Spartacist (deutschsprachige Ausgabe) Nummer 32

Herbst 2020

 

Lewis Henry Morgan – eine Würdigung

Über den Ursprung der Frauenunterdrückung

(Frauen und Revolution)

Der amerikanische Anthropologe Lewis Henry Morgan (1818–1881) leistete mit seinem bahnbrechenden Werk Ancient Society (1877 – Die Urgesellschaft, Stuttgart 1908, Nachdruck Verlag Achenbach, Lollar/Lahn 1976) Pionierarbeit, indem er die Erforschung der Urgeschichte und ihrer Kultur zum ersten Mal auf eine wissenschaftliche Grundlage stellte. So war dieses Werk für Friedrich Engels die Anregung zu seinem Buch Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats (1884), dem entscheidenden marxistischen Werk über die Institution der Familie als die Hauptquelle der Frauenunterdrückung.

Einem der bösartigsten Mythen zufolge, die von bürgerlichen Ideologen verbreitet werden, seien die Familie und die Unterordnung der Frau biologisch vorgegeben und hätten schon immer existiert. Morgans Werk bewies, dass in der Urgesellschaft der „Stamm“ (Clan), nicht die Familie, „die ursprüngliche naturwüchsige Form der ... menschlichen Vergesellschaftung war“ (Engels, Fußnote im Kapital, Bd. 1, 1883). Morgan verwendete häufig den lateinischen Begriff „Gens“ (Mehrzahl „Gentes“), heute spricht man von Clan oder Horde. Die ursprüngliche Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern in der Organisation des Clans beruhte auf Gleichberechtigung und Gegenseitigkeit; wer miteinander verwandt war, richtete sich nach der mütterlichen Linie; und die sexuellen Beziehungen waren relativ frei. Frauen und Kinder waren nicht von der Unterstützung durch einen Mann abhängig und die Kinderbetreuung war die Aufgabe des gesamten Clans.

Marxistisch gesehen veranschaulichte Morgans Werk, dass Familie und Frauenunterdrückung aus der Auflösung des kommunalen, egalitären Clans von Jägern und Sammlern hervorgingen. Der Fortschritt in der Produktionstechnik (z. B. Ackerbau, Domestizierung von Tieren, Metallverarbeitung, Textilien) gegen Ende der Jungsteinzeit ermöglichte zum ersten Mal die Produktion eines gesellschaftlichen Überschusses und schuf die Grundlage für das Entstehen einer in Klassen gespaltenen Gesellschaft, die auf der Ausbeutung der Arbeitskraft durch eine herrschende Elite beruhte. Mit der Einführung des Privateigentums entstanden der Staat und die Familie als Institutionen zu dem Zweck, die kleine Gruppe der Ausbeuter gegen die Massen der Arbeitenden zu verteidigen und von diesen abzugrenzen. So liegt der Ursprung der Unterordnung der Frauen weder in der Biologie (wie alle möglichen Reaktionäre behaupten) noch in der Ideologie von der Überlegenheit der Männer (wie Feministen oft behaupten). Die Frauenunterdrückung ist das Produkt einer bestimmten Stufe der historischen Entwicklung und wird zwangsläufig durch die Veränderungen im sozialen und ökonomischen Niveau der Gesellschaft beeinflusst.

Morgan hielt seine Analyse der Kulturgeschichte für „provisorisch“ und für „zutreffend und brauchbar“, und bemerkte dazu, sie „mag vielleicht einige Modifikationen und bei manchen ihrer Glieder vielleicht wesentliche Änderungen erheischen“. Tatsächlich wurden seit dem Erscheinen von Die Urgesellschaft einige von Morgans Hypothesen erschüttert oder sind sogar nicht mehr aufrechtzuerhalten, doch Morgans allgemeines Verständnis der Evolution der menschlichen Urgesellschaft wird durch Erkenntnisse der Anthropologie, der menschlichen Evolutionsgeschichte und der Archäologie in den letzten 150 Jahren bestätigt.

Die Frage der Aktualisierung von Morgans Forschungsmaterial ist oft von Antikommunisten zu einem Angriff auf Engels’ Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats benutzt worden. Im Gegensatz dazu steht eine dialektisch-materialistische Analyse der Urgeschichte nach heutigem Erkenntnisstand. Sie vertieft, bestätigt und untermauert das Verständnis, dass die Frauenunterdrückung durch das Privateigentum und die Familie entstanden ist; sie bekräftigt auch die marxistische Perspektive der Frauenbefreiung durch sozialistische Revolution. Für Marxisten ist die Emanzipation der Frauen Teil einer weltweiten sozialistischen Umgestaltung der Gesellschaft, zu der auch die vollständige Ersetzung der Familie durch die Vergesellschaftung von Kinderbetreuung und Hausarbeit gehört, in einer Gesellschaft des Überflusses, die durch eine globale Planwirtschaft auf der Grundlage der fortgeschrittensten Technologie ermöglicht wird.

Morgan und die materialistische Geschichtsauffassung

Im Vorwort zur ersten Auflage von Ursprung der Familie schrieb Engels:

„Die nachfolgenden Kapitel bilden gewissermaßen die Vollführung eines Vermächtnisses. Es war kein Geringerer als Karl Marx, der sich vorbehalten hatte, die Resultate der Morganschen Forschungen im Zusammenhang mit den Ergebnissen seiner – ich darf innerhalb gewisser Grenzen sagen unsrer – materialistischen Geschichtsuntersuchung darzustellen und dadurch erst ihre ganze Bedeutung klarzumachen. Hatte doch Morgan die von Marx vor vierzig Jahren entdeckte materialistische Geschichtsauffassung in Amerika in seiner Art neu entdeckt und war von ihr, bei Vergleichung der Barbarei und der Zivilisation, in den Hauptpunkten zu denselben Resultaten geführt worden wie Marx.“

Der Ursprung der Familie, mit dem Untertitel Im Anschluss an Lewis H. Morgan’s Forschungen, beruhte auf ausführlichen Auszügen aus und Notizen zu Die Urgesellschaft, die Marx vor seinem Tod 1883 gemacht hatte. (Marx’ Originalaufzeichnungen siehe: Karl Marx – Die ethnologischen Exzerpthefte, hrsg. von Lawrence Krader, edition suhrkamp 800, Frankfurt am Main 1976.)

Morgan verbrachte sein ganzes Leben mit Grundlagen- und Feldforschung, zunächst angeregt durch seine Entdeckung eines Verwandtschaftssystems unter den Irokesen im Nordteil des Bundesstaates New York, das der europäischen Wissenschaft bis dahin unbekannt war. Das führte zu seiner Entdeckung, dass die menschliche Gesellschaft ursprünglich in egalitären Clans organisiert war, und dass sich die Familie selber entsprechend der ihr zugrunde liegenden Gesellschafts- und Wirtschaftsstruktur entwickelt und verändert hat. Durch darauffolgende weltweite Forschung kam Morgan zu der Hypothese, dass die gesamte Menschheitsgeschichte anhand aufeinanderfolgender Entwicklungsstufen eingeordnet werden könnte. Er ging von der Tatsache aus, dass die ungleiche Entwicklung der verschiedenen Völker in der Welt den Ablauf der gesellschaftlichen Evolution verdeutlicht.

