Spartacist (deutsche Ausgabe) Nummer 30

Winter 2014/15

 

Clara Zetkin und der Kampf für die Dritte Internationale

(Frauen und Revolution)

Der Ausbruch des ersten interimperialistischen Krieges im August 1914 war eine Scheidelinie für die internationale sozialistische Arbeiterbewegung: Die sozialdemokratische Zweite Internationale brach zusammen und wurde sozialchauvinistisch. Mit einem Treueschwur auf die „Vaterlandsverteidigung“ scharten sich die sozialchauvinistischen Führer um ihre jeweils eigene herrschende Klasse und taten das ihrige, das Proletariat in das Gemetzel des Krieges zu treiben und den Klassenkampf im Namen des „Burgfriedens“ zu unterdrücken. Eklatantestes Beispiel hierfür war die Sozialdemokratische Partei Deutschlands, die allgemein als die führende Partei der Internationale galt. Am 4. August 1914 stimmte die SPD-Fraktion im Reichstag für die Bewilligung der Kriegskredite für die kaiserliche Regierung und segnete damit die imperialistischen Kriegsziele Kaiser Wilhelms II. ab.

Gerüstet durch ihren jahrelangen Kampf und entschiedenen Bruch mit den russischen Opportunisten, den Menschewiki, traten W. I. Lenin und die bolschewistische Partei als Führung einer internationalen Bewegung hervor, die das Banner des revolutionären Marxismus wieder aufrichtete. Schon auf dem Internationalen Sozialistenkongress in Stuttgart 1907 hatte Lenin versucht, einen Kern von Linken gegen die Opportunisten in der Internationale zusammenzuführen. Unter der Führung Lenins und Rosa Luxemburgs erreichte die Linke die einstimmige Annahme einer Resolution, die Lenins Hauptgedanken enthielt: „Es handelt sich nicht allein darum, den Ausbruch des Krieges zu verhindern, sondern darum, die durch den Krieg hervorgerufene Krise zur Beschleunigung des Sturzes der Bourgeoisie auszunutzen“ (Lenin, „Der Internationale Sozialistenkongress in Stuttgart“, August/September 1907). Doch als der Krieg ausbrach, waren es von den sozialdemokratischen Parteien der kriegführenden Länder lediglich die Bolschewiki, ein paar Menschewiki sowie die bulgarische und die serbische Partei, die sich gegen die Bewilligung der Finanzmittel für die Kriegsführung ihrer Regierungen stellten.

Für Lenin bewies der schmähliche Zusammenbruch der Zweiten Internationale, dass es absolut notwendig war, definitiv mit den Opportunisten und ihren zentristischen Apologeten zu brechen und für eine neue, Dritte Internationale zu kämpfen. 1919, nach Jahren des Kampfes und der siegreichen Machtergreifung des Proletariats in der Russischen Revolution vom Oktober 1917, wurde in Moskau die Dritte (Kommunistische) Internationale (Komintern oder KI) gegründet. Ihre ersten vier Weltkongresse (1919–22) verkündeten ein revolutionäres Aktionsprogramm, um weltweit die besten linken Sozialisten zu gewinnen und mit dem Aufbau kommunistischer Massenparteien zu beginnen.

Zum Schmieden neuer leninistischer Avantgardeparteien waren wiederholte politische Kämpfe unerlässlich, um die revolutionären Elemente von der Praxis und dem Programm der Sozialdemokratie zu brechen und die schwankenden Zentristen hinauszutreiben. Wie Lenin schrieb: „Die III. Internationale übernahm die Früchte der Arbeit der II. Internationale, beseitigte ihren opportunistischen, sozialchauvinistischen, bürgerlichen und kleinbürgerlichen Unrat und begann, die Diktatur des Proletariats zu verwirklichen („Die Dritte Internationale und ihr Platz in der Geschichte“, April 1919).

Zu diesen Früchten der Zweiten Internationale gehörte vor 1914 die bahnbrechende Arbeit unter Frauen, die hauptsächlich von weiblichen Kadern der SPD unter der Führung von Clara Zetkin initiiert und ausgeführt wurde. Als prominente Linke im Umkreis von Rosa Luxemburg kämpfte Zetkin für verstärkte Bemühungen und besondere Maßnahmen, Frauen für die Partei zu gewinnen, und setzte sich für die internationale Ausweitung der Maßnahmen ein. 25 Jahre lang war sie die Redakteurin der anspruchsvollen polemischen Zeitschrift Die Gleichheit, die der Organisierung und Ausbildung von SPD-Frauenkadern diente. Zetkins Pionierarbeit unter Frauen sollte den Bolschewiki später als Sprungbrett bei ihren Bestrebungen dienen, das revolutionäre Programm zur Frauenemanzipation umzusetzen. Als Autorin, Rednerin, Organisatorin und Übersetzerin war Zetkin eine der besten und sicherlich eine der bekanntesten Führerinnen der Zweiten Internationale. Zum Zeitpunkt der Russischen Revolution bereits 60 Jahre alt, gehörte Zetkin zu den ganz wenigen, die an der Gründung der Zweiten Internationale 1889 teilnahmen und den Sprung zur Kommunistischen Internationale geschafft hatten. Lenins harte politische Kämpfe mit ihr trugen in hohem Maße zu diesem positiven Ausgang bei.

Auf ihrem Weg von einer linken Sozialdemokratin zur Kommunistin trug Zetkin nicht wenig politischen Ballast von der Zweiten Internationale mit sich. Ihre Schwierigkeiten bei dieser Entwicklung zeigen die enorme Kluft zwischen Sozialdemokratie und Kommunismus selbst für linke Sozialdemokraten, die die bolschewistische Revolution begrüßt hatten. Zetkins Verständnis von der Notwendigkeit eines harten, programmatischen Kampfes für eine leninistische Avantgardepartei war unvollständig und sie tat sich schwer, sich von dem sozialdemokratischen Konzept der „Partei der Gesamtklasse“ (eine Klasse, eine Partei) zu lösen, welches die Aussöhnung mit dem Opportunismus beinhaltet. Mehrere Jahre lang war sie zwischen Sozialdemokratie und Leninismus hin- und hergerissen, bis sie sich schließlich definitiv für den Kommunismus entschied.

Heute schürt ein großer Teil der Linken eifrig die sozialdemokratischen Illusionen in schrittweise Reformen und parlamentarische Taktiken, wie sie in der Zweiten Internationale vorherrschten. In unserem Artikel „Die Neo-Kautskyaner: Neuaufguss der Zweiten Internationale“ (Spartacist, deutsche Ausgabe Nr. 29, Sommer 2013) thematisierten wir die wiederauflebende Popularität von Karl Kautsky, dem Haupttheoretiker der Sozialdemokratie, bei zahlreichen reformistischen linken Gruppen, insbesondere bei denjenigen, die mit der Zeitschrift Historical Materialism und deren diversen Konferenzen und Buchprojekten liiert sind.

Zu diesem Milieu gehören Anhänger der in den USA ansässigen International Socialist Organization (ISO) sowie des Vereinigten Sekretariats und der britischen Socialist Workers Party, die die Lehren der Revolutionsgeschichte entstellen, um ihre eigene offene Gegnerschaft zur Perspektive einer internationalen proletarischen Revolution zu verschleiern. Indem sich die Reformisten die bürgerliche Lüge vom „Tod des Kommunismus“ zu eigen machen, haben sie immer unverhohlener selbst ihrem einstigen formellen Anspruch auf den Leninismus abgeschworen und diesen verurteilt. Kautsky und seinesgleichen haben versucht, die Arbeiter durch eine politisch verwirrende „Einheit“ innerhalb einer „Partei der Gesamtklasse“ ihrem Klassenfeind unterzuordnen. Die heutigen Reformisten treten in seine Fußstapfen.

Im Gleichklang damit haben dieselben Reformisten und linken Akademiker Clara Zetkin wiederentdeckt. Das Musterbeispiel dafür ist John Riddell, ein linker Historiker und Herausgeber einer bedeutenden Buchreihe, in der die Dokumente der frühen KI unter dem Titel The Communist International in Lenin’s Time zusammengestellt sind. In seinen Artikeln, die häufig in der International Socialist Review der ISO und in anderen reformistischen Zeitschriften erscheinen, macht Riddell Reklame für Zetkin gerade wegen ihrer Differenzen mit den Bolschewiki hinsichtlich des Krieges und der Parteiorganisation. Gleichzeitig lehnt er Zetkins Schritte in Richtung einer bolschewistischen Perspektive ab, die er aus diesem Grund totzuschweigen versucht. Die Reformisten können es nicht ertragen, dass die altgediente Sozialistin Zetkin für die bolschewistische Revolution eintrat und, wenn auch mit großer Mühe, zu der Einsicht gelangte, dass ein qualitativer Bruch mit der Sozialdemokratie notwendig war, wie ihn Lenins Partei verkörperte.

Die Parteifrage: Von der Zweiten zur Dritten Internationale

Die offizielle Lehre der internationalen Sozialdemokratie postulierte eine scharfe Trennung zwischen dem Maximalprogramm (Sozialismus irgendwann in der Zukunft) und einem Minimalprogramm politischer und sozioökonomischer Reformen, die man innerhalb des kapitalistischen Systems für erreichbar hielt. Entscheidend dabei war die Tatsache, dass die Auffassung der SPD vom Staat – dass dieser mit parlamentarischen Mitteln im Interesse der Arbeiterklasse umgestaltet werden könne – eine schleichende revisionistische Politik gradueller Veränderungen widerspiegelte, die immer mehr die offizielle revolutionär-sozialistische Perspektive der Partei ersetzte. Die SPD-Spitzen meinten, der Sozialismus sei durch eine höhere Anzahl der Mandate im Reichstag sowie das allmähliche Wachstum der Partei in der Arbeiterklasse zu erreichen. Die zuletzt genannte gefährliche Illusion war ein integraler Bestandteil der Politik Zetkins.

Die von Kautsky populär gemachte „Partei der Gesamtklasse“ sollte alle Tendenzen vertreten, die sich auf die Interessen der Arbeiterklasse beriefen – von den opportunistischsten und am meisten prokapitalistischen bis zu den klassenbewusstesten und revolutionärsten. Der von Eduard Bernstein angeführte revisionistische Flügel lehnte die zentralen Lehren des Marxismus ab und behauptete ausdrücklich, der Kapitalismus könne schrittweise in Richtung Sozialismus reformiert werden. Zwar lehnte die SPD 1903 Bernsteins Revisionismus formal ab, doch in den Vorkriegsjahren wurde sein Programm tatsächlich zur Praxis des zunehmend konservativen Parteivorstands sowie der SPD-Gewerkschaftsführung. Partei„demokratie“ innerhalb der SPD bedeutete, dass die reformistischen Parlamentarier und Gewerkschaftsfunktionäre die Parteipolitik bestimmten, während die Arbeiterbasis so gut wie keine Stimme hatte.

In scharfem Gegensatz dazu war Lenins Avantgardepartei eine Kaderorganisation aus Berufsrevolutionären, die auf einem revolutionären Programm basierte und in deren Reihen sich die fortgeschrittensten Schichten des klassenbewussten Proletariats sowie prosozialistische Intellektuelle sammelten. Aufgabe der Partei war es, in die Arbeiterklasse revolutionäres Bewusstsein und das Programm des Sozialismus hineinzutragen. Die demokratisch-zentralistische Partei sprach und handelte mit einer Stimme, während sie intern die breiteste Demokratie bei den Diskussionen über Programm und Prioritäten der Partei ermöglichte.

Bis 1914 dachte Lenin, dass diese Organisationsmethoden nur auf die besonderen Bedingungen des zaristischen Russlands anwendbar seien. Nach Ausbruch eines interimperialistischen Krieges größten Ausmaßes und dem Zusammenbruch der Zweiten Internationale sprengte Lenin den theoretischen und dogmatischen Rahmen der Sozialdemokratie, indem er seinen Standpunkt zur Parteifrage verallgemeinerte und auf alle Länder ausweitete. Während Lenin bei seinem Kampf gegen die Menschewiki den Opportunismus als eine außerhalb der Arbeiterbewegung angesiedelte kleinbürgerliche Richtung betrachtet hatte, kam er nun zu der Erkenntnis, dass es eine materielle Grundlage für die obersten Schichten der Arbeiterbewegung gab, als politische Agenten der kapitalistischen Ordnung innerhalb der Arbeiterbewegung selbst zu dienen. In seiner Analyse der materiellen Grundlage von Opportunismus und Sozialchauvinismus in den imperialistischen Ländern schrieb Lenin:

„Bestimmte Schichten der Arbeiterklasse (die Bürokratie in der Arbeiterbewegung und die Arbeiteraristokratie, für die ein kleiner Teil der Profite aus der Ausbeutung der Kolonien und aus der privilegierten Lage ihres ,Vaterlands‘ auf dem Weltmarkt abfiel) sowie die kleinbürgerlichen Mitläufer innerhalb der sozialistischen Parteien waren die soziale Hauptstütze dieser Tendenzen und die Träger des bürgerlichen Einflusses auf das Proletariat.“

– „Die Konferenz der Auslandssektionen der SDAPR“ (März 1915)

Zwischen 1914 und 1917 entwickelte Lenin seinen Kampf um drei Hauptlosungen. Erstens müssten Sozialisten in den kriegführenden Ländern für die Niederlage vor allem ihres „eigenen“ bürgerlichen Staates eintreten. Zweitens zeige der Krieg, dass der Kapitalismus unwiderruflich in sein höchstes Stadium, die imperialistische Epoche, eingetreten war und die Zeit für eine sozialistische Revolution reif geworden war. Sozialisten müssten dafür kämpfen, den imperialistischen Krieg in einen Bürgerkrieg umzuwandeln, und im Kampf für eine proletarische Revolution gegen Klassenzusammenarbeit und „Burgfrieden“ eintreten. Und drittens sei die Zweite Internationale durch den Sozialchauvinismus zerstört worden. Eine neue, revolutionäre Internationale müsse aufgebaut werden durch einen scharfen Bruch mit den Opportunisten in der sozialdemokratischen Bewegung. Lenin schrieb: „Der III. Internationale steht die Aufgabe bevor, die Kräfte des Proletariats zum revolutionären Ansturm gegen die kapitalistischen Regierungen zu organisieren, zum Bürgerkrieg gegen die Bourgeoisie aller Länder für die politische Macht, für den Sieg des Sozialismus!“ („Lage und Aufgaben der sozialistischen Internationale“, November 1914).

