Spartacist (deutsche Ausgabe) Nummer 28

Herbst 2011

 

VI. Internationale Konferenz der IKL

Kampf für programmatische Integrität in einer reaktionären Periode

ÜBERSETZT AUS SPARTACIST, ENGLISCHE AUSGABE NR. 62, FRÜHJAHR 2011

Die Internationale Kommunistische Liga (Vierte Internationalisten) hielt ihre VI. Internationale Konferenz Ende 2010 in Nordamerika ab. Der Konferenz, dem höchsten Gremium unserer revolutionären marxistischen Organisation, ging eine intensive dreimonatige Diskussionsperiode voraus, die durch den Konferenzaufruf unseres Internationalen Exekutivkomitees (IEK) eröffnet wurde. Jede IKL-Sektion wählte auf der Grundlage von schriftlich vorliegenden politischen Positionen Delegierte mit Rede- und Stimmrecht. Genossen des Internationalen Sekretariats (IS), des in der internationalen Zentrale ansässigen Ausschusses des IEK, legten den Entwurf des Dokuments „Der Kampf für programmatische Integrität in einer reaktionären Periode“ vor. Dieses wurde von den Delegierten diskutiert, abgeändert und dann angenommen.

Zentraler Ausgangspunkt der Vorkonferenzdiskussion und Debatte war unsere Zurückweisung des Verrats der IKL an den Prinzipien des Marxismus in der Frage von US- und UN-Truppen in Haiti. In einer Erklärung des IEK am 27. April 2010 schrieben wir:

„In Artikeln zum Erdbeben in Haiti beging Workers Vanguard (WV), die Zeitung der Spartacist League/U.S., Verrat an dem grundlegenden Prinzip, Gegner der ,eigenen‘ imperialistischen Herrscher zu sein. Nicht nur rechtfertigten wir in diesen Artikeln die US-imperialistischen Truppen als notwendig für Hilfsmaßnahmen; darüber hinaus polemisierten wir auch gegen die prinzipienfeste und korrekte Position, den sofortigen Abzug der Truppen zu fordern.“

– „Eine Kapitulation vor dem US-Imperialismus“, Spartakist-Extrablatt, 1. Mai 2010 und Spartakist Nr. 184, Juli 2010

In der Erklärung stellten wir fest, dass die Fähigkeit, unsere Linie zu korrigieren, kaum ein Anlass zur Freude war, sondern lediglich die Grundlage dafür schuf, politisch auf den richtigen Kurs zurückzukehren. Hauptaufgabe der internationalen Konferenz war es, durch eine Untersuchung der Ursachen unserer Desorientierung über das Erdbeben in Haiti die Partei wiederzubewaffnen.

Diskussionsbeiträge vor und während der Konferenz wiesen auf den ständigen Druck hin, das Programm revisionistisch anzupassen, der besonders seit der konterrevolutionären Zerstörung der Sowjetunion und der osteuropäischen deformierten Arbeiterstaaten Anfang der 1990er-Jahre auf revolutionären Marxisten lastet. Heute besteht eine riesige Kluft zwischen unserem kommunistischen Programm und dem herrschenden Niveau des politischen Bewusstseins. Selbst die politisch bewusstesten Arbeiter und radikalen Jugendlichen gehen im Allgemeinen davon aus, dass der Kampf für Sozialismus, wie ihn die bolschewistische Revolution von 1917 verkörpert, bestenfalls ein gescheitertes Experiment gewesen sei. Die reformistische Linke hat zunehmend jeglichen Anspruch fallengelassen, für die befreienden Ideale des Kommunismus zu kämpfen, und macht sich ganz offen sozialdemokratische und/oder bürgerlich-nationalistische populistische Politik zu eigen.

Genosse Jim Robertson sagte vor einigen Jahren auf einer Schulungsveranstaltung der Spartacist League/Britain:

„Heute befinden wir uns in einer Talsohle von ungewöhnlicher Tiefe, und unsere unmittelbar erlebten Erfahrungen sind nicht besonders gut. Also sollten wir uns sehr stark auf die Erfahrungen von 1918 bis 1921 stützen, als die Arbeiterbewegung viel weitblickender war. Und da gibt es auch ein Zitat von Lenin vom Januar 1917. Er hielt eine Rede in der Schweiz und sagte: ,Wir, die Alten, werden vielleicht die entscheidenden Kämpfe dieser kommenden Revolution nicht erleben.‘ Nun, mir laufen allerlei Vertreter für Patentrezepte über den Weg, die fragen: Was ist eure unmittelbare Perspektive? Kümmert euch nicht so sehr um die unmittelbare Perspektive, denn wer weiß, was im Februar passieren wird! Was ist euer Programm? Das ist die entscheidende Frage.“

Workers Hammer Nr. 195, Sommer 2006

Entsprechend diesem Verständnis heißt es im Konferenzdokument, dass es keine einfache Lösung für die Probleme gibt, vor denen wir stehen. Als unsere zentralen Aufgaben werden benannt: beharrliches Studium der Geschichte und der Prinzipien der marxistischen Bewegung, kritische Untersuchung neuer Entwicklungen und kritische Überprüfung früherer Prognosen und Positionen sowie geduldige erzieherische Arbeit, um eine neue Generation von Kadern und Führern der Partei herauszubilden – verbunden mit aktiver propagandistischer Intervention in den Klassenkampf und in andere soziale Kämpfe.

Diese Herangehensweise war auch auf der Konferenz sichtbar. Eine Sitzung war ganz dem gegenwärtigen Stand der internationalen Arbeiterbewegung gewidmet, wo auch bestimmte frühere Diskussionen in unseren Sektionen kritisch analysiert wurden. Eine Südasien-Kommission diskutierte Vorschläge für fundierte IKL-Propaganda, um auch den indischen Subkontinent mit seinem riesigen Proletariat und seinem bedeutenden linken Milieu zu erreichen. Eine von der Frauenkommission der IKL organisierte Sitzung konzentrierte sich auf unsere intensive Untersuchung über die Arbeit der frühen Kommunistischen Internationale unter den Frauen (siehe Artikel „Neue Übersetzung: Thesen der Kommunistischen Internationale zur Arbeit unter den Frauen“, Seite 72). Eine weitere Kommission diskutierte Vorschläge für Propaganda zu Kuba, die auf dem Studium der gegenwärtigen Entwicklungen sowie auf unserem einzigartigen programmatischen Erbe beruhen. Kleinere Arbeitsgruppen diskutierten weitere Arbeitsgebiete, darunter Propaganda zu China und breitere Perspektiven in Lateinamerika, und die Spartacist-Redaktion hatte eine Arbeitssitzung. Viele Genossen sagten, dass solche Diskussionen, die auf die weitere Entwicklung unserer Fähigkeiten abzielen, heutige Entwicklungen dialektisch-materialistisch zu verstehen und zu analysieren, im starken Gegensatz zu der Tendenz der letzten Jahre stehen, abstrakte Schemata anzuwenden und unsere eigene „Realität“ zu schaffen als eine Art Trost für die schwierige Periode, mit der wir in der nachsowjetischen Welt konfrontiert sind.