Der Zweck des Buches Die Urgesellschaft wurde in dem Untertitel Untersuchungen über den Fortschritt der Menschheit aus der Wildheit durch die Barbarei zur Zivilisation angegeben. Morgan schrieb:

„Wie es unleugbar ist, dass einige Teile des Menschengeschlechts im Zustande der Wildheit existiert haben, andere im Zustande der Barbarei, und noch andere in einem Zustande der Zivilisation, so scheint auch die Annahme berechtigt, dass diese drei verschiedenen Kulturstufen in einer sowohl natürlichen wie auch notwendigen Reihenfolge der Entwicklung zusammenhängen.“

Bürgerliche Ideologen haben Morgan als Rassisten verleumdet, weil er die Bezeichnungen „Wildheit“ und „Barbarei“ benutzte. Aber wie Rosa Luxemburg feststellte:

„Indem Morgan zum erstenmal die Bezeichnungen Wildheit, Barbarei und Zivilisation mit positivem Inhalt gefüllt, hat er sie zu exakten wissenschaftlichen Begriffen gemacht und als Werkzeuge der wissenschaftlichen Forschung verwendet. Wildheit, Barbarei und Zivilisation sind bei Morgan drei Abschnitte der Kulturentwicklung, geschieden voneinander durch ganz bestimmte materielle Kennzeichen …“

– „Einführung in die Nationalökonomie“, Rosa Luxemburg, Gesammelte Werke, Bd. 5, Ökonomische Schriften, Berlin 1975

Die von Morgan als Wildheit und Barbarei bezeichneten Entwicklungsstufen nennt man heute Altsteinzeit (Paläolithikum) und Jungsteinzeit (Neolithikum), und das Wissen über die Evolution von der einen zur anderen und weiter bis zu einer in Klassen gespaltenen Gesellschaft wurde bereichert und vertieft.

Unabhängig von Marx und Engels wies Morgan auf dieselbe treibende Kraft gesellschaftlicher Evolution hin, nämlich die Entwicklung der modernen Produktionsweise: „dass die Menschheit ihre Laufbahn auf der niedrigsten Stufe der Entwicklung begonnen und von der Wildheit zur Zivilisation durch langsame Anhäufungen von Erfahrungen sich emporgearbeitet hat“, indem sie effektivere Methoden zur Produktion ihres Lebensunterhalts (Nahrungsmittel, Kleidung, Werkzeuge, Unterkunft) erfand. Er ging von parallel verlaufenden Entwicklungen in der Geschichte der gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Institutionen aus: der Evolution der Familie, des Privateigentums und des Staates.

Morgan ging zwar von einem materialistischen Ansatz aus, sah aber die gesellschaftliche Evolution so, als entspringe sie der Entwicklung einer Reihe von „ursprünglichen Gedankenkeimen“ (der „Gedankenkeim“ in Bezug auf Regierung, Familie und Eigentum). Es war dann Engels – in Ursprung der Familie –, der mit einem tiefgreifenden historisch-materialistischen Verständnis Morgans Forschungsergebnisse verwendete und deren theoretische Schlussfolgerungen in aller Schärfe herausstrich.

Morgan begründet die wissenschaftliche Anthropologie

Morgan, der im Nordteil des Bundesstaates New York in einer wohlhabenden Farmerfamilie geboren wurde, war gut ausgebildet und entwickelte bald das wissenschaftliche Engagement, das ihn zu einem der führenden amerikanischen Wissenschaftler seiner Generation machte. Er bekleidete den Posten des Präsidenten der amerikanischen Vereinigung zur Förderung der Naturwissenschaften und gründete deren Anthropologieabteilung, wurde in die Nationale Akademie der Wissenschaften gewählt und hielt vor der renommierten New Yorker Historischen Gesellschaft und an anderen Orten unzählige Vorträge. Er gehörte der ersten Generation an, die an der neu gegründeten Smithsonian Institution mitarbeitete; er sammelte Handwerksgegenstände der nordamerikanischen Ureinwohner und stellte sie für Museen zusammen. Er traf sich und korrespondierte mit Charles Darwin und anderen herausragenden Wissenschaftlern seiner Zeit.

Morgans Interesse an Ethnologie begann als romantische jugendliche Schwärmerei für die nordamerikanischen Ureinwohner, insbesondere für die Irokesen. Die Farm seines Vaters befand sich auf ihrem historischen Siedlungsgebiet; die Bundesregierung hatte Morgans Großvater in Anerkennung seiner Dienste in der Kontinentalarmee während der Amerikanischen Revolution das Land zugewiesen. Morgan gründete mit seinen Freunden eine Bruderschaft, die sich Kleidung, Sprache und Sitten der Irokesen zum Vorbild nahm. Bald machte er Bekanntschaft mit dem 16-jährigen Ely Parker, ein Seneca vom Stamm der Irokesen, der später als Brigadegeneral der Nordstaaten-Armee im Bürgerkrieg unter US-General Grant und als Verfasser der Kapitulationsbedingungen für die Konföderierten in Appomattox selbst Berühmtheit erlangte. Parker machte Morgan mit seinen Freunden und seiner Familie im Tonawanda-Reservat bekannt.

Bei einem dieser Besuche machte Morgan die Entdeckung, die den Lauf seines Lebens bestimmen sollte: Er stellte fest, dass die Irokesen ein Verwandtschaftssystem hatten, das im Widerspruch zur gebräuchlichen Praxis im Lande stand. Zum Beispiel gab es bei den Irokesen dieselbe Verwandtschaftsbezeichnung für die biologische Mutter und für deren Schwestern; die Kinder von den Schwestern dieser Mutter wurden „Bruder“ und „Schwester“ genannt. Ein Mann nannte die Kinder seines Bruders „Sohn“ und „Tochter“; doch die Kinder seiner Schwester waren für ihn „Neffe“ und „Nichte“. Bei den Irokesen bedeutete die Regel der Exogamie (Heirat außerhalb der eigenen Gruppe), dass Mutter und Vater zu verschiedenen Clans gehören mussten. Dadurch und nicht durch biologische Beziehungen wurden die Vorstellungen von Verwandtschaft und deren Bezeichnungen bestimmt. Morgan hatte die Bezeichnungsweise für Verwandtschaft bei einem Clan entdeckt, der auf matrilinearer Abstammung beruhte.

Morgan führte seine Untersuchungen zur Ethnologie der Irokesen mit Parkers Hilfe fort, sowohl in Tonawanda als auch im Sechs-Nationen-Reservat in Kanada. 1851 veröffentlichte er die erste größere wissenschaftliche Abhandlung über die amerikanischen Ureinwohner, The League of the Iroquois [Der Bund der Irokesen], welche er Parker widmete und die bis heute als eine der besten Studien über die Kultur der Irokesen gilt. Morgan hat nie, wie Engels behauptete, unter den Irokesen gelebt: Dieser Irrtum war in Europa damals weit verbreitet. Tatsächlich adoptierte ihn der Hawk-Clan des Seneca-Stammes, und er bemühte sich, den Ureinwohnern in ihrem Kampf gegen die Versuche, sie um ihr Land zu betrügen, beizustehen.

1844 ließ sich Morgan in Rochester, New York, nieder und verdiente seinen Lebensunterhalt als erfolgreicher Eisenbahnanwalt und Geschäftsmann und reiste dabei häufig durch den ganzen Mittleren Westen. Auf seinen Reisen nahm er stets die Gelegenheit wahr, Mitglieder verschiedener Ureinwohnerstämme zu treffen und zu befragen (darunter die Ojibwe, die einer anderen Sprachfamilie angehörten als die Irokesen), und fand bei ihnen bald Beweise für ein ähnliches Verwandtschaftssystem. Nachdem er ein Vermögen in Aktien und Kapitalanlagen angehäuft hatte, zog er sich aus seiner Rechtsanwaltspraxis in Rochester zurück, arbeitete aber weiterhin als Anwalt für Eisenbahn- und Bergbauunternehmen in Michigan. Er unternahm eine Reihe von Exkursionen in den Westen – darunter in das Gebiet Kansas-Nebraska, in die Region um den Missouri-River, nach Colorado und New Mexico –, auf denen er Handwerksgegenstände sammelte und Verwandtschaftssysteme genauer erfasste.

