Spartacist (deutsche Ausgabe) Nummer 29

Sommer 2013

 

Fred Zierenberg, 1949–2012

Unser Genosse Fred Zierenberg starb am 19. Januar 2012, zwei Wochen vor seinem 63. Geburtstag, in Berlin an Krebs. Fred führte seit seinem Eintritt vor 35 Jahren den Kampf als kommunistischer Kader an der Spitze unserer Organisation. Bis zu seinem Tode war er Mitglied des Internationalen Exekutivkomitees der Internationalen Kommunistischen Liga (Vierte Internationalisten) und des Zentralkomitees der Spartakist-Arbeiterpartei Deutschlands (SpAD). In allen Sektionen unserer internationalen Partei empfinden Genossen Schmerz und Trauer über Freds Tod. Unsere Gedanken sind bei seiner Frau, Genossin Birgit, und ihrem gemeinsamen besten Freund Wolf.

Fred wurde am 3. Februar 1949 in Westberlin, der NATO-Frontstadt des Kalten Krieges, geboren. Seine Eltern waren Metallarbeiter. Wie Tausende Studenten und junge Arbeiter wurde er in den 1960er-Jahren durch eine Radikalisierungswelle politisiert, die vor allem durch den Generalstreik vom Mai 1968 in Frankreich und die Empörung über den US-Krieg in Vietnam ausgelöst worden war. In Deutschland distanzierte sich diese Schicht Jugendlicher zunehmend von dem Antikommunismus der SPD. Doch die Zerschlagung der Arbeiterbewegung durch die Nazis hatte zum vollständigen Bruch der revolutionären Kontinuität in Deutschland geführt, was das Erforschen des authentischen Marxismus außerordentlich erschwerte. Trotzkistische Kader in Europa waren von den Nazis ermordet, ins Gefängnis geworfen oder in den Untergrund getrieben und darüber hinaus von den Stalinisten verfolgt worden. Als Folge davon waren die weltweiten Entwicklungen in der trotzkistischen Bewegung von 1933 bis 1945 denjenigen, die den Trümmern Nazi-Deutschlands entkommen waren, nicht zugänglich. Hinzu kam, dass Trotzkis Schriften Ende der 60er-Jahre auf Deutsch kaum verfügbar waren.

Gegen Ende 1968 begannen Fred und weitere Jugendliche mit der Organisierung der späteren Internationalen Kommunisten Deutschlands (IKD) und der mit ihr verbundenen Kommunistischen Jugendorganisation (KJO). Mit Anfang zwanzig wurde Fred bereits zu einem Führer der KJO, die zeitweise Tausende Studenten und Jugendliche der Arbeiterklasse auf die Straße brachte. Die IKD/KJO wurde in Opposition zur pabloistischen Politik des tiefen Entrismus in die SPD gegründet, die von Ernest Mandels Vereinigtem Sekretariat jahrelang betrieben worden war. Zu dieser Zeit brach Fred vollständig mit dem liquidatorischen Pabloismus, der die Notwendigkeit des Aufbaus unabhängiger trotzkistischer Parteien weltweit leugnet, und er wurde zum Kampf der Spartacist-Tendenz für die Wiedergeburt der Vierten Internationale gewonnen. Er musste auch mit der in der Linken weit verbreiteten Position brechen, dass die SPD eine rein kapitalistische Partei sei. Fred ließ sich von Lenins Analyse der Sozialdemokratie als einer bürgerlichen Arbeiterpartei überzeugen und erkannte, dass in Deutschland die strategische Aufgabe von Revolutionären darin besteht, die proletarische Basis der SPD, einer historischen Massenpartei der Arbeiterklasse, von ihrer prokapitalistischen Führung abzuspalten.

1975 wurde Fred Sympathisant der Trotzkistischen Liga Deutschlands (TLD), einer Vorläuferorganisation der SpAD. Nach seinem Eintritt 1977 trug er maßgeblich zum Aufbau der deutschen Sektion und zur Schmiedung unserer internationalen Tendenz bei, indem er mithalf, die revolutionäre Kontinuität in Deutschland wiederherzustellen. Insbesondere half er, die Wissenslücke über die Geschichte des Marxismus im Anschluss an das 19. und frühe 20. Jahrhundert zu schließen. 1979 wurde er Mitglied des Zentralkomitees der TLD. Später, als Mitglied des Internationalen Exekutivkomitees, beteiligte er sich auch an wichtigen politischen Kämpfen in anderen Sektionen, vor allem in Frankreich, wo er Mitte der 80er-Jahre lebte und arbeitete. Fred arbeitete eng mit der Spartakist-Gruppe Polens zusammen und spielte bei der weiteren marxistischen Ausbildung unserer Genossen in Warschau eine zentrale Rolle.

