Spartacist (deutsche Ausgabe) Nummer 28

Herbst 2011

 

Verteidigung des dialektischen Materialismus

Lenin als Philosoph

von Peter Fryer

Peter Fryers Artikel „Lenin as Philosopher“ war nach seiner Veröffentlichung in der britischen trotzkistischen Zeitschrift Labour Review (September/Oktober 1957) für englischsprachige Studierende des Marxismus kaum zugänglich und wurde unseres Wissens auch nie in eine andere Sprache übersetzt. Die Internationale Kommunistische Liga benutzt Fryers Artikel seit langem als Schulungshilfe für unsere eigenen Genossen in Partei und Jugendorganisation, und wir freuen uns, jetzt diese gut durchdachte Darstellung des dialektischen Materialismus einem breiteren Publikum zugänglich zu machen.

Wie Fryer von Anfang an klarstellt, ist sein Artikel eine polemische Verteidigung der Schriften des bolschewistischen Führers W. I. Lenin zum dialektischen Materialismus gegen den Angriff des Historikers E. P. Thompson, der später das berühmte Buch Die Entstehung der englischen Arbeiterklasse (1987; englischsprachige Erstausgabe 1963) schrieb. Bei seiner Verteidigung Lenins gegen Thompson, der Lenin als plumpen ökonomischen Deterministen hinstellt, stützt sich Fryer weitgehend auf Lenins Philosophische Hefte, die dieser größtenteils nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges in einem intensiven sechsmonatigen Studium über Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770–1831), den deutschen Philosophen der Dialektik, zusammenstellte.

Im August 1914 entluden sich die durch vier Jahrzehnte kapitalistisch-imperialistischer Entwicklung erzeugten Widersprüche in dem grauenvollen Gemetzel des ersten interimperialistischen Weltkriegs. Die Zweite Internationale, die gelobt hatte, sich dem Krieg zu widersetzen, aber durch ein Vierteljahrhundert verhältnismäßig friedlicher kapitalistischer Entwicklung innerlich verfault war, brach jämmerlich zusammen. Zur Flucht in die neutrale Schweiz gezwungen, machte sich Lenin an seine Studie über Hegel, um eine Welt, die durch katastrophenhafte Veränderungen gekennzeichnet ist, besser zu verstehen und in sie eingreifen zu können. Lenin schrieb über Hegel:

„In der Hegelschen Dialektik als der umfassendsten, inhaltsreichsten und tiefsten Entwicklungslehre sahen Marx und Engels die größte Errungenschaft der klassischen deutschen Philosophie. Jede andere Formulierung des Prinzips der Entwicklung, der Evolution, hielten sie für einseitig und inhaltsarm, für eine Entstellung und Verzerrung des wirklichen Verlaufs der (sich nicht selten in Sprüngen, Katastrophen, Revolutionen vollziehenden) Entwicklung in Natur und Gesellschaft.“

– „Karl Marx“, Juli–November 1914, Lenin Werke Bd. 21

In den auf seinen Studien basierenden Heften, die in Band 38 seiner Werke veröffentlicht sind, erklärte Lenin in Anlehnung an Engels, dass er sich bemühe, den idealistischen Philosophen „materialistisch zu lesen: Hegel ist auf den Kopf gestellter Materialismus“ („Konspekt zu Hegels Wissenschaft der Logik, September–Dezember 1914, Philosophische Hefte).

In jenen stürmischen Kriegsjahren machte Lenin mehrere theoretische und programmatische Fortschritte, die für den Erfolg der Oktoberrevolution 1917 unabdingbar waren (z. B. ob die Revolution in Russland proletarisch oder bürgerlich sein sollte!). Über diese Zeit der theoretischen Neubewaffnung schrieb Lenins Frau und enge Mitarbeiterin Nadeschda Krupskaja 1930 in ihren Erinnerungen: „Kampf und Studium, Studium und wissenschaftliche Arbeit, das verband Lenin stets zu einem festen Ganzen“ (Erinnerungen an Lenin, Dietz Verlag Berlin, 1959).

Etwa vier Jahrzehnte später sollte Fryer ebenfalls vor dem Hintergrund politischen Aufruhrs sein Studium der Philosophischen Hefte von Lenin aufnehmen. 1956 wurden die stalinistischen Kommunistischen Parteien auf der ganzen Welt von zwei Ereignissen erschüttert: den Enthüllungen des sowjetischen Partei- und Staatschefs Nikita Chruschtschow über Stalins Terror und anschließend in Ungarn von der militärischen Niederschlagung einer proletarisch-politischen Revolution durch die Sowjetunion. In Britannien verließen über 7000 Mitglieder die Kommunistische Partei (KP), darunter Thompson und sein Historikerkollege Christopher Hill. Fryer war damals der Korrespondent der KP-Zeitung Daily Worker in Ungarn. Seine wahrheitsgetreuen Berichte, die den stalinistischen Lügen, der Aufstand sei konterrevolutionär, widersprachen, führten zu seinem Ausschluss aus der KP. Er stellte aus ihnen dann die beste Darstellung der Ungarischen Revolution überhaupt zusammen: Ungarische Tragödie (1957; englischsprachige Erstausgabe 1956). (Siehe auch „Chronicler of Hungarian Revolution: Peter Fryer, 1927–2006“, Workers Vanguard Nr. 883, 5. Januar 2007.)

Der Ungarn-Aufstand widerlegte definitiv die Auffassung, die stalinistische Bürokratie sei eine neue herrschende Klasse, und bestätigte machtvoll das Programm und die Analyse, die in Trotzkis Verratener Revolution (1936) dargelegt worden waren. Als eine zerbrechliche Kaste, die parasitär über den proletarischen Eigentumsformen thront, spaltete sich die Bürokratie von oben bis unten, wobei 80 Prozent der herrschenden ungarischen Partei auf die Seite der Revolution übergingen. Als etwa 200 ehemalige britische KP-Aktivisten und -Intellektuelle, darunter Brian Pearce, Cliff Slaughter und Tom Kemp – wie auch eine Schicht von Industriearbeitern unter der Führung von Brian Behan – für den Trotzkismus und die von Gerry Healy angeführte Gruppe gewonnen wurden, spielte Fryer eine Vorreiterrolle.

E. P. Thompson wählte einen anderen Weg. Nachdem er die KP verlassen hatte, gründete Thompson die Zeitschrift New Reasoner, deren erste Nummer (Sommer 1957) sein Manifest „Socialist Humanism: An Epistle to the Philistines“ [Sozialistischer Humanismus: eine Epistel an die Philister] enthielt. Thompson richtete sein Feuer hauptsächlich gegen Lenins Materialismus und Empiriokritizismus (1908). Gegen Ende des 19. Jahrhunderts war es zu einem umfassenden Angriff auf den Materialismus gekommen, hauptsächlich durch den deutschen Philosophen Richard Avenarius, der den Begriff Empiriokritizismus prägte, und den österreichischen Physiker Ernst Mach. Sie negierten die Existenz einer materiellen Wirklichkeit unabhängig von Sinneserfahrung und Beobachtung. In seiner kompromisslosen Verteidigung des Materialismus (und der Wissenschaft!) hob Lenin hervor, dass der Machsche Idealismus objektive Kriterien zur Feststellung der wissenschaftlichen Wahrheit ebenso negierte wie die Möglichkeit, zwischen Wissenschaft und Religion oder Scharlatanerie zu unterscheiden. Tatsächlich nahm der Empiriokritizismus, der in der düsteren Zeit der zaristischen Reaktion nach der Niederlage der Revolution von 1905 sogar unter einigen Bolschewiki Anhänger fand, die Form von „sozialistischem“ Spiritualismus oder von „Gottbildnertum“ an.

Fryer betonte in seiner Abrechnung mit Thompsons Angriff auf Lenins philosophische Schriften, der dialektische Materialismus sei „vor allem ein Werkzeug in den Händen der Arbeiterklasse zur Umgestaltung der Gesellschaft, und jeder, der die scharfe Klinge dieses Werkzeugs abstumpft, wie geringfügig auch immer, erweist der Bewegung der Arbeiterklasse einen Bärendienst“. Wie Fryer erklärt, war er gezwungen, die französische Ausgabe der Philosophischen Hefte Lenins (ein Abschnitt erschien ursprünglich in Cahiers de Lénine sur la dialectique de Hegel, Paris, Gallimard, 1938) von 1955 zu benutzen, da die Hefte bis dahin noch nicht ins Englische übersetzt worden waren. So war es Fryer, der dieses grundlegende Werk der englischsprachigen Welt vorstellte. Das Erscheinen der ersten vollständigen Ausgabe der Hefte 1961 (Bd. 38 der Collected Works) veranlasste Cliff Slaughter, eine dreiteilige Artikelreihe in Labour Review (Frühjahr 1962, Sommer 1962 und Winter 1962/63) zu schreiben. Slaughters Artikel, die später als die Broschüre „Lenin on Dialectics“ erschienen, waren gegenüber Fryers früherer Polemik schwach. Damals war Fryer schon eine Persona non grata. Er hatte die Healy-Gruppe 1959 verlassen – als diese die Socialist Labour League (SLL) ins Leben rief –, weil er von der Schikanierung der Mitgliedschaft und dem Fehlen politischer Debatten angewidert war.

Aus der Ferne waren die Gründungsmitglieder der Spartacist-Tendenz beeindruckt von der formellen Orthodoxie der SLL, wie sie in deren Dokument von 1961, The World Prospect for Socialism [Die Weltperspektive für den Sozialismus], zum Ausdruck kam, ohne dass sie aber von Healys Methoden und seiner Geschichte der Anpassung an die „Linken“ der Labour-Party wussten. Und die Orthodoxie der SLL, die sich später in Workers Revolutionary Party (WRP) umbenannte, wurde zunehmend durch opportunistische Praxis Lügen gestraft. Schon 1967 waren die Healy-Anhänger zu Befürwortern von Maos innerbürokratischer „Kulturrevolution“ in China sowie einer klassenlosen „Arabischen Revolution“ geworden. Voll entfalten sollte sich das politische Banditentum der Healy-Leute dann in ihrer Anbiederei an reiche arabische Öldespoten, in ihrem grotesken Jubel über die Hinrichtung von 21 irakischen Kommunisten durch das Baath-Regime 1978 und in ihren antisowjetischen Provokationen gegen den britischen Bergarbeiterführer Arthur Scargill am Vorabend des heroischen Bergarbeiterstreiks von 1984/85. All dies wurde durch ein brutales inneres Regime überwacht, was 1985 zur spektakulären Implosion der WRP führte (siehe „Healyismus zerstoben“, Spartacist, deutsche Ausgabe Nr. 12, Winter 1986/87).