Gegen den subjektiven Idealismus

Die Diskussion über das Konferenzdokument erstreckte sich über zwei Sitzungen der Konferenz und wurde durch die Genossen J. Bride und L. Markow vom bisherigen IEK eingeleitet. Das Dokument zeichnete die Hauptkonturen der heutigen Welt und gab die Richtung für die Konferenzberatungen vor. Zwei Jahre waren vergangen seit Ausbruch der schlimmsten internationalen Wirtschaftskrise nach 1929, und die kapitalistischen Herrscher wollen die Krisenlast durch Entlassungen und brutale Kürzungen der Sozialausgaben den Arbeitern aufbürden. Der massive Anstieg der Arbeitslosigkeit, die Zwangsversteigerungen der Häuser, die Abschiebungen von Immigranten aus den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern und weit verbreiteter Hunger und Krankheiten in der neokolonialen Welt machen Karl Marx’ Theorie der zunehmenden Verelendung ganz konkret. Gleichzeitig haben die bluttriefenden US-imperialistischen Herrscher, jetzt geführt von der Regierung des Demokraten Obama, die Besetzung des Irak fortgesetzt, den Krieg in Afghanistan eskaliert, Sanktionen und militärische Drohungen gegen Iran verschärft und ihren Kreuzzug zur Vernichtung der antikapitalistischen Errungenschaften der verbliebenen bürokratisch deformierten Arbeiterstaaten (China, Kuba, Nordkorea, Vietnam und Laos) weitergeführt.

Das Dokument zeigte auf, wie die Kapitalisten versuchen, die Wut der arbeitenden Menschen abzulenken, indem sie bewusst rückständige soziale und politische Einstellungen fördern. Dadurch wollen sie unterschiedliche Teile der Arbeiterklasse entlang rassischer, religiöser und ethnischer Linien gegeneinander aufhetzen, Arbeiter gegen Arbeiterinnen, einheimische Arbeiter gegen Immigranten, jüngere gegen ältere Arbeiter. Der in diesem Kontext immer giftiger werdende „Krieg gegen den Terror“ dient dazu, sowohl die einheimische Bevölkerung zu reglementieren als auch weiteres militärisches Eingreifen der Imperialisten, darunter auch in Pakistan, zu rechtfertigen. Seit kurzem führt die NATO Krieg gegen Libyen. Wirtschaftsnationalismus im imperialistischen Westen und in Japan richtet sich besonders gegen den mächtigsten der existierenden deformierten Arbeiterstaaten, China, dessen vergleichsweise starke Wirtschaftsleistung bezeugt, dass China tatsächlich nicht kapitalistisch ist – im Gegensatz zu dem, was die meisten bürgerlichen Ideologen und der Großteil der reformistischen Linken argumentieren. Trotz seines relativen Erfolgs bleibt China jedoch ökonomisch extrem rückständig im Vergleich zu den imperialistischen Mächten, die nicht eher ruhen wollen, bis sie das bevölkerungsreichste Land der Welt durch eine kapitalistische Konterrevolution für die ungehinderte Ausbeutung zurückerobert haben.

Die VI. IKL-Konferenz bekräftigte, was schon bei der Nationalen Konferenz der SL/U.S. 2009 dargelegt wurde: Die objektiven Schwierigkeiten, mit denen wir in dieser Periode des „Todes des Kommunismus“ konfrontiert sind, können nicht durch opportunistische Abkürzungen überwunden werden oder durch Versuche, über Nacht reich zu werden, wozu frühere Parteiregime viel zu oft Zuflucht nahmen (siehe „Dog Days of the Post-Soviet Period“ [Hundstage der nachsowjetischen Periode], Workers Vanguard Nr. 948, 4. Dezember 2009). Die Konferenzen der SL/U.S. und der IKL wiesen die subjektiv idealistische Herangehensweise zurück, die diesen Illusionen zugrunde lag, wo Möglichkeiten für große organisatorische Durchbrüche erfunden wurden, die eigentlich nicht existierten.

Typisch für eine solche Herangehensweise war der Versuch, als beste Vorkämpfer eine nichtexistierende Massenbewegung „wiederzubeleben“, um den schwarzen politischen Gefangenen Mumia Abu-Jamal zu befreien, der in der Todeszelle sitzt. Die internationale Konferenz wies die in unserem Bericht über die IKL-Konferenz von 2007 enthaltene Behauptung zurück, dass wir uns „aus dem politischen und polemischen Kampf mit unseren reformistischen Opponenten über Mumias Fall“ zurückgezogen hätten („Die Aufrechterhaltung eines revolutionären Programms in der nachsowjetischen Periode“, Spartacist, deutsche Ausgabe Nr. 26, Frühjahr 2008), und bekräftigte, dass wir „weiterhin unsere Bemühungen im Kampf für Mumias Freiheit fortsetzen müssen … entsprechend unserer tatsächlichen Ressourcen und dem Auf und Ab des Falles“.

Die jetzige Konferenz kritisierte scharf die politisch versöhnlerische Haltung der vorigen Parteiführung gegenüber Kräften, die unserem proletarischen und revolutionären Ziel feindlich gegenüberstehen, darunter schwarze Nationalisten und Elemente der kapitalistischen Demokratischen Partei in den USA. Diese Haltung hatte uns 2008 an den Rand der organisatorischen und politischen Liquidation gebracht. Die Begeisterung unserer Opponenten über Obama fand ein alarmierendes Echo innerhalb der zentralen Parteiführung in New York, wo einige Genossen Obamas „More-Perfect-Union“-Rede als „machtvoll“ und als „Wendepunkt“ charakterisierten, weil er darin angeblich das „Vorhandensein von Rasse und rassischer Unterdrückung in den USA“ anerkannte – und das während seines Wahlkampfes für den Posten des Oberbefehlshabers des US-Imperialismus. Hätten wir diese Linie in unserer Zeitung abgedruckt, so wäre dies ein Verrat an unserem Prinzip der proletarischen Klassenunabhängigkeit gewesen.