In seinem klassischen Werk aus dem Jahr 1915, Sozialismus und Krieg, das er gemeinsam mit seinem damals engsten Mitarbeiter Grigori Sinowjew schrieb, verurteilte Lenin den Sozialchauvinismus der SPD-Mehrheit (geführt von Philipp Scheidemann, Friedrich Ebert und Gustav Noske): „Der Opportunismus ist ,ausgereift‘, er hat seine Rolle als Emissär der Bourgeoisie in der Arbeiterbewegung ausgespielt.“ Er rief zu einem vollständigen organisatorischen und politischen Bruch mit der Mehrheit auf:

Einheit mit den Opportunisten bedeutet jetzt in der Praxis Unterwerfung der Arbeiterklasse unter die ,eigene‘ nationale Bourgeoisie, Bündnis mit dieser Bourgeoisie zur Unterdrückung fremder Nationen und zum Kampf für die Großmachtprivilegien, also Spaltung des revolutionären Proletariats aller Länder.“

Lenin hob die zentristische Rolle von Karl Kautsky hervor, der den offenen Reformisten in der SPD mit dem Argument Rückendeckung gab, die Partei sei ein „Friedensinstrument“ und eine vereinigte Internationale könne nach Kriegsende wiederhergestellt werden (siehe „Bolschewistische Politik im Ersten Weltkrieg“, Seite 6). Im Gegensatz zu den Führern der SPD-Mehrheit war Kautsky kein offener Rekrutierungsfeldwebel für das imperialistische Militär, aber sein Ruf nach „Frieden“ stiftete Unklarheit über die Unausweichlichkeit des Krieges in der imperialistischen Epoche und öffnete den offenen Sozialchauvinisten die Hintertür. In seiner Theorie des „Ultraimperialismus“ behauptete er, imperialistische Rivalitäten und Kriege könnten durch eine Art friedlicher Allianz aller imperialistischen Mächte beseitigt werden. Lenin nannte dies „eine höchst reaktionäre Vertröstung der Massen auf die Möglichkeit eines dauernden Friedens im Kapitalismus“ (Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus, 1916). Lenin argumentierte, dass ein derartiger Sozialpazifismus „der Sache des Marxismus größeren Schaden zufügt als der offene Sozialchauvinismus“, der seinen verräterischen Kurs zumindest offen darlegte (Sozialismus und Krieg).

Die große Stärke der bolschewistischen Partei bestand darin, dass sie sich als eine politisch homogene Organisation entwickelte dank ihres frühen Bruchs mit den menschewistischen Opportunisten sowie einer Reihe von Kämpfen wie der Revolution von 1905, der Arbeit in der Duma (russisches Parlament) und vieler interner politischer Auseinandersetzungen. Die Ausbildung und Auslese erfahrener Kader brauchte Zeit und die Partei musste bewusst zu einem revolutionären Instrument geschmiedet werden, das in die Kämpfe des Proletariats intervenieren und diese führen konnte. Daher musste es die erste Aufgabe revolutionärer Sozialisten in der Dritten Internationale sein, im Kampf gegen die Reformisten die Führung der Arbeitermassenbewegung zu übernehmen, als Voraussetzung dafür, diese zum Sieg über den Kapitalismus zu führen und somit die Grundlage für eine sozialistische Gesellschaft zu schaffen.

Berner Konferenz: Opportunismus gegen Bolschewismus

Lenins Kampf für eine revolutionäre Antwort auf den Krieg stieß auf den Widerstand altgedienter linker Sozialdemokraten, die – insbesondere auf den Konferenzen der Antikriegssozialisten in Zimmerwald (September 1915) und in Kienthal (1916) – auf verschiedene Weise versuchten, die „Einheit“ der alten, politisch bankrotten Internationale aufrechtzuerhalten. Zetkin nahm an diesen historischen Konferenzen nicht teil (zur Zeit der Zimmerwalder Konferenz saß sie wegen ihrer Antikriegsaktivitäten im Gefängnis), aber sie hatte die Internationale Konferenz Sozialistischer Frauen vom März 1915 in Bern einberufen, wo sie auf die Einheit zwischen den gegensätzlichen politischen Kräften hinarbeitete und damit eine versöhnlerische Rolle spielte.

Im November 1914 hatte die bolschewistische Führerin Inessa Armand in einem Brief im Namen der Redaktion von Rabotniza (Die Arbeiterin), der Frauenzeitung der Partei, Clara Zetkin dringend empfohlen, eine Konferenz linker Sozialistinnen gegen den Krieg einzuberufen. Ziel sollte sein, „der Bewegung der arbeitenden Frauen besondere Aufmerksamkeit zu widmen und alle Anstrengungen zu unternehmen, um sie einzubeziehen in den Kampf gegen jegliche Erscheinung des Chauvinismus, gegen jegliche nationale Blöcke, in den Krieg gegen den Krieg, in den Krieg, der eng mit dem Bürgerkrieg und der sozialen Revolution verbunden ist“ (zitiert in Pawel Podljaschuk, Inessa, Dietz Verlag, Berlin 1987). Vor dem Zusammentreten der Konferenz äußerte sich Lenin dazu – in der Hoffnung, die Konferenz würde ein erster Schritt zur Gründung der Dritten Internationale sein – in einem Brief an Alexandra Kollontai, die bald darauf den Bolschewiki beitreten sollte und bei der Arbeit der KI unter den Frauen eine führende Rolle spielte:

„Sie scheinen mit der Losung des Bürgerkrieges nicht ganz einverstanden zu sein und räumen ihr eine sozusagen untergeordnete (vielleicht sogar bedingte) Stellung nach der Friedenslosung ein. Und Sie betonen, dass ,wir eine Losung aufstellen müssen, die alle vereinigt‘.

Ich gebe offen zu, dass ich im gegenwärtigen Moment nichts so sehr fürchte wie eine solche umfassende Vereinigung, die meiner Überzeugung nach für das Proletariat am gefährlichsten und schädlichsten ist.“

– Krupskaja, Erinnerungen an Lenin, Dietz Verlag, Berlin 1959

Zetkin erklärte sich bereit, die Konferenz zu organisieren, versuchte aber Frauen aus allen Flügeln des „Antikriegs“spektrums anzuziehen, darunter auch Sozialpazifistinnen, die es ablehnten, die verräterische Politik der Parteiführungen öffentlich zu kritisieren. Das förderte genau die von Lenin befürchtete „umfassende Vereinigung“. Auf den Sitzungen kam es zu einer starken Konfrontation über gegensätzliche Resolutionen: Eine, die von Zetkin und fast allen anderen Delegierten unterstützt wurde, und eine, die von der bolschewistischen Delegation eingebracht worden war. Zur Begründung der bolschewistischen Resolution sagte Armand:

„Wir Sozialdemokraten, die dem Zentralkomitee folgen, sind der Meinung, dass jetzt die Losung des Bürgerkriegs ausgegeben werden muss und dass die Arbeiterbewegung in eine neue Phase eintritt, in deren Verlauf der Sozialismus in den fortgeschritteneren Ländern erreicht werden wird… Den Arbeiterinnen sollte man direkt sagen, dass nur durch eine Revolution Frieden werden, dass allein der Sozialismus die Befreiung von Kriegen bringen wird.“

– zitiert in: Olga Ravich, „Unofficial Account of the International Conference of Socialist Women at Berne, 26–28 March 1915“, veröffentlicht in The Bolsheviks and the World War

Zetkin unterstützte das Argument, dass Kritik an den Sozialchauvinisten erst auf den nationalen und internationalen Konferenzen der Sozialdemokratie erhoben und der Aufruf zur Revolution bis nach dem Krieg verschoben werden sollte. Zetkin und die anderen Kontrahenten der Bolschewiki lehnten den Aufruf zum Bürgerkrieg ab und pochten darauf, dass die Friedenslosung die Parole der Antikriegssozialisten sein müsse. Einige hegten die Illusion, die Imperialisten könnten für den Pazifismus gewonnen werden, wogegen andere meinten, diese Losung könnte die breitesten Schichten der Arbeiterklasse gegen den Krieg vereinigen.

Das von der Berner Konferenz verabschiedete Manifest enthielt keinerlei Kritik an dem Verrat der Führer der sozialdemokratischen Parteien, denen die meisten Delegierten angehörten. Stattdessen hieß es darin: „Wie über die Schlachtfelder hinweg sich ihr [der Sozialistinnen] Wille zusammenfand, so müsst auch ihr euch aus allen Ländern zusammenscharen, um den einen Ruf zu erheben: Friede, Friede!“ Nadeschda Krupskaja, die zusammen mit Armand die bolschewistische Delegation anführte, bemerkte dazu spöttisch, dass sich in den Mehrheitsresolutionen „der sanftmütige Pazifismus der Engländerinnen und Holländerinnen“ widerspiegelte, dem sich Zetkin anpasste.

Zetkin, die noch nicht die Notwendigkeit eines Bruchs mit den Sozialverrätern der SPD erkannt hatte, trat weiterhin für Friedenskampagnen ein und argumentierte:

„Auf die Initiative von Genossinnen hin sind viele Beschlüsse von Parteigenossen zustandegekommen, in denen der Parteivorstand aufgefordert wird, endlich eine energische Friedensaktion zu beginnen. Unzweifelhaft ist der PV durch diese Bewegung wie die der allgemeinen Opposition schon etwas vorwärts gedrängt worden.“

– zitiert in: Richard J. Evans, Sozialdemokratie und Frauenemanzipation im deutschen Kaiserreich, Verlag J. H. W. Dietz, Berlin/Bonn 1979

In seiner Kritik an der Konferenzresolution entlarvte Lenin diese Illusion:

„Den Arbeitermassen wird der zweifellos irrige und schädliche Gedanke eingeflößt, dass die jetzigen sozialdemokratischen Parteien mit ihren jetzigen Leitungen imstande seien, den Kurs zu ändern und anstatt des falschen einen richtigen zu steuern…

Die Frauenkonferenz durfte nicht den Scheidemann, Haase, Kautsky, Vandervelde, Hyndman, Guesde und Sembat, Plechanow usw. helfen, die Arbeitermassen einzuschläfern, sie musste vielmehr umgekehrt die Massen aufrütteln und dem Opportunismus entschlossen den Krieg erklären.“

– „Über den Kampf gegen den Sozialchauvinismus“ (Juni 1915)

Im September 1915 gewann Lenin in Zimmerwald einen kleinen Kern linker Sozialisten zu dieser Auffassung. Als das bolschewistische Manifest niedergestimmt wurde, gaben die Zimmerwalder Linken, wie sie später genannt wurden, der Mehrheitserklärung kritische Unterstützung. Wie Lenin bemerkte, bedeutete diese Erklärung „faktisch einen Schritt vorwärts zum ideologischen und praktischen Bruch mit dem Opportunismus und dem Sozialchauvinismus. Zugleich aber leidet dieses Manifest, wie seine Analyse zeigen wird, an Inkonsequenz und Halbheit“ („Ein erster Schritt“, Oktober 1915). Die organisierte Zimmerwalder Linke kämpfte als die Keimzelle der Dritten Internationale; daher erklärte die KI auf ihrem Gründungskongress die Zimmerwalder Bewegung für aufgelöst.