1871 veröffentlichte Morgan Systems of Consanguinity and Affinity of the Human Family [Familiensysteme von Blutsverwandtschaft und Wahlverwandtschaft bei den Menschen], wobei er sich auf die umfassende Sammlung der unter den Völkern der Welt gebräuchlichen Verwandtschaftsbezeichnungen stützte. Das Material stammte von seiner eigenen Feldforschung bei nordamerikanischen Ureinwohnern wie auch aus einer umfangreichen Korrespondenz mit Missionaren, Händlern und Regierungsvertretern in Australien, Indien, Afrika, auf den Pazifikinseln und in anderen Gegenden.

Die Auswertung seines Forschungsmaterials brachte ihn zu der Feststellung, dass in verschiedenen Teilen der Welt unabhängig voneinander ähnliche Systeme zur Bezeichnung von Verwandten existierten. Auf dieser Grundlage nahm er an, dass Verwandtschaftsbezeichnungen eine soziologische Bedeutung haben und auf Vorstufen gegenwärtiger gesellschaftlicher Verhältnisse hinweisen. 1877 veröffentlichte Morgan Die Urgesellschaft, wo er die Anfangsphase der schriftlich überlieferten Geschichte rekonstruierte und dabei auch auf sein umfangreiches Wissen über die antike Geschichte der Griechen und Römer zurückgreifen konnte.

Sobald die Techniken zur Erlangung des Lebensunterhalts das oberste Stadium der Barbarei (Spätneolithikum) erreicht hatten, so Morgans Hypothese, waren auf der Grundlage wachsender Arbeitsproduktivität die Bedingungen für eine qualitative Umwandlung der gesellschaftlichen Organisation gegeben. Die ursprüngliche auf Clans basierende Gesellschaft benötigte die Arbeitskraft der gesamten Gemeinschaft, um sich auf dem Existenzminimum halten zu können. Eigentum war im gemeinschaftlichen Besitz und die Produktionsverhältnisse beruhten auf dem Kollektiv.

Es gab keinen Unterschied zwischen einer öffentlichen Welt, in der die Männer arbeiteten, und einer privaten Welt, in der die Frauen Hausarbeit leisteten. Die Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern beruhte auf Gegenseitigkeit, beide waren für das Wohlergehen der Gruppe notwendig. Alle arbeitsfähigen Personen nahmen unmittelbar an der Beschaffung des Lebensnotwendigen teil; sowohl Männer als auch Frauen hatten die Kontrolle über ihre Produktion. Die Entscheidungen fällten diejenigen, die sie ausführten. Die Ehebeziehungen waren lose und konnten von jeder Seite leicht aufgelöst werden. Zwar bewahrten alle Individuen ihre Eigenständigkeit, doch waren sie als Einzelne durch den Mangel zwangsläufig aufeinander angewiesen, und sie mussten miteinander zusammenarbeiten. Der soziale Zusammenhalt der Horde war entscheidend für ihr Überleben.

Mit der Entwicklung von Techniken, welche die Arbeitsproduktivität und die Verfügbarkeit von Gütern steigerten, entwickelte sich an den Rändern der auf Gemeinschaft beruhenden Gesellschaft ein Prozess des Austauschs. Es entstanden neue Beziehungen außerhalb der Gruppe, die nach und nach deren Zusammenhalt unterminierten. Einen Handel in Form eines Tauschs geschätzter Güter wie Bernstein, Muscheln und Gestein hatte es schon in der Steinzeit lange gegeben. Die spätere Produktion ausschließlich für den Austausch von Gütern erforderte jedoch eine neue Arbeitsteilung mit handwerklicher Spezialisierung und einem notwendigen Überschuss für den Unterhalt der Handwerker und Händler. Männer und Frauen konnten die Aufgaben der Lebensmittelbeschaffung und der Herstellung ihrer eigenen Werkzeuge nicht mehr unter einen Hut bringen. Im Zuge zunehmender Intensivierung der Produktion, des Fernhandels und der handwerklichen Spezialisierung nahm auch die Tendenz zu, dass manche Personen Reichtum und Autorität anhäuften.

Morgan nannte das Verfassungssystem der ursprünglichen Clanorganisation „Societas“, da er erkannte, dass keine Gesetze oder besonderen Institutionen nötig waren, weil der Clan, der sich auf Gemeineigentum gründete, im Falle von Konflikten oder Meinungsverschiedenheiten die Entscheidungen treffen würde. Die neue Gesellschaftsordnung nannte er „Civitas“, denn ein getrennter Regierungsapparat wurde notwendig, als sich das Privateigentum zum entscheidenden Faktor in den gesellschaftlichen Verhältnissen entwickelte. Marxistisch gesprochen hatte Morgan den Ursprung des Staates entdeckt: die Teilung der Gesellschaft in gegensätzliche Klassen. Der Konflikt zwischen den unmittelbaren Produzenten und denjenigen, die sich deren Mehrprodukt aneigneten, hatte eine besondere Institution zum Schutz des Privateigentums notwendig gemacht. So kam es zur Herausbildung der Institution des Staates als besondere Formationen bewaffneter Menschen zur Verteidigung der herrschenden Klasse gegen die ausgebeuteten Arbeitskräfte. Wie W. I. Lenin in Staat und Revolution (1917) schrieb, wo er ausführlich aus Engels’ Ursprung der Familie zitiert, ist der Staat „das Produkt der Unversöhnlichkeit der Klassengegensätze“ und „eine über der Gesellschaft stehende und ‚sich ihr mehr und mehr entfremdende‘ Macht“.

Engels schrieb in Ursprung der Familie, Morgans „Wiederentdeckung der ursprünglichen mutterrechtlichen Gens als der Vorstufe der vaterrechtlichen Gens der Kulturvölker hat für die Urgeschichte dieselbe Bedeutung wie Darwins Entwicklungstheorie für die Biologie und Marx’ Mehrwertstheorie für die politische Ökonomie“. Zu einer Zeit, als vielen noch das Jahr 4004 v. Chr. als das Datum der Schöpfung galt (basierend auf den biblischen Berechnungen eines anglikanischen irischen Priesters im 17. Jahrhundert), sprach sich Morgan unmissverständlich für „hunderttausend und mehr Jahre“ als Alter der Menschheit aus und für einen unermesslich längeren Zeitraum bei nicht-menschlichen Spezies und bei geologischen Zeitaltern. Er griff die damals von Theologen feilgebotene sogenannte Theorie der „Entartung der Menschheit“ an, nach welcher, entsprechend dem christlichen Konzept des Sündenfalls, Urvölker zur Verderbnis verurteilt seien.

Morgan bekräftigte wiederholt die gemeinsame Herkunft der menschlichen Spezies: „Die Geschichte des Menschengeschlechts zeigt überall die gleichen Anfänge, die gleichen Erfahrungen, den gleichen Fortgang.“ Im allerletzten Absatz von Die Urgesellschaft betonte Morgan, „dass wir unsere jetzigen Verhältnisse mit ihren zahlreichen Mitteln der Sicherheit und des Wohlstandes den Kämpfen, den Leiden, dem heroischen Ringen und der geduldigen Mühsal unserer barbarischen und unserer noch früheren wilden Vorfahren danken“.