Außer seinen literarischen Beiträgen zum Marxismus hinterließ Peter Fryer ein reichhaltiges Vermächtnis weiterer Schriften, darunter Bücher wie Mrs. Grundy: Studies in English Prudery [Mrs. Grundy: Studien über die englische Prüderie] (1963) und Staying Power: The History of Black People in Britain [Durchhaltevermögen: Die Geschichte der Schwarzen in Britannien] (1984). Diese Übersetzung von „Lenin als Philosoph“ enthält am Schluss des Artikels Fryers Erläuterungen. Wo Fryer in seinen Anmerkungen ein Zitat aus einem marxistischen Text auf Englisch angibt, haben wir auf die deutschen Ausgaben der Marx/Engels Werke (MEW) und Lenin Werke zurückgegriffen. Diese Einleitung ist übersetzt aus Spartacist, englische Ausgabe Nr. 62, Frühjahr 2011.


In der ersten Ausgabe von The New Reasoner gibt es einen Diskussionsbeitrag von E.P. Thompson mit dem Titel „Socialist Humanism: An Epistle to the Philistines“. In einem Abschnitt dieses Artikels unter der Überschrift „Questions of Theory“ [Fragen der Theorie] [1] wird auch auf Lenins philosophisches Werk Materialismus und Empiriokritizismus eingegangen. Der Autor bemüht sich zu zeigen, dass einige Merkmale stalinistischer Ideologie ihren Ursprung in Lenins Beitrag zur marxistischen Philosophie haben – dass sie auf „Zweideutigkeiten“ im Denken von Marx und, mehr noch, auf mechanistische Trugschlüsse in Lenins Schriften zurückzuführen seien, wobei sich diese „Trugschlüsse“ aus seiner „Sorge um die erste Voraussetzung des Materialismus“ ergeben. Lenin wird insbesondere vorgeworfen, eine „passive“, „automatische“ Erkenntnistheorie zu vertreten, den Begriff des menschlichen Wirkens zugunsten eines „grotesken“ „Determinismus“ aufzugeben, die marxistische Auffassung von der Beziehung zwischen Freiheit und Notwendigkeit in eine Theorie zu verwandeln, in der die menschliche „Freiheit“ zur Sklaverei gegenüber der „Notwendigkeit“ wird, und sich so sehr „in philosophischen Nuancen zu verlieren“, dass er die „Ursache gesellschaftlicher Veränderung dem menschlichen Wirken entzog und dem Wirken ökonomischer Notwendigkeit zusprach“. Thompsons Angriff wird folgendermaßen zusammengefasst: „Lenins geniale politische Begabung hatte keine Entsprechung in einer genauso großen Begabung auf dem Gebiet der Philosophie.“

Meiner Meinung nach führt Thompson hier unter dem Deckmantel einer „Korrektur von Lenins mechanistischen Trugschlüssen“ einen umfassenden Angriff gegen die Philosophie des dialektischen Materialismus. Es ist ein Angriff auf die dialektisch-materialistische Erkenntnistheorie, auf den historischen Materialismus, auf die marxistische Auffassung von der menschlichen Freiheit und der Art und Weise, wie sie erlangt wird, und nicht zuletzt auf die dialektische Methode. Derartige Angriffe hat es in der Vergangenheit schon oft gegeben, und eine der ersten Pflichten von Marxisten ist es, ihnen entgegenzutreten. Dabei geht es nicht um eine akademische Frage, die Reinheit einer unveränderlichen Lehre zu bewahren, sondern um eine Klassenpflicht, denn der dialektische Materialismus ist vor allem ein Werkzeug in den Händen der Arbeiterklasse zur Umgestaltung der Gesellschaft, und jeder, der die scharfe Klinge dieses Werkzeugs abstumpft, wie geringfügig auch immer, erweist der Bewegung der Arbeiterklasse einen Bärendienst. Die Arbeiterklasse braucht eine konsequent materialistische Weltanschauung, denn nur eine solche Weltanschauung kann ihr zeigen, was ihre historischen Aufgaben sind und wie sie diese erledigen kann. Die gesamte Geschichte des Kampfes für den Materialismus und gegen den Idealismus zeigt, dass das geringste Zugeständnis an den Idealismus, unter welcher modischen oder neuartigen Verkleidung er auch auftritt – Positivismus, Pragmatismus, Empiriokritizismus oder sogar sozialistischer Humanismus –, seine eigene unheilvolle und unwiderstehliche Logik entfaltet, die unausweichlich in den Sumpf des Subjektivismus und Solipsismus führt. Zwischen den verschiedenen Schattierungen des Idealismus gibt es keine unüberwindlichen logischen Barrieren; die einzige Barriere ist die zwischen dialektischem Materialismus und allen anderen philosophischen Richtungen und Schulen, die letztendlich den Interessen der Ausbeuterklassen dienen, indem sie dazu beitragen, deren Herrschaft zu rechtfertigen, zu verschleiern und aufrechtzuerhalten.

Für E. P. Thompson, der einen standhaften und bewundernswerten Kampf gegen den Stalinismus geführt hat, mag sich das „hart“ und dogmatisch anhören. Aber wenn wir über Materialismus und Idealismus und ihre Unvereinbarkeit diskutieren, befinden wir uns im Reich der Grundprinzipien, wo die Erfordernisse des Klassenkampfes unbedingt der völligen Klarheit, Festigkeit, Konsequenz und Parteilichkeit bedürfen. Es wäre im höchsten Maße unangemessen, Methoden, die im politischen Kampf oft einen wichtigen Platz einnehmen – Zugeständnisse, Umwege, Bündnisse –, aus Furcht davor, des „Dogmatismus“ beschuldigt zu werden, willkürlich auf das philosophische Feld zu übertragen. Das würde weder dem Kampf gegen den Stalinismus noch dem Kampf gegen den Kapitalismus helfen, wo in beiden Fällen äußerste Prinzipienfestigkeit und ansonsten äußerste Flexibilität verlangt werden.

Außer dieser Sorge um die erste und auch andere Voraussetzungen des Materialismus, die jeden Marxisten beflügeln sollte, war eine weitere Überlegung Anlass zum Schreiben dieses Artikels. Es ist nicht nur notwendig, die marxistische Philosophie vor denen zu schützen, die sie zu revidieren versuchen, sondern auch Lenins gewaltigen und außerordentlichen Beitrag zu ihr zu verteidigen und in vollem Umfang zu würdigen, denn Lenin, der Mann der Tat, kann getrennt von Lenin, dem Philosophen, nicht richtig verstanden werden. Inwieweit einige von Thompsons Bemerkungen der Tatsache entspringen, dass es bis jetzt keine englischsprachige Ausgabe von Lenins bemerkenswerten Philosophischen Heften gibt, weiß ich nicht, doch es ist kaum vorstellbar, dass er auf die gleiche Weise geschrieben hätte, wenn er sich mit diesem grundlegenden Werk ausgekannt hätte.

I. Die Widerspiegelungstheorie

Thompson zufolge ist der erste Trugschluss in Lenins Materialismus und Empiriokritizismus „das wiederholte In-einen-Topf-werfen von Vorstellungen, Bewusstsein, Denken und Empfindungen als ,Widerspiegelungen‘ der materiellen Wirklichkeit“. In Klammern fügt er hinzu: „Aber ein Sinneseindruck, den Menschen mit Tieren gemeinsam haben, ist nicht dasselbe wie eine Vorstellung, die das Produkt äußerst komplexer, für Menschen charakteristischer, kultureller Prozesse ist.“

Es ist wichtig zu verstehen, dass Thompson hier nicht nur Lenins Auffassungen angreift, sondern auch die von Marx und Engels. Das allein bedeutet natürlich nicht, dass Lenin Recht hat und Thompson nicht, doch es muss klargestellt werden, dass Lenins Erkenntnistheorie sich nicht von der von Marx und Engels unterscheidet und dass Lenin sich nicht irgendeine neue Terminologie zulegt, wenn er schreibt, „dass der Geist das Sekundäre, eine Funktion des Gehirns, die Widerspiegelung der Außenwelt ist“.[2, 3]

Ebenen des Bewusstseins

Nun wirft Thompson, gerade indem er Lenin beschuldigt, Vorstellungen, Bewusstsein, Denken und Empfindungen als Widerspiegelungen der materiellen Wirklichkeit „in einen Topf zu werfen“, selber ganz locker vier ungleichartige Kategorien „in einen Topf“. Bewusstsein ist ein Oberbegriff für die Beziehung von Lebewesen (einschließlich der Menschen) zur Außenwelt, die durch die Tätigkeit des Gehirns hergestellt wird; es umfasst Empfindungen, die Elementarform des Bewusstseins, Wahrnehmungen (die Thompson unerklärlicherweise weglässt) – das Zusammenfügen von Empfindungen zu einer komplexen, aber konkreten Darstellung der komplexen Beziehungen zwischen komplexen Objekten – und Vorstellungen, die die Eigenschaften der Dinge und ihre Beziehungen zueinander auf abstrakte Weise wiedergeben und die, wie Thompson schreibt, spezifisch menschlich sind.[4] Als Denken bezeichnen wir jene höhere Form des Bewusstseins, in der Vorstellungen hervorgebracht und weiterverarbeitet werden.

Thompson bezeichnet Vorstellungen als „das Produkt äußerst komplizierter kultureller Prozesse“, was eine grobe Vereinfachung und irreführend ist. Im Vergleich zu der Tätigkeit von Tieren sind viele spezifisch menschliche Prozesse zweifellos komplex. Doch bei kulturellen (und anderen) menschlichen Prozessen gibt es vielfältige Abstufungen der Komplexität und dementsprechend sehr viele Abstraktionsebenen bei Vorstellungen (und somit in der Sprache), und zwar von elementaren Vorstellungen (und Worten), die die Beziehung des Denkenden zu anderen Menschen und zu Objekten direkt widerspiegeln und die sich auf konkrete, unmittelbar sinnlich wahrnehmbare Tätigkeiten und Dinge beziehen, über Begriffe unterschiedlicher Abstraktionsgrade, die sinnlich nicht unmittelbar wahrnehmbare Tätigkeiten und Dinge sowie ihre Eigenschaften und Beziehungen zueinander widerspiegeln, bis hin zu solch hoch abstrakten und oft weit hergeholten imaginären, mystifizierenden, fantastischen und verkehrten Widerspiegelungen der gesellschaftlichen Beziehungen der Menschen wie religiöse, philosophische und politische Begriffe und ihre Ausgestaltung zu Ideologien. Doch Vorstellungen sind Widerspiegelungen der materiellen Realität, und daran ändern weder ihr abstrakter Charakter noch die offensichtliche Realitätsferne und das „falsche Bewusstsein“ ideologischer Illusionen auch nur das Geringste.