Die Russische Revolution und die Emanzipation der Frauen

Die Oktoberrevolution holte den Marxismus aus dem Reich der Theorie und gab ihm Fleisch und Blut. Seit dem Tag, als Lenin vor dem Gesamtrussischen Kongress der Sowjets verkündete: „Wir beginnen jetzt mit dem Aufbau der sozialistischen Ordnung“, setzten die Massen der Unterdrückten und Ausgebeuteten weltweit ihre Hoffnungen in die erste Arbeiterrepublik. Zetkin begrüßte die Revolution, über deren Verlauf sie so ausführlich wie möglich berichtete. In der Leipziger Volkszeitung, die unter der Kontrolle des linken Flügels der Unabhängigen Sozialdemokraten stand, stellte sie ihre Sicht der Revolution dar:

„Die Bolschewiki haben in kühnem Ansturm ohnegleichen ihr Ziel erreicht. Die Regierungsgewalt ist in den Händen der Sowjets. Die revolutionäre Diktatur des Proletariats ist Ereignis oder richtiger: die Diktatur des werktätigen Volks, denn um das Industrieproletariat der großen modernen Wirtschaftszentren Russlands, der Kristallisationsachse revolutionärer Kräfte, gruppieren sich Bauern und Kleinbürger in Arbeitsbluse und Waffenrock.“

– „Der Kampf um Macht und Frieden in Russland“ (30. November 1917)

Die Russische Revolution machte ein für alle Mal die lebenswichtige Wechselbeziehung zwischen Frauenemanzipation und Arbeiterrevolution klar. Die Grundfrage – Reform oder Revolution – ist für die Befreiung der Frauen entscheidend, wie auch für die Befreiung aller Ausgebeuteten und Unterdrückten in der Klassengesellschaft. Unter der Diktatur des Proletariats in Sowjetrussland begannen die Werktätigen mit dem Aufbau der Infrastruktur für kollektive Einrichtungen, um die von Frauen in der Familie geleistete Hausarbeit und Kindererziehung zu ersetzen und sie dadurch von der Schufterei und Isolation zu befreien, durch die die Frauen seit Jahrhunderten daran gehindert wurden, am wirtschaftlichen und öffentlichen Leben voll teilzunehmen. Die damalige sowjetische Gesetzgebung gewährte den Frauen in Russland ein Maß an Gleichheit und Freiheit, das selbst in den wirtschaftlich fortgeschrittensten „demokratischen“ kapitalistischen Ländern bis heute nicht erreicht wurde. (Eine ausführliche Schilderung der bolschewistischen Arbeit sowie der Auswirkungen der stalinistischen Degeneration der Revolution auf die Frauen findet sich in „Russische Revolution und Emanzipation der Frauen“, Spartacist, deutsche Ausgabe Nr. 25, Frühjahr 2006.)

Doch die Bolschewiki wussten, dass ohne eine qualitative wirtschaftliche Weiterentwicklung das Überleben der Revolution selbst auf dem Spiel stand. Sowjetrussland hatte die soziale und wirtschaftliche Rückständigkeit des zaristischen Russlands geerbt, die durch die verheerenden Folgen des Ersten Weltkriegs noch verstärkt wurde. In einem blutigen Bürgerkrieg (1918–20) musste der junge Arbeiterstaat gegen die Armeen der einheimischen Konterrevolution und der sie unterstützenden Imperialisten kämpfen. Außerdem verhängten die Imperialisten eine Wirtschaftsblockade, die den sowjetischen Arbeiterstaat von der Weltwirtschaft und der internationalen Arbeitsteilung isolierte. Die Wirtschaft des Landes wurde um Jahrzehnte zurückgeworfen. Leo Trotzki, der mit Lenin die Revolution von 1917 geführt hatte, erklärte, wie die Bolschewiki von Anfang an dieses Missverhältnis erkannt hatten:

„Die realen Mittel des Staates entsprachen nicht den Plänen und Absichten der kommunistischen Partei. Man kann die Familie nicht ,abschaffen‘, man muss sie durch etwas ersetzen. Auf der Grundlage der ,verallgemeinerten Not‘ ist eine wirkliche Befreiung der Frau nicht zu verwirklichen. Die Erfahrung veranschaulichte bald diese bittere Wahrheit, die Marx 80 Jahre zuvor formuliert hatte.“

Verratene Revolution, 1936

Den Bolschewiki ging es vor allem darum, die Isolation des jungen Sowjetstaats zu durchbrechen. Alle blickten gespannt nach Deutschland mit seiner fortgeschrittenen Industrie und dem aufbegehrenden Proletariat, von dem sie sich die Ausweitung der Revolution nach Westeuropa erhofften. Doch das jahrelange Streben nach unkritischer „Einheit“ mit den Opportunisten auf Kosten des Aufbaus einer programmatisch harten Avantgardepartei bedeutete, dass es zum Zeitpunkt der revolutionären Öffnung keine Partei gab, die darauf vorbereitet war, die Arbeiterklasse im Kampf um die Macht zu führen.

Gegen das zentristische Versöhnlertum

Anstatt eine neue, kommunistische Partei zu gründen, wofür Lenin eintrat, blieben Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht, Clara Zetkin und andere linke Führer in der SPD, wo sie mundtot gemacht wurden durch die aus Kriegsbefürwortern bestehende Führung sowie durch strenge staatliche Zensur und harte Repression. Die Hauptführerin des linken Flügels der SPD, Luxemburg, hatte eine „spontaneistische“ Auffassung von der Rolle der Partei, wonach schon die Entwicklung des Klassenkampfs genügen würde, revolutionäres Bewusstsein in der Arbeiterklasse zu erwecken:

„Die Sozialdemokratie ist nichts anderes als die Verkörperung des vom Bewusstsein über seine historischen Konsequenzen getragenen Klassenkampfes des modernen Proletariats. Ihr eigentlicher Führer ist in Wirklichkeit die Masse selbst, und zwar dies dialektisch in ihrem Entwicklungsprozess aufgefasst.“

– „Der politische Führer der deutschen Arbeiterklasse“, 1910

Zwar hatte Luxemburg nach dem August 1914 die SPD als „stinkenden Leichnam“ angeprangert, dennoch wollte sie um jeden Preis die Einheit aller Flügel der Partei aufrechterhalten. Als im Januar 1917 schließlich die Spaltung stattfand, geschah dies auf Geheiß der SPD-Führung selber, die praktisch alle Kritiker – bürgerliche Defätisten, Pazifisten, Zentristen sowie die revolutionären Linken um Luxemburg, Liebknecht, Franz Mehring und Leo Jogiches – ausschloss.

Im April 1917 gründeten die ausgeschlossenen Mitglieder die Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands. Die USPD war ein Abbild ihrer Mutterpartei, mit einer politisch heterogenen Mitgliedschaft, allerdings ohne den sozialchauvinistischen rechten Flügel. Die extreme Linke wurde von der Spartakusgruppe um Luxemburg und Liebknecht gestellt. Sowohl der Revisionist Bernstein als auch der Zentrist Kautsky gehörten zur Führung der USPD. Sie und ihre Gesinnungsgenossen sehnten nichts mehr herbei als die Wiedervereinigung mit der SPD. Sie bestimmten die Politik der neuen Partei. Die USPD nutzte geschickt die marxistische Phraseologie aus der Feder von Kautsky und seinesgleichen als linke Abdeckung ihrer durch und durch reformistischen Politik. Somit war die USPD eine Barriere zwischen den Spartakisten und den fortgeschritteneren Arbeitern, die bereits den unverblümten Reformismus der SPD ablehnten.

Im August 1918 verfasste Kautsky die Schrift Die Diktatur des Proletariats, die einen Angriff auf das ursprünglich von Karl Marx und Friedrich Engels vorgebrachte Konzept der Klassendiktatur darstellte, das nun im sowjetischen Arbeiterstaat verkörpert war. Als Antwort darauf veröffentlichte Lenin, der seine Arbeit an Staat und Revolution unterbrochen hatte, als er das russische Proletariat an die Macht führte, aus dem nicht verwendeten Material die Polemik Die proletarische Revolution und der Renegat Kautsky von 1918. Doch in Deutschland selbst blieben Kautskys Angriffe auf die Oktoberrevolution unbeantwortet. Lenin schrieb an die sowjetischen Gesandten in Westeuropa:

„Der schändliche Unsinn, das kindische Gestammel und der platteste Opportunismus Kautskys geben Anlass zu der Frage: Warum tun wir nichts zum Kampf gegen die theoretische Verflachung des Marxismus durch Kautsky?

Darf man es dulden, dass sogar Menschen wie Mehring und Zetkin sich mehr ,moralisch‘ (wenn man sich so ausdrücken darf) als theoretisch von Kautsky abgrenzen?“

– Lenin, „An W. W. Worowski“ (20. September 1918)

Lenin drängte darauf, dass die Gesandten „eingehend mit den Linken (den Spartakusleuten und anderen) sprechen und sie anregen, in der Presse mit einer prinzipiellen, theoretischen Erklärung aufzutreten, in der erläutert wird, dass Kautsky in der Frage der Diktatur nicht den Marxismus vertritt, sondern plattestes Bernsteinianertum“. Eine solche Erklärung brachten die deutschen Marxisten nie zustande.

Im November 1918 führte der Ausbruch von riesigen Klassenkämpfen und Meutereien in den geschlagenen deutschen Streitkräften zur Absetzung des Kaisers. Der Logik ihres früheren Verrats folgend bildete die SPD zusammen mit der USPD eine Regierung, deren Zweck es war, die kapitalistische Ordnung aufrechtzuerhalten. In dieser brisanten revolutionären Krise bestand der Spartakusbund sowie auch andere Gruppen wie die Revolutionären Obleute aus losen, selbstständig agierenden Gruppierungen, inmitten eines riesigen explosiven Umfelds. Im Dezember 1918 spalteten sich die Spartakisten endlich von der USPD ab und gründeten die Kommunistische Partei Deutschlands (Spartakusbund). Für die revolutionär gesinnten Kämpfer war es aber zu spät, eine revolutionäre Partei zu schmieden, die beim Aufstand von 1918/19 das Proletariat beim Kampf um die Macht hätte führen können. Im Januar 1919 wurden Luxemburg und Liebknecht von den von der SPD-Regierung entfesselten reaktionären Freikorps ermordet. Im März wurde auch Jogiches ermordet. Die junge KPD wurde enthauptet, ihre Führung abgeschlachtet.

Die linke Historikerin Evelyn Anderson beschrieb den entscheidenden Unterschied zwischen der Russischen und der Deutschen Revolution:

„In Russland bestand eine politische Partei, die Bolschewiki, deren Führer wussten, was die Massen forderten, und die wussten, was sie selber wollten; Führer mit einem ausgeprägten Sinn für Macht und mit dem Mut, kühn zu handeln. Deutschland ermangelte absolut solch einer Partei.“

– Hammer oder Amboss, Verlag Neue Kritik, Frankfurt 1981

Zetkin und andere verstanden es nicht, aus der verhängnisvollen Verspätung bei der notwendigen Spaltung die politischen Lehren zu ziehen. Noch 1921 beharrte Zetkin darauf, dass die Gründung der KPD im Dezember 1918 ein „Fehler“ gewesen sei:

„Nebenbei: Leo Tyszka [Jogiches] ist dieser meiner Meinung von Anfang an bis zu seinem Tode geblieben, und die Parteientwicklung hat uns Recht gegeben.“

– Briefe Deutscher an Lenin, 1917–1923, Dietz Verlag, Berlin 1990

Diese grundfalsche Schlussfolgerung teilen Lars T. Lih und Ben Lewis, letzterer ein Unterstützer der Kommunistischen Partei Großbritanniens, in ihrem Buch Martov and Zinoviev: Head to Head in Halle [Kräftemessen in Halle] (November Publications, Ltd., London 2011), das die Debatte auf der USPD-Konferenz in Halle 1920 dokumentiert, wo die Mehrheit für den Beitritt zur KI stimmte. Über diese Spaltung und die Gründung der KPD schreibt Lewis: „In den Worten des späteren Führers der KPD (Spartakusbund), Paul Levi, hat die Spaltung ,kaum einen Einfluss‘ auf die unzufriedene Mitgliedschaft der USPD gehabt. Offensichtlich ein verfrühter Schritt.“ Auf Levi gehen wir später noch ein.

Mit ihrer Zustimmung zu Zetkin und Levi leugnen Lewis und seine reformistischen Mitdenker jede Möglichkeit eines deutschen Oktober 1918/19 und sie weigern sich, die tatsächlichen historischen Ereignisse zur Kenntnis zu nehmen. Die Arbeitermassen hatten angefangen, Arbeiter- und Soldatenräte aufzubauen, in der Hoffnung, in die Fußstapfen des russischen Proletariats zu treten. Lenin schrieb:

„Eine wirklich revolutionäre Partei hatten die deutschen Arbeiter im Augenblick der Krise nicht, infolge der zu spät vorgenommenen Spaltung, infolge des Drucks der verfluchten Tradition der ,Einheit‘ mit der korrupten (die Scheidemann, Legien, David und Co.) und charakterlosen (die Kautsky, Hilferding und Co.) Bande der Lakaien des Kapitals.“

– „Brief an die deutschen Kommunisten“ (August 1921)

Nach der verheerenden Niederlage im Januar 1919 und entsprechend ihrer früheren Absprachen mit Jogiches und Luxemburg blieb Zetkin in der USPD bis zum Außerordentlichen Parteitag im März 1919, wo sie die USPD-Führer wegen deren Beteiligung an der Regierung Ebert/Scheidemann scharf anprangerte. Die Regierungsbeteiligung, so sagte sie, sei „nicht vereinbar gewesen mit den Grundsätzen des revolutionären Klassenkampfes“:

„Wir stehen jetzt vor der Frage: Können diese Gegensätze überbrückt werden? Ich stehe nicht an zu antworten: Nein, sie sind unüberbrückbar, weil es Gegensätze der grundsätzlichen Auffassung über die geschichtliche Entwicklung und ihre Bedingungen sind. Solche Gegensätze können nicht vereinigt werden durch die schönsten Resolutionen.“

– Rede auf dem außerordentlichen Parteitag der USPD in Berlin (4. März 1919)

Damit trat Clara Zetkin aus der USPD aus. Doch obwohl sie kurz danach in die KPD eintrat, hat sie an den linken Flügel der USPD nie die klare Forderung gestellt, sich von der USPD abzuspalten und der KPD anzuschließen. Auch strebte sie weiterhin die Wiederbelebung der „sozialistischen Frauenbewegung“ an und hielt ihre freundschaftlichen Beziehungen und die Zusammenarbeit mit den USPD-Frauen aufrecht. In einem Brief vom 13. März 1920 bat Zetkin die Schweizer Genossin Rosa Bloch, eine „Solidaritätsbekundung“ an die USPD-Frauen zu senden, und sie schlug sogar eine weitere „internationale sozialistische [also sozialdemokratische] Frauenkonferenz“ vor. Dieser von den USPD-Frauen unterstützte Aufruf zu einer vereinigten sozialistischen Frauenbewegung stand völlig im Gegensatz zur Perspektive der KI, vollständig mit dem Opportunismus politisch zu brechen. Diese Konferenz kam nie zustande. Zetkin setzte ihre Bemühungen fort, eine Einheit herzustellen, bis im Oktober 1920 der linke Flügel der USPD sich abspaltete, um im Dezember mit der KPD zu fusionieren.