Vor der internationalen Konferenz erklärte sich eine winzige Clique um Rachel Wolkenstein zur „Minderheitsfraktion“ und widersetzte sich den Bemühungen, unser opportunistisches Abdriften zu korrigieren. Genau diese Gruppe – Wolkenstein, ihr Bruder, dessen Freundin und deren gemeinsamer bester Freund – hatte sich anlässlich der SL/U.S.-Konferenz von 2009 zusammengefunden, welche ebenfalls ihre Ansichten entschieden zurückgewiesen hatte. Ihr langatmiges Gegendokument für die internationale Konferenz, das in einem unserer internen Bulletins abgedruckt wurde, wurde sonst von keinem anderen IKL-Genossen vor oder während der Konferenz unterstützt, und ein paar Tage nach der Konferenz traten die Vier aus.

Mit der idealistischen Vorstellung, wir könnten schwierige objektive Bedingungen einfach aus eigener Kraft überwinden, gingen wilder Aktivismus und die Missachtung marxistischer Theorie und Geschichte einher. Im Dokument der VI. IKL-Konferenz hielten wir fest: Dies „machte uns dümmer und unterminierte unsere Fähigkeit, als Marxisten weltweite Entwicklungen zu untersuchen, was uns für den Druck fremder Klassen empfänglicher machte“. Delegierte bemerkten, dass dies in der Reihe der Ereignisse, die zum Verrat über Haiti führten, eine große Rolle spielte.

Die Konferenz bekräftigte erneut die Bedeutung, die unsere in vier Sprachen erscheinende theoretische Zeitschrift Spartacist für die IKL hat, und erklärte, dass die Herausgabe der Zeitschrift eine zentrale Aufgabe des neuen IEK darstellt, besonders der Genossen, die dem IS angehören. Eng damit verbunden ist die Arbeit der Prometheus Research Library, marxistische Quellensammlung und Archiv des Zentralkomitees der SL/U.S. Die Genossin, die zentral für diese Arbeit verantwortlich ist, legte in einem Bericht an die Konferenz dar, dass die Bestände und die Forschung der PRL für unsere Propaganda unverzichtbar sind, nicht zuletzt für Spartacist. Sie sind auch unentbehrlich bei unserem Bestreben, die Geschichte der marxistischen Bewegung, einschließlich unserer eigenen Partei, zu assimilieren und weiterzugeben. Das Konferenzdokument wiederholte einen Punkt, der bei unserer IV. Internationalen Konferenz 2003 stark betont, später aber praktisch über Bord geworfen wurde: „Um eine effektive kämpfende Propagandagruppe zu sein, müssen wir vor allem eine denkende Propagandagruppe sein.“

Haiti: Wurzeln des Verrats

Als die Konferenz zusammentrat, gab es bereits einen breiten Konsens in der IKL über die Ursachen unseres Verrats über Haiti. Die Konferenz wies die Auffassung zurück, es gäbe eine einzelne einfache Erklärung, und verwies stattdessen auf eine Reihe vorher existierender Schwächen. Dokumente vor der Konferenz wiesen darauf hin, dass in der Zeitung der SL/U.S. spätestens seit dem Tsunami in Asien im Dezember 2004 und dem Hurrikan Katrina in New Orleans 2005 stillschweigend eine Linie entwickelt wurde, wonach in den ersten Tagen nach einer Katastrophe kein Truppenabzug gefordert wurde; kein Parteigremium hatte diese Linie je formell diskutiert oder festgelegt.

Der Artikel „Tsunami Catastrophe in South Asia“ [Tsunami-Katastrophe in Südasien] (Workers Vanguard Nr. 839, 7. Januar 2005) prangerte zwar den US-Imperialismus an, erwähnte aber nicht, dass in den Tagen nach dem Tsunami eine riesige Militärpräsenz des US- und australischen Imperialismus rund um Indonesien aufgebaut wurde. Dieser Einsatz ermöglichte es der indonesischen Armee, in die Berge von Aceh einzumarschieren, um Rebellen der aufständischen Bewegung Freies Aceh niederzuschlagen. Dass Workers Vanguard dies nicht erwähnte, bedeutete, die US-Versorgungs- und Rettungsoperationen entlang der Küste stillschweigend als „humanitären“ Einsatz zu akzeptieren; dabei ignorierten wir den eigentlichen Zweck dieser Machtdemonstration des US-Militärs, die bis nach Sri Lanka reichte, wo es damals einen Aufstand der Tamilen gab. Wie wir in der IEK-Erklärung zur Zurückweisung unserer Haiti-Position schrieben, forderte im Gegensatz dazu die Spartacist League/Australia in einem Artikel geradeheraus den sofortigen Abzug australischer und indonesischer Truppen aus Aceh und warnte scharf vor Illusionen in die Entwicklungshilfe der Imperialisten, die nur dazu dient, neokoloniale Unterjochung zu verschärfen („Australian Imperialists Seize On Tsunami Catastrophe“ [Australische Imperialisten benutzen Tsunami-Katastrophe], Australasian Spartacist Nr. 190, Herbst 2005).

Nach Hurrikan Katrina schrieb Workers Vanguard richtigerweise, dass die Truppen der Nationalgarde, die in New Orleans einmarschierten, „vor allem dafür mobilisiert wurden, die Kontrolle über die Stadt sicherzustellen, die verbliebene Bevölkerung zu entwaffnen und die staatliche Vertuschung der wahren Zahl der Toten durchzusetzen“ („New Orleans: Racist Atrocity“ [New Orleans: Rassistische Grausamkeit], Workers Vanguard Nr. 854, 16. September 2005). Jedoch forderte dieser Artikel nicht den Abzug der Bullen und der Armee, wie wir es bei den rassistischen Besetzungen der Ghettos durch Polizei und Nationalgarde oft zuvor getan hatten.

Im Konferenzdokument stellten wir auch eine „Neigung“ fest, „die Interessen des US-Imperialismus in Haiti als konjunkturell gutartig darzustellen, statt von seinen direkten Interessen diktiert, das Gebiet zu kontrollieren, zu unterwerfen und aus der Region Profite zu ziehen“. Wie die Erklärung der IKL zur Zurückweisung unserer Position festhielt: „Es ist zu bezweifeln, dass wir eine derartige Position so leicht eingenommen hätten, wenn die republikanische Bush-Regierung noch im Weißen Haus säße.“ Das Dokument hielt die strategische Bedeutung der großen Anzahl von haitianischen Arbeitern in der Dominikanischen Republik, den USA und Kanada fest und bekräftigte unsere internationalistische Perspektive: Für eine Arbeiter- und Bauernregierung in Haiti als Teil einer sozialistischen Föderation der Karibik, was untrennbar verbunden ist mit dem Kampf für den revolutionären Sturz des US-Imperialismus.