Dass Vorstellungen, ebenso wie Empfindungen und Wahrnehmungen, Widerspiegelungen der materiellen Realität sind, ist kein materialistisches Dogma; doch auch wenn die Wissenschaft noch viel über das Gehirn herausfinden muss, untermauert all das, was sie bisher herausgefunden hat, die materialistische Erkenntnistheorie; und laufend kommen neue Beweise hinzu. Jeder, der beweisen will, dass Vorstellungen, im Unterschied zu elementareren Formen des Bewusstseins, keine Widerspiegelungen des objektiv bestehenden Universums sind, gibt nicht nur die materialistische Auffassung von der Beziehung zwischen Objekt und Subjekt auf; er gibt auch die Wissenschaft auf. Das bleibt ihm unbenommen – doch sicherlich ist es seine Pflicht zu erklären, in welchem Sinne Vorstellungen nicht Widerspiegelungen der objektiv vorhandenen Welt sind, wie solche Vorstellungen entstehen und welche Funktion sie erfüllen.

Der widersprüchliche Charakter von Begriffen

Thompsons Konfusion in der Frage der Beziehung zwischen den höher entwickelten und den eher elementaren Ebenen des Bewusstseins tendiert dazu, vor allem einen wichtigen Aspekt ihrer Beziehung zu verwischen, einen scheinbar paradoxen Aspekt, der aber von großer Bedeutung ist, wenn es darum geht, den Charakter von Begriffen und die Entstehung des philosophischen Idealismus zu verstehen. Im Vergleich zu Empfindungen und Wahrnehmungen sind Begriffe näher an der objektiven Realität, die sie widerspiegeln, und zugleich weiter entfernt von ihr. Sie sind der objektiven Realität näher, weil sie, natürlich nur mit annähernder Genauigkeit, die wesentlichen inneren Beziehungen der Erscheinungen, ihre Bewegungsgesetze, widerspiegeln. Doch sie sind weiter entfernt von ihr, weil zwischen der Natur und dem abstrakten Denken, das diese widerspiegelt, eine Reihe von Vermittlungsstufen wirken – Sprache, Technik usw. –, die für diese Widerspiegelung unabdingbar sind, ohne irgendetwas daran zu ändern, dass Begriffe eine Widerspiegelung der Realität sind. Diese Vermittlungsstufen sind ein Ausdruck sowohl für die Leistungsfähigkeit der gesellschaftlichen Praxis als auch für deren Beschränkungen, ihr relatives Unvermögen auf jeder Etappe der gesellschaftlichen Entwicklung. Daraus ergibt sich der widersprüchliche Doppelcharakter des begrifflichen Bewusstseins, in dem sich das Wahre und das Illusorische vermischen, das Wissenschaftliche und das Mystische, das Bekannte und das Unbekannte (oder besser noch nicht Bekannte und daher Vermutete, Erträumte), das täglich millionenfach Erprobte und das Fantastische und Schimärische. Die Macht der Menschen, ihre Welt zu verändern, nimmt fortlaufend weiter Form an und verfeinert das wissenschaftliche Element in ihren Begriffen; ihre relative Hilflosigkeit führt andererseits zu der Tendenz, dass abstrakte Vorstellungen von der Realität abheben und sich in fabelhafte, in sich konsistente Systeme aus Mythos und Illusion verstricken, aus denen dann die reale Welt und die wirklichen Beziehungen der Menschen zur Natur und der Menschen untereinander abgeleitet werden. Diese Vermittlung menschlichen Bewusstseins hat zur Folge, dass das Subjekt niemals das Objekt vollständig erfassen kann, dass Begriffe nie eine vollständige, vollkommene, unmittelbare Widerspiegelung liefern können, nie die ganze Reichhaltigkeit der Eigenschaften, Qualitäten, Beziehungen und Widersprüche der objektiven Welt beinhalten können. Theorie muss nicht immer wirklich „grau“ sein; doch die genaueste, glänzendste und aufregendste Theorie kann nie mit der Wärme, Farbe und Unmittelbarkeit von Empfindungen und Wahrnehmungen erglühen, deren Inhalt die Erscheinung, das Phänomen ist und nicht, wie bei den Begriffen, das „ruhige Abbild“ [5] der Erscheinung in seinem wesentlichen Kern, seinen Gesetzmäßigkeiten.

Der in den Begriffen selbst auftretende Widerspruch zwischen dem Element des Wissens und dem Element der Fantasie und der Illusion durchzieht die Geschichte des menschlichen Denkens und wird dies auch weiter tun, solange Klassen- und Kastenvorurteile die Aufrechterhaltung systematischer Täuschung und Selbsttäuschung der Menschen erforderlich machen. Es ist ein Widerspruch, der durch die Kluft zwischen der subjektiven Widerspiegelung der Realität in Begriffen und der von diesen widergespiegelten objektiven Realität ständig verstärkt wird. Wären Begriffe etwas anderes als Widerspiegelungen der Realität, dann hätte diese Saat des Konfliktes zwischen Materialismus und Idealismus, der die gesamte Geschichte der Philosophie beherrscht und geprägt hat, weder existiert noch wäre sie aufgegangen.

Bewusstsein als Schöpfer

Die dialektisch-materialistische Auffassung vom Ursprung der Vorstellungen wäre in der Tat mechanistisch, wenn sie den Vorstellungen keine aktive Rolle im Leben zugestehen würde. Doch der dialektische Materialismus tritt der Auffassung vehement entgegen, dass Vorstellungen ein bloßes Epiphänomen [Begleiterscheinung], ein nutzloser Schaum an der Oberfläche menschlicher Tätigkeit seien, der für die Regelung menschlicher Angelegenheiten keine andere Rolle spielt als der Dampf der Lokomotive, sobald er den Schornstein verlässt. Wenn Thompson die Worte „passiv“ und „automatisch“ verwendet – „passives Spiegelbild der gesellschaftlichen Wirklichkeit“, „passive ,Widerspiegelung‘ “, „automatische ,Widerspiegelung‘ “ – tut er der leninistischen Erkenntnistheorie zutiefst Unrecht, die auf die aktive Rolle, die Vorstellungen spielen, enormen Wert legt.[6]

Man könnte viele Zitate anführen, um zu beweisen, dass Lenin den Prozess der Widerspiegelung der Realität im menschlichen Gehirn nicht als etwas „Automatisches“ und „Passives“ ansah, sondern als komplexen, widersprüchlichen, zickzackförmigen, dynamischen Prozess, bei dem die menschliche Praxis eine Hauptrolle spielt; bei dem der Verstand übergeht von der Widerspiegelung der Erscheinungen der Dinge zur Widerspiegelung ihres Wesens, ihrer inneren Bewegungsgesetze; und bei dem das in der Praxis getestete und korrigierte Wissen immer genauer und fundierter wird. Ich will mich auf fünf Zitate beschränken.

„Erkenntnis ist die ewige, unendliche Annäherung des Denkens an das Objekt. Die Widerspiegelung der Natur im menschlichen Denken ist nicht ,tot‘, nicht ,abstrakt‘, nicht ohne Bewegung, nicht ohne Widersprüche, sondern im ewigen Prozess der Bewegung, des Entstehens der Widersprüche und ihrer Lösung aufzufassen.“ [7]

Mit anderen Worten, das Bewusstsein ist kein Abklatsch oder Spiegelbild, sondern eine dynamische Widerspiegelung eines dynamischen Universums, das nicht erkennbar wäre, würde es nicht widergespiegelt werden. Die Dialektik der Erkenntnis ist ein

„unendlicher Prozess der Vertiefung der Erkenntnis des Dinges, der Erscheinungen, Prozesse usw. durch den Menschen, von den Erscheinungen zum Wesen und vom weniger tiefen zum tieferen Wesen…[8]

Das Herangehen des (menschlichen) Verstandes an das einzelne Ding, die Anfertigung eines Abdrucks (= Begriffs) von ihm, ist kein einfacher, unmittelbarer, spiegelartig toter, sondern ein komplizierter, zweiseitiger, zickzackartiger Vorgang …[9]

Erkenntnis ist die Widerspiegelung der Natur durch den Menschen. Aber das ist keine einfache, keine unmittelbare, keine totale Widerspiegelung, sondern der Prozess einer Reihe von Abstraktionen, der Formierung, der Bildung von Begriffen, Gesetzen etc., welche Begriffe, Gesetze etc. (Denken, Wissenschaft = ,logische Idee‘) eben bedingt, annähernd die universelle Gesetzmäßigkeit der sich ewig bewegenden und entwickelnden Natur umfassen. Hier gibt es wirklich, objektiv drei Glieder: 1) die Natur; 2) die menschliche Erkenntnis = das Gehirn des Menschen (als höchstes Produkt eben jener Natur) und 3) die Form der Widerspiegelung der Natur in der menschlichen Erkenntnis, und diese Form sind eben die Begriffe, Gesetze, Kategorien etc. Der Mensch kann die Natur nicht als ganze, nicht vollständig, kann nicht ihre ,unmittelbare Totalität‘ erfassen = widerspiegeln = abbilden, er kann dem nur ewig näher kommen, indem er Abstraktionen, Begriffe, Gesetze, ein wissenschaftliches Weltbild usw. usf. schafft.“[10]

Und schließlich – und am wenigsten „mechanistisch“, „passiv“ und „automatisch“ von allen! –: „Das Bewusstsein des Menschen widerspiegelt nicht nur die objektive Welt, sondern schafft sie auch.“[11] Von Lenin, dem Autor „mechanistischer Trugschlüsse“, mag sich dies überraschend anhören; aber vom Standpunkt des dialektischen Materialismus ist es genauso wenig ein „idealistischer Trugschluss“, wie Lenins Beharren auf der sekundären und abgeleiteten Natur der Vorstellungen ein „mechanistischer Trugschluss“ ist. Hier gibt es keinen Widerspruch. Lenin macht auf die Rolle aufmerksam, die die menschliche Praxis bei der Herausbildung der Erkenntnis – und die Erkenntnis bei der Herausbildung der menschlichen Praxis – spielt.

Praxis und Erkenntnis

Die gesellschaftliche Praxis – Produktion, Experiment, Industrie, Klassenkampf – ist sowohl die Quelle als auch das Kriterium der Erkenntnis. Laut Marxisten gibt es einen Ablauf etwa wie folgt. Aufgrund ihrer gesellschaftlichen Praxis, ihrer direkten, unmittelbaren Erfahrung bei der Veränderung von Teilen der materiellen Wirklichkeit (und so von ihnen selbst) entwickeln die Menschen Vorstellungen, eine teilweise wahre und genaue, teilweise falsche und ungenaue oder verzerrte Widerspiegelung der Wirklichkeit. Auf der Grundlage dieser Vorstellungen verbessern die Menschen dann ihre praktische Tätigkeit, wobei sie so ihre Vorstellungen überprüfen und korrigieren und Wahrheit von Irrtum, Erkenntnis von Illusion trennen. Durch diese verbesserte Praxis kommt es zu weitergehenden Vorstellungen, die sich der objektiven Wirklichkeit, dem Wesen der Dinge, noch mehr annähern – die, mit einem Wort, wissenschaftlicher sind. Das ist ein nie endender Prozess, bei dem sich das Bewusstsein dadurch entwickelt, dass es auf das Universum, durch das es entstand, einwirkt, also das Universum verändert und somit gewissermaßen erschafft.