Arbeit unter Frauen von der Zweiten zur Dritten Internationale

In seinem Brief an die deutschen Kommunisten von 1921 stellte Lenin fest, dass die vom III. Weltkongress der KI im Juli 1921 angenommenen „Leitsätze über den organisatorischen Aufbau der Kommunistischen Parteien, über die Methoden und den Inhalt ihrer Arbeit“ einen „großen Schritt vorwärts“ bedeuteten. Die auf dem gleichen Kongress angenommenen „Thesen über die Methoden und Formen der Kommunistischen Arbeit unter den Frauen“ sollten bei der Anleitung der kommunistischen Frauenarbeit die gleiche Rolle spielen wie schon die „Thesen zu den Organisationsfragen der Kommunistischen Parteien“ bei der Arbeit insgesamt.

Wir veröffentlichten 2011 eine neue Übersetzung dieser KI-Thesen (Spartacist, deutsche Ausgabe Nr. 28, Herbst 2011). Bei unseren Nachforschungen wurde klar, dass die Thesen aus einer über ein Jahr dauernden Auseinandersetzung zwischen den sowjetischen Kadern und anderen hervorgegangen waren. Diese Differenzen waren uns nicht bekannt, als wir 1975 in Women and Revolution (Nr. 8 und 9) einen Artikel über kommunistische Frauenarbeit in der Periode von der Gründung der SPD 1875 bis zum Januar 1917 verfassten (auf Deutsch erschienen in Kommunistische Korrespondenz Nr. 20 und 22, November 1977/Juli 1978, unter dem Titel „Ursprünge revolutionärer Arbeit unter Frauen in Deutschland“). Obwohl dieser Artikel sich im Großen und Ganzen bewährt hat, sind wir durch eigene Nachforschungen sowie die Vielzahl der inzwischen erschienenen wissenschaftlichen Untersuchungen zu der Auffassung gelangt, dass er doch etliche Schwächen aufweist.

1975 war das Buch von Werner Thönnessen, Frauenemanzipation – Politik und Literatur der Deutschen Sozialdemokratie zur Frauenbewegung 1863–1933 (1969 auf Deutsch und 1973 auf Englisch erschienen) praktisch die einzige verfügbare Studie zur Frauenarbeit der deutschen Vorkriegssozialdemokratie. Inzwischen sind wir zu dem Schluss gekommen, dass diese Darstellung politisch schief ist. Wegen seiner antikommunistischen Einstellung geht Thönnessen überhaupt nicht auf die Gründung der Dritten Internationale ein und er verschweigt komplett, dass Zetkin sich der leninistischen Komintern angeschlossen hat. Auch die wissenschaftliche Fundiertheit des Buches wurde in Frage gestellt, insbesondere von dem britischen Historiker Richard J. Evans, dem Verfasser einer Reihe von sowohl auf Englisch als auch auf Deutsch erschienenen Studien zur Geschichte der SPD und der Frauenfrage.

In der Einleitung des Spartacist zu den Thesen stellten wir fest:

„…in Women and Revolution [haben wir] früher die Geschichte der ,proletarischen Frauenbewegung‘ unrichtig dargestellt, als ob es bei der Arbeit unter den Frauen eine direkte Kontinuität von der Zweiten zur Dritten Internationale gäbe. So schrieben wir in ,Russische Revolution und Emanzipation der Frauen‘: ,Schon vor dem Ersten Weltkrieg hatten die Sozialdemokraten in Deutschland Pionierarbeit geleistet, indem sie eine besondere „Übergangsorganisation“ für Frauen ins Leben riefen … die durch ihre bewusstesten Kader mit der Partei liiert war.‘ Tatsächlich wurde aber die Idee eines besonderen Parteiapparats zur Arbeit unter Frauen von den Bolschewiki entwickelt, und zwar in ihrem Bemühen, die Massen werktätiger Frauen für die Seite der Avantgardepartei zu gewinnen. Ein solches Unterfangen kann nur eine programmatisch gefestigte leninistische Partei leisten.“

In den Kommunistischen Parteien sollte der Apparat zur Anleitung der Arbeit als integraler Bestandteil aller führenden Gremien – von der Frauenabteilung des Zentralkomitees bis hin zu den leitenden Gremien der örtlichen Parteikomitees – sorgfältig aufgebaut werden.

Die Pionierarbeit der SPD in der Frauenfrage kann man am ehesten als einen wichtigen ersten Schritt bei der Entwicklung des Modells für kommunistische Frauenarbeit charakterisieren. Zetkin bestand zu Recht darauf, dass die Frauenemanzipation eine Frage von Klassenherrschaft sei. Sie knüpfte an Engels’ klassisches Werk Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats (1884) an und erkannte in der Institution der Familie die Hauptquelle der besonderen Unterdrückung der Frauen. Zusammen mit der organisierten Religion und dem Staat ist auch die Familie ein Grundpfeiler des kapitalistischen Systems: ein Instrument der herrschenden Klasse zur Vererbung des Privateigentums sowie zur Reproduktion der Arbeitskraft, deren Ausbeutung die Quelle des kapitalistischen Profits darstellt.

Zetkin war sich also sehr wohl im Klaren darüber, dass die Befreiung der Frau die Zerstörung der kapitalistischen Ordnung und den Aufbau einer neuen sozialistischen Gesellschaft erforderte, die erst durch die Vergesellschaftung der Hausarbeit und der Kinderbetreuung sowie deren Verwandlung in kollektive Einrichtungen ermöglicht werden konnte. Auf diese Perspektive stützte sich ihre weithin bekannte Feindlichkeit gegenüber dem von den verschiedenen europäischen feministischen Gruppen propagierten bürgerlichen Feminismus, der auch die SPD ideologisch beeinflusste. Zetkin schrieb: „Gleich schillernden Seifenblasen zerstieben in der Luft der materialistischen Geschichtsauffassung die ,Liebessabbeleien‘ von der einen großen ,Schwesternschaft‘, die vorgeblich ein einigendes Band um Bourgeoisdamen und Proletarierinnen schlingt“ („Was die Frauen Karl Marx verdanken“, März 1903).

Zetkin wusste, dass aufgrund der materiellen Lebensbedingungen der Frauen – ihre gesellschaftliche Isolation in der Familie, ihre relative politische Rückständigkeit und die Doppelbelastung der werktätigen Frauen als Hausfrau und Lohnsklavin – besondere Methoden der Parteiarbeit notwendig waren, um Frauen für den Sozialismus zu rekrutieren. Für diese Perspektive kämpfte sie auf Parteitagen und auf den Seiten der Zeitung Die Gleichheit. Doch ebenso wie die SPD-Führung beim Kriegsausbruch 1914 parlamentarische Illusionen eines „friedlichen Wegs“ zum Sozialismus propagierte, so betrachtete die Partei die untergeordnete Stellung der Frauen in der Gesellschaft als eine normale Sache. Demgemäß stellte die von Zetkin herausgegebene KI-Zeitschrift Die Kommunistische Fraueninternationale fest, dass in der SPD die Auffassung weitverbreitet war, Frauenarbeit sei „eine unvermeidliche zweitrangige Aufgabe“.

Die Entwicklung der Thesen zur Frauenarbeit

Nach dem I. Weltkongress der Komintern begannen die führenden Frauenkader mit der Ausarbeitung eines Grundsatzdokuments zur Arbeit unter den Frauen, das der Komintern-Exekutive (EKKI) vorgelegt werden sollte. Über ein Jahr später fand vom 30. Juli bis zum 2. August 1920 in Moskau die Erste Internationale Konferenz der Kommunistinnen statt, zeitgleich mit dem II. Weltkongress der KI. Als wir das Protokoll der Konferenz von 1920 durchsahen, stellten wir fest, dass zwei Dokumentenentwürfe vorgelegt worden waren: einer von russischen Genossen und einer von west- und mitteleuropäischen Delegierten.

Die Erstellung eines schriftlichen Berichts über die Konferenz wurde durch den tragischen Tod von Inessa Armand im September 1920 erheblich erschwert. Von herausragender Bedeutung dabei war die Zusammenfassung von Armands Vortrag über die russischen Thesenentwürfe, die im Bericht veröffentlicht wurde. Diese Zusammenfassung enthält nicht nur die Grundelemente der endgültigen Fassung der Thesen, wie sie vom III. Weltkongress angenommen wurden, sondern sie liefert auch den politischen Entwurf dieses Dokuments. Armand betonte, dass alle Kommunistischen Parteien „sofort mit der breitest angelegten, gründlichsten Arbeit unter den Massen der proletarischen Frauen beginnen“ sollten (Otčet o Pervoj meždunarodnoj konferencii kommunistok [Bericht über die Erste Internationale Konferenz der Kommunistinnen], Gosisdat, Moskau 1921).

Armand legte auch großen Wert darauf, dass in allen Ländern die beiden in Sowjetrussland entwickelten höchst effektiven Methoden der Frauenarbeit eingeführt wurden: Delegiertenversammlungen und Konferenzen parteiloser Frauen. Diese Methoden wurden angewandt, um die noch außerhalb des unmittelbaren Einflussbereichs der Partei stehenden Massen der Arbeiterinnen und Bäuerinnen auszubilden, und die Parteiführung schenkte dieser Arbeit große Aufmerksamkeit. Das Delegiertensystem sah vor, dass die Arbeiterinnen einer Fabrik für einen Zeitraum von drei bis sechs Monaten eine Delegierte aus ihren Reihen zum Schenotdel wählen – der besonderen Abteilung des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Russlands für die Arbeit unter den Frauen. Die Delegatka, die ein rotes Tuch als Dienstabzeichen trug, war Beobachterin und Auszubildende in verschiedenen Bereichen des öffentlichen Lebens wie der Fabrik, dem Sowjet, der Gewerkschaft, den Schulen, dem Krankenhaus oder der Kantine.

Differenzen über die Frage, ob diese Methoden der Frauenarbeit außerhalb Sowjetrusslands anwendbar waren, führten zu lebendigen und ausführlichen Debatten. Genossinnen aus West- und Mitteleuropa wandten ein, dass diese Methoden nicht außerhalb eines Arbeiterstaats angewendet werden könnten und auf Sozialarbeit hinausliefen. Doch tatsächlich spielten die Konferenzen parteiloser Frauen eine wichtige Rolle für die Organisierung der Arbeiterinnen durch die Bolschewiki bei der Vorbereitung des Oktoberaufstands 1917. Rabotniza spielte eine zentrale Rolle bei der Heranziehung von Frauen zur aktiven Arbeit und ihrer Anleitung (siehe „History of the Journal Rabotnitsa: How the Bolsheviks Organized Working Women“, Women and Revolution Nr. 4, Herbst 1973). Die besonderen Bemühungen, Arbeiterinnen in Petrograd zu erreichen, gipfelten in der Ersten Stadtweiten Konferenz der Arbeitenden Frauen Petrograds vom Oktober 1917, an der 500 Delegierte teilnahmen, die 80 000 arbeitende Frauen repräsentierten.

Auf verschiedenen Sitzungen wurden auch Einwände gegen die Russen erhoben wegen ihrer unverblümten Verurteilung der Zweiten Internationale als „Bremse für die revolutionäre proletarische Bewegung“ und als „Gegner der Befreiung aller werktätigen Frauen“, die den Kampf der proletarischen Frauen um die elementarsten demokratischen Forderungen auf schändliche Weise verraten hatte. Die Deutsche Rosi Wolfstein und die Österreicherin Anna Ströhmer widersprachen der kritischen Einschätzung der Frauenarbeit der Zweiten Internationale, weil darin Zetkins Arbeit ausgeklammert werde. Gegen diese Position argumentierten mehrere sowjetische Delegierte, dass Zetkin zwar eine führende Rolle gespielt und sich dem Kampf des linken Flügels angeschlossen habe, dass die opportunistische Mehrheit jedoch über die politische Praxis der Zweiten Internationale und ihrer Mitgliedsparteien entschied.