Permanente Revolution und Zentralität des Proletariats

Bei der Verteidigung der sozialimperialistischen Linie zu Haiti hatte Workers Vanguard Nr. 952 (12. Februar 2010) kategorisch behauptet, dass „es praktisch kein Industrieproletariat in Haiti“ gäbe. Im Konferenzdokument bemerkten wir dazu:

„Ob es in Haiti eine Arbeiterklasse gibt, die stark genug ist, um die Diktatur des Proletariats zu errichten, ist eine empirische Frage, die man diskutieren kann. Grundlegender ist die Frage: Welche politischen Schlussfolgerungen haben wir aus dieser Behauptung gezogen? Wir nutzten das Faktenmaterial über die wirtschaftliche Armut Haitis, die mangelnde Infrastruktur und relative Schwäche des Proletariats als Ausrede für die imperialistische Intervention.“

Als Irland noch zum großen Teil ein Bauernland war, griff Lenin scharf die Möchtegern-Marxisten an, die den Osteraufstand 1916 in Dublin als aussichtslos abschrieben, und argumentierte: „Die Dialektik der Geschichte ist derart, dass die kleinen Nationen, die als selbständiger Faktor im Kampf gegen den Imperialismus machtlos sind, die Rolle eines der Fermente, eines der Bazillen spielen, die dem wahren Gegenspieler des Imperialismus, dem sozialistischen Proletariat, auf den Plan zu treten helfen“ („Die Ergebnisse der Diskussion über die Selbstbestimmung“, 1916). Vier Jahre später betonte der II. Weltkongress der Kommunistischen Internationale, dass das Proletariat in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern Befreiungskämpfe in den Kolonien und unterdrückten Nationen aktiv unterstützen muss, wenn es einen Weg zur sozialistischen Revolution im eigenen Land finden will. In seiner Theorie der permanenten Revolution verband Trotzki den Kampf für soziale und nationale Befreiung in den kolonialen und halbkolonialen Ländern mit dem Kampf für proletarische Staatsmacht, wobei er betonte, dass der Weg zum Sozialismus nur durch die Ausweitung der Revolution auf die fortgeschrittenen kapitalistischen Länder eröffnet werden kann.

Entgegen den Argumenten einiger Genossen bekräftigte das Konferenzdokument den Standpunkt, dass permanente Revolution nicht einfach so, ohne Rücksicht auf den Entwicklungsstand, auf alle Länder angewendet werden kann: „Es gibt auch Länder wie Afghanistan, Nepal oder Osttimor, wo das Proletariat nicht genug soziale Macht hat, die unterdrückten Massen zur sozialistischen Revolution zu führen.“ Aber die Kämpfe in solchen Ländern abzutun wäre verhängnisvoll für unser revolutionäres Ziel. Das Konferenzdokument führte unsere Haltung zu Afghanistan unter dem Regime der von den Sowjets unterstützten Demokratischen Volkspartei Afghanistans (DVPA) in den späten 70er- und den 80er-Jahren an: „Wir wussten, dass es mehr Mullahs als Proletarier in Afghanistan gab, aber das brachte uns nicht dazu, die Kämpfe und Bestrebungen der fortgeschrittenen Schichten dieser Gesellschaft abzuwerten oder abzutun.“ Nach dem verräterischen Abzug der Roten Armee durch die sowjetische Bürokratie 1988/89 versuchten wir, mit einigen DVPA-Kadern politisch in Diskussion zu kommen. Wir drängten darauf, dass sie die Werke von Georgi Plechanow lesen, dem Begründer des Marxismus in Russland, denn der hatte sich mit dem Zarenreich zu einer Zeit auseinandergesetzt, als die Industrialisierung gerade erst anfing.

Das Konferenzdokument beschäftigte sich auch mit inzwischen korrigierten Problemen unseres Herangehens bei Ländern, wo die permanente Revolution anwendbar ist. Bei einer Abstimmung 2001 entschieden das IS und unsere Sektion in Südafrika, unsere langjährige Forderung einer zentral von Schwarzen getragenen Arbeiterregierung fallenzulassen, mit dem Argument, dass es bereits eine zentral von Schwarzen getragene Regierung unter Führung des bürgerlich-nationalistischen African National Congress (ANC) gab. 2007 stellten wir diese Losung wieder auf; damit betonen wir, dass die sozialistische Revolution in Südafrika ein Akt sowohl der nationalen als auch der Klassenbefreiung sein wird. In unserer Propaganda hatten wir zwar weiterhin hervorgehoben, dass nationale Befreiung nur durch proletarische Revolution erreicht werden kann, dennoch stellte eine Konferenz von Spartacist South Africa letztes Jahr fest, dass das Aufgeben der Losung einer zentral von Schwarzen getragenen Arbeiterregierung ein Zugeständnis an die vom ANC geführte Dreierallianz war, die die Lüge verbreitet, die nationale Unterdrückung der schwarzen Mehrheit könne im Rahmen des Kapitalismus gelöst werden.

2006 griff die Grupo Espartaquista de México ihre Losung einer Arbeiter- und Bauernregierung wieder auf, die in ihrer Propaganda schon seit geraumer Zeit nicht mehr aufgetaucht war und die 2005 explizit durch IS-Genossen wegen des in den letzten Jahrzehnten verringerten relativen Gewichts der mexikanischen Bauernschaft in Frage gestellt worden war. Auf ihrer Konferenz 2010 bestätigte die GEM diese Entwicklung zwar, bekräftigte aber auch, dass es weiterhin zahlreiche arme Bauern gibt und dass das Proletariat für deren Mobilisierung kämpfen muss. Dies bleibt eine strategische Frage für die Arbeiterrevolution.

Kampf der Arbeiterklasse gegen kapitalistische Verelendung

Die Sitzung über die Lage der internationalen Arbeiterbewegung begann mit Präsentationen von drei Genossen: T. Themba von Spartacist South Africa, A. Hakki von der Ligue trotskyste de France und S. Hendricks von der SL/U.S. Die Redner sprachen über die Widersprüche, vor denen wir im Kontext der Wirtschaftskrise in verschiedenen Ländern stehen. Einerseits gibt es einen scharfen Anstieg von ökonomischem Nationalismus und, damit einhergehend, eine von der Gewerkschaftsbürokratie propagierte Klassenkollaboration sowie einen starken Rückgang der Mitgliedschaft der Gewerkschaften. Andererseits finden wichtige defensive Kämpfe gegen die kapitalistischen Angriffe statt, besonders in Europa.