Morgans politische Vorstellungen

Auf seine Weise erkannte Morgan den qualitativen Unterschied zwischen der ursprünglichen Gleichheit in der von Marxisten als Urkommunismus bezeichneten Gesellschaft und der Unterdrückung und Ausbeutung in einer durch Klassen gespaltenen Gesellschaft. So sprach er vom Eigentum, das „dem Volk gegenüber eine nicht zu bewältigende Macht“ geworden sei, und vom menschlichen Geist, der „ratlos und gebannt da[steht] vor seiner eigenen Schöpfung“. Er eröffnete eine inspirierende Zukunftsvision, als er schrieb: „Demokratie in der Verwaltung, Brüderlichkeit in der Gesellschaft, Gleichheit der Rechte, allgemeine Erziehung werden die nächste höhere Stufe der Gesellschaft einweihen, zu der Erfahrung, Vernunft und Wissenschaft stetig hinarbeiten. Sie wird eine Wiederbelebung sein – aber in höherer Form – der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit der alten Gentes.“

Aber Morgan war kein bewusster Revolutionär. Für ihn war der Weg der Menschheit zu einer zukünftigen Gleichheit ein spontaner Prozess, ein frommer Wunschtraum. Er war ein Kind der optimistischen Aufstiegsperiode des amerikanischen Kapitalismus, in der sich technische Erfindungen und neue Produktionsmethoden rasch ausbreiteten. Er war Mitglied der Republikanischen Partei, die bei ihrer Gründung 1854 den fortschrittlichen, gegen die Sklaverei gerichteten Flügel der Bourgeoisie im Norden vertrat. Er glaubte, die Regierung könne ein Instrument dafür sein, die soziale Gleichheit zu erreichen, worunter er eine Verbreitung des Wohlstands unter den Volksmassen verstand. Er war eine Sitzungsperiode lang Mitglied sowohl im Abgeordnetenhaus als auch im Senat des Bundesstaates New York. Morgan, ein bürgerlicher Radikaler, betrachtete die europäische Aristokratie und die staatlich finanzierte religiöse Hierarchie als die Haupthindernisse für Gleichheit, und diese waren in den USA beseitigt worden. Gegen Ende seiner Europareise (1870/71) schrieb er:

„Ich werde recht froh sein, wenn ich dort [New York] ankomme und mich wieder unter dem Sternenbanner befinde. Unser Land ist das begünstigte und gesegnete Land. Unsere Institutionen sind unübertroffen und unsere Menschen sind die fortgeschrittensten des ganzen Erdkreises, was Intelligenz und Verbreitung des Wohlstands angeht.“

– zitiert in der Einleitung zu Ancient Society, hrsg. von Leslie White, Harvard University Press, Cambridge 1964

Der leidenschaftlich antiklerikale Morgan bezeichnete das Dogma von der unbefleckten Empfängnis als „albernes Hirngespinst eines entwürdigenden Aberglaubens“. Wie in der Einleitung von Leslie White zu Ancient Society zitiert, kritisierte Morgan in seinen europäischen Reisetagebüchern die herrschenden Klassen und die Kirche scharf: „Es ist so bemerkenswert wie wahr, dass bei allen modernen Volksaufständen die Bevölkerung gleichzeitig gegen den Despoten und den Priester losschlägt.“ In Paris, das er kurz nach der Niederschlagung der Kommune 1871 besuchte, schrieb er: „Die Kommune, die Prinzipien, Ziele und Maßnahmen, alles, was ihre Geschichte ausmachte, wird zu Unrecht verurteilt, weil sie nicht richtig verstanden wurden.“ Nachdem Morgan in Londons Hyde Park Rednern zugehört hatte, die das Wort an Arbeiter richteten, bemerkte er dazu: „Wenn die Zeit kommt, sollte sie je kommen, werden sich die Werktätigen gegen die Geschäftsleute und Händler wie auch gegen die Aristokraten erheben und sie alle zusammen aus dem Weg räumen müssen.“

Aber seine eigenen Klasseninteressen machten ihn blind für den erbitterten Klassenkampf in den Vereinigten Staaten, die gerade aus einem vier Jahre dauernden blutigen Krieg zur Zerschlagung des Sklavenhaltersystems im Süden hervorgegangen waren. In den 1870er-Jahren erlebten die USA eine beispiellose Welle von Arbeiterstreiks, von den Textilfabriken Neuenglands bis zu den Kohlerevieren Pennsylvanias. Dies gipfelte in dem großen Eisenbahnerstreik 1877, dem Jahr, als Ancient Society herauskam. Doch wie der Anthropologe Leslie White, der führende Experte zu Morgans Werk und Herausgeber der maßgeblichen modernen Ausgabe von Ancient Society, in der Einleitung zu dem Buch feststellte: „In allen Schriften von Morgan, ob veröffentlicht oder nicht, findet sich keine Erwähnung dieses erbitterten Klassenkampfes in den USA.“

Ein ganzes Leben lang verteidigte Morgan die amerikanischen Ureinwohner, das war seine politische Hauptaktivität. Als 1876 die USA in einem Ausbruch völkermörderischen Hasses explodierten, nachdem die Sioux-Krieger am Little Big Horn General Custer und seine Truppen vernichtet hatten, schrieb Morgan zur Verteidigung der Ureinwohner einen beeindruckenden Brief an die Nation (20. Juli 1876). Er rief in Erinnerung, wie die Sioux durch die vorrückende weiße Bevölkerung ihre Lebensweise verloren hatten, erinnerte an die Landraub-„Verträge“ und Zwangsumsiedlungen und schrieb: „Wer wird die Sioux dafür verurteilen, dass sie sich selbst, ihre Frauen und Kinder verteidigt haben, als sie an ihrem eigenen Lagerplatz angegriffen und von Vernichtung bedroht wurden?“ Zwar hielt Morgan die Behandlung der amerikanischen Ureinwohner durch die Bundesbehörden für „schändlich“, doch hatte er Illusionen in die Fähigkeit der kapitalistischen Regierung, für die katastrophale Lage der Ureinwohner „Abhilfe“ zu schaffen. Er bewarb sich für den Posten des Bundesbeauftragten für Indianerfragen, wurde aber nicht ernannt.

Morgan setzte sich für die Rechte der Frauen ein. Zwar hatte sein Projekt, eine höhere Schule für Frauen zu gründen, keinen Erfolg, doch er vermachte seinen gesamten Nachlass der Universität von Rochester zur Förderung höherer Bildung für Frauen. Er sprach von der „großen Institution der Familie, wie sie heute besteht“, aber er wusste gleichzeitig, dass die moderne monogame Familie mit der Unterordnung der Frau verbunden war, glaubte jedoch, dass die Institution vervollkommnet werden könne, „bis die Gleichheit beider Geschlechter erreicht ist“. Morgan erkannte, dass sich die Familie weiter verändern müsse, so wie sich die Gesellschaft selbst verändert. Er schrieb: „Sollte die monogamische Familie einmal in entfernter Zukunft nicht mehr imstande sein, den Bedürfnissen der Gesellschaft zu entsprechen, gesetzt, die Zivilisation schreitet beständig weiter fort, ist es unmöglich vorherzusagen, welcher Art in diesem Fall ihre Nachfolgerin sein wird.“

In scharfem Gegensatz dazu verstanden Marx und Engels die Familie als eine Institution, die vollständig ersetzt werden muss, um die Befreiung der Frau herbeizuführen. Jahrzehnte vor der Veröffentlichung von Die Urgesellschaft wurden sie von Charles Fourier, dem utopischen Sozialisten des frühen 19. Jahrhunderts, stark beeinflusst. Über ihn schrieb Engels: „Er spricht es zuerst aus, dass in einer gegebnen Gesellschaft der Grad der weiblichen Emanzipation das natürliche Maß der allgemeinen Emanzipation ist“ (Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft, 1880). Fourier verstand, welche Rolle das Privateigentum bei der Unterdrückung der Frau spielt, und war dafür, die Familie durch gemeinschaftliche Kindererziehung und völlige sexuelle Freiheit zu ersetzen. Doch Fourier glaubte, eine solche Gesellschaft könne allein durch beispielhaftes Handeln geschaffen werden. Er ging daran, mehrere sozialistische Kommunen ins Leben zu rufen, die aber unter dem Druck der kapitalistischen Konkurrenzwirtschaft unweigerlich scheiterten.

Marx und Engels, die erkannten, dass die industrielle Produktionsweise im Kapitalismus einen qualitativen Schritt vorwärts bedeutete, waren die ersten, die den Sozialismus auf eine wissenschaftliche Grundlage stellten. Sie kämpften für eine sozialistische Revolution: die Machteroberung des Proletariats als ersten Schritt zum Aufbau einer weltweiten Planwirtschaft, die es ermöglichen würde, das Privateigentum abzuschaffen und die Frauen zu befreien. Sie widmeten ihr Leben dem Aufbau einer revolutionären Organisation, die die Arbeiter zum Sieg führen sollte.