Es ist die gesellschaftliche Praxis, die es den Menschen ermöglicht, von Empfindungen und Wahrnehmungen zu Vorstellungen überzugehen, denn nur unsere Tätigkeit bei der Veränderung der materiellen Wirklichkeit macht es uns möglich, zur Erkenntnis über diese zu gelangen, unter der Oberflächenerscheinung der Dinge zu ihrem Wesen vorzustoßen. Es sind Vorstellungen, Denken, Erkenntnis, die es den Menschen erlauben, ihre praktischen Tätigkeiten so zu gestalten und zu organisieren, dass sie die materielle Wirklichkeit erfolgreicher und ergiebiger verändern.

Das Wort „Widerspiegelung“, wie es Lenin beim menschlichen Bewusstsein verwendet, bedeutet eine aktive Widerspiegelung, die durch die gesellschaftliche Praxis immer tiefer in die unerschöpfliche Weite und Vielfalt der Wirklichkeit eindringt und den denkenden Menschen die Möglichkeit bietet, die Wirklichkeit immer mehr (aber nie völlig) unter ihre bewusste Kontrolle zu bringen.

Man könnte fragen, warum Marxisten eine solche Theorie „Widerspiegelungstheorie“ nennen, wo doch diese Terminologie Kritiker dazu einlädt, sich über „passive“ und „automatische“ „Spiegelbilder“ und „die [von Marx und Engels] dem Begriff der ,Widerspiegelung‘ zuweilen beigefügte passive Nebenbedeutung“ auszulassen.

Erstens ist das Wort „Widerspiegelung“ das passende Wort, weil es die Aufmerksamkeit auf den wesentlichsten Aspekt des Bewusstseins lenkt. Ohne ein widerzuspiegelndes Objekt könnte es keine Widerspiegelung geben. Ohne eine materielle Welt könnte es kein Bewusstsein geben.

Zweitens bezeichnet, dialektisch verstanden, das Wort „Widerspiegelung“, wenn man es auf das Bewusstsein anwendet, die spezifische Form, die universelles Zusammenwirken und gegenseitige Abhängigkeit und Beeinflussung der Erscheinungen im Falle von Organismen mit einem Nervensystem annehmen. Marxisten verstehen unter Widerspiegelung im Allgemeinen nicht bloß einen subjektiven Vorgang im menschlichen Bewusstsein, sondern zuallererst die Einheit und gegenseitige Abhängigkeit eines jeden Aspekts des unendlichen Universums mit jedem anderen, die jeweilige Wechselwirkung von Allem mit allem Übrigen. Auf verschiedenen Organisationsebenen der Materie ist jedes Materieteilchen auf vielfältige Weise mit dem Rest des Universums verbunden und spiegelt durch seine unterschiedlichen Bewegungsformen – mechanisch, physikalisch, chemisch usw. – und durch seine Befolgung der Gesetze dieser unterschiedlichen Formen die Gesamtheit des ihn umgebenden, bedingenden und bestimmenden Universums wider. Mit dem Übergang zur belebten Materie nimmt diese Eigenschaft der „Widerspiegelung“ qualitativ neue Formen an, die mit der Beziehung des lebenden Organismus zu seiner Umgebung zusammenhängen: neue Formen, die dennoch auf einer höheren Ebene, der Ebene des Bewusstseins, diese universelle gegenseitige Beeinflussung und Abhängigkeit fortführen. Wo Lenin das Wort Widerspiegelung verwendet, gebraucht er es in seinem tieferen, dialektischen Sinne.

II. Gesellschaftliches Sein und gesellschaftliches Bewusstsein

Thompson findet, dass „Lenin von Marx’ Bemerkung: ,Das gesellschaftliche Sein bestimmt das gesellschaftliche Bewusstsein‘, zu der ganz anderen (und unwahren) Aussage abglitt, dass ,das gesellschaftliche Bewusstsein das gesellschaftliche Sein widerspiegelt‘ “. Der Gebrauch des Ausdrucks „Widerspiegelung“ als eine „Bemerkung über die Art und Weise, wie die Vorstellungen der Menschen in ihrer Geschichte von ihrem ,gesellschaftlichen Sein‘ bestimmt worden sind“, so sagt er, „folgt [nicht] aus der ersten Prämisse“ – d. h. dass „Sinneseindrücke die äußere materielle Wirklichkeit ,widerspiegeln‘, die unabhängig vom menschlichen Bewusstsein existiert“. „Zwar mag ein Sinneseindruck (metaphorisch) als eine ,Widerspiegelung‘ der materiellen Wirklichkeit bezeichnet werden, doch deshalb folgt daraus noch lange nicht, dass die menschliche Kultur ein passives Spiegelbild der gesellschaftlichen Wirklichkeit ist.“[12] Thompson behauptet, dass Marx und Engels „dazu neigten … sich kaum mit dem Problem zu beschäftigen, wie sich die Vorstellungen der Menschen herausbildeten und worin deren Wirkungsbereich bestand.“ [13]

Das ist ziemlich konfus. Zunächst scheint Thompson sich überhaupt nicht sicher zu sein, ob er Marx kritisiert oder den „teilweise richtigen“ Marx gegen den „unrichtigen“ Lenin auszuspielen versucht. Man muss sagen, dass letzteres kein sehr ersprießliches Vorhaben ist. Die Behauptung, dass Lenin von einer Bemerkung von Marx – „das gesellschaftliche Sein bestimmt das gesellschaftliche Bewusstsein“ (das tatsächliche Zitat heißt: „Es ist nicht das Bewusstsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewusstsein bestimmt.“ [14]) – zu seiner eigenen „völlig unterschiedlichen“ und „unwahren“ Bemerkung „abgeglitten sei“, dass „das gesellschaftliche Bewusstsein das gesellschaftliche Sein widerspiegelt“, wird sofort widerlegt, wenn wir das Buch zur Hand nehmen, dem Marx’ Bemerkung entnommen ist, und ein bisschen weiterlesen. Schon bald kommen wir an eine Stelle, wo Marx über die „ideologischen Formen, worin sich die Menschen dieses Konflikts [zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen] bewusst werden und ihn ausfechten“, schreibt. Man kann eine soziale Umwälzungsepoche, fügt Marx hinzu, nicht nach ihrem eigenen Bewusstsein beurteilen, „sondern muss vielmehr dies Bewusstsein aus den Widersprüchen des materiellen Lebens … erklären“.[15]

Noch einmal: Dass Marx und Engels die gleiche Auffassung vertraten und sich beim Studium der Geschichte derselben Methode bedienten wie Lenin, bedeutet nicht, dass sie und Lenin unbedingt Recht hatten und Thompson zwangsläufig falsch liegt – sondern dass sich Lenin beim „Abgleiten“ in guter Gesellschaft befand.

Marxismus und Kultur

Nach Auffassung des historischen Materialismus ist zwar das gesellschaftliche Bewusstsein die Widerspiegelung des gesellschaftlichen Seins, es sollte aber darauf hingewiesen werden, dass kein Marxist jemals behauptet hat, die menschliche Kultur sei „ein passives Spiegelbild der gesellschaftlichen Wirklichkeit“. Dies ist eine Karikatur des Marxismus. Es ist völlig richtig, dass Engels 1893 in einem Brief an Mehring klarstellte, dass er und Marx die Hauptbetonung auf die Ableitung der Ideologie von den grundlegenden ökonomischen Tatsachen haben legen müssen, und dabei hätten sie „die formelle Seite über der inhaltlichen vernachlässigt: die Art und Weise, wie diese Vorstellungen etc. zustande kommen“.[16] Doch das ist etwas ganz anderes, als behauptet zu haben, dass Kunst und Literatur die gesellschaftliche Realität passiv widerspiegeln. Im Gegenteil, Marx gab sich besondere Mühe, das „unegale Verhältnis der Entwicklung der materiellen Produktion, z. B. zur künstlerischen“ zu betonen:

„Bei der Kunst bekannt, dass bestimmte Blütezeiten derselben keineswegs im Verhältnis zur allgemeinen Entwicklung der Gesellschaft, also auch der materiellen Grundlage, gleichsam des Knochenbaus ihrer Organisation, stehn.“ [17]

Marx, Engels und Lenin betrachteten in der Tat die menschliche Kultur als eine Widerspiegelung der materiellen Wirklichkeit, aber als eine Widerspiegelung im dialektischen Sinne, nicht als eine direkte, unmittelbare, mechanische, automatische, passive Widerspiegelung. Gewiss schrieb Lenin einen Artikel mit dem Titel „Leo Tolstoi als Spiegel der russischen Revolution“ – doch fast jede Zeile davon ist eine Widerlegung der „mechanischen“ und „passiven“ Auffassung von der künstlerischen Widerspiegelung und eine eindrucksvolle Bekräftigung von deren zutiefst widersprüchlicher Natur.

„Man wird doch nicht etwa als Spiegel bezeichnen, was eine Erscheinung augenfällig nicht richtig wiedergibt? … Doch haben wir es mit einem wirklich großen Künstler zu tun, so musste er wenigstens einige wesentliche Seiten der Revolution in seinen Werken widerspiegeln… In den Werken, Anschauungen, Lehren, in der Schule Tolstois sind tatsächlich schreiende Widersprüche enthalten. Einerseits ein genialer Künstler, der nicht nur unvergleichliche Bilder aus dem russischen Leben, sondern auch erstklassige Werke der Weltliteratur geschaffen hat. Andererseits ein Gutsbesitzer, der sich als Narr in Christo gefällt… Einerseits schonungslose Kritik an der kapitalistischen Ausbeutung … anderseits eine verzückt-wahnsinnige Predigt des ,Verzichts auf‘ gewaltsamen ,Widerstand gegen das Böse‘… Unter diesem Blickwinkel betrachtet, sind die Widersprüche in Tolstois Anschauungen ein wirkliches Spiegelbild jener widerspruchsvollen Bedingungen, unter denen die Bauernschaft in unserer Revolution ihre historische Tätigkeit aufnahm.“ [18]

Für Marxisten gibt es tatsächlich eine ständige und vielschichtige Wechselwirkung zwischen allen Elementen des ideologischen Überbaus und, was nicht ganz unwichtig ist, eine ständige und oft äußerst heftige Reaktion der menschlichen Vorstellungen auf die gesellschaftlichen und ökonomischen Ursachen, die sie hervorrufen. Die Behauptung, dass Marxisten deshalb, weil sie den ideologischen Sphären jegliche unabhängige historische Entwicklung absprechen, diesen auch jede historische Wirksamkeit absprechen, wurde von Engels als „blödsinnig“ [19] bezeichnet. Er führte diese Vorstellung auf ein mangelndes Verständnis von der Dialektik zurück, auf eine metaphysische Vorstellung von Ursache und Wirkung als starr einander entgegengesetzten Polen, auf eine „absolute Vergessung der Wechselwirkung“. Es ist ebenfalls blödsinnig, zu behaupten, Marxisten wären der Meinung, dass Kunstwerke nur reine Widerspiegelungen ökonomischer Notwendigkeiten und Prozesse seien. Wenn dem so wäre, dann würden sie sicher, um nur ein auf der Hand liegendes Beispiel zu nennen, Zola – den linksgerichteten Schriftsteller, der glaubte, man könne einen guten Roman mit den Mitteln eines Journalisten schreiben, der den Realismus bewusst zum Naturalismus weitertrieb, „zur direkten, mechanischen Widerspiegelung der stumpfsinnigen Wirklichkeit des Kapitalismus“ [20] – mehr schätzen als Balzac, den Royalisten, den Legitimisten, den Reaktionär. Und Lenin hätte sicherlich etwa Majakowski mehr geschätzt als Puschkin. Der Marxismus wäre in der Tat eine armselige und sterile Lehre, hätte er nicht mehr Verständnis vom künstlerischen Schaffensprozess, als Thompson ihm zugesteht.