Ein zentraler Diskussionspunkt war das massive Anwachsen von Leih- und Zeitarbeit, das die Arbeiterbewegung schwächt, aber auch Gewerkschaftskämpfe unterschiedlicher Art anfacht. Es ist dringend notwendig, die Unorganisierten zu organisieren und die Teile-und-herrsche-Politik der Bosse durch gemeinsamen Klassenkampf abzuwehren – von Leiharbeitsfirmen in Südafrika und anderen Ländern bis zur starken Zunahme von Zeitarbeitsverträgen für junge Arbeiter in Europa und dem „Outsourcen“ der Gewerkschaftsjobs an nicht gewerkschaftlich organisierte Vertragsfirmen in den USA. In der Diskussion betonten viele Genossen, dass solche Situationen konkret untersucht werden müssen. In der Diskussion ging es zum großen Teil um die Tendenz, die an sich korrekte Opposition gegen reaktionäre protektionistische Arbeiteraktionen falsch zu verallgemeinern und auf Situationen zu übertragen, in denen es zentral um die Verteidigung der Gewerkschaften geht.

Genosse Themba berichtete anschaulich über die explosiven Widersprüche der Neo-Apartheid-Ordnung in Südafrika. Er beschrieb die verzweifelten Lebensbedingungen der schwarzen Massen seit dem Ende der Apartheid: massive Arbeitslosigkeit, mehr als die Hälfte der schwarzen Jugendlichen sind ohne Arbeit und Millionen Menschen haben nicht genug zu essen. Die Regierung der Dreierallianz aus ANC, Kommunistischer Partei Südafrikas (SACP) und dem Gewerkschaftsverband Congress of South African Trade Unions (COSATU) kann das Versprechen eines „besseren Lebens für alle“ nicht einlösen. Im ganzen Land brechen immer wieder Proteste in Townships aus, weil grundlegende Versorgungsleistungen nicht erbracht werden.

Wie unser Genosse darlegte, ist die Arbeiterklasse zwar nach wie vor hauptsächlich durch die ANC/SACP/COSATU-Volksfront dem bürgerlichen Nationalismus untergeordnet, sie ist aber nicht geschlagen worden. Die Arbeiterorganisationen, die eine militante Geschichte im Kampf gegen die Apartheid haben, existieren weiterhin und kämpfen weiter, trotz des Verrats der Gewerkschaftsspitzen, die dazu beitragen, die kapitalistische Ordnung der Neo-Apartheid zu stützen. Der Genosse berichtete auch über Kämpfe gegen den Einsatz von Leiharbeitsvermittlern, mit deren Hilfe gewerkschaftlich organisierte Jobs untergraben werden, wie etwa den Autoarbeiterstreik der National Union of Metalworkers 2010, der erreichte, dass die Bosse keine weiteren Leiharbeitsverträge abschließen. Im Einklang mit dem Bericht des Genossen Themba bekräftigte das Konferenzdokument: „Leiharbeitsfirmen sind Parasiten, die im Dienste der Großkapitalisten die gewerkschaftliche Organisierung behindern, um letztendlich die Gewerkschaften zu zerstören. Wir wollen die Institution der Leiharbeit durch Klassenkampf zerstören.“

Der Genosse der LTF bemerkte, dass etwa 80 Prozent der neu eingestellten Arbeiter in Frankreich nur Zeitverträge haben und dass sowohl in Frankreich als auch in Spanien der Grad der gewerkschaftlichen Organisierung von Arbeitern unter 30 Jahren sehr niedrig ist. Es gab einige Versuche, Zeitarbeiter zu organisieren, aber oft tut die Gewerkschaftsbürokratie nichts – was die Vorstellung verstärkt, die Gewerkschaften wären nur Interessenvertreter der älteren, privilegierteren Arbeiter. Der ökonomische Rettungsplan der Europäischen Union (EU), der im Wesentlichen die Arbeiter in Griechenland, Irland, Spanien und anderen hochverschuldeten Ländern dazu zwingen soll, die deutschen (und französischen) Banken auszubezahlen, hat eine Reihe von Kämpfen ausgelöst. Die vergleichsweise starke Wirtschaft der deutschen Bourgeoisie ist hauptsächlich das Ergebnis der verräterischen Rolle der Sozialdemokraten, die an vorderster Front Lohnsenkungen und Sozialkahlschlag durchsetzten.

Unsere Genossen bemerkten, dass in Griechenland und Südafrika – beides Länder, wo massive Arbeiterkämpfe stattfinden – nach wie vor Massenparteien aus stalinistischer Tradition existieren, die nie ihrer ursprünglichen Loyalität zur Sowjetunion abgeschworen haben. Die Kommunistische Partei Griechenlands KKE hat unter Arbeitern Autorität errungen als militanter Flügel der Opposition gegen die PASOK-Regierung, die politisch von der Bürokratie der großen Gewerkschaftsföderationen unterstützt wird. Aber die ganze Herangehensweise der KKE ist chauvinistisch: Gegen die EU und den Internationalen Währungsfonds ist sie, weil diese sich in Griechenlands nationale Souveränität einmischen. Unsere Konferenz verwies auf das Flugblatt der Trotzkistischen Gruppe Griechenlands vom 28. April 2010 als vorbildlich für Interventionen in Kämpfe der Arbeiterklasse, besonders im effektiven Gebrauch von Übergangsforderungen, die zur Notwendigkeit einer Arbeiterregierung hinführen (siehe „Griechenland: Nieder mit dem ,Stabilitätsprogramm‘ der PASOK-Regierung“, Spartakist Nr. 184, Juli 2010).

Genosse Hendricks befasste sich mit dem auf uns lastenden Druck und den Problemen im Herangehen an Arbeiterkämpfe in den USA, wo das Niveau des Klassenkampfes sehr niedrig ist. Ein Problem dabei war eine Tendenz, die Gewerkschaftsbürokraten für unfähig zu halten, überhaupt Kämpfe zu führen. Ein anderes zeigte sich bei Anträgen der Nationalkonferenz der SL/U.S. von 2009, wo die Losung „Voller Tariflohn auf höchstem Niveau für alle Arbeiten, egal wer die Arbeit macht!“ zitiert wurde. Es wurde dann fälschlicherweise behauptet, dass diese Losung „gleichermaßen dort [gelte], wo gewerkschaftlich organisierte und unorganisierte Arbeiter im Inland aufeinandertreffen, sowie für Arbeiter verschiedener Nationen“. Diese Losung war von der Spartacist League/Britain 2009 in Bezug auf die reaktionären Streiks von Bauarbeitern bei Ölraffinerien aufgestellt worden, als diese „Britische Jobs für britische Arbeiter“ forderten. Diese britischen Streiks stellten britische Arbeiter gegen ausländische Arbeiter, die vorübergehend zur Arbeit nach Britannien geholt worden waren.