Auch der Charakter der Thesen überhaupt war umstritten, ein Ausdruck von Meinungsverschiedenheiten über die Zentralisierung der Partei. Ströhmers Ansicht nach sollte der Abschnitt über die Zweite Internationale nicht polemisch sein und die Thesen sollten keinen agitatorischen, sondern einen historischen Charakter haben. Die dänischen und ungarischen Delegierten lehnten die detaillierten organisatorischen Formen und Methoden als „Anordnungen“ an die Parteien ab. Diese politischen Differenzen konnten nicht gelöst werden, und die Frauenkonferenz war nicht imstande, dem II. Weltkongress ein fertiges Dokument vorzulegen. Auf dem Kongress selber, der vom 19. Juli bis zum 7. August 1920 tagte, wurden die Fragen der Frauen- und Jugendarbeit an das EKKI verwiesen.

Im September 1920 reiste Zetkin nach Sowjetrussland, wo sie die historischen Errungenschaften für Frauen miterleben konnte, die durch die Oktoberrevolution möglich gemacht wurden. Sie konnte die Arbeitsmethoden der sowjetischen Frauen unter der Anleitung des Schenotdel in der Praxis beobachten. In ihren Erinnerungen an Lenin (datiert vom Januar 1925) berichtet Zetkin, wie Lenin um ihre Mitarbeit bei der Ausarbeitung der Thesen bat.

In dieser Diskussion wurde der politische Rahmen der Thesen dargelegt. Lenin betonte den „unlösbare[n] Zusammenhang zwischen der sozialen und menschlichen Stellung der Frau und dem Privateigentum an den Produktionsmitteln“. Nur der Kommunismus, nicht der Feminismus oder die Sozialdemokratie, könne die Grundlage für die Emanzipation der Frauen schaffen. Aber ebenso gelte, dass die Partei die Millionen werktätiger Frauen in Stadt und Land für sich gewinnen müsse, um die Revolution zu machen und eine neue, kommunistische Gesellschaft aufzubauen. Deshalb müsse die Partei spezielle Organe aufbauen, „deren besondere Aufgabe es ist, die breitesten Frauenmassen zu wecken, mit der Partei zu verbinden und dauernd unter ihrem Einfluss zu halten“ (zitiert in Zetkin, Erinnerungen an Lenin, Verlag für Literatur und Politik, Wien 1929).

In der deutschen Ausgabe der theoretischen Zeitschrift der KI, Die Kommunistische Internationale (Nr. 15, Dezember 1920) erschien das Dokument „Richtlinien für die kommunistische Frauenbewegung“, versehen mit der Schlussbemerkung: „Redigiert von Clara Zetkin“. Dieses Dokument, ein früher Beitrag von Zetkin zu der Diskussion, darf aber nicht mit den eigentlichen Thesen verwechselt werden, wie es in der von John Riddell zusammengestellten englischsprachigen dokumentarischen Sammlung Workers of the World and Oppressed Peoples, Unite! Proceedings and Documents of the Second Congress, 1920 (Pathfinder Press, New York 1991) geschieht, wo dieses Dokument unter dem Titel „Theses for the Communist Women’s Movement“ auftaucht. Zetkins „Richtlinien“ stellen eine wichtige Zwischenstufe dar, doch dieses Dokument ohne weitere Erklärung „Thesen“ zu nennen, verwischt nur den Unterschied zu den endgültigen KI-Thesen. Tatsächlich spiegeln sich in den beiden Dokumenten politische Differenzen wider. In den Richtlinien kommt die Tendenz der deutschen Genossinnen zum Ausdruck, die Frauenarbeit der SPD anzupreisen und den historischen Verrat der Sozialdemokratie herunterzuspielen. Die in monatelangen Diskussionen ausgefeilten Thesen konzentrierten sich darauf, „die Arbeit aller Kommunistischen Parteien des Westens und des Ostens unter dem weiblichen Proletariat zu verstärken“. Die Arbeit unter den Frauen wird ausdrücklich im Aufgabenbereich der Kommunistischen Internationale angesiedelt.

Ein weiterer wichtiger Unterschied zwischen den beiden Dokumenten ist der in diesen „Richtlinien“ vorhandene unkritische Hinweis Zetkins auf die Berner Frauenkonferenz von 1915, wo sie behauptet, dass:

„… die sozialistischen Frauen … die ersten waren, die einen tastenden Vorstoß unternahmen, … durch internationale revolutionäre Massenaktionen die imperialistischen Regierungen zum Frieden zu zwingen und das geschichtliche Blachfeld frei zu legen für den internationalen revolutionären Kampf der Arbeiter zur Eroberung der politischen Macht und zur Niederzwingung des Imperialismus, des Kapitalismus.“

– Die Kommunistische Internationale Nr. 15

Sie hielt also weiterhin das Ergebnis der Berner Konferenz hoch und vermied den notwendigen harten Bruch mit den Opportunisten sowie die Auseinandersetzung mit ihrer eigenen versöhnlerischen Rolle gegenüber den Zauderern. Unseres Wissens distanzierte sich Zetkin nie von ihrer eigenen politischen Rolle in Bern.

Am 21. Mai 1921 wurde ein gemeinsames Plenum des Schenotdel und des Orgbüros des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Russlands abgehalten, das die Zweite Internationale Konferenz der Kommunistinnen vorbereiten sollte. Dieses Plenum ernannte einen „Redaktionsausschuss bestehend aus den Genossinnen Kollontai, Menschinskaja, Krupskaja, Itkina, Winogradskaja“ und ordnete an, dass „alle Thesen vorab dem Redaktionsausschuss zur Begutachtung vorzulegen seien“ (Russisches Staatsarchiv für sozio-politische Geschichte [RGASPI] f. 17, op. 10, d. 54, l. 81–83). Es gibt kaum Zweifel, dass dieses aus den maßgeblichen Redakteurinnen und Autorinnen des Schenotdel bestehende Gremium, das die beachtliche Menge an Dokumenten, Entwürfen und Änderungsanträgen durcharbeitete, die Endfassung der Thesen vorbereitete, die vom III. Weltkongress der Komintern angenommen wurde. Vieles bleibt weiterhin unbekannt, doch es steht fest, dass Russisch die Originalsprache des Dokuments war.

Die Zweite Internationale Konferenz der Kommunistinnen wurde vom 9. bis 15. Juni 1921 in Moskau vor dem III. Weltkongress abgehalten. Dass die Kontroverse über die Arbeitsmethoden weiter brodelte, zeigte sich an der Kritik der sowjetischen Delegierten Janson, die Zetkin vorwarf, zu viel Gewicht auf die Arbeit unter Hausfrauen zu legen. In Deutschland war nur ein Fünftel der Frauen Arbeiterinnen und die Mehrheit Hausfrauen. Janson argumentierte, dass in Russland sogar nur ein Zehntel der Frauen einen Arbeitsplatz hatte, doch solange die Kräfte der Bolschewiki gering waren, mussten sie sich auf das Proletariat konzentrieren.

Die mangelnde Konzentration auf die Arbeiterinnen in der Produktion in Deutschland und die Versuche, kleinbürgerliche Frauenschichten zu erreichen, die man für genauso wichtig hielt, widerspiegelten die Vorkriegsverhältnisse in Deutschland, als die sozialistische Frauenbewegung hauptsächlich aus Hausfrauen bestand, zumeist Ehefrauen von SPD-Mitgliedern. In ihrem Bestreben, die Ausgebeuteten und Unterdrückten an die Macht zu bringen, um eine neue sozialistische Ordnung aufzubauen, verfolgte die Komintern bewusst die revolutionäre Strategie, die „rückständigsten, am meisten vergessenen und unterdrückten, demütigsten Schichten der Arbeiterklasse und der werktätigen Armen“ zu mobilisieren, wie es in der oben zitierten Zusammenfassung von Armands Vortrag von 1920 heißt. Genau diese in den unteren Schichten der Arbeiterklasse konzentrierten Massen proletarischer Frauen hat die SPD nicht rekrutieren können. Schließlich erzielte der Redaktionsausschuss eine Einigung über die Thesen, und sie wurden vom III. Weltkongress der Komintern angenommen.

Der Kampf für die 21 Bedingungen

Unter dem Druck ihrer nach links drängenden Basis war eine Reihe sozialdemokratischer Massenparteien – wie die USPD mit 800 000 Mitgliedern – durch die ungeheuere Autorität und Popularität der Russischen Revolution gezwungen, sich Moskau zuzuwenden. Doch die KI musste die reformistischen und zentristischen Mitläufer abstoßen, die der eigenen Basis nur deshalb nachliefen, um sie wieder zurück auf reformistischen Kurs zu bringen. (Siehe die Spartacist-Broschüre „The First Four Congresses of the Communist International“, Marxist Studies Nr. 9, August 2003.) Zu diesem Zweck musste die KI ihre Strategie und Taktik festlegen. Im Sommer 1920 nahm der II. Weltkongress die „Leitsätze über die Bedingungen der Aufnahme in die Kommunistische Internationale“ (die „21 Bedingungen“) an, eine organisatorische und politische Waffe, um eine scharfe Trennungslinie zwischen den Revolutionären und den Reformisten und Zentristen zu ziehen und die Komintern auf dem demokratischen Zentralismus aufzubauen.

Das folgende Jahr über tobte in den verschiedenen europäischen Parteien ein heftiger Streit über die 21 Bedingungen und den Beitritt – oder Nichtbeitritt – in die Dritte Internationale. Die siebte Bedingung erklärte: „Die Kommunistische Internationale vermag sich nicht damit abzufinden, dass notorische Opportunisten“ wie Kautsky, Hilferding u. a. Angehörige der Dritten Internationale sein sollten. Und sie „fordert unbedingt und ultimativ die Durchführung dieses Bruches in kürzester Frist“.

In der USPD nahm der Kampf erbitterte Formen an. Die aggressiv antibolschewistische Luise Zietz, ein führender USPD-Kader, hatte seit 1908, als Zetkin von den Parteibürokraten kaltgestellt wurde, die Frauenarbeit der SPD angeleitet. Im gleichen Jahr wurden rechtliche Beschränkungen für Frauen, die in eine politische Organisation eintreten wollten, aufgehoben. Durch die effektive Organisierung und unter dem rechten politischen Einfluss von Zietz wurden Tausende von Frauen für die SPD rekrutiert. Nach dem II. Weltkongress reiste Zietz durch ganz Deutschland mit einer aggressiven Kampagne gegen die 21 Bedingungen, die sie als „Diktat“ von Moskau charakterisierte, das nur jemand mit einer „Sklavenseele“ akzeptieren könnte.

Im September 1920 veröffentlichte Zetkin die Broschüre „Der Weg nach Moskau“, in der sie für den Beitritt zur Komintern eintrat. Im Oktober erschien ihr gleichnamiger zweiteiliger Artikel in der Roten Fahne der KPD. Das Erscheinen dieser Artikel war zeitlich abgestimmt mit der Intervention auf dem folgenschweren Parteitag der USPD vom Oktober 1920 in Halle, wo es um den Anschluss an die Dritte Internationale ging. Zwar setzte sich Zetkin leidenschaftlich für den Beitritt zur KI ein, doch ihr Widerwille gegen politische Polarisierung und Spaltungen unterminierte die harte Arbeit, die für diesen Beitritt notwendig war. Über die 21 Bedingungen schrieb sie:

„[Es ist] bedauerlich, dass der Weltkongress seine Forderungen an die nationalen Einzelparteien nicht geschickter gefasst hat. Was sie dem Wesen, der Sache nach voraussetzen, vorschreiben, ist vollauf gerechtfertigt. Es ist die Zusammenfassung der unumgänglich notwendigen organisatorischen Maßnahmen, die eine kraftvolle, einheitliche geschlossene Kommunistische Internationale schaffen sollen…

Allein in den Bedingungen tritt die formal-organisatorische Seite der Sache recht breit und aufdringlich vor deren Wesen, vor den politisch-geschichtlichen Inhalt…

Dieser Umstand liefert den rechtsgerichteten Führern der U.S.P. den wohlfeilen Vorwand, das Feld des Kampfes um den Anschluss an die Kommunistische Internationale zu verschieben und an die Stelle des klärenden fruchtbaren Ringens um die großen grundsätzlichen und taktischen Fragen, die zur Entscheidung stehen, hitzige und hässliche Katzbalgereien um organisatorische Formen und Formeln zu setzen.“

Die Rote Fahne (3. Oktober 1920)

Zetkin erkannte zwar rein theoretisch die Notwendigkeit der 21 Bedingungen an, schreckte aber vor ihrer konkreten Anwendung zurück. Sie hatte nicht die Lehren daraus gezogen, zu welchen Konsequenzen das Festhalten an der „Einheit“ mit den Sozialchauvinisten und ihren Apologeten in der deutschen Partei geführt hatte. Grigori Sinowjew fasste es auf dem Parteitag von Halle so zusammen: Sollte die USPD nicht der KI beitreten, „so deshalb, weil Sie nicht einverstanden sind in der Frage der Weltrevolution, der Demokratie, der Diktatur des Proletariats“ (USPD, Protokoll über die Verhandlungen des außerordentlichen Parteitages in Halle vom 12. bis 17. Oktober 1920, Verlagsgenossenschaft „Freiheit“, Berlin). Die Mehrheit der USPD wurde überzeugt, stimmte für den Beitritt zur KI und fusionierte mit der KPD, woraus dann die Vereinigte Kommunistische Partei Deutschlands (VKPD) mit etwa 350 000 Mitgliedern entstand. Nach dem III. Weltkongress der Komintern nannte sie sich wieder KPD.