Morgans Einfluss auf Marx und Engels

Als Marx und Engels 1848 das Kommunistische Manifest verfassten, besaßen sie nur ein bruchstückhaftes Wissen über die Urgesellschaft vor dem Entstehen von Klassen; daher die einleitende Aussage im Manifest: „Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Klassenkämpfen.“ Nachdem sie sich mit Morgans Werk vertraut gemacht hatten, verstanden sie, dass diese Formulierung veraltet war. 1872 erkannten Marx und Engels an, „das ‚Manifest‘ ist ein geschichtliches Dokument, an dem zu ändern wir uns nicht mehr das Recht zuschreiben“. So fügte Engels der Ausgabe des Manifests von 1888 eine Fußnote hinzu:

„Schließlich wurde die innere Organisation dieser urwüchsigen kommunistischen Gesellschaft in ihrer typischen Form bloßgelegt durch Morgans krönende Entdeckung der wahren Natur der Gens und ihrer Stellung im Stamm. Mit der Auflösung dieser ursprünglichen Gemeinwesen beginnt die Spaltung der Gesellschaft in besondre und schließlich einander entgegengesetzte Klassen.“

Dies war mehr als eine bloße Hinzufügung einiger technischer Fakten. Morgans Werk zeigte, dass der urkommunistische Clan bei weitem kein besonderes Merkmal bestimmter Menschengruppen darstellte, sondern eine Stufe in der natürlichen gesellschaftlichen Evolution des Menschen.

Im Anti-Dühring (1878) schrieb Engels, Marx „genügte“ zur vollständigen Erarbeitung des historischen Materialismus „nicht die Bekanntschaft mit der kapitalistischen Form der Produktion, des Austausches und der Verteilung. Die ihr vorhergegangnen oder die noch neben ihr, in weniger entwickelten Ländern bestehenden Formen mussten ebenfalls, wenigstens in den Hauptzügen, untersucht und zur Vergleichung gezogen werden.“ Morgans Forschungen und Entdeckungen ermöglichten es Marx und Engels, die Dialektik der gesellschaftlichen Evolution vollständiger auszuarbeiten. Morgans Forschungsergebnisse wurden in einem wichtigen Sinn zu einem integralen Bestandteil des Marxismus.

Der dialektische Materialismus – Marxismus – steht in völligem Gegensatz zu Morgans Auffassung, dass Ideen die treibende Kraft bei historischen Veränderungen seien. Marx erklärte in Zur Kritik der Politischen Ökonomie (1859) auf prägnante Weise:

„In der gesellschaftlichen Produktion ihres Lebens gehen die Menschen bestimmte, notwendige, von ihrem Willen unabhängige Verhältnisse ein, Produktionsverhältnisse, die einer bestimmten Entwicklungsstufe ihrer materiellen Produktivkräfte entsprechen. Die Gesamtheit dieser Produktionsverhältnisse bildet die ökonomische Struktur der Gesellschaft, die reale Basis, worauf sich ein juristischer und politischer Überbau erhebt und welcher bestimmte gesellschaftliche Bewusstseinsformen entsprechen. Die Produktionsweise des materiellen Lebens bedingt den sozialen, politischen und geistigen Lebensprozess überhaupt. Es ist nicht das Bewusstsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewusstsein bestimmt. Auf einer gewissen Stufe ihrer Entwicklung geraten die materiellen Produktivkräfte der Gesellschaft in Widerspruch mit den vorhandenen Produktionsverhältnissen oder, was nur ein juristischer Ausdruck dafür ist, mit den Eigentumsverhältnissen, innerhalb deren sie sich bisher bewegt hatten. Aus Entwicklungsformen der Produktivkräfte schlagen diese Verhältnisse in Fesseln derselben um. Es tritt dann eine Epoche sozialer Revolution ein. Mit der Veränderung der ökonomischen Grundlage wälzt sich der ganze ungeheure Überbau langsamer oder rascher um.“

Romantiker wie der französische Philosoph der Aufklärung Jean-Jacques Rousseau haben die Menschen der Urgesellschaft verklärt. Im Gegensatz dazu hielten Marx und Engels die Ersetzung des egalitären Jäger-und-Sammler-Clans durch Gesellschaftsformen, die in Klassen gespalten sind, nicht für die säkulare Version des verlorenen Paradieses. Im Anti-Dühring beschrieb Engels die Menschen in der Gesellschaft vor der Herausbildung der Klassen als „noch halb Tiere, roh, noch ohnmächtig gegenüber den Kräften der Natur, noch unbekannt mit ihren eignen; daher arm wie die Tiere und kaum produktiver als sie“.

Um die Kontrolle des Menschen über die Naturkräfte zu steigern und die menschliche Kultur selbst umzuwandeln, musste man die Arbeitsproduktivität steigern durch die sich weiterentwickelnde Aneignung wissenschaftlicher Erkenntnisse und immer fortgeschrittenerer Technologien. Vor der Entwicklung des Industriekapitalismus konnte der Aufbau des materiellen, kulturellen und geistigen Reichtums der menschlichen Gemeinschaft nur durch die Existenz einer privilegierten Klasse zustande kommen, die von der Arbeit der werktätigen Massen lebte. Engels erläuterte im Anti-Dühring:

„Solange die wirklich arbeitende Bevölkerung von ihrer notwendigen Arbeit so sehr in Anspruch genommen wird, dass ihr keine Zeit zur Besorgung der gemeinsamen Geschäfte der Gesellschaft – Arbeitsleitung, Staatsgeschäfte, Rechtsangelegenheiten, Kunst, Wissenschaft etc. – übrigbleibt, solange musste stets eine besondre Klasse bestehn, die, von der wirklichen Arbeit befreit, diese Angelegenheiten besorgte; wobei sie denn nie verfehlte, den arbeitenden Massen zu ihrem eignen Vorteil mehr und mehr Arbeitslast aufzubürden. Erst die durch die große Industrie erreichte ungeheure Steigerung der Produktivkräfte erlaubt, die Arbeit auf alle Gesellschaftsglieder ohne Ausnahme zu verteilen und dadurch die Arbeitszeit eines jeden so zu beschränken, dass für alle hinreichend freie Zeit bleibt, um sich an den allgemeinen Angelegenheiten der Gesellschaft – theoretischen wie praktischen – zu beteiligen. Erst jetzt also ist jede herrschende und ausbeutende Klasse überflüssig, ja ein Hindernis der gesellschaftlichen Entwicklung geworden …“

Die Wurzeln der Frauenunterdrückung

Morgan schrieb in der Urgesellschaft: „Die Familie ist ein aktives Element. Sie ist niemals stationär, sondern schreitet aus einer niederen zu einer höheren Form vor, so wie die Gesellschaft von niederer zu höherer Stufe sich entwickelt, und geht schließlich ganz aus einer Form heraus in diejenige einer höheren Stufe über.“ Bis zur Herausbildung der patriarchalischen Familie behielten die Frauen ihre egalitäre Stellung: „Es war … die Vereinigung einer Anzahl von Personen in einem bis dahin unbekannten knechtischen Abhängigkeitsverhältnis …, was der patriarchalischen Familie den Charakter einer besonderen Gesellschaftseinrichtung verlieh.“ Erst durch den Überfluss, den eine moderne Industrieproduktion in einer weltweiten Planwirtschaft erzeugt, wird es möglich sein, die Funktionen der Familie durch die Vergesellschaftung der Kinderbetreuung und Hausarbeit vollständig zu ersetzen. Dadurch werden die Frauen die Freiheit erlangen, sich am sozialen und politischen Leben in vollem Umfang zu beteiligen.