Die Illusionen der Epoche

Thompsons Leugnung, dass das gesellschaftliche Bewusstsein das gesellschaftliche Sein widerspiegelt, wirft unmittelbar die Fragen auf: Was wird durch das gesellschaftliche Bewusstsein widergespiegelt, wenn nicht das gesellschaftliche Sein? Was ist der Inhalt des gesellschaftlichen Bewusstseins, woraus leitet es sich ab, welche Rolle spielt es im Leben, wenn es nicht seinem Wesen nach der ideelle Ausdruck der gesellschaftlichen Praxis ist, wie Menschen unter bestimmten gesellschaftlichen Verhältnissen handeln. Oder hat der Geist des Ideologen, des Philosophen, Theologen, Rechtsgelehrten oder Künstlers irgendeine besondere Quelle, der reichhaltige und großartige Ideen entspringen, die keinerlei realen Aspekt der objektiven Welt widerspiegeln? Spinnen sich Ideologen die Ideologien im Kopf aus? Wenn ja, wie? Und wie ist ihr sonderbarer Charakter zu erklären?

Thompson versucht gar nicht erst, diese Fragen zu beantworten. Doch er zögert nicht, Wasser auf die Mühlen der vielen Gegner von Marx und Lenin zu gießen, die deren Ansichten grob vereinfachen oder vulgarisieren, und deutet dabei an, Lenin habe die Widerspiegelung des gesellschaftlichen Seins im gesellschaftlichen Bewusstsein aus der physiologischen Tatsache hergeleitet, dass das Bewusstsein das Sein widerspiegelt. In Wirklichkeit sind Marxisten zu dieser Verallgemeinerung gelangt – die einzige konsequent materialistische Verallgemeinerung über die Entstehung von Ideologien – aufgrund einer detaillierten, konkreten Untersuchung des gesellschaftlichen Bewusstseins, wie es sich in höchst verschiedenen Geschichtsperioden herausgebildet hat. Wenn man studiert, was Marx und Lenin selber geschrieben haben, dann sieht man, dass es zu dieser Frage keine „Zweideutigkeiten“ im Denken des einen und keine „mechanischen Trugschlüsse“ im Denken des anderen gibt.

Eine Untersuchung der Geschichte des menschlichen Denkens zeigt, dass die gesellschaftliche Praxis, so wie sie von den jeweils besonderen gesellschaftlichen Verhältnissen bestimmt wird, sich in Ideologien widerspiegelt, nicht bewusst, absichtlich oder genau, sondern spontan und oftmals auf verkehrte Weise. Spontan deshalb, weil den Menschen aus dem Boden ihrer gesellschaftlichen Verhältnisse ständig und unvermeidlich ideologische Illusionen in den Kopf steigen. Dem Ideologen kommt es vor, als würde er mit „reinen“ Begriffen agieren; sehr oft (und das umso häufiger, je weiter eine bestimmte ideologische Sphäre von der ökonomischen Struktur der Gesellschaft entfernt ist) enthält das Gedankenmaterial, mit dem er arbeitet, wenig Neues, sondern ist größtenteils überliefertes, von seinen Vorgängern übernommenes Material; gerade weil dem Denker dessen Zusammenhang mit den realen Verhältnissen in seiner eigenen oder einer früheren Gesellschaft unbekannt ist, sprechen wir von seinem „falschen Bewusstsein“. Damit machen wir ihm keinen Vorwurf. Im Allgemeinen nimmt er sich nicht vor, ein System falscher Vorstellungen zu errichten, mit dem er die ausgebeuteten Massen betrügen kann – oder wo er das doch tut, lässt er sich durch grundlegende Vorurteile, von deren wirklichen Wurzeln er keine Ahnung hat, selber genauso kräftig täuschen. Jede Generation von Denkern findet Produktionsverhältnisse vor, ohne die die Gesellschaft nicht existieren könnte, die unabhängig sind vom Willen der Menschen, aus denen die Gesellschaft besteht, und von den Vorstellungen in den Köpfen der Denker. Diese Verhältnisse erscheinen nicht als historisch bedingt und vergänglich, sondern als ewig und unveränderlich. Und sie beeinflussen immer wieder das Denken des Philosophen oder des Künstlers, wie originell und brillant er auch sein mag, drücken seinem Werk unauslöschlich den Stempel einer bestimmten Epoche auf, sickern in die abwegigsten und großartigsten Gedankengänge ein. Die charakteristischen Illusionen jeder Epoche [21] sind im Grunde die Brechung der gesellschaftlichen Verhältnisse dieser Epoche durch das Prisma des Geistes des Ideologen.

In diesem Prozess der Brechung wird die Wirklichkeit auf den Kopf gestellt. Die Menschen glauben, sie hätten ihre gesellschaftlichen Beziehungen nach dem Ebenbild ihrer abstrakten Vorstellungen geschaffen und ihre Tätigkeiten, Einrichtungen und Konflikte wären der praktische Ausdruck dieser abstrakten Vorstellungen. Das gesellschaftliche Sein scheint die Widerspiegelung des gesellschaftlichen Bewusstseins zu sein. Die herben Tatsachen der Klassenausbeutung und Klassenherrschaft werden durch eine Unmenge illusorischer Vorstellungen verschleiert und versüßt, die den bestehenden Zustand als gerecht, gottgewollt und dauerhaft darstellen.

Wenn es „unrichtig“ ist, dass das gesellschaftliche Bewusstsein das gesellschaftliche Sein widerspiegelt, dann gibt es eine lange Reihe hochdramatischer Beispiele von Übereinstimmung zwischen der Entwicklung der Ideologie und der Entwicklung der gesellschaftlichen Verhältnisse, die nach Interpretation, Erklärung und Analyse schreit. An die Arbeit, Genosse Thompson! Geben Sie uns Ihre Erklärung für die Philosophie des Heraklit von Ephesus, wenn sie nicht im Wesentlichen die ideologische Widerspiegelung der neugeborenen Warenproduktion ist. Geben Sie uns Ihre Interpretation von der göttlichen Rangordnung des Thomas von Aquin, wenn sie nicht letztendlich die Widerspiegelung der feudalen Rangordnung seiner Zeit ist. Was ist die mechanisch-materialistische Auffassung von der Welt als einer Ansammlung einzelner nach den Gesetzen der Mechanik aufeinander einwirkender Materieteilchen, wenn sie nicht im Wesentlichen eine Widerspiegelung des Bedürfnisses der aufsteigenden Bourgeoisie nach der Zerschlagung der feudalen Bindungen und nach der Entwicklung eines freien Marktes ist? Wie sind der Materialismus und Humanismus von Spinoza zu verstehen, wenn nicht als der logischste und tiefgründigste Ausdruck der Interessen der revolutionären Bourgeoisie von Europas fortgeschrittenstem kapitalistischen Land in ihrem Kampf gegen feudalen Aberglauben und Obskurantismus – so logisch und tiefgründig, dass die Klasse, für die er sprach, ihn ablehnte? Was war der grundlegende Inhalt des Puritanismus, wenn nicht die Widerspiegelung eines Konflikts der zeitgenössischen Gesellschaft in den Köpfen der revolutionären Bourgeoisie Englands?

Vernachlässigte Lenin das menschliche Wirken?

Doch der historische Materialismus macht hier nicht halt. Er versucht in jedem speziellen Fall aufzuzeigen, wie diese ideologischen Widerspiegelungen von ihrer Funktion her an der Weiterentwicklung der ihnen zugrunde liegenden Gesellschaftsordnung beteiligt sind, wobei sie oftmals in sehr hohem Maße die Form einer bestimmten gesellschaftlichen Umwandlung und die Geschwindigkeit dieses Ereignisses bestimmen.

Thompson wirft Marx und Engels die Neigung vor, das Problem des Wirkungsfeldes menschlicher Ideen zu vernachlässigen, und deutet an, dass Lenin es noch mehr vernachlässigt habe. Dies ist ein wirklich erstaunlicher Vorwurf. Was um alles in der Welt ist denn Was tun?, wenn nicht eine Polemik gegen diejenigen, die sich der Spontaneität der Arbeiterbewegung beugten und die Rolle sozialistischer Ideen herunterspielten? Lenin nahm den Kampf gerade gegen diejenigen auf, die sagten, dass die spontane Bewegung der Arbeiter eine sozialistische Ideologie werde entstehen lassen. Im Gegenteil, sagte er, das sozialistische Bewusstsein muss der Arbeiterklasse von außen gebracht werden. „Ohne revolutionäre Theorie kann es auch keine revolutionäre Bewegung geben.“[22] Wenn Lenin den Begriff des menschlichen Wirkens „aufgegeben“ und die Rolle des menschlichen Bewusstseins unterschätzt hat, warum verbrachte er dann sein ganzes Leben damit, eine revolutionäre Partei aufzubauen und auszubilden, anstatt sich zurückzulehnen und die Revolution sich selbst machen zu lassen? Vielleicht spricht Thompson von einem anderen Lenin: Vielleicht war der Lenin, den er dafür angreift, in den „Trugschluss“ „abgeglitten“ zu sein, dass „eine passive ,Widerspiegelung‘ Revolutionen auslösen, planen, machen“ könne, ein harmloser, „sich in philosophischen Nuancen verlierender“ Kerl, der nichts mit dem Mann zu tun hatte, der dreißig ereignisreiche Jahre damit verbrachte, die angeblichen „Trugschlüsse“ seines Namensvetters in der Praxis zu widerlegen.