Frankreich, Italien: Wiederholtes Schwanken von Zetkin

Zetkin verstand damals nicht die Bedeutung von Spaltungen und Fusionen beim Aufbau einer revolutionären Kampfpartei. Das zeigte sich auch in ihrer Reaktion auf die Konferenzen in Frankreich und Italien, wo Sozialisten über den Beitritt zur KI debattierten. Auf dem Kongress der Sozialistischen Partei Frankreichs im Dezember 1920 in Tours rief Zetkin die Delegierten auf, sich „klar, rückhaltlos und offen zur III. Internationale [zu] bekennen, und zwar nicht nur zu ihren Prinzipien und ihrer Taktik, sondern auch zu ihren Bedingungen“ („Rede auf dem XVIII. Parteitag der Sozialistischen Partei Frankreichs in Tours“, 27. Dezember 1920). Die Sozialistische Partei ratifizierte die Komintern-Bedingungen mit einer Zweidrittelmehrheit.

Doch in ihrem Brief an Lenin vom 25. Januar 1921 – demselben Brief, in dem sie die Gründung der KPD 1918 kritisierte – bat sie ihn, seinen Einfluss geltend zu machen, um die Interventionen des EKKI abzumildern: „Sie tragen manchmal den Charakter eines brutalen, herrenmäßigen Eingreifens, dem die richtige Kenntnis der in Betracht kommenden realen Verhältnisse fehlt“ (Briefe Deutscher an Lenin). Sie beanstandete die vernichtende Kritik des EKKI, die umfassend und detailliert die Arbeit der Sozialistischen Partei Frankreichs angeprangert und die Partei polarisiert hatte. Die Sozialistische Partei, die sich während des Krieges nicht gespalten hatte, übernahm damit „die volle Verantwortung für das imperialistische Schlachten“, wie das EKKI schrieb, und hielt an denselben Führern weiter fest, die der französischen Bourgeoisie kriminellerweise Beistand geleistet hatten (Brief des Präsidiums an die Französische Sozialistische Partei, 29. Juli 1920, veröffentlicht in Workers of the World and Oppressed Peoples, Unite!).

In diesem Brief argumentierte das EKKI wirksam für einen scharfen Bruch mit den Sozialpatrioten. Zetkin schrieb in ihrem Brief an Lenin, der EKKI-Brief „hätte bei einem Haar den Erfolg der Tagung in Frage gestellt und vernichtet“. So sperrte sie sich gegen die schonungslose ehrliche politische Kritik und Auseinandersetzung, die zur Trennung der Zentristen von den Revolutionären unerlässlich waren.

Im gleichen Brief beklagte sich Zetkin bei Lenin auch über die Intervention des EKKI in Italien, wo zu der Zeit massiver Aufruhr herrschte. Auf dem Land besetzten die Bauern die Ländereien und in den Städten besetzten Metallarbeiter die Fabriken. Die Sozialistische Partei Italiens (PSI) war der KI ohne vorherige Spaltung beigetreten und enthielt somit eine breite Palette politischer Tendenzen, die vom Reformismus zum Syndikalismus und bis hin zum Ultralinkstum reichte. Die Parteiführung hatte in Zusammenarbeit mit der Gewerkschaftsbürokratie bewusst die Fabrikbesetzungen sabotiert, anstatt um die Machteroberung zu kämpfen. Dazu sagte Trotzki in seiner Rede zur italienischen Frage auf dem III. Weltkongress der KI (29. Juni 1921):

„Jeder einzelne Genosse, der in den drei Jahren nach dem Kriege aus Italien kam, sagte uns: ,Wir sind reif, ja überreif für die Revolution.‘ Man wusste dort, dass man dort an der Schwelle der Revolution stand. Als die Revolution ausbrach, machte die Partei bankrott.“

– Protokoll des III. Weltkongresses der Kommunistischen Internationale

Dies war, wie Trotzki ausführte, das direkte Ergebnis der früheren Weigerung der PSI, sich von den Reformisten und ihrem langjährigen Führer Filippo Turati zu trennen: „Turati und seine Freunde sind in dem Sinne aufrichtig, dass sie Tag für Tag mit unzweideutiger Klarheit wiederholen, dass sie die Revolution nicht wollen. Sie wollen sie nicht, und dennoch bleiben sie in der Sozialistischen Partei; ja, sie bilden ein wesentliches Element dieser Partei.“

Auf der PSI-Konferenz Mitte Januar 1921 in Livorno hatten sich die Zentristen unter Giacinto Serrati immer noch geweigert, mit den Reformisten zu brechen, mit denen sie die Mehrheit bildeten. Die linke Minderheit der Delegierten um Amadeo Bordiga und Antonio Gramsci verließen die Konferenz und gründeten die Kommunistische Partei Italiens. Sechs Monate später stellte Sinowjew in seinem Tätigkeitsbericht des EKKI auf dem III. Weltkongress zu der Spaltung fest:

„Wenn wir auch für eine Zeit lang eine große Masse von italienischen Arbeitern verlieren, so muss es sein; wir werden sie uns zurückgewinnen. Aber keinen Schritt, keinen einzigen Schritt rückwärts, denn sonst ist die Kommunistische Internationale verloren.“

Protokoll des III. Weltkongresses

Serratis Weigerung, im entscheidenden Moment mit Turati zu brechen, trug wesentlich zur Niederlage bei, als sich eine revolutionäre Gelegenheit bot. Dieses Versagen führte in rascher Folge zur Demoralisierung des Proletariats und zum Triumph Mussolinis und der italienischen Faschisten.

Die Levi-Affäre

Zetkin nennt in ihrem Brief an Lenin vom 25. Januar 1921 die Spaltung der PSI „eine schwere Niederlage“ und argumentiert für „die rascheste Wiedervereinigung der beiden Fraktionen“, denn es sei „ein sachlich nicht zu rechtfertigender Fehler, dass die Kommunisten sich als eigene Fraktion konstituierten“. Hierin stimmte sie mit Paul Levi überein, ihrem engen Mitarbeiter und einem Vertrauten von Rosa Luxemburg, dem nach den Januar-Morden die Leitung der KPD zufiel. Damit nahm die Levi-Affäre ihren Anfang, die Zetkin bis an den Rand eines Bruchs mit der KI brachte. Nach einem scharfen Kampf warf sie in dieser Auseinandersetzung schließlich ihre noch vorhandenen sozialdemokratischen Auffassungen über Bord und wurde ganz zur Kommunistin.

Nach Levis Rückkehr von der PSI-Konferenz nach Deutschland traten Levi, Zetkin und einige andere in der Zentrale (dem VKPD-Zentralkomitee) zurück, aus Protest gegen die Weigerung der Führung, ihre Opposition gegen die Spaltung in der Sozialistischen Partei Italiens gutzuheißen. Das schwächte die VKPD-Führung gerade zu einem Zeitpunkt, als es großen politischen Aufruhr und erhebliche Verwirrung gab – vor dem Hintergrund einer Welle von Arbeiterkämpfen in Mitteldeutschland, die durch Polizeiaktionen in den Bergwerken provoziert worden war, kam es zur katastrophalen Märzaktion von 1921. Die VKPD rief zum bewaffneten Widerstand und zum Generalstreik auf, tat aber nichts zur Vorbereitung. Ihre Aufrufe blieben in den meisten Gebieten Deutschlands ohne Resonanz, doch isolierte Teile der Arbeiterklasse wurden in eine aussichtslose militärische Aktion gestürzt. Die deutsche Bourgeoisie hatte sich darauf vorbereitet und reagierte mit mörderischer Repression. Trotz der zahlreichen Toten und Verletzten und tausenden Verhafteten unter den kämpferischsten Arbeitern blieb die VKPD-Führung dabei, dass diese schwere Niederlage in Wirklichkeit einen Sieg dargestellt hätte, und schwor, ihren katastrophalen Kurs weiterzuverfolgen.

Inspiriert war die Märzaktion von der „Offensivtheorie“, propagiert vom Komintern-Vertreter Béla Kun, dem Führer der gescheiterten Ungarischen Revolution von 1919. Kun war der Meinung, dass das Bewusstsein der Arbeiterklasse über ihre eigenen politischen Interessen und ihre historische Bestimmung allein nicht ausreiche, diese zur Revolution zu motivieren; vielmehr müssten Revolutionäre das Proletariat durch Taten von großer Kühnheit elektrisieren. Die deutsche Führung war zutiefst gespalten, wobei Zetkin und Levi gegen diese Pseudotheorie und gegen die Märzaktion auftraten. Zwischen ihnen und den deutschen Linken unter der Führung von Ruth Fischer, Arkadi Maslow und Ernst Reuter hagelte es Anschuldigungen. Die Parteiführung von Ernst Meyer, Heinrich Brandler, August Thalheimer und Paul Frölich unterstützte die Linke.

Am 16. April 1921 schrieb Lenin einen Brief an Zetkin und Levi. Darin gab er zu: „Dass ein Vertreter der Exekutive dumme Taktik vertrat, … das glaube ich gerne: dieser Vertreter [Béla Kun] ist oft zu links.“ Lenin fuhr fort:

„In bezug auf Serrati halte ich Ihre Taktik für einen Fehler. Irgendwelche Verteidigung oder sogar Halbverteidigung von Serrati war ein Fehler. Aber Austritt aus der Zentrale!!?? Das jedenfalls der größte Fehler! Wenn wir solche Gepflogenheiten dulden werden, dass verantwortliche Mitglieder der Zentrale austreten, wenn sie in der Minderheit geblieben sind, dann wird die Entwicklung und Gesundung der kommunistischen Parteien niemals glatt gehen. Statt auszutreten – die strittige Frage mehrere Male besser mit der Exekutive ventilieren. Jetzt will Gen. Levi eine Broschüre schreiben, d. h. vertiefen den Gegensatz! Wozu das alles?? Das ist nach meiner Überzeugung ein großer Fehler.

Warum nicht abwarten? Am 1. VI. Kongress hier. Warum nicht eine private Besprechung hier vor dem Kongress? Ohne öffentliche Polemik, ohne Austritte, ohne Broschüren über die Differenzen.“

– „An Clara Zetkin und Paul Levi“ (April 1921)

Am 12. April 1921 hatte Levi seine hetzerische und verleumderische Broschüre Unser Weg – Wider den Putschismus veröffentlicht. Zwar bezeichnete Lenin selber Levis Kritik an der Märzaktion als im Wesentlichen richtig, doch Levi entpuppte sich als egozentrischer, kleinbürgerlicher Dilettant, indem er die Partei öffentlich angriff, als sie unter Beschuss des Klassenfeinds stand. Für Levi bestand die VKPD-Führung aus „neuen Ludendorffs“, ein Hinweis auf den rechten nationalistischen General, der die Reichswehr in das Gemetzel des Ersten Weltkriegs geführt hatte und später zum Spießgesellen Hitlers wurde. Während etwa 150 Arbeiter getötet und 3500 verhaftet wurden und die Arbeiter zu Tausenden die VKPD verließen, schaffte es Levi mit seinem öffentlichen Denunziantentum, die Arbeiterklasse zu spalten, die Diskussion in der Partei abzuwürgen und dem Staat Munition zu liefern für die Verfolgung der Partei. Genau wegen dieses öffentlichen Bruchs der Parteidisziplin wurde Levi zu Recht aus der Partei und später aus der Internationale ausgeschlossen, und nicht wegen seiner politischen Kritik an der Märzaktion.