Morgan entwickelte eine hypothetische Geschichte der Familienformen und war davon überzeugt, dass die Verwandtschaftsbezeichnungen unmittelbar die biologischen Beziehungen der jüngeren Vergangenheit widerspiegelten. Davon ausgehend und mit Hilfe des von ihm in der Feldforschung und aus historischen Quellen gesammelten Materials entwickelte er eine Theorie der Entwicklungsstufen der Familie: ursprüngliche primitive Promiskuität, Gruppenehe, Paarungsehe und schließlich, mit dem Vorherrschen des Privateigentums, Monogamie. Weil es, so Morgan, unter den Bedingungen der Gruppenehe unmöglich war, das männliche Elternteil mit Sicherheit festzustellen, wurden daher die Abstammung und die Blutsverwandtschaft nach der weiblichen Linie bestimmt (Mutterrecht).

Als sich Ackerbau treibende, relativ sesshafte Gesellschaften entwickelten, so seine Annahme, kam es immer häufiger zu Beziehungen, in denen ein Mann und eine Frau für eine kürzere oder längere Zeit ein Paar bildeten. Der Mann hatte unter seinen vielen Frauen eine Hauptfrau, und für sie war er der wichtigste unter ihren vielen Männern. Aber der Ehebund war immer noch lose und konnte leicht gelöst werden. Nach einer solchen Trennung gehörten die Kinder dem Clan der Mutter an. Morgan ging weiter davon aus, dass die Paarungsehe ein neues Element in die Familie einführte: Sie gab dem nachweislichen Vater die Bestätigung seiner Vaterschaft. Für die Entstehung der patriarchalischen Familie und der Monogamie (für die Frauen) war, so nahm er an, die Vererbung des Privateigentums über die männliche Linie der entscheidende Faktor.

Doch Morgans fünf Entwicklungsstufen der Familie (Blutsverwandtschafts-, Punalua-, Paarungs-, patriarchalische und monogame Familie) lag eine allzu wörtliche Auslegung seines Forschungsmaterials zugrunde. Wenn ein Vater und seine Brüder die gleiche Verwandtschaftsbezeichnung hatten und ebenso eine Mutter und ihre Schwestern, so müsse es, glaubte Morgan, eine Zeit gegeben haben, in der Gruppen von Brüdern einerseits und Gruppen von Schwestern andererseits heirateten. Morgans Theorie – das Mutterrecht habe vorgeherrscht, weil man nicht wissen konnte, wer die Väter waren – geht von einer falschen Voraussetzung aus.

Heute erkennen Anthropologen, dass Verwandtschaftsbezeichnungen die gesellschaftlichen Beziehungen und Verpflichtungen wiedergeben statt tatsächlicher Ehe und Abstammung. Eigentlich ist Flexibilität der Verwandtschaftssysteme und der sozialen Verhältnisse höchst vorteilhaft für Menschen am Rande des Überlebens, wie es bei in Subsistenzwirtschaft lebenden Völkern oft der Fall ist und war. Unter solchen Urvölkern finden sich sowohl matrilineare wie auch patrilineare Systeme. Doch Morgans entscheidende Erkenntnis bleibt gültig: Die Familie und ihre entsprechenden Regeln für das Sexualverhalten und für die Moral änderten sich je nach den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bedingungen. Das Patriarchat und die Monogamie für Frauen waren ebenso Erfindungen wie die Steinaxt oder die Spinnmaschine.

In Ursprung der Familie übernahm Engels fast vollständig Morgans fehlerhafte Hypothese über die Entwicklungsgeschichte der Familie. Viele der Angaben im Kapitel über die ältesten Entwicklungsstufen der Familie sind überholt. Heute hat man vertiefte und differenziertere Erkenntnisse, die zeigen, dass die vielen vom Menschen geschaffenen Verwandtschaftsformen, Geschlechtsbeziehungen und Clanstrukturen eine noch größere Vielfalt aufweisen. Außerdem waren die Entwicklung des Produktionsüberschusses und der Organisation, die zur Aufrechterhaltung einer in Klassen geteilten Gesellschaft notwendig waren, weit komplexer und langwieriger, als Morgan oder Engels hätten wissen können.

Engels, der sich auf Morgans Angaben verließ, betonte, dass die Herausbildung der patriarchalischen Familie fast ausschließlich durch den Sturz des Mutterrechts hervorgerufen wurde zugunsten der Vererbung nach der väterlichen Linie. Zu Recht bezeichnete er die patriarchalische Familie als „die erste Familienform, die nicht auf natürliche, sondern auf ökonomische Bedingungen gegründet war, nämlich auf den Sieg des Privateigentums über das ursprüngliche naturwüchsige Gemeineigentum“. Doch Engels verließ sich auch auf Morgans Angaben, um zu erklären, welchen Einfluss diese wirtschaftlichen Bedingungen auf die Familie hatten, was aus heutiger Sicht zu manchen problematischen Schlussfolgerungen führt. Er glaubte, die Nahrungsbeschaffung sei in der Urgesellschaft der „männlichen Sphäre“ vorbehalten. Engels wusste nicht, dass bei der Arbeitsteilung die Frauen als Sammlerinnen mindestens so viel Nahrung für den Clan beschafften wie die Männer als Jäger. Er folgte auch Morgans Hypothese, dass der Ackerbau eine späte Erfindung männlicher Hirten gewesen sei, die eine Nahrungsquelle (Getreide) für ihre Tiere brauchten. Jetzt wissen wir aber, dass der Ackerbau eine sehr frühe neolithische Erfindung war, die Anthropologen im Allgemeinen den Frauen als den Pflanzensammlerinnen zuschreiben.

Engels nahm also an, dass der neue Überschuss aus der männlichen Sphäre herkam:

„In dem Verhältnis also, wie die Reichtümer sich mehrten, gaben sie einerseits dem Mann eine wichtigere Stellung in der Familie als der Frau und erzeugten andrerseits den Antrieb, diese verstärkte Stellung zu benutzen, um die hergebrachte Erbfolge zugunsten der Kinder umzustoßen. Dies ging aber nicht, solange die Abstammung nach Mutterrecht galt. Diese also musste umgestoßen werden, und sie wurde umgestoßen.“

In einer der berühmtesten Passagen seines Ursprung der Familie heißt es weiter:

„Der Umsturz des Mutterrechts war die weltgeschichtliche Niederlage des weiblichen Geschlechts. Der Mann ergriff das Steuer auch im Hause, die Frau wurde entwürdigt, geknechtet, Sklavin seiner Lust und bloßes Werkzeug der Kinderzeugung.“

Wenn der Grund für die dominierende Stellung des Mannes nicht seine Kontrolle über den Überschuss war, was dann? Sicherlich war eine legitime männliche Abstammungslinie – sichergestellt durch weibliche Monogamie, die durch Gebräuche, Gesetze und Moralvorschriften durchgesetzt wurde – wichtig für die ordnungsgemäße Weitergabe von Eigentum und Macht an die nächste Generation der neuen herrschenden Klasse. Doch nach Studium und Diskussion innerhalb unserer Partei sind wir zu dem Schluss gekommen, dass gerade die Tatsache, dass Frauen Kinder gebären – unter den Bedingungen der neuen Klassengesellschaft –, ebenfalls eine wichtige Rolle bei der immer mehr zunehmenden Unterordnung der Frauen in der Familie spielte. Dies erfolgte über einen langen Zeitraum in einem allmählichen, komplizierten und dialektischen Prozess.