Ein Fall von Zitatenschnippelei

Um den Anschein eines Arguments gegen Lenin anzuführen, geht Thompson nicht immer sorgfältig mit den Zitaten um. Besonders bei einer Passage zitiert er nicht nur aus Lenins Zusammenfassung einer Argumentation von Engels, ohne klarzustellen, dass der Gedanke von Engels stammt; sondern anschließend zerstückelt er auch noch ein Zitat aus Materialismus und Empiriokritizismus so, dass er den Text weglässt, der gerade den Einwand, den Thompson erhebt, ausdrücklich berücksichtigt und beantwortet! Hier kommt die vollständige Passage von Thompson – vollständig a) um Thompson gegenüber fair zu sein und b) um seine Technik der Zitatenschnippelei zu demonstrieren:

„(4) Von hier [d. h. von der Feststellung, dass ,das gesellschaftliche Bewusstsein das gesellschaftliche Sein widerspiegelt‘] glitt er zu der grotesken Schlussfolgerung ab, dass ,das gesellschaftliche Sein unabhängig ist von dem gesellschaftlichen Bewusstsein der Menschen‘. (Wie können bewusste menschliche Wesen, deren Bewusstsein bei jeder Arbeitstätigkeit in Gebrauch ist, unabhängig von ihrem Bewusstsein existieren?) (5) Von da war es nur ein kleiner Schritt zu der Vorstellung vom Bewusstsein als einem plumpen Prozess der Anpassung an das unabhängig existierende ,gesellschaftliche Sein‘, ,dass die Naturnotwendigkeit das Primäre, der Wille und das Bewusstsein des Menschen das Sekundäre sind. Die letzteren müssen sich unvermeidlich und notwendig der ersteren anpassen‘ (Lenin Werke Bd. 14, S. 185). ,Die höchste Aufgabe der Menschheit ist es, diese objektive Logik der wirtschaftlichen Evolution … zu erfassen, um derselben ihr gesellschaftliches Bewusstsein … so deutlich, so klar, so kritisch als möglich anzupassen‘.“ (S. 328/329)

Zwei Zitate, zwei Beispiele für Schnippelei. Das erste Zitat (Lenin Werke Bd. 14, S. 185) stammt aus einer Passage in Materialismus und Empiriokritizismus, wo Lenin ein Argument aus dem Anti-Dühring zusammenfasst und dessen erkenntnistheoretischen Hintergrund erklärt, und zwar auf völlig angemessene Weise. Der Text unmittelbar nach dem von Thompson ausgewählten Zitat lautet: „Für Engels ist das derart selbstverständlich, dass er auf die Erläuterung seiner Ansicht keine weiteren Worte verschwendet.“[23] Hier ist eine der „grotesken“, „mechanischen“, „plumpen“, „pathetischen“ Trugschlüsse, in die Lenin „abglitt“ – doch wir stellen fest, dass es schließlich doch nur eine Umschreibung von etwas ist, das Engels für eine Binsenwahrheit der materialistischen Weltanschauung hielt.

Das zweite Zitat, das Thompson zweiteilt, ohne dies klarzustellen, bringt ihn dazu, eine Frage zu stellen, die ich weiter oben hervorgehoben habe. Nun, hier ist die vollständige Passage von Lenin, wo der von Thompson weggelassene Text wiederhergestellt und hervorgehoben ist.

Jeder einzelne Produzent in der Weltwirtschaft ist sich bewusst, dass er die und die Änderung in die Produktionstechnik hineinbringt, jeder Warenbesitzer ist sich bewusst, dass er die und die Produkte gegen andere austauscht, doch diese Produzenten und Warenbesitzer sind sich nicht bewusst, dass sie dadurch das gesellschaftliche Sein verändern. Die Summe aller dieser Veränderungen in allen ihren Verästelungen hätten innerhalb der kapitalistischen Weltwirtschaft auch 70 Marxe nicht bewältigen können. Das Höchste, was geleistet werden konnte, war, dass die Gesetze dieser Veränderungen entdeckt wurden, dass die objektive Logik dieser Veränderungen und ihrer geschichtlichen Entwicklung in den Haupt- und Grundzügen aufgezeigt wurde – objektiv nicht in dem Sinne, dass eine Gesellschaft von bewussten Wesen, von Menschen, existieren und sich entwickeln könnte unabhängig von der Existenz bewusster Wesen (nur diese Albernheit unterstreicht aber Bogdanow gerade mit seiner ,Theorie‘), sondern in dem Sinne, dass das gesellschaftliche Sein unabhängig ist von dem gesellschaftlichen Bewusstsein der Menschen. Aus der Tatsache, dass ihr lebt und wirtschaftet, Kinder gebärt und Produkte erzeugt, sie austauscht, entsteht eine objektiv notwendige Kette von Ereignissen, eine Entwicklungskette, die von eurem gesellschaftlichen Bewusstsein unabhängig ist, die von diesem niemals restlos erfasst wird. Die höchste Aufgabe der Menschheit ist es, diese objektive Logik der wirtschaftlichen Evolution (der Evolution des gesellschaftlichen Seins) in den allgemeinen Grundzügen zu erfassen, um derselben ihr gesellschaftliches Bewusstsein und das der fortgeschrittenen Klassen aller kapitalistischen Länder so deutlich, so klar, so kritisch als möglich anzupassen.“[24]

Man beachte, wie Thompsons Frage in dem Text, den er selber weglässt, beantwortet wird. Man beachte, wie Lenin absolut klarmacht, dass er nicht von der primitiven Vorstellung, der „Albernheit“ spricht, „dass eine Gesellschaft von bewussten Wesen, von Menschen, existieren und sich entwickeln könnte unabhängig von der Existenz bewusster Wesen“, dass „bewusste menschliche Wesen, deren Bewusstsein bei jeder Arbeitstätigkeit eingesetzt wird, unabhängig von ihrem Bewusstsein existieren“ könnten – letzteres ist die Art und Weise, wie Thompson diese „Albernheit“ vor aller Welt aufgreift und herzeigt, als hätte Lenin sie nie erwähnt.

Wenn Lenins philosophische Schriften erst derart verstümmelt und manipuliert werden müssen, damit sein Mangel an philosophischer Genialität und seine „Trugschlüsse“ bewiesen werden können, ist das nicht vielleicht ein Hinweis darauf, dass die „Trugschlüsse“ nur in der Fantasie des Kritikers existieren? Niemand möchte Thompson unterstellen, dass er absichtlich Lenins Schriften gefälscht habe – doch er scheint einen schwierigen Text in Eile nochmals gelesen zu haben, um in isolierten Sätzen seinen Eindruck bestätigt zu finden, dass dieser Text die Saat des Stalinismus enthält. Dieser Eindruck entbehrt jeder realen Grundlage, wie Thompson hoffentlich selber zugeben würde, falls er Materialismus und Empiriokritizismus und die Philosophischen Hefte mit der gebührenden Sorgfalt lesen sollte.

Das Beispiel, das Lenin hier liefert, ist von großem Interesse und dialektischer Schönheit. Natürlich, schreibt er, sind die Menschen, die produzieren und tauschen, bewusst. Nur ein Dummkopf (oder „alberner“ Kerl) würde die Argumentation auf dieser Ebene führen. Doch sie sind sich nur über die Erscheinung der Tätigkeiten bewusst, die sie ausüben. Das Wesen, die objektiven Gesetze, wie ihre produktiven und kommerziellen Bemühungen zu den Endergebnissen führen, bleiben ihnen verborgen (eben deshalb, weil das menschliche Bewusstsein kein unmittelbares Spiegelbild der Wirklichkeit liefert!) und können nur durch wissenschaftliche Forschung ans Licht gebracht werden. Genau diese wissenschaftliche Forschung hat Marx im Kapital geleistet. Hier werden durch die „Abstraktionskraft“ die wesentlichen Gesetze der kapitalistischen Ökonomie zum Vorschein gebracht, der Übergang von der Erscheinung zum Wesen, vom Phänomen zum Gesetz wird erreicht, und als Ergebnis davon wird das menschliche Bewusstsein vertieft, bereichert und wissenschaftlicher gemacht. Nur ein Dummkopf oder „alberner“ Kerl würde behaupten, dass die Menschen sich der Erscheinung ihrer ökonomischen Tätigkeiten überhaupt nicht bewusst sind; nur ein Dummkopf oder „alberner“ Kerl würde behaupten, dass sie sich vor einer wissenschaftlichen, unter die Oberfläche gehenden Untersuchung vollkommen bewusst sind – oder wenigstens weit mehr als nur höchst unvollkommen und oberflächlich bewusst sind – über das wesentliche „gesellschaftliche Sein“ (Wert, Mehrwert, usw.), das unabhängig von diesem begrenzten Bewusstsein existiert. Jeder, der die Bedeutung dieses Übergangs „von den Erscheinungen zum Wesen und vom weniger tiefen zum tieferen Wesen“[25] nicht erfasst hat, hat nicht einmal im Ansatz ein Verständnis von der Reichhaltigkeit, Komplexität und wissenschaftlichen Bedeutung der dialektischen Methode – und ist dazu verurteilt, immer wieder durch Impressionismus in die Irre geführt zu werden.

III. Notwendigkeit und Freiheit

Thompsons Angriff auf den dialektischen Materialismus richtet sich im Kern gegen die marxistische Auffassung von der menschlichen Freiheit und der Art und Weise ihrer Erringung. Auch hier wird der Versuch gemacht, Lenins Ansichten von denen von Marx und Engels abzugrenzen. Marx redet „vernünftig“, Lenin „gleitet ab“ in „Mystik“:

„Marx’ vernünftige Ansicht, dass die Freiheit des Menschen durch jede Erweiterung des Wissens vergrößert wird (,Freiheit besteht … in der auf Erkenntnis der Naturnotwendigkeiten gegründeten Herrschaft über uns selbst und über die äußere Natur‘, Engels), wird in die Mystik von der Freiheit des Menschen umgewandelt, die darin besteht, dass er die ,objektive Logik der wirtschaftlichen Evolution‘ anerkennt und befolgt: Seine ,Freiheit‘ wird zur Sklaverei gegenüber der ,Notwendigkeit‘.“

Zunächst eine oder zwei Vorbemerkungen. Erstens, wir haben bereits gezeigt, dass eines der Zitate von Lenin, auf die sich Thompson stützt, in Wirklichkeit eine Umschreibung von Engels ist. Doch Engels, so scheint es, „glitt“ ein gutes Stück ab. Deshalb, zweitens, kommt hier etwas mehr von dem Zitat aus dem Anti-Dühring, von dem Thompson nur den Schlusssatz in Klammern anführt:

„Nicht in der geträumten Unabhängigkeit von den Naturgesetzen liegt die Freiheit, sondern in der Erkenntnis dieser Gesetze, und in der damit gegebnen Möglichkeit, sie planmäßig zu bestimmten Zwecken wirken zu lassen. Es gilt dies mit Beziehung sowohl auf die Gesetze der äußern Natur, wie auf diejenigen, welche das körperliche und geistige Dasein des Menschen selbst regeln – zwei Klassen von Gesetzen, die wir höchstens in der Vorstellung, nicht aber in der Wirklichkeit voneinander trennen können. Freiheit des Willens heißt daher nichts andres als die Fähigkeit, mit Sachkenntnis entscheiden zu können. Je freier also das Urteil eines Menschen in Beziehung auf einen bestimmten Fragepunkt ist, mit desto größerer Notwendigkeit wird der Inhalt dieses Urteils bestimmt sein; während die auf Unkenntnis beruhende Unsicherheit, die zwischen vielen verschiednen und widersprechenden Entscheidungsmöglichkeiten scheinbar willkürlich wählt, eben dadurch ihre Unfreiheit beweist, ihr Beherrschtsein von dem Gegenstande, den sie grade beherrschen sollte. Freiheit besteht also in der auf Erkenntnis der Naturnotwendigkeiten gegründeten Herrschaft über uns selbst und über die äußere Natur.“ [26]

Denken Sie über diesen letzten Satz nach, Genosse Thompson. Dies ist der „vernünftige“ Engels, der uns „Sklaven der Notwendigkeit“ nennt!