Die internationale Konferenz wies diese Linie der SL/U.S.-Konferenz von 2009 zurück, weil sie darauf hinauslief, dass es egal sei, ob eine Belegschaft gewerkschaftlich organisiert ist oder nicht. Ein Genosse erklärte:

„Wir kämpfen dagegen, auf ,Outsourcing‘ mit Nationalismus, Protektionismus und ,Job Trusting‘ [zünftlerische Arbeitsplatzvergabe] zu reagieren, aber das heißt nicht, dass wir dem Verlust gewerkschaftlich organisierter Arbeitsplätze, den Outsourcing mit sich bringt, gleichgültig gegenüberstehen! Wir kämpfen für gewerkschaftlich organisierte Arbeitsplätze, aber mit Klassenkampfmethoden, die über nationale Grenzen hinweg die Arbeiterklasse vereinen.“

Wir sind keine linken Kritiker außerhalb der gegenwärtigen Gewerkschaften, sondern haben das Ziel, der militante klassenkämpferische Pol innerhalb der Arbeiterbewegung zu sein, wir kämpfen darum, die Gewerkschaften als inklusive Organisationen des Klassenkampfes aufzubauen: für Industriegewerkschaften und Closed Shops [Betriebe, wo alle Arbeiter der Gewerkschaft angehören müssen]. Die Konferenz gab weitere Diskussionen in den Sektionen über verschiedene spezifische Fragen in Auftrag und bekräftigte, wie wichtig es ist, die dünnen Verbindungen, die wir zum Proletariat haben, aufrechtzuerhalten und zu verstärken.

Den Rückgang des Bewusstseins verstehen

Ein wichtiger Faktor bei unseren wiederholten politischen Problemen in der nachsowjetischen Periode war unser Unverständnis der Tatsache, dass der Rest der Linken unser Endziel einer kommunistischen Gesellschaft nicht teilt. In seinem Dokument „Kritische Anmerkungen zum‚ Tod des Kommunismus‘ und den ideologischen Bedingungen der nachsowjetischen Welt“ schrieb Genosse Joseph Seymour: „Der Kern der Ideologie vom ‚Tod des Kommunismus‘ besteht in der Auffassung, dass eine globale kommunistische Zivilisation im marxistischen Sinn historisch nicht möglich sei. Dies ist eine grundlegende Gemeinsamkeit verschiedener politischer Tendenzen mit oft diametral entgegengesetzten Standpunkten gegenüber dem westlichen Imperialismus, parlamentarischer Demokratie, einer kapitalistischen Marktwirtschaft und anderen kontroversen Fragen (z. B. Umweltzerstörung), in denen sich die sogenannten Linken und Rechten voneinander unterscheiden.“ (siehe auch Spartakist Nr. 189, Juli 2011)

Gleichzeitig ist der Rückgang des Bewusstseins seit dem Untergang der Sowjetunion ungleichmäßig, wie sich in Südafrika zeigt, wo viele fortgeschrittene Arbeiter immer noch subjektiv Sympathie für die Idee des Kommunismus empfinden, so wie sie ihn verstehen. Außerdem ist es falsch, diesen Rückschritt als absolut und unveränderlich zu sehen, was uns blind machen würde für den Ausbruch der in der kapitalistischen Gesellschaft bestehenden Widersprüche, der Möglichkeiten eröffnen kann, nüchtern und angemessen mit unserem Programm zu intervenieren. Die Konferenz unterstützte Seymours Schlussfolgerung:

„Eine sehr wichtige Frage, die sich uns stellt, kann folgendermaßen formuliert werden: Ist es möglich, dass ein spontaner Aufstand gegen eine rechtsgerichtete Regierung, an dem sich ein wesentlicher Teil der Arbeiterklasse beteiligt, zu einer vorrevolutionären oder sogar revolutionären Situation (d. h. zu Organen der Doppelherrschaft) führt, obgleich die Masse der beteiligten Arbeiter und anderen Werktätigen nicht den Sozialismus anstrebt? Ich denke, die Antwort lautet ja. Wir haben zwar noch keine solche Entwicklung erlebt, sollten sie aber auch nicht ausschließen. Im Moment ist unsere Hauptaufgabe, die marxistische Weltanschauung zu verbreiten, in der Erwartung, eine relativ geringe Anzahl von linken Intellektuellen und fortgeschrittenen Arbeitern zu rekrutieren. In Anlehnung an John Maynard Keynes: Wenn sich die Fakten ändern, dann werden sich auch unsere Perspektiven ändern.“

Gleichzeitig ist die Führung einer revolutionären Avantgardepartei in einer Situation der Doppelherrschaft die entscheidende Voraussetzung für den Sieg der Arbeiterklasse, wie es die Oktoberrevolution im positiven Sinn und zahllose Niederlagen des Proletariats im Negativen gezeigt haben.

Das Konferenzdokument stellte fest: „Das Funktionieren des Kapitalismus im Stadium des Imperialismus wird zwangsläufig auch weiterhin Arbeitermassen und andere Ausgebeutete und Unterdrückte in den Kampf gegen die kapitalistische Ordnung treiben.“ Die Möglichkeit von revolutionären Situationen in dieser Periode zu leugnen, würde zur Zurückweisung von Trotzkis Übergangsprogramm führen, dem Gründungsprogramm der Vierten Internationale, das anstrebt, bei bedeutenden Arbeitskämpfen und anderen fortschrittlichen sozialen Kämpfen Elemente der Doppelherrschaft einzubringen – z. B. Fabrikkomitees, Arbeiterkontrolle der Produktion, Arbeiterverteidigungsgruppen – mit dem Ziel, eine leninistische Partei zu schmieden, die den Kampf für die proletarische Staatsmacht führt.