In der Clan-Gemeinschaft war die Kinderbetreuung die Aufgabe der gesamten Gruppe. Die Jäger und Sammler hatten die Kontrolle über ihre Geburtenrate (durch größere Geburtenintervalle und im Notfall Kindestötung), da ein Gleichgewicht zwischen Männern, Frauen und Kindern zum Überleben unabdingbar war. Mit der Entwicklung der Landwirtschaft brauchte man mehr Arbeitskräfte für die Feldarbeit, und eine neue Arbeitsteilung entstand. Um ihren Reichtum und ihre Macht zu steigern, wollte die neue herrschende Klasse immer mehr Menschen: als Arbeitskräfte, für die Armee, und als Sklaven, die man kaufen und verkaufen kann. Mit der steigenden Geburtenrate wurden Frauen immer stärker durch Schwangerschaften und die Betreuung von Säuglingen und Kleinkindern belastet und waren im Haushalt isoliert. Ihre Hausarbeit wurde abgewertet, da diese in der neuen Wirtschaft einer Waren produzierenden Gesellschaft nicht als Profitquelle dienen konnte.

Die Umwandlung der egalitären Gesellschaft in eine Klassengesellschaft und die Entstehung der Familie können nicht einer einzigen historischen Entwicklung zugeschrieben werden, zum Beispiel der Erbfolge väterlicherseits, der Entwicklung des Ackerbaus, der Erfindung des Pfluges oder der Domestizierung von Tieren. Bevor es zu dieser Umwälzung kommen konnte, mussten die starken Bindungen, die die Verwandtschaftsgemeinschaft zusammenhielten, allmählich durchtrennt und der Gemeinschaftsbesitz an den Produktionsmitteln beseitigt werden.

Was beim Übergang von den egalitären Clan-Gesellschaften zur Klassengesellschaft genau geschah, und das nicht nur einmal, sondern viele Male und in vielen Gegenden, muss zu einem bestimmten Grad auf begründeter Annahme beruhen. Es gab je nach Zeit, Ort und Umständen enorme Unterschiede bei den materiellen Bedingungen – wie Klima und Rohstoffe (Pflanzen, Tiere, Bodenschätze) – sowie in der Geschichte, der Kultur, den gesellschaftlichen Bräuchen und Sexualpraktiken. Womöglich werden manche der Schlussfolgerungen, die Forscher heute ziehen, durch zukünftige Forschungen in Frage gestellt.

Bruce D. Smith bietet in The Emergence of Agriculture [Das Entstehen des Ackerbaus] (Scientific American Library, New York 1995) eine nützliche Zusammenfassung der modernen Forschungsergebnisse in der Archäologie und Genetik (welche die Veränderungen an den Genen von wilden bis hin zu domestizierten Pflanzen- und Tierarten verfolgt). Daraus geht hervor, dass der Übergang von einer Lebensweise der Nahrungssuche bis zu der in sesshaften auf Nahrungsmittelproduktion basierenden Siedlungen sich sehr in die Länge zog. Die Ursprünge des Ackerbaus im Nahen Osten (eine von sieben bekannten Regionen in der Welt, wo der Ackerbau unabhängig voneinander entstand) liegen offensichtlich 12 500 Jahre zurück, wobei es etwa 2000 Jahre dauerte, bis der Ackerbau über das Jagen und Sammeln vorherrschte. An Orten wie Jericho (im Westjordanland) und Çatalhöyük in der Türkei wuchsen Siedlungen Tausender Menschen. Aktuelle Ausgrabungen in Çatalhöyük zeugen von einer Kultur, in der die Beziehungen unter den Menschen, auch zwischen den Geschlechtern, noch egalitär waren. Wie Smith sagt, es kann gut sein, dass den Frauen „in den frühen Ackerbau treibenden Gesellschaften eine zunehmend wichtige Rolle zukam, eben weil sie das Land kultivierten“.

Im Nahen Osten entstand eine voll entwickelte Klassengesellschaft erst mit dem Aufbau der mesopotamischen Stadtstaaten des antiken Sumer. Das vor mindestens 5000 Jahren gegründete Ur erlebte als Handelsknotenpunkt zwischen dem Persischen Golf und den Flüssen des mesopotamischen Kernlands eine Blüte und wurde zu einer Stadt sagenhaften Reichtums. Zwar dürften in der Familie die Männer das Sagen gehabt haben, doch die Gesellschaft als Ganzes wurde von einer neuen Ausbeuterklasse beherrscht, die sich der Produkte der Werktätigen bemächtigte.

Ummauerte Städte, prunkvolle Paläste und Tempel, organisierte Heere und territoriale Eroberungen, sehr reich ausgestattete Gräber: All das entstand mit der weitgehenden Übertragung von Land und Eigentum an eine neue herrschende Elite. Der Anthropologe Robert McC. Adams behandelt zum Beispiel die Auswirkungen von intensivem, auf Bewässerungssystemen beruhendem Ackerbau in The Evolution of Urban Society: Early Mesopotamia and Prehispanic Mexico [Die Evolution der städtischen Gesellschaft: das frühe Mesopotamien und das prähispanische Mexiko] (Aldine Publishing Co., Chicago 1966). Die Bewässerungssysteme, die den Zugang zu den oftmals knappen Wasservorkommen einschränkten, wirkten sich auf den gemeinschaftlichen Landbesitz nachteilig aus, was die „Konzentration vererbbaren, übertragbaren Vermögens an produktiven Ressourcen und damit auch den Aufbau einer Klassengesellschaft“ vorantrieb. (Adams’ Buch entstand aus einem Vortrag von 1965 im Rahmen der Lewis Henry Morgan Lectures [Vorlesungsreihe] der Universität Rochester.)

Und doch machten Krankheitsepidemien, ökologische Katastrophen oder politische Unruhen diese ersten Stadtstaaten häufig fragil. Eine nützliche Zusammenfassung des gegenwärtigen Wissensstandes über das antike Mesopotamien findet sich in Die Mühlen der Zivilisation – Eine Tiefengeschichte der frühesten Staaten (Suhrkamp, Berlin 2019) von James C. Scott. Er schrieb:

„Wenn der Staat auseinanderbrach, lag es gewiss nicht daran, dass er nicht alle Zwangsmittel angewandt hätte, die er aufzubieten vermochte. Die Beweise für die ausgiebige Nutzung unfreier Arbeit – von Kriegsgefangenen, Zwangsarbeitern, Tempelsklaven, gekauften Sklaven, Zwangsumgesiedelten in Arbeitslagern, Sträflingen und Staatssklaven (wie den spartanischen Heloten) – sind überwältigend. Unfreie Arbeit war besonders wichtig für den Bau von Stadtmauern, Straßen und Kanälen, im Bergbau, in Steinbrüchen, bei der Holzgewinnung, beim Bau von Monumenten, dem Weben von Wolltextilien und natürlich in der Landwirtschaft. Die sorgfältige ‚Bewirtschaftung‘ der unterworfenen Bevölkerung – einschließlich der Frauen –, die ähnlich dem Viehbestand als eine Form von Reichtum galt, wobei Fruchtbarkeit und hohe Reproduktionsraten gefördert wurden, ist unübersehbar.“

Die Familie ist ein Bein des Dreifußes von Unterdrückungsinstitutionen (Familie, Staat, organisierte Religion), die das Ausbeutungssystem stützen die drei Hauptbestandteile des „juristischen und politischen Überbaus“ der Klassengesellschaft, wie Marx ihn bezeichnete. Zwar ist für die herrschende Klasse die Familie als Mittel zur Festlegung der Vererbung von Eigentum und Macht unentbehrlich, doch dient sie bei den Werktätigen einem anderen Zweck. Die patriarchalische Familie ist das Mittel zur Erziehung der neuen Generation der auszubeutenden Arbeitskräfte, sie ist auch die Wiege der Indoktrinierung von Gehorsamkeit und Ehrfurcht gegenüber der Obrigkeit. Als die wirtschaftliche Grundeinheit der neuen gespaltenen Gesellschaft entwickelte sich die Familie so weit, dass sie den Clan in der Gesellschaft ersetzte und die zuvor egalitäre Gesellschaftsordnung mit einer Ideologie der Unter- und Rangordnung infizierte. Die Anthropologin Eleanor Burke Leacock schrieb in ihrem ausgezeichneten Vorwort zur englischen Ausgabe von Ursprung der Familie (International Publishers, New York 1972):