Und drittens „gleitet“ Thompson in der Formulierung: „Seine ,Freiheit‘ wird zur Sklaverei gegenüber der ,Notwendigkeit‘ “ leider selber in den krassesten anthropomorphen Aberglauben ab. Seine Wortwahl verrät das Bild, das ihm vorschwebt: von Menschen, die durch Naturgesetze „versklavt“ werden wie durch Regierungsgesetze und sehnlichst danach verlangen, von ihnen „frei“ zu sein. Für Thompson, so scheint es, besteht der Weg zur Freiheit in der Beendigung dieser „Sklaverei“; für Marxisten besteht der Weg zur Freiheit darin, die Existenz objektiver Gesetze anzuerkennen, so viel wie möglich über sie zu wissen und die gesellschaftliche Praxis entsprechend anzupassen. Kein noch so … „pathetisches“ Gerede über „Sklaverei“ kann etwas daran ändern, dass Genosse Thompson selber von einer Reihe objektiver Gesetze abhängig ist und seine Tätigkeiten durch diese Gesetze bestimmt werden: mechanische, physikalische, chemische, biologische, physiologische, soziale usw. In der Praxis ist er vierundzwanzig Stunden am Tag an diese Gesetze gebunden; er nennt das „Sklaverei“. Nun, offen gesagt: Der Marxismus lässt die Möglichkeit, aus dem Wirkungsbereich objektiver Gesetze auszubrechen, gegen sie zu verstoßen oder sich von ihnen „frei“ zu machen, nicht zu. Für Marxisten ist eine solche „Freiheit“ weder möglich noch sinnvoll. Dennoch zeigt allein der Marxismus den Weg zur Erlangung wirklicher menschlicher Freiheit auf. Versuchen wir zu verstehen, weshalb.

Notwendigkeit

Die Kategorie Notwendigkeit hängt eng zusammen mit den Kategorien Wesen und Gesetz. „Das Gesetz“, schreibt Lenin, „ist die Widerspiegelung des Wesentlichen in der Bewegung des Universums.“[27]Das Gesetz eines natürlichen oder gesellschaftlichen Entwicklungsprozesses legt die objektiven Gesetzmäßigkeiten, wesentlichen Verhältnisse und notwendigen Zusammenhänge in diesem Prozess annähernd fest. Wissenschaftliche Gesetze fassen mehr oder weniger präzise die in den Ereignissen wirkenden kausalen Abläufe zusammen, sagen uns, welche Eigenschaften eine bestimmte Erscheinung von Natur aus an den Tag legen muss, und bringen zum Ausdruck, wie sich diese Erscheinung unter bestimmten Bedingungen unvermeidlich auf eine bestimmte Weise entfaltet. Die materialistische Anerkennung der Objektivität des Seins und seiner Gesetze ist noch nicht Freiheit, aber die Voraussetzung für jede wirkliche Freiheit.

Es ist natürlich vollkommen richtig, dass Menschen mit bewusster Zielsetzung und Absicht handeln. Doch wird kein Versuch, die menschliche Geschichte hinsichtlich der bewussten Ziele und Absichten sowie der Willensbekundungen und Wünsche der Menschen zu erklären, unser Verständnis sehr viel weiter bringen. Die Ziele der Menschen passen nicht zusammen, und was geschieht, hat niemand beabsichtigt, gewünscht oder vorhergesehen. Daher muss jedes wissenschaftliche Verständnis der gesellschaftlichen Entwicklung von den „inneren allgemeinen Gesetzen“[28]ausgehen, nach denen sich letztendlich sowohl die Entwicklung der menschlichen Gesellschaft als auch die Ziele und Absichten, Ideen und Theorien in den Köpfen der Menschen richten.

„Die Menschen machen ihre Geschichte selbst; aber wodurch die Motive der Menschen und namentlich der Massen der Menschen bestimmt, wodurch die Zusammenstöße der widerstreitenden Ideen und Bestrebungen verursacht werden, was die Gesamtheit aller dieser Zusammenstöße der ganzen Masse der menschlichen Gesellschaften darstellt, was die objektiven Produktionsbedingungen des materiellen Lebens sind, die die Basis für alles geschichtliche Handeln der Menschen schaffen, welcherart das Entwicklungsgesetz dieser Bedingungen ist – auf all dies lenkte Marx die Aufmerksamkeit und wies so den Weg zur wissenschaftlichen Erforschung der Geschichte als eines einheitlichen, in all seiner gewaltigen Mannigfaltigkeit und Gegensätzlichkeit gesetzmäßigen Prozesses.“[29]

Frei zu sein bedeutet nicht, gegen die Gesetzmäßigkeiten der Natur und der Gesellschaft zu verstoßen, was nicht möglich ist. Die Menschen sind genauso wenig die Wundertäter, zu denen die Idealisten sie machen (wenn sie behaupten, dass Freiheit tatsächlich Unabhängigkeit des menschlichen Willens von den Gesetzmäßigkeiten der Natur und der Gesellschaft ist, oder wenn sie leugnen, dass es überhaupt objektive Gesetze gibt), wie sie die Marionetten oder Roboter sind, für die sie die mechanistischen Materialisten halten (wenn sie behaupten, dass die Notwendigkeit sich der gesellschaftlichen Praxis völlig entzieht, dass das menschliche Bewusstsein diese Notwendigkeit nicht in Betracht ziehen und nicht sich zu Nutze machen kann, dass der Mensch praktisch ein Gefangener der objektiven Gesetze ist).

Frei zu sein bedeutet dem dialektischen Materialismus zufolge, im Einklang mit objektiven Gesetzen zu handeln. Jeder Schritt vorwärts in der Kenntnis dieser Gesetze ist potenziell ein Schritt vorwärts zur Eroberung der Freiheit. Genau wie die Menschen ihre Freiheit proportional zu ihrem Wissen und damit ihrer Macht über die Natur vergrößern, so vergrößern sie auch ihre Freiheit proportional zu ihrem Wissen und damit ihrer Macht über ihr gesellschaftliches Leben, da sie die Auswirkungen ihrer gesellschaftlichen Tätigkeit immer genauer vorhersehen, anstatt Gesetzen ausgeliefert zu sein, die „blind“ und unberechenbar zu Wirtschaftskrisen führen. Soweit die Menschen ihre Taten in Kenntnis der beteiligten Faktoren planen, sind sie in der Lage, echte Freiheit zu erlangen.

Das Paradebeispiel ist der Kampf der Arbeiterklasse für Sozialismus. Ist der Arbeiterklasse mit Unkenntnis der ökonomischen Gesetze geholfen? Wird sie nicht vielmehr durch Aneignung von Wissen über ihre wirkliche Situation in die Lage versetzt, die Gesellschaft zu revolutionieren und so Freiheit zu erlangen, da sie ja gerade von ihrer Klassenposition her an sich schon objektiv die Auflösung der kapitalistischen Gesellschaft ist? [30] Mit anderen Worten, ist es so schrecklich, der Arbeiterklasse zu sagen, dass ihre höchste Aufgabe darin besteht, ihr Bewusstsein den objektiven Gegebenheiten der ökonomischen Entwicklung „so deutlich, so klar, so kritisch als möglich anzupassen“ [31]– um sich zu rüsten, und zwar mit dem Wissen über die Geschichte und die Funktionsweise des kapitalistischen Systems und über ihre eigenen Aufgaben im Kampf zum Sturz dieses Systems? Eine seltsame Art von Humanismus ist das, der zur gleichen Zeit, da er die Bedeutung des menschlichen Bewusstseins hervorhebt, diese für jeglichen erfolgreichen Kampf der Arbeiterklasse grundlegende Voraussetzung leugnet: dass dieser sich bewusst auf das Wissen über die Gegebenheiten der Gesellschaft, auf die Gesetzmäßigkeiten der gesellschaftlichen Veränderung stützen sollte. Eine seltsame Art von Humanismus ist das, der die Arbeiterklasse entwaffnet, indem er ihr rät, sich solches Wissen nicht anzueignen.

Lenin weist den Arbeitern den Weg zur Freiheit. Bereichert euer Bewusstsein, sagt er, mit möglichst exaktem Wissen über die Gesetzmäßigkeiten der gesellschaftlichen Entwicklung. Hört nicht auf ihn, ruft Genosse Thompson; er will, dass ihr euch auf plumpe Weise „ökonomischen Triebkräften“ anpasst; er verliert sich in philosophischen Nuancen…

Lenin weiß ganz genau, dass das Bewusstseinsniveau der Arbeiterklasse nicht automatisch seiner Klassenlage entspricht. Er weiß, dass der ideologische Überbau der bürgerlichen Gesellschaft alle möglichen Illusionen fördert, die den Arbeitern das Vertrauen in die eigene Stärke nehmen, die sie glauben lassen, dass sie nicht sehr viel zur Verbesserung der Verhältnisse tun können, und die sie dazu bringen, das kapitalistische System zu unterstützen. Er weiß, dass die sozialistische Theorie mit der Erkenntnis des Wesens, und nicht der Erscheinung, des Kapitalismus steht und fällt und dass der Arbeiterklasse dieses fundierte Wissen nur von außen gebracht werden kann, von Marxisten. Deshalb ruft er die Kommunisten dazu auf, danach zu streben, das „Bewusstsein der fortgeschrittenen Klassen“ an die Tatsachen der historischen Entwicklung „anzupassen“, d. h. sie zu lehren, sie auszubilden, sie zu überzeugen, ihr Bewusstsein an … die Wahrheit „anzupassen“. „Solch ein Muster könnte in ein Elektronengehirn eingebaut sein“, beklagt sich Genosse Thompson und bekundet in der besten Tradition des englischen Empirismus seine Empörung über einen solchen ungeheuerlichen, mechanischen Trugschluss, über ein derartiges Sich-Verlieren in philosophischen Nuancen…

Freiheit

Um Wissen über Dinge zu erlangen, reicht es nicht, sich hinzusetzen und an sie zu denken. Wir müssen sie in den Dienst des Menschen stellen, sie seinen Bedürfnissen und Zielen unterwerfen, sie bearbeiten, sie verändern. Wir lernen die Gesetzmäßigkeiten der Natur und der Gesellschaft kennen, nicht durch göttliche Eingebung, sondern indem wir sie zur Grundlage unseres Handelns machen. Und unsere Erkenntnis der Notwendigkeit, die aus unserer praktischen Tätigkeit stammt und bei weiterer praktischer Tätigkeit angewandt, getestet und verfeinert wird, ist die unverzichtbare Voraussetzung und Vorbedingung menschlicher Freiheit.