Auf einer Afghanistan-Veranstaltung des AStA an der Frankfurter Universität im Januar 1980 wurde Fred durch einen Messerstich in den Rücken lebensgefährlich verletzt, als Maoisten und reaktionäre Islamisten einen Mordanschlag auf unsere Genossen und Sympathisanten verübten. Ende Dezember war die sowjetische Rote Armee auf Aufforderung der links-nationalistischen afghanischen Regierung in Afghanistan einmarschiert, um eine von der CIA unterstützte Übernahme des Landes durch islamistische Fundamentalisten zu verhindern. Als einzige in der Linken erklärte unsere Organisation geradeheraus: „Hoch die Rote Armee in Afghanistan! Für die Ausweitung der sozialen Errungenschaften der Oktoberrevolution auf die afghanischen Völker!“ Während Freds monatelang währender Genesung kam es weltweit zu einer Flut von Protesten gegen diesen feigen Überfall, darunter auch von Dutzenden von Gewerkschaftern.

Um in Deutschland zu einem revolutionären Marxisten zu werden, ist es von entscheidender Bedeutung, sich von der allgegenwärtigen Ansicht loszureißen, dass das gesamte deutsche Volk – ohne Ansehen der Klasse – für die Nazis, den Zweiten Weltkrieg und den Holocaust verantwortlich sei. Fred kämpfte zusammen mit anderen Genossen in der SpAD und der IKL jahrelang dafür, unsere deutsche Sektion gegen diese Lüge der „Kollektivschuld“ zu bewaffnen. So erläuterte er 2005 in einer Schulung, dass in Deutschland die „Kollektivschuld“ ein zentrales ideologisches Werkzeug der Bourgeoisie, der SPD und der Grünen ist, um „die wirklich Schuldigen zu entlasten, die damals und heute herrschende Klasse, die deutsche Bourgeoisie“.

Auf der Zweiten Internationalen Konferenz der IKL 1992 hielt Fred ein Referat über den Kampf für die Kontinuität der Vierten Internationale, in dem er die zerstörerische Rolle des Pabloismus in Deutschland hervorhob. Seine letzten beiden Jahre widmete er der Vertiefung seines Studiums der Geschichte des deutschen Trotzkismus und insbesondere unserer Tendenz. Fred wollte speziell unseren jüngeren Genossen die Debatten innerhalb des deutschen Nachkriegstrotzkismus verständlich machen und verdeutlichen, wie er selbst zur Politik der Spartakisten gelangt war.

Im November 2009, kurz bevor bei ihm die Krebserkrankung diagnostiziert wurde, war Fred der Hauptreferent auf einer SpAD-Tagesschulung in Berlin über unseren Kampf 1989/90 gegen die kapitalistische Konterrevolution im deformierten Arbeiterstaat DDR. Dieser Kampf für die revolutionäre Wiedervereinigung Deutschlands war der bislang größte Einsatz der Kräfte unserer Internationale, und Fred nahm an dessen Führung teil. Seine Rede, die in Spartakist Nr. 181 (Januar 2010) abgedruckt ist, schließt mit den Worten: „Unser Banner ist unbefleckt. Wenn wir sagen, wir sind die Partei der Russischen Revolution, wollen wir damit sagen: Wir haben die Kontinuität des bolschewistischen Programms von Lenin aufrechterhalten und streben danach, es in den Klassenkämpfen anzuwenden. Unsere Aufgabe ist es, die Vierte Internationale wiederzuschmieden, die Weltpartei der sozialistischen Revolution.“

Fred wurde für sein breites Wissen und für seinen schlagfertigen Humor, seine warme Menschlichkeit und seine Integrität hoch geschätzt. Es kann keine bessere Ehrerbietung für ihn geben als die Fortsetzung des Kampfes, dem er sein Leben gewidmet hat: den Aufbau einer internationalistischen revolutionären Arbeiterpartei.