„Diese Umwandlungen erfolgten vor dem Hintergrund sich entwickelnder Ausbeutungsverhältnisse, wodurch das Gemeineigentum unterminiert wurde, die gemeinschaftliche Gruppe von Verwandten auseinanderbrach und sich die Einzelfamilie als abgetrennte und schutzlose Einheit herauskristallisierte, die wirtschaftlich verantwortlich war für den Unterhalt ihrer Mitglieder und für das Aufwachsen der neuen Generation. Die Unterwerfung des weiblichen Geschlechts beruhte auf der Umwandlung seiner gesellschaftlich notwendigen Arbeit in eine private Dienstleistung aufgrund der Abtrennung der Familie vom Clan… Die Abtrennung der Familie vom Clan und die Institution der monogamen Ehe waren der gesellschaftliche Ausdruck des aufkommenden Privateigentums.“

Es ist bemerkenswert, dass Morgan das Thema der Religion in Die Urgesellschaft ausdrücklich ausklammerte als „mit so wesentlichen Schwierigkeiten verknüpft, dass es niemals eine vollkommen genügende Erklärung wird finden können“. Neue Forschungsergebnisse haben auch auf dieses Thema ein neues Licht geworfen, wenn auch vielleicht nicht so, wie es sich Morgan gewünscht hätte. Archäologische Ausgrabungen an den Stätten des antiken Sumer deuten darauf hin, dass die Tempel die ersten Orte waren, wo der Überschuss als religiöse Beigaben aufbewahrt wurde, und aus Untersuchungen von Keilschrifttafeln geht hervor, dass die Schrift als Erstes zur Bestandsaufnahme von Gütern in diesen Tempeln verwendet wurde.

Die organisierte Religion mit ihren strengen Moralvorschriften und ihrer starren Hierarchie entwickelte sich als institutionelles Bollwerk der Ausbeuterordnung und als mächtiger Partner des neuen Staates. Gesetze zur Reglementierung von Familie und Moral finden sich im Kodex Hammurabi, der frühesten bislang entdeckten vollständigen Gesetzessammlung. In einer früheren weniger vollständigen Gesetzessammlung aus der Zeit vor etwa 4450 Jahren wurde die Praxis der Polyandrie (Ehe von Frauen mit mehreren Männern) kriminalisiert, die Abstammung über die väterliche Linie institutionalisiert und Monogamie nur den Frauen aufgezwungen (Ruby Rohrlich, „State Formation in Sumer and the Subjugation of Women“ [Staatenbildung in Sumer und die Unterwerfung der Frauen], Feminist Studies 6, Nr. 1, Frühjahr 1980).

Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats basierte auf dem besten Material, das Engels damals zur Verfügung hatte. Auch wenn einiges von diesem Material heute überholt ist, erkannte Engels den Kern des Ganzen:

„Die alte, auf Geschlechtsverbänden beruhende Gesellschaft wird gesprengt im Zusammenstoß der neu entwickelten gesellschaftlichen Klassen; an ihre Stelle tritt eine neue Gesellschaft, zusammengefasst im Staat, dessen Untereinheiten nicht mehr Geschlechtsverbände, sondern Ortsverbände sind, eine Gesellschaft, in der die Familienordnung ganz von der Eigentumsordnung beherrscht wird und in der sich nun jene Klassengegensätze und Klassenkämpfe frei entfalten, aus denen der Inhalt aller bisherigen geschriebnen Geschichte besteht.“

Die Etablierung der patriarchalischen Familie war in der Tat „die weltgeschichtliche Niederlage des weiblichen Geschlechts“. Die Frau verlor ihre ursprüngliche Gleichstellung und wurde vom Unterhalt des Mannes abhängig, während eine neue Ideologie von der Überlegenheit der Männer dazu beitrug, die Ungleichheit und die Unterdrückung der in Klassen gespaltenen Gesellschaft zu rechtfertigen.

Für Frauenbefreiung durch sozialistische Revolution!

Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats endet mit einem Zitat von Morgan, der ein Ende der „bloßen Jagd nach Reichtum“ entwirft, welche die bestehende Zivilisation beherrscht hat. Für Morgan musste so etwas ein Wunschtraum bleiben, doch Marx und Engels sahen voraus, dass dies mit der Entwicklung der industriellen Produktion und des Proletariats als der künftigen neuen herrschenden Klasse wirklich Realität werden könnte.

Die Fortschritte der wissenschaftlichen Forschung werfen zwar Licht auf den Ursprung der Frauenunterdrückung, doch die Notwendigkeit der vollständigen Ersetzung der Familie durch Vergesellschaftung von Kinderbetreuung und Hausarbeit wird erst deutlich durch die Lehren der Russischen Revolution vom Oktober 1917 und die bolschewistische Arbeit für die Emanzipation der Frauen. Die Bolschewiki versuchten in den ersten Jahren, soweit sie unter den Bedingungen des verarmten Russland dazu in der Lage waren, Arbeits- und Bildungsmöglichkeiten für Frauen zu schaffen und kollektivierte Kinderbetreuung einzurichten. Doch ohne ausreichende Ressourcen zur vollständigen Ersetzung der Familie konnten die arbeitenden Frauen in Russland die ihnen rechtlich zustehenden Möglichkeiten oftmals nicht nutzen. Die Ersetzung der Familie muss bewusst durchgeführt werden durch den Aufbau kollektiver Alternativen, die durch den Arbeiterstaat, der über reichlich vorhandene produktive Ressourcen verfügt, von oben nach unten organisiert wird. (Siehe „Russische Revolution und Emanzipation der Frauen“, Spartacist, deutschsprachige Ausgabe Nr. 25, Frühjahr 2006.)

Die kommunistische Gesellschaft kann sich nur auf der Grundlage entwickeln, dass sie durch die fortschreitende Steigerung der Arbeitsproduktivität den ökonomischen Mangel überwindet. Der erste Schritt auf diesem Weg muss eine Reihe von Arbeiterrevolutionen sein, die der Kapitalistenklasse die Macht entreißen und Arbeiterstaaten schmieden, in denen die Produktionsmittel in den Händen der Werktätigen sind. Erst dann wird es möglich sein, eine neue sozialistische Ordnung auf der Grundlage einer weltweiten Planwirtschaft zu errichten. Eine Gesellschaft wird sich entwickeln, wo der Staat abstirbt und wo die Institution der Familie ersetzt wird durch kollektive Methoden der Betreuung und Sozialisation der Kinder sowie durch vollständige Freiheit in den sexuellen Beziehungen. So schrieb die Spartacist League/U.S. in „Kommunismus und die Familie“ (abgedruckt in Spartakist Nr. 209, August 2015):

„Wenn die Familie ebenso wie die Klassen und der Staat abgestorben ist, wird die gemeinschaftliche Erziehung, die sie ersetzt, eine neue Psychologie und Kultur unter den Menschen hervorbringen, die unter diesen Bedingungen aufwachsen. Patriarchalische soziale Werte – ‚meine‘ Frau, ‚meine‘ Kinder – werden gemeinsam mit dem Unterdrückersystem, das sie erzeugte, verschwinden. Die Beziehung der Kinder untereinander und zu den Personen, die sie unterrichten und anleiten, wird viele Facetten haben, wird komplex und dynamisch sein…

Die Familie durch kollektive Institutionen zu ersetzen ist der radikalste Aspekt des kommunistischen Programms und wird zutiefst umwälzende Veränderungen im täglichen Leben mit sich bringen, nicht zuletzt für die Kinder.“

Das ist tatsächlich die Vision, die Morgan von der Zukunft hatte und die Engels am Ende seines Buches kursiv hervorgehoben zitierte: „Sie wird eine Wiederbelebung sein – aber in höherer Form – der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit der alten Gentes.“