausverkauf der Streiks durch die Gewerkschaftsbürokratie zu sagen, weil sie ja eine „Wahlalternative“ sei. Das heißt konkret, dass sie sich darauf vorbereiten, möglicherweise in einem Bündnis mit der PDS die Mehrheitsbeschaffer einer künftigen SPD-Regierung zu sein, um die SPD wieder auf einen „sozialen“ Kurs zu bringen. Die Arbeiterklasse braucht keine solche sozialdemokratische „Wahlalternative“ des dritten Aufgusses! Brecht mit der Sozialdemokratie — ob SPD oder PDS!

Der ehemalige SPD-Vorsitzende Oskar Lafontaine verplapperte sich in einem Spiegel-Interview und drohte, die WASG zu unterstützen, deren Führung dies freudig aufnahm, weil sie darin eine Garantie sah, in den Bundestag einzuziehen. Lafontaine sprach dann am 30. August bei der Montagsdemo in Leipzig, um den Arbeitslosen im Osten seine reformistisch-populistischen Konzepte von höheren Steuern für die Reichen zu verkaufen wie ein Quacksalber seine Mixturen. Lafontaine gibt sich als der gute alte Sozialdemokrat aus und läuft rum mit den Programmen aus den Zeiten, als es noch was zu verteilen gab und die Kapitalisten meinten, für den „sozialen Frieden“ etwas abgeben zu müssen. Seit der Wiedervereinigung sind diese Zeiten vorbei. Lafontaine tat bereits in den 80er-Jahren das, was Schröder jetzt tut. Er griff schon damals die Gewerkschaften an und verlangte Flexibilisierung. Er spielte eine zentrale Rolle dabei, das Asylrecht 1992 zu zerstören, und kürzlich gab er in der Bild-Zeitung SPD-Innenminister Schily volle Unterstützung für dessen rassistische Forderung, Lager für afrikanische Asylsuchende in Nordafrika zu errichten: sozialdemokratische Konzentrationslager, die verhindern sollen, dass Flüchtlinge auch nur in die Nähe der rassistischen Festung Europa kommen. Die Arbeiterbewegung muss mit den nationalistischen Demagogen vom Schlage Lafontaines brechen.

SAV: Linke Rhetorik in reformistischen Diensten

Die SAV kennt die ganzen Sauereien, die Lafontaine gemacht hat und listet sie zum Teil in ihrer Zeitung Solidarität auf, so etwa in der September-Ausgabe unter der Überschrift „Hoffnungsträger Oskar Lafontaine?“ Bereits im August hatten sie auf ihrer Website einen Artikel veröffentlicht, der sehr richtige Punkte gegen Lafontaine machte. Sie schrieben:

„Es kann nicht darum gehen, über Parlamente auf eine Veränderung zu hoffen. Nötig ist eine Partei, die sich als Kampfinstrument auf allen Ebenen versteht — auch in den Parlamenten als Sprachrohr, aber vor allem aktiv und kämpferisch in den Betrieben und auf der Straße. Ein gemeinsamer Kampf von Frauen und Männern, Deutschen und Nicht-Deutschen, gegen jede Form von Diskriminierung ist dafür unerlässlich. Lafontaines Nationalismus steht dazu in krassem Gegensatz: Zu Schilys rassistischen Vorstößen zu Auffanglagern in Afrika zur Umgehung der Reste des deutschen Asylrechts schrieb Lafontaine in der Bild: ‚Schily hat Recht'.“ („Mit Lafontaine in den Bundestag?“, 11. August)

Das sind alles richtige Punkte, insbesondere, dass die SAV versucht die Verbindung zu machen, dass gegen jede Form von Diskriminierung gekämpft werden muss. Nur steht dies in krassem Widerspruch zu dem, was die SAV tut — die WASG aufzubauen und als ihr linkes Feigenblatt zu agieren. So kann man im dem zitierten Artikel auch finden, wie die SAV die Wahlchancen der WASG mit Lafontaine wachsen sieht: „Lafontaines Bekanntheit und sein Auftreten gegen Schröder würden dazu beitragen, die WASG vor allem in West-Deutschland schnell auch in den Betrieben zur wähl- und unterstützbaren Alternative zu machen.“ So ist dann auch das Fazit in ihrem „Hoffnungsträger“-Artikel deutlich: „Kommt Lafontaine, ist der Aufbau eines starken und kämpferischen sozialistischen Flügels in der WASG umso dringender.“ Was die SAV propagiert, ist also nicht Spaltung von dem reformistischen, nationalistischen Programm Lafontaines, sondern gerade Einheit mit diesem. Dies ist hundertprozentig dazu entgegengesetzt, eine dringend notwendige revolutionäre Avantgardepartei aufzubauen. So hängt die SAV letztlich diesem verrotteten Block für eine Neuauflage der Sozialdemokratie nur ein linkes Mäntelchen um.

Sehen wir uns das „sozialistische“ Programm der SAV mal näher an: „Wir fordern, dass die Reichen und Superreichen zur Kasse gebeten werden, um Sozialleistungen und ein gutes Gesundheitswesen zu finanzieren. Eine drastische progressive Besteuerung auf Gewinne und Vermögen wäre ein erster Schritt in diese Richtung“ (Solidarität, September 2004). Dies stellt im Kern genau das dar, was Lafontaine argumentiert. Die SAV argumentiert aber auch, man höre und staune, für „sinnvolle Enteignungen“. Was darunter zu verstehen ist, wird dann auch erklärt: „Nämlich von solchen Firmen, die dicht machen, verlagern oder Arbeitsplätze im großen Umfang vernichten ... [sowie] die großen Banken und Konzerne generell“. Ohne den revolutionären Sturz des kapitalistischen Staats aber, und darüber spricht die SAV nie, bleibt dieses schon sehr limitierte Programm von Enteignungen der Kapitalisten einfach ein utopischer sozialdemokratischer Traum, der darauf baut, dass man den kapitalistischen Staat für die Zwecke der proletarischen Machtübernahme benutzen kann. Nichts ist gefährlicher, als diese Illusion in die Arbeiterbewegung zu tragen, wie es Allendes Volksfrontregierung in Chile Anfang der 70er-Jahre tat, die damit den Weg ebnete für den Putsch Pinochets 1973, dem tödlicher Terror gegen die Linke und die Arbeiterbewegung folgte.

Die bürgerliche Staatsmaschinerie muss zerschlagen werden, und dafür braucht man eine revolutionäre multiethnische Arbeiterpartei, die ein wirklicher Tribun aller Unterdrückten ist. Unabdingbare Voraussetzung ist der Bruch mit allen Arten sozialdemokratischer Klassenkollaboration, wie es uns die Führer der Russischen Oktoberrevolution, Lenin und Trotzki, gelehrt haben. Wir Spartakisten haben uns verpflichtet, eine solche Partei aufzubauen.