Levi war sein eigener schlimmster Feind, wie Lenin sagte (Zetkin, Erinnerungen). In seinem „Brief an die deutschen Kommunisten“ vom August 1921 charakterisierte Lenin Paul Levis parteifeindliche Aktion folgendermaßen:

„Levi, der den anderen eine vorsichtige und durchdachte Strategie predigt, hat selbst mehr Dummheiten gemacht als irgendein grüner Junge, als er sich so voreilig, so unvorbereitet, so unsinnig, so wild in den Kampf stürzte, dass er den ,Kampf‘ mit Sicherheit verlieren musste (und sich auf lange Jahre die Arbeit verdarb oder erschwerte), obwohl dieser ,Kampf‘ gewonnen werden konnte und musste. Levi hat wie ein ,intelligenzlerischer Anarchist‘ … gehandelt.“

Am Vorabend des III. Weltkongresses der Komintern stand die VKPD durch die erbitterten Auseinandersetzungen über die Märzaktion vor dem Bruch. Paul Frölich schrieb am 6. Mai an Lenin, dass ohne das Eingreifen des EKKI auch Zetkin wegen ihrer Disziplinlosigkeit der Ausschluss gedroht hätte. Sein Brief schildert eine Partei, die von giftigen Fraktionskämpfen beherrscht war:

„Lassen Sie mich noch einige Worte über die Genossin Clara sagen. Obwohl ich von Anfang an der Meinung war, dass die Genossin Clara im Grunde ihrer Auffassung keine Kommunistin ist, habe ich doch zu ihr stets mit großem Vertrauen aufgeblickt. Ich muss aber sagen, dass es auf die Dauer unmöglich ist, mit ihr in der Partei auszukommen. Sie hat uns nicht nur jetzt, sondern auch früher – und dafür kann Ihnen auch der Genosse Karl [Radek] Tatsachen anführen – wiederholt erklärt, dass ihre Stellung in der Arbeiterbewegung und jetzt in der Kommunistischen Internationale so bedeutend sei, dass sie sich nicht den Beschlüssen der Partei fügen kann, wenn diese Beschlüsse nach ihrer Meinung politische Dummheiten seien. Sie werden verstehen, dass mit einer solchen Auffassung die Parteiarbeit einfach unmöglich gemacht wird. Aus dieser Auffassung heraus und aufgeputscht durch Levi hat sie in der gegenwärtigen Situation die Partei in der ungeheuerlichsten Weise herausgefordert und vor der Öffentlichkeit bloßgestellt. Objektiv war die Situation jetzt bereits so, dass wir zum Ausschluss der Genossin Clara und ihrer Trabanten hätten schreiten müssen, wenn uns nicht der bestimmte Wille der Exekutive davon zurückgehalten hätte. Sie dürfen glauben, dass auch wir uns bewusst sind, welche Bedeutung ein Ausschluss Clara Zetkins aus der Partei für die gesamte Internationale bedeutet, und wir haben kein Mittel unversucht gelassen, um sie von ihren Exaltationen zurückzuhalten.“

Briefe Deutscher an Lenin

Der III. Weltkongress der Komintern

Das war die Lage, als vom 22. Juni bis zum 12. Juli 1921 der III. Weltkongress in Moskau tagte. Die durch die Russische Revolution vorangetriebene revolutionäre Welle, die Europa nach dem Ersten Weltkrieg durchflutet hatte, war am Abebben. Auf dem Kongress ging es hauptsächlich um den Kampf über die „revolutionäre Offensive“, der die Internationale an den Rand einer Spaltung gebracht hatte. Die bolschewistischen Führer Sinowjew, Nikolai Bucharin und zunächst auch Karl Radek unterstützten Kun und die deutsche Führung gegen Trotzki und Lenin, die auf dem Kongress demonstrativ die Seite des rechten Flügels bezogen.

Lenin und Trotzki, die zunächst in der Minderheit waren, führten den Kampf gegen die Ultralinken an, den sie für die Internationale für absolut lebenswichtig hielten. Ihre Position, dass die Kommunistischen Parteien unbedingt Zeit brauchten, um Erfahrung zu sammeln und sich in der Arbeiterklasse zu verankern, war geprägt durch die katastrophalen Ereignisse in Deutschland. Trotzki sagte:

„Wir sind verpflichtet, der deutschen Arbeiterschaft klipp und klar zu sagen, dass wir diese Offensivphilosophie als die größte Gefahr und in der praktischen Anwendung als das größte politische Verbrechen auffassen.“

– Rede zu Genosse Radeks „Referat über die Taktik der Kommunistischen Internationale“ auf dem III. Kongress (2. Juli 1921)

Wie schon so oft zuvor, kämpfte Lenin auch am Vorabend des III. Weltkongresses darum, Zetkin, die an ihren Einwänden gegen Levis Ausschluss aus der Partei festhielt, für seine Position zu gewinnen – diesmal mit Erfolg (siehe Zetkins Erinnerungen). In seinem einleitenden „Bericht über die Tätigkeit des Exekutiv-Komitees der Kommunistischen Internationale“ bemerkte Sinowjew hinsichtlich der deutschen Partei:

„Wir befürchteten gleich bei der Gründung der V.K.P.D., dass in dieser Partei zentristische Strömungen auftreten würden. Und leider müssen wir sagen, dass diese unsere Befürchtung allzu rasch Wirklichkeit geworden ist… [Die italienische Frage] ist eine internationale Frage, sie steht auch mit der deutschen Frage im Zusammenhang. Die Exekutive hat eine Resolution gefasst und ist disziplinarisch aufgetreten gegen führende deutsche Genossen, an deren Spitze unsere verehrte Genossin Zetkin steht.“

– Protokoll des III. Weltkongresses

Dieser Kongress stellte für Zetkin einen Wendepunkt dar. Als Ergebnis intensiver Debatten mit den bolschewistischen Führern am Vorabend des Kongresses begriff Zetkin allmählich, dass die Bedrohung der Internationale dringend ihren Übertritt auf die Seite von Lenin und Trotzki erforderte für einen disziplinierten Kampf gegen die Ultralinken und Leute wie Levi. Endlich brach sie politisch mit Levi und nahm energisch den Kampf gegen ihn auf.

Im Winter 1921/22 demonstrierte Levi erneut seine Feindschaft gegen die Komintern, indem er Rosa Luxemburgs Kritiken an der Russischen Revolution veröffentlichte, obwohl er genau wusste, dass Luxemburg selbst gegen die Veröffentlichung dieser Schriften gewesen war. Diese skizzenhaften Aufzeichnungen hatte Luxemburg in der Isolation des Gefängnisses geschrieben; darin pries sie die Revolution und die ihr zugrundeliegenden Prinzipien, kritisierte aber als „Erdrückung der Demokratie“ einige Maßnahmen der Bolschewiki zur Verteidigung der Revolution. Zetkin, die persönlich Kenntnis hatte über Luxemburgs Meinungsänderung, verteidigte sie in einer vernichtenden Polemik gegen die Führer der SPD und der USPD. Sie erklärte, wie Levis Veröffentlichung Wasser auf die antibolschewistischen Mühlen der Sozialdemokratie gegossen habe:

„Man denke! Die Leute des nämlichen ,Vorwärts‘, der am Tage vor Rosa Luxemburgs Ermordung geradezu zu solcher Schmachtat … aufgereizt hatte … Sie alle hatten auf einmal ihr Herz entdeckt für die ,geistig hoch stehende Frau‘, für die ,Schärfe ihres Geistes‘, die ,Wissenschaftlichkeit‘ ihres geschichtlichen Denkens, und sie würdigen ,das Vermächtnis‘, das sie dem Proletariat gelassen… Das bitterste aber ist, dass für das frivole Spiel der Stampfer und Hilferding der Anstoß und der Schein des Rechts gegeben wurde durch das Tun eines Mannes, der in den letzten entscheidungsreichen Jahren einer von Rosa Luxemburgs nahen Kampfgenossen gewesen ist.“

Um Rosa Luxemburgs Stellung zur russischen Revolution (1922)

Mit dem Ausnutzen dieser Fragmente aus Luxemburgs Feder, schrieb Zetkin, wollte die SPD durch Lügen und Verdrehungen die Arbeiter vom Kampf für die eigenen Interessen unter dem kommunistischen Banner abhalten:

„Die mehrheitssozialdemokratischen und unabhängigen Blätter haben sich mit der Gier hungriger Köter auf die kritische Auseinandersetzung mit der bolschewistischen Taktik gestürzt. Sie suchten in dieser Kritik unter Anrufung des Namens Luxemburg eine Rechtfertigung für die großen Tat- und Unterlassungssünden ihrer Parteien an der Revolution.“

Zetkin bemerkte: „Niemand wird Paul Levi das Recht nehmen wollen, sich nach rückwärts zu entwickeln. Jedoch ihm steht nicht das Recht zu, sich dabei auf Rosa Luxemburg zu berufen.“ 1922 kehrte der größte Teil der Rumpf-USPD zur SPD zurück. Im selben Jahr trat auch Paul Levi wieder in die Partei von Scheidemann, Ebert und Noske ein – die Partei, die im Januar 1919 die Freikorps auf Luxemburg und Liebknecht gehetzt und den Arbeiteraufstand niedergeschlagen hatte.

Nach der Märzaktion machte die KPD-Führung einen Rückzieher. Dazu erklärten wir: „Nachdem die gestern noch begeisterten Anhänger der ,permanenten Offensive‘ wie Brandler, Thalheimer und Meyer sich die Finger verbrannt hatten, fielen sie jetzt vor dem bürgerlichen Legalismus und der bürgerlichen Respektabilität auf die Knie“ („Eine trotzkistische Kritik: Deutschland 1923 und die Komintern“, Spartacist, deutsche Ausgabe Nr. 22, Sommer 2001). Im Januar 1923 rief die Besetzung des Ruhrgebiets durch Frankreich allerdings eine politische und wirtschaftliche Krise hervor, in der das Potenzial für eine proletarische Revolution offensichtlich wurde. Auch diese Gelegenheit ging durch das Versagen der deutschen Parteiführung verloren, deren Passivität bestärkt und ermutigt wurde durch Sinowjew und J. W. Stalin in Moskau.

Unsere Kontrahenten sind aber der Auffassung, dass 1923 eine deutsche Oktoberrevolution nicht möglich gewesen sei. Im Grunde genommen stellen sie die Gültigkeit der Oktoberrevolution in Frage sowie den Versuch der Bolschewiki, diese Revolution international auszuweiten. Brandler vertrat immer eine Linie des „russischen Exzeptionalismus“, d. h. Lenins Programm möge in Russland funktioniert haben, könne aber auf Deutschland nicht angewendet werden angesichts des vermeintlich hohen „kulturellen“ Niveaus der Arbeiterklasse, die angeblich der parlamentarischen Demokratie treu ergeben sei. Seit der Zerstörung der Sowjetunion „entdeckten“ die Revisionisten dann, dass Lenins Programm auch in Russland nicht funktioniert habe und der sowjetische Arbeiterstaat ein „misslungenes Experiment“ gewesen sei.

Viele Reformisten und links angehauchte Akademiker hegen heute Sympathien für Brandler. Der hatte behauptet, die Arbeiterklasse selbst habe versagt. Er war der Meinung:

„Die Mehrheit der Arbeiterklasse war nicht mehr bereit, für die Novemberdemokratie zu kämpfen, die ihnen bereits materiell nichts mehr gab, und noch nicht bereit, für die Rätediktatur und den Sozialismus zu kämpfen.“

– A. Thalheimer und H. Brandler, „Thesen zur Oktoberniederlage und zur gegenwärtigen Lage“, Die Internationale VI., Ergänzungheft Nr. 1 (Januar 1924)

Zu leugnen, dass es echte Gelegenheiten für einen revolutionären Sieg in Deutschland gab, führt unweigerlich zu dem Schluss, dass Hitlers Aufstieg und der Triumph des Faschismus nicht zu vermeiden waren.

Die Neo-Kautskyaner: Zetkins revisionistische Apologeten

Wir treten für die internationale proletarische Perspektive des Marxismus ein, die von Lenin und Trotzki in Theorie und Praxis entwickelt wurde und die in den Beschlüssen der ersten vier Weltkongresse der Kommunistischen Internationale verkörpert ist. Unsere kritische Würdigung Clara Zetkins ist in diesem Zusammenhang zu sehen. Ihre beste Arbeit wollen wir vor den Sozialdemokraten, Stalinisten und Feministen retten, die sowohl die positiven Beiträge als auch die Fehler Zetkins für ihre Zwecke entstellen, sowie auch vor den Neo-Kautskyanern, für die John Riddell mit all seinen Verfälschungen und Unwahrheiten ein Musterbeispiel darstellt.

Diese Entstellungen haben ihren Ursprung in der Anpassung an die kapitalistische Herrschaft und – was die Praxis und zunehmend auch die Theorie betrifft – in der Feindschaft gegenüber der bolschewistischen Revolution und ihrer welthistorischen Bedeutung, das Beispiel für eine sozialistische Revolution zu sein. Die Neo-Kautskyaner von heute wollen mit diesem politischen Vermächtnis nichts zu tun haben, damit sie sich der opportunistischen Politik der deutschen Sozialdemokratie unterwerfen können. Deshalb müssen sie die gewaltige Kluft zwischen der Zweiten und der Dritten Internationale leugnen. Deshalb müssen sie das Revolutionäre an Zetkin wegwischen und durch ihre eigene rückgratlose reformistische Weltsicht ersetzen.

Riddells Bemühen, Zetkin in sein Ebenbild zu verwandeln, zwingt ihn, ihre Politik in etwas ganz Merkwürdiges umzugestalten. Da es unmöglich ist, ihre zahllosen Angriffe auf den bürgerlichen Feminismus zu ignorieren, greift Riddell in seine Trickkiste und definiert das Wort neu:

„Feminismus ist der Kampf für Frauenbefreiung und gegen Sexismus. Und wenn man das Wort in diesem Sinne versteht, war die kommunistische Frauenbewegung tatsächlich ein großer und wirksamer internationaler Bestandteil des Feminismus, bis sie durch den Aufstieg des Stalinismus kaltgestellt wurde.“

– „Clara Zetkin in the Lion’s Den“ [Clara Zetkin in der Löwengrube], johnriddell.wordpress.com (12. Januar 2014)

Die Feministen wollen die Gesellschaft und damit die Stellung der Frau dadurch ändern, dass sie die sozialen Beziehungen innerhalb der bestehenden kapitalistischen Gesellschaft verändern. Wir wissen, dass man zur Befreiung der Ausgebeuteten und Unterdrückten die Beziehungen der Klassen zu den Produktionsmitteln ändern muss, d. h. das Privateigentum völlig abschaffen. Wie Zetkin erkannte, ist dies der Unterschied zwischen Reform und Revolution. Ihre beste Arbeit beruhte auf diesem Verständnis.