Weitere Konferenzdiskussionen

Eine Berichterstatterin bei der Hauptsitzung der Konferenz, Genossin M. Coates von unserer kanadischen Sektion, motivierte den Vorschlag für ein neues Vorwort (siehe Seite 11) zur 1998 angenommenen „Grundsatzerklärung und einige Elemente des Programms“ der IKL (siehe Spartacist, deutsche Ausgabe Nr. 20, Sommer 1998). 2007 haben wir die Position angenommen, aus Prinzip keine Kandidaten für Exekutivämter des kapitalistischen Staates aufzustellen. Das neue Vorwort spricht diese wichtige Erweiterung marxistischer Prinzipien an. Es enthält einige weitere Korrekturen und Zusätze, insbesondere zählen wir nun auch Laos zu den heutigen deformierten Arbeiterstaaten – ein Standpunkt, zu dem wir durch Untersuchungen und Diskussionen innerhalb der Partei gelangten und der von der Konferenz bestätigt wurde.

Das Vorwort korrigiert auch eine idealistische Formulierung, wonach implizit die stalinistische politische Konterrevolution in der UdSSR hätte abgewendet werden können, wenn die Bolschewiki formell anerkannt hätten, dass der Verlauf der Oktoberrevolution Trotzkis Theorie der permanenten Revolution bestätigt hatte. Diese idealistische Auffassung erschien auch in „Die Ursprünge des chinesischen Trotzkismus“ (Spartacist, deutsche Ausgabe Nr. 19, Winter 1997/98) und „Eine kritische Bilanz: Trotzki und die russische Linke Opposition“ (Spartacist, deutsche Ausgabe Nr. 22, Sommer 2001). Unsere Korrektur stützte sich auf ein hervorragendes Dokument des Genossen V. Alexander von der SL/U.S., das auf Nachforschungen in sowjetischen Archiven beruhte.

Die Konferenz stimmte dafür, auf der Hauptsitzung einem Vertreter der Wolkenstein-Fraktion großzügig Zeit für eine Präsentation einzuräumen, obwohl diese keinen einzigen Delegierten hatte. So bekamen Genossen aus der ganzen IKL aus erster Hand einen Eindruck von dem hohlen Bombast, spießigen Moralismus und der Egomanie dieser demoralisierten Elemente. Die Konferenz charakterisierte ihre Politik als Neo-Bernsteinianertum – ein Verweis auf den revisionistischen deutschen Sozialdemokraten Eduard Bernstein, der argumentiert hatte, das „ ,Endziel des Sozialismus‘… ist mir gar nichts, die Bewegung alles“. Ihre Beiträge zur Parteidiskussion waren zum großen Teil durch persönlichen Groll motiviert; dabei verteidigten sie sogar eifrig pseudomedizinische Quacksalberei wie Chiropraktik und Akupunktur.

Wolkenstein und ihre Gesinnungsgenossen hatten die sozialpatriotische Linie zu Haiti von vorn bis hinten unterstützt. Nachdem andere Genossen den Kampf zur Korrektur des Verrats geführt hatten, posierte die Wolkenstein-Clique zynisch als selbstgerechte „Antiimperialisten“ in Bezug auf die neokoloniale Welt. Sie propagierte lauthals einen einfältigen „Antiimperialismus“, der die einheimische Bourgeoisie und deren linke Anhängsel von Verantwortung freisprechen und die Tür zu einer klassenkollaborationistischen „antiimperialistischen Einheitsfront“ öffnen würde. Als IKL-Genossen auf den Putsch in Chile 1973 verwiesen, wo wir, anders als die übrige Linke, nicht die chilenische Bourgeoisie und die Reformisten dadurch amnestierten, dass wir lediglich die Rolle der USA bei diesem Putsch anprangerten, bezeichnete Wolkenstein unsere Opposition gegen die chilenische Volksfront von 1970–73 abschätzig als im Wesentlichen irrelevant für die heutige Welt.

Wie Genosse Bride in seiner Präsentation sagte, bestand die wirkliche Politik dieser Clique darin, „den alten Spartakismus auf den Müll zu werfen“. Dies drückte sich am deutlichsten in ihrem ständigen, hartnäckigen Bemühen aus, die IKL-Grundsatzerklärung als so mangelhaft und unvollständig zu verdammen, dass diese nicht wirklich vermitteln würde, wer die IKL ist und wofür wir kämpfen. Nachdem sie keine einzige Stimme von Genossen außerhalb ihrer Clique erhalten hatten, führten sie ihren Kampf „Kehrt zum Weg des Spartakismus zurück“ zu Ende … indem sie aus der IKL austraten.

Ganz anders verhielt sich eine zweite, sehr kleine Fraktion, die sich in der Vorkonferenzperiode gegründet hatte, teilweise in Opposition zu der Linie der SL/U.S.-Konferenz 2009 zum „Outsourcen“. Als die Konferenz beschloss, diese Linie zu korrigieren, erklärte der Gründer der Fraktion deren Auflösung, hielt aber weiterhin seine Ansichten über andere strittige Fragen aufrecht.

Wir stehen zu unserem Kampf in der DDR

Die Konferenz wies die Behauptung zurück, dass wir angeblich unsere Intervention in die beginnende politische Revolution im ostdeutschen deformierten Arbeiterstaat DDR 1989/90 nicht richtig ausgewertet hätten und dies den Problemen der IKL zugrunde läge, was Wolkenstein mit Nachdruck vertreten hatte und die Nationalkonferenz der SL/U.S. 2004 und erneut die IKL-Konferenz 2007 fälschlicherweise akzeptiert hatten. Tatsächlich hatten wir diese Intervention ausführlich diskutiert und ausgewertet, und zwar in zahlreichen internen Bulletins und am treffendsten im Hauptdokument unserer II. Internationalen Konferenz 1992 (veröffentlicht in Spartacist, deutsche Ausgabe Nr. 15, Frühjahr 1993). Die Behauptung der Minderheit diente einer demagogischen Kampagne, festzustellen, wer von der IKL-Führung „Deutschland verloren“ hatte. Der politische Kern dieses Kreuzzuges, langjährige Parteiführer zu diskreditieren, war die Politik der „strategischen Einheitsfront“, d. h. die Auflösung der Partei in eine breite amorphe „Bewegung“. Während diese liquidatorische Politik in der opportunistischen Mumia-Kampagne voll zur Geltung kam, argumentierte Wolkenstein nachträglich dafür, dass die IKL auch ihre Intervention in der DDR ähnlich hätte gestalten sollen. So sprach sie sich vor ein paar Jahren dafür aus, dass wir beim riesigen Einheitsfrontprotest am 3. Januar 1990 in Treptow, Ostberlin, auf einen unserer beiden Redner hätten verzichten sollen, die machtvoll den Bankrott der herrschenden Stalinisten anprangerten, und stattdessen einem politisch unbekannten regimekritischen ostdeutschen Soldaten hätten Redezeit verschaffen sollen.