Weil unsere Kontrahenten das Ziel der proletarischen Revolution ohnehin völlig ablehnen, taucht in ihren Schriften die Hauptquelle der Frauenunterdrückung, die Institution der Familie, kaum auf. In der Praxis leugnet die Möchtegern-Linke die zentrale Rolle der Familie in der kapitalistischen Gesellschaft. Soweit diese Frage überhaupt aufgeworfen wird, geschieht dies durch eine rein formale Ehrung von Engels und mit Hinweis auf „Geschlechterrollen“ und häusliche Gewalt. Wie tiefgreifend die Umwälzung sein muss, die die Familie aufhebt und ersetzt, ließ sich erst durch die Machteroberung des Proletariats in Russland 1917 ausmachen. Die Ersetzung der Familie durch kollektive Mittel der Kinderbetreuung und Kindererziehung ist, im breit angelegten historischen Rahmen, der radikalste Aspekt des marxistischen Programms für eine zukünftige Gesellschaft, die vollkommen umgestaltet werden wird.

Riddell muss Zetkins Feindschaft gegenüber dem Feminismus aus dem politischen Bild wegretuschieren, weil ihre Haltung im Widerspruch steht zu seinem Hauptanliegen: der Einheit um jeden Preis, ungeachtet des politischen Programms und ganz sicher ohne Rücksicht auf Klassenunterschiede. Laut Riddell strebte Zetkin als Komintern-Mitglied die Einheit von Frauen verschiedener Klassen an, denn:

„Sie war für eine breite und überparteiliche Herangehensweise und strebte die Einheit mit nicht-revolutionären Strömungen an; Aktion im Interesse der gesamten Arbeiterklasse; und Bemühungen, gesellschaftliche Schichten außerhalb der Industriearbeiterklasse zu gewinnen… Sie lehnte es ab, sich auf die Anliegen der revolutionären Avantgarde zu konzentrieren.“

– „Clara Zetkin’s Struggle for the United Front“ [Clara Zetkins Kampf für die Einheitsfront], johnriddell.wordpress.com (3. Mai 2011)

Riddell präsentiert dies als ein Beispiel der „Einheitsfront“, ein Konzept, das er vor allem Zetkin zuschreibt. Schon eine Aufzählung der Gründe, warum das völlig daneben liegt, könnte ein ganzes Buch füllen. Erstens hat Zetkins Feindschaft gegenüber dem bürgerlichen Feminismus nie nachgelassen. Zweitens verfälscht Riddell vollkommen die Einheitsfronttaktik, die von der Komintern entwickelt wurde: Diese Taktik sollte der Partei als Instrument dienen, damit sie die politische Hegemonie in der Arbeiterklasse erreichen kann durch gemeinsame Aktionen mit den Reformisten und Zentristen, solange diese noch in der Arbeiterbewegung über Autorität verfügen. Während einer solchen Einheitsfrontaktion galt es, einen scharfen politischen Kampf zu führen. Trotzki schildert das folgendermaßen:

„Wir haben mit den Reformisten und Zentristen gebrochen, um in völliger Freiheit die Niedertracht, den Verrat, die Unentschlossenheit und den Geist der Halbherzigkeit in der Arbeiterbewegung kritisieren zu können. Aus diesem Grund ist jegliche organisatorische Vereinbarung, die unsere Freiheit der Kritik und Agitation einschränkt, für uns absolut unannehmbar. Wir beteiligen uns an Einheitsfronten, lösen uns jedoch zu keinem Zeitpunkt darin auf. Wir handeln in der Einheitsfront als eine unabhängige Kraft.“

– „On the United Front“ [Über die Einheitsfront], März 1922

So könnte eine Einheitsfront zur Durchführung einer gemeinsamen Aktion unter bestimmten konkreten Losungen – z. B. für das Recht auf Abtreibung – ohne weiteres bürgerliche Feministen mit einbeziehen, deren Politik des Vertrauens in den kapitalistischen Staat von der leninistischen Partei schonungslos entlarvt werden würde.

Riddell hingegen ordnet mit seinem klassenlosen Gerede von „Einheit“ die Interessen des Proletariats denen des Kleinbürgertums oder der Bourgeoisie unter – und nennt das dann „Einheitsfront“. In Wirklichkeit tritt er lediglich für eine Neuauflage von Kautskys „Partei der Gesamtklasse“ ein: also die völlige Rückkehr zur Sozialdemokratie im Gegensatz zum revolutionären Leninismus. Riddell spricht sich offen dafür aus, dass vorgeblich sozialistische Parteien bürgerliche parlamentarische Regierungen unterstützen und sich an diesen beteiligen – die er fälschlicherweise „Arbeiterregierungen“ nennt. Ganz im Gegenteil: Eine von einer sozialdemokratischen Partei geführte parlamentarische Regierung ist eine kapitalistische Regierung, also weder eine „Arbeiterregierung“ noch eine „reformistische Regierung“. Als Ergebnis ihrer rechtslastigen Auslegung der Einheitsfront rief die KPD-Führung 1923 zu einer parlamentarischen „Arbeiterregierung“ mit der Sozialdemokratie auf, was zur Niederlage der revolutionären Erhebung in Deutschland wesentlich beitrug. Wie Lenin haben wir Spartakisten immer darauf bestanden, dass eine Arbeiterregierung nichts anderes sein kann als die Diktatur des Proletariats.

Es überrascht nicht, dass Paul Levi von John Riddell als ein Opfer parteiinterner Auseinandersetzungen in der KPD und der Komintern verteidigt wird. Levi sei, so Riddell, „eine Stimme der Mäßigung“ gewesen und habe die „Kommunisten dazu gedrängt, Initiativen zu ergreifen, die andere einbeziehen und darauf abzielen, die Einheit der gesamten Arbeiterklasse in der Aktion wiederherzustellen“ („Why Did Paul Levi Lose Out in the German Communist Leadership?“ [Warum zog Paul Levi in der Führung der Kommunistischen Partei Deutschlands den Kürzeren?], johnriddell.wordpress.com, 5. Juli 2013). Riddell behauptet, dass die Arbeiterbasis der KPD selber „ultralinks“ gewesen sei und damit das eigentliche Problem dargestellt habe, und dass „nur eine vereinigte Führung, die über Autorität verfügt, diese Avantgarde in Deutschland davon hätte überzeugen können, für eine Einheit mit konservativeren Kräften in der Arbeiterklasse zu kämpfen“. Er schiebt die Schuld auf „das parteiische Eingreifen von Kominternführern in die deutschen Streitigkeiten“, was „es der deutschen Führung unmöglich machte, die Lehren aus der eigenen Erfahrung in Deutschland zu ziehen und dadurch ihre Einheit wiederherzustellen. Die Einmischung Moskaus lief eher auf eine Verhärtung der Fronten in Deutschland hinaus.“

In seiner Gier nach „Einheit, Einheit“ ohne Rücksicht auf das politische Programm bringt Riddell die ganze Auseinandersetzung sowohl über die „Offensivtheorie“ als auch über den früheren Kampf der KI mit den Linkskommunisten durcheinander. Lenin schrieb seine Broschüre Der „linke Radikalismus“, die Kinderkrankheit im Kommunismus (1920) gerade deshalb, um die Auseinandersetzung mit der Krankheit des Ultralinkstums zu führen. Zu dem Zeitpunkt verfügte das Ultralinkstum über eine gewisse Massenbasis unter den Arbeitern; viele der „Linken“ waren syndikalistische oder anarchistische Arbeiter, die auf den sozialdemokratischen Verrat so reagierten, dass sie jede parlamentarische Aktivität, jede Arbeit in den reformistisch geführten Gewerkschaften und sogar das Konzept einer proletarischen Partei zurückwiesen. Tatsächlich hat Paul Levi 1919 diese Arbeiter aus der KPD hinausgeworfen, weil er nach „Einheit“ mit der USPD strebte.

Lenin wollte nicht nur die besten Elemente der Sozialistischen Parteien, sondern auch diese subjektiv revolutionären syndikalistischen und anarchistischen Arbeiter zur KI umgruppieren. Er betonte, dass die Avantgardepartei sorgfältig und bewusst durch interne politische Auseinandersetzung und externen Kampf mit reformistischen und zentristischen Kräften aufgebaut werden muss. Lenin schrieb: „Sollte man nicht lieber die der Sowjetmacht und den Bolschewiki gezollten Beifallskundgebungen häufiger mit einer sehr ernsten Analyse der Ursachen verknüpfen, die bewirkten, dass die Bolschewiki die für das revolutionäre Proletariat notwendige Disziplin schaffen konnten?“

Riddell will auch Lenins Rolle im Kampf der KI gegen die „Offensivtheorie“ herunterspielen. Er stellt Zetkin als Heldin der Debatte dar und behauptet: „Zetkins Diskussion mit Lenin trug dazu bei, die führenden russischen Kommunisten zur Unterstützung ihrer Kritik an der katastrophalen ,Märzaktion‘ zu bewegen“ („Clara Zetkin in the Lion’s Den“). In Wirklichkeit hat Lenin dafür gesorgt, dass Zetkin weiterhin ein Mitglied blieb, weil er mit ihr unnachgiebig über ihre andauernde Opposition gegen Levis Ausschluss argumentierte. Gleichzeitig stellte er klar, dass er Levi wieder in der Partei willkommen heißen würde, wenn dieser nur das Zerstörerische seines Disziplinbruchs einsehe. In ihren Erinnerungen berichtet Zetkin über Diskussionen mit Lenin, worin die tiefe Verbundenheit der beiden deutlich wird. Auch scharfe politische Meinungsverschiedenheiten stellten kein Hindernis für ihre herzliche persönliche Beziehung dar. Für Riddell muss eine derartige Freundschaft zwischen Zetkin und dem Mann, dem er eine „Geringschätzung von Frauen“ unterstellt („Clara Zetkin in the Lion’s Den“), wahrlich ein Dorn im Auge sein.

Für eine revolutionäre internationalistische Partei!

Wenige Monate nach dem Oktober-Debakel von 1923 in Deutschland nahm Trotzki in einer Reihe von Schriften eine kritische Bewertung der politischen Probleme vor; daraus entstand 1924 seine Schrift Die Lehren des Oktober. Trotzki stellte die deutschen Ereignisse dem russischen Oktober gegenüber, wo sich 1917 ein Teil der bolschewistischen Parteiführung um Lew Kamenjew und Sinowjew gegen die Organisierung der Machtergreifung gestellt hatte. Trotzki liefert eine eingehende Schilderung der aufeinanderfolgenden Kämpfe, die Lenin nach dem Ausbruch der Revolution im Februar 1917 führte, um die Partei wiederzubewaffnen. Diese Kämpfe machten den Sieg im Oktober erst möglich. Die Auseinandersetzung ging „um die grundlegende Frage: Soll man um die Macht kämpfen oder nicht?“ Trotzki stellte fest:

„Wenn man unter dem Bolschewismus im Wesentlichen eine solche Erziehung, eine solche Stählung, eine solche Organisation der proletarischen Vorhut versteht, durch die sie fähig wird, die Macht durch die Gewalt der Waffen zu erobern, wenn man die sozialdemokratische Politik als eine reformistisch-oppositionelle Betätigung im Rahmen der bürgerlichen Gesellschaft und eine Anpassung an deren Gesetzlichkeit, d. h. als eine Erziehung der Massen im Geiste der Anerkennung der Unerschütterlichkeit des bürgerlichen Staates betrachtet, dann ist es ganz klar, dass selbst innerhalb der Kommunistischen Partei, die ja auch nicht sofort fertig aus dem Ofen der Geschichte hervorgeht, der Kampf zwischen den sozialdemokratischen Tendenzen und dem Bolschewismus am klarsten, am offensten und am unverhülltesten in der unmittelbar revolutionären Periode zum Ausdruck gelangen muss, wo die Frage der Machtergreifung scharf gestellt wird.“

Damit hob Trotzki hervor, dass in einer leninistischen Partei der Kampf für Klarheit niemals „abgeschlossen“ ist und nicht in die Zuständigkeit einer einzelnen Person fällt. Leninistische Parteien beruhen darauf, dass ein Kollektiv von Genossen mit ihren verschiedenen Stärken und Schwächen die revolutionäre Linie entwickelt und umsetzt, die in der gesamten Partei im Rahmen des demokratischen Zentralismus durch Diskussion und Beschluss festgelegt wird. Innerhalb eines Kollektivs mit Luxemburg, Liebknecht und anderen fähigen Genossen war Paul Levi ein wertvoller Propagandist für die Sache des Kommunismus. Doch nachdem die KPD buchstäblich enthauptet worden war, gab er im Frühjahr 1921 seinen sozialdemokratischen Neigungen nach, statt die deutsche Partei wieder auf Kurs zu bringen. Zetkin entschied sich für ein anderes Kollektiv: für die Bolschewiki und die Dritte Internationale, wo sie an Lenins Seite dafür kämpfte, eine neue Waffe für die Weltrevolution zu schmieden. Als 1924 die Stalinisierung der KI einsetzte, passte sie sich bedauerlicherweise an. Sie war damals fast 70 Jahre alt und hatte ihr Leben lang an chronischen Krankheiten gelitten.

Die Internationale Kommunistische Liga hält an den revolutionären Lehren der Kommunistischen Internationale Lenins fest und entwickelt sie fort. Wie Trotzki in Die Lehren des Oktober betonte: „Ohne die Partei, unter Umgehung der Partei, durch ein Surrogat der Partei kann die proletarische Revolution nie siegen.“