Die Konferenz korrigierte auch eine irreführende Erklärung in der ansonsten exzellenten Einschätzung unserer DDR-Intervention im IKL-Konferenzdokument 1992: „Im Sommer 1989 nahmen linksgerichtete Oppositionsgruppen Gestalt an. Bei der extrem straffen Kontrolle durch die ostdeutsche Staatssicherheit (Stasi) hätten Bemühungen, mit der Arbeit in der DDR zu beginnen, durchaus völlig umsonst sein können, man hätte sie aber trotzdem unternehmen müssen.“

Im Vorfeld der Konferenz argumentierten ein paar Genossen gegen eine Korrektur dieser Erklärung. Bis zur politischen Öffnung im Oktober 1989, als klar wurde, dass die großen Demonstrationen nicht von der Polizei angegriffen wurden, agierten die einzigen von der Stasi tolerierten „unabhängigen“ politischen Gruppen unter dem Schirm der evangelischen Kirche und im Einklang mit der Politik der „friedlichen Koexistenz“ der Bürokratie. Es wäre dumm und gefährlich gewesen zu glauben, wir wären ebenso behandelt worden wie die opportunistischen Linken, die sich in diesem Milieu tummelten, etwa das pabloistische Vereinigte Sekretariat, dessen Programm weder für die stalinistische Bürokratie noch für die westdeutschen Imperialisten eine Gefahr darstellte. Ein führender deutscher Genosse bemerkte, dass eine abenteuerliche und verfrühte Intervention in der DDR es uns sehr wohl hätte unmöglich machen können, mit der notwendigen Zahl von Kadern zu intervenieren, als die Situation sich änderte. Und als wir dann intervenieren konnten, taten wir das machtvoll. Wir kämpften für unser Programm eines „roten Rätedeutschlands“ und fanden Anklang bei einer Schicht fortgeschrittener ostdeutscher Arbeiter, bis die Situation mit dem raschen Ausverkauf an den westdeutschen Imperialismus durch den Sowjetführer Michail Gorbatschow und die ostdeutschen Stalinisten abrupt zu Ende war.

Kampf für revolutionäre Kontinuität fortsetzen

Unsere Kontinuität geht zurück auf die revolutionären Lehren und Erfahrungen von Marx und Engels und der Ersten und Zweiten Internationale, auf Lenins und Trotzkis Bolschewiki und die Dritte (Kommunistische) Internationale sowie auf den Kampf von Trotzki und der Linken Opposition gegen den stalinistischen Verrat, der in der Gründung der Vierten Internationale gipfelte. Die heute von der IKL verkörperte politische Tendenz hatte ihren Ursprung 1961–63 in der Revolutionary Tendency innerhalb der Socialist Workers Party in den USA. Ziel der RT war es, den Kampf gegen den pabloistischen Revisionismus in der Vierten Internationale fortzusetzen und zu Ende zu führen. Dieser Kampf war 1953 unter der Führung von James P. Cannon, dem Begründer des Trotzkismus in Amerika, begonnen worden, wenn auch unvollständig und verspätet. Der Pabloismus bedeutete die Liquidierung der trotzkistischen Avantgardepartei in bürgerlich-nationalistische, stalinistische und sozialdemokratische Formationen (siehe „Ursprünge des Pabloismus“, Spartacist, deutsche Ausgabe Nr. 3, März 1975).

Viele der heutigen IKL-Kader wurden in der Periode stürmischer Radikalisierung zwischen der Kubanischen Revolution 1959/60 und dem endgültigen Sieg der stalinistisch geführten Vietnamesischen Revolution 1975 zum Trotzkismus gewonnen. Abgesehen von einigen Ausnahmen wurde die darauffolgende Periode stark geprägt durch Stagnation und Niederlagen des internationalen Proletariats. Der Spartacist-Tendenz ist es gelungen, fast fünf Jahrzehnte lang ein revolutionäres Programm aufrechtzuerhalten, länger als jede andere marxistische Gruppierung in der Geschichte. Eine zentrale Aufgabe besteht darin, unsere Geschichte an die jüngeren Genossen in der Partei weiterzuvermitteln. Deshalb führt die IKL eine umfassende Schulungsreihe über unsere frühe Geschichte durch.

Die Konzentrierung eines großen Teils unserer internationalen Führung in den USA – der größten imperialistischen Macht, allerdings mit der politisch rückständigsten Arbeiterklasse unter den fortgeschrittenen imperialistischen Ländern – ist ein Faktor, der starke Auswirkungen auf uns hat. Seit den Anfängen unserer Tendenz waren wir uns bewusst, dass eine revolutionäre Partei dem deformierenden Druck nationaler Isolation ohne disziplinierte internationale Zusammenarbeit nicht erfolgreich widerstehen kann. Als organisatorische Maßnahme, um diesem Druck entgegenzutreten, wählte die Konferenz ein neues IEK mit einem größeren Anteil von Mitgliedern aus Sektionen außerhalb der USA. Das IEK spiegelt auch einen gewissen Generationswechsel in der Parteiführung wider. Die Konferenz beschloss ferner, Schritte zum Aufbau eines stärkeren IEK-Kollektivs in Europa zu unternehmen. Das Konferenzdokument betonte: „Wir können und müssen auf der Grundlage handeln, dass das IEK ein Gremium von Gleichen ist, deren unterschiedliche nationale Erfahrungen bei der Erarbeitung unserer Linie und unseres Verständnisses von internationalen und nationalen Entwicklungen einander ergänzen sollen.“

Die VI. Internationale Konferenz der IKL war ein wichtiger Schritt vorwärts bei unserem beständigen Bemühen, die programmatische und theoretische Wiederbewaffnung zum Mittelpunkt unserer Aufgaben zu machen. Unsere Wurzeln sind weiterhin sehr dünn und es gibt keine einfachen Antworten auf die Schwierigkeiten, vor denen revolutionäre Marxisten jetzt stehen. Trotzdem, wie unser Konferenzdokument bekräftigt: „Wenn es eine kommunistische Zukunft für die Menschheit geben soll, gibt es keine andere Wahl, als den Kampf zur Aufrechterhaltung unserer revolutionären Kontinuität unerschütterlich fortzuführen, der entscheidend ist für die Wiederschmiedung einer wahrhaft trotzkistischen Vierten Internationale.“