Erkenntnis der Notwendigkeit an sich reicht nicht automatisch aus, um uns Freiheit zu verleihen, wie Thompson an einer Stelle zu glauben scheint („Marx’ vernünftige Ansicht, dass die Freiheit des Menschen durch jede Erweiterung des Wissens vergrößert wird“). Sie ist bisher nur der theoretische Ausdruck unserer Beziehung zur Notwendigkeit. Wenn wir jedoch praktische Beziehungen zur Notwendigkeit eingehen, wenn wir unser Wissen bei praktischer menschlicher Tätigkeit benutzen, erlangen wir dadurch Freiheit.

„Sobald wir aber dieses Gesetz, das (wie Marx tausendmal wiederholte) unabhängig von unserem Willen und unserem Bewusstsein wirkt, erkannt haben, sind wir die Herren der Natur. Die Herrschaft über die Natur, die sich in der Praxis der Menschheit äußert, ist das Resultat der objektiv richtigen Widerspiegelung der Erscheinungen und Vorgänge der Natur im Kopfe des Menschen, ist der Beweis dafür, dass diese Widerspiegelung (in den Grenzen dessen, was uns die Praxis zeigt) objektive, absolute, ewige Wahrheit ist.“ [32]

Freiheit ist demnach die Fähigkeit der Menschen, ihre Bedürfnisse zu befriedigen und ihre Ziele zu erreichen, und zwar aufgrund des Wissens, welches ihre Bedürfnisse und Ziele sind und wie sie befriedigt und erreicht werden können. Die Menschen sind unfrei, insoweit sie unwissend und damit unfähig sind, die Faktoren zu steuern, die sich auf die Befriedigung ihrer Bedürfnisse und die Erfüllung ihrer Ziele auswirken. Sie sind insoweit frei, wie sie diese Faktoren kennen und damit in der Praxis steuern.

Freiheit ist eine spezifisch menschliche Eigenschaft, die Menschen als gesellschaftliche Wesen erlangen. In der Urzeit standen die Menschen den Naturkräften blind gegenüber und waren daher der Natur ausgeliefert. Freiheit erreichten sie nach und nach im Kampf, dabei erlangten sie Stück für Stück Wissen über die Notwendigkeit und wandten dieses Wissen im weiteren Kampf zur Erlangung von mehr Wissen, Freiheit und materiellem Fortschritt an.

Überall in der Klassengesellschaft haben die Menschen ihren gesellschaftlichen Verhältnissen ungefähr so gegenübergestanden, wie die Urmenschen den Naturkräften gegenüberstanden. Die gesellschaftlichen Kräfte schienen größtenteils völlig außerhalb menschlicher Kontrolle zu sein, und große gesellschaftliche Ereignisse, Kriege und Revolutionen und der Zusammenbruch von Reichen, stellten sich als Katastrophen dar, die genauso schrecklich und unbeherrschbar waren wie Naturkatastrophen. Trotz der ungeheueren Zunahme an Wissen über die Naturgesetze in den letzten hundert Jahren hat die bürgerliche Wissenschaft inzwischen größtenteils die Hoffnung aufgegeben, die Kriege und Krisen, die regelmäßig die kapitalistische Gesellschaft in ihren Grundfesten erschüttern, vorhersagen, erklären oder beherrschen zu können.

Noch einmal, die fortschreitende Beherrschung der Natur durch die Menschen war für die Masse der Menschen nur von begrenztem Nutzen, weil ihnen die gesellschaftliche Freiheit fehlte. Solange die Gesellschaft von aufeinanderfolgenden Ausbeuterklassen beherrscht wird, kann man unmöglich die Frage der Beziehung des Menschen zur Natur in vollem Umfang aufwerfen oder gar lösen. Ein überholtes Gesellschaftssystem behindert die sachgerechte Anwendung des wissenschaftlichen und technischen Wissens des Menschen, indem es fortgeschrittene Produktivkräfte zu Profitzwecken und zur Zerstörung benutzt und dem Fortschritt im Weg steht. Der Weg zur Freiheit liegt im Sturz dieses Systems. Es ist die historische Aufgabe der Arbeiterklasse, bewaffnet mit der vom Marxismus bereitgestellten wissenschaftlichen Erkenntnis ihrer wirklichen Lage und ihrer Aufgaben, mit den gesellschaftlichen Verhältnissen des Kapitalismus Schluss zu machen, die eine Fessel für die freie Entfaltung der Produktivkräfte und ein Hemmnis für deren Nutzbarmachung zur uneingeschränkten Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse sind. Indem die Arbeiterklasse die sozialistische Revolution durchführt, die Diktatur des Proletariats errichtet, eine sozialistische Gesellschaft aufbaut und zum Kommunismus voranschreitet, erlangt sie gesellschaftliche Freiheit – die vollständige Beherrschung der eigenen gesellschaftlichen Organisation durch die Menschen – und ermöglicht den Menschen gigantische Fortschritte bei der bewussten Beherrschung der Natur.

So zeigt der dialektische Materialismus, ohne auch nur im geringsten den Menschen und seine Tätigkeit über Bord zu werfen, wie sich die menschliche Gesellschaft zwangsläufig entwickelt; weshalb Menschen so handeln, wie sie es tun, und so denken, wie sie es tun; wie die Freiheit erlangt werden kann; und welches die soziale Kraft ist, die, wohlorganisiert, ideologisch gerüstet und richtig geführt, diese Freiheit erlangen kann und so die gesamte Menschheit „aus dem Reiche der Notwendigkeit in das Reich der Freiheit“ [33] voranbringen kann.

IV. Die dialektische Methode

Wenn Thompson von Lenin spricht, verwendet er das Wort „dialektisch“ nicht. (An anderen Stellen setzt er es in Anführungszeichen, in einem Zusammenhang, wo die Bedeutung mehrdeutig ist, doch wo er Dialektik mit „Seele“ gleichzusetzen scheint.) Sein Angriff auf die dialektische Methode kommt nie offen zum Ausdruck; doch unterschwellig ist er bei seinem ganzen Angriff auf Lenin als Philosophen vorhanden. Die Erkenntnistheorie, gegen die Thompson sich richtet, ist eine dialektische Theorie. Die Theorie über Ideologien, gegen die er sich richtet, ist eine dialektische Theorie. Die Theorie über Freiheit, gegen die er sich richtet, ist eine dialektische Theorie. Und da Lenin einen herausragenden Beitrag zur Philosophie auf dem Gebiet der dialektischen Methode geleistet hat, kann Thompsons geringschätzige Bemerkung über „philosophische Nuancen“ wohl nur als Vorwurf gegen Lenin aufgefasst werden, er „verliere sich“ in Dialektik. Für Lenin war Dialektik „die wertvolle Frucht der idealistischen Systeme … diese echte Perle, die die Hähne Büchner, Dühring und Co. (samt Leclair, Mach, Avenarius u. a.) aus dem Misthaufen des absoluten Idealismus nicht auszusondern verstanden.“[34] Leider erkennt Genosse Thompson Perlen nicht, wenn er sie sieht. Doch Lenin betrachtete die Dialektik als unverzichtbar für die Bewegung der Arbeiterklasse, damit sie die Widersprüche der kapitalistischen Gesellschaft verstehen und sich nutzbar machen könnte. Es ist kein Zufall, dass Lenins wichtigste philosophische Untersuchung ein langer, fast Seite für Seite abhandelnder Kommentar zu Hegels Wissenschaft der Logik ist, in dem er die Methode, die Hegel in Idealismus hüllte, vom Kopf auf die Füße stellte, durcharbeitete und von einem materialistischen Standpunkt aus durchdachte und in all ihrer Komplexität, Geschmeidigkeit und vor allem Präzision als die einzige Methode auswies, mit deren Hilfe das menschliche Denken die Komplexität und Vielseitigkeit des ewigen Prozesses des Werdens ergründen kann.

Es ist kein Zufall, dass Lenin sich im Herbst 1914 genau in dem Augenblick in diese Untersuchung stürzte, als die Widersprüche der kapitalistischen Gesellschaft schlagartig und explosiv an die Oberfläche traten (und als die Zweite Internationale mit ihrem Opportunismus und Verrat zusammengebrochen war). Als Gegner des imperialistischen Krieges nahezu isoliert, suchte Lenin in den „philosophischen Nuancen“ Hegels die Methode, mit der man Ereignisse beurteilen kann, nicht nach ihren oberflächlichen Gesichtspunkten, sondern nach ihren wesentlichen Widersprüchen, Entwicklungssprüngen, Revolutionen, Negationen, Grenzüberschreitungen, Umwandlungen ins Gegenteil. Lenin fand bei Hegel, wenn man ihn materialistisch auffasst, hinreichende philosophische Rechtfertigung für seine Beurteilung, die drei Jahre später so eindrucksvoll bestätigt werden sollte, dass die Bedingungen für die proletarische Revolution herangereift waren.

Wie kein anderes Werk von Lenin legen diese Notizen zu Hegel seine tiefsten Gedankengänge offen, wenn er sich den Gedanken eines tiefgründigen und schwierigen Denkers durch den Kopf gehen lässt und daraus das Wesentliche herauszieht.

Der Rahmen des vorliegenden Artikels erlaubt nur ein oberflächliches und unzulängliches Eingehen auf den Kern der Philosophischen Hefte: den Begriff des Widerspruchs. Im Kampf gegen den Stalinismus ist dieser Begriff, wie er von Lenin ausgearbeitet wurde, von dreifacher Bedeutung. Stalins wohlbekannte Schrift Über dialektischen und historischen Materialismus hat grundlegendere und ernsthaftere philosophische Mängel als diejenigen, die Thompson in seinem Artikel erörtert (da sich Thompson auf den Abschnitt über den historischen Materialismus konzentriert), und man muss kurioserweise mit Lenins „philosophischen Nuancen“ vertraut sein, um sie zu verstehen und aufzudecken. Erstens betont der Abschnitt über die dialektische Methode den Kampf der Gegensätze, ignoriert aber ihre Einheit. Das ist besonders wichtig bei der Betrachtung der Kategorien der dialektischen Logik, die von Stalin trotz ihrer grundlegenden erkenntnistheoretischen Bedeutung ignoriert werden: Dies ist der zweite Mangel in der Schrift.[35] Und drittens findet darin die Negation der Negation keinerlei Erwähnung, möglicherweise weil man 1938 das Gefühl hatte, von ihr könnten unangenehme politische Wirkungen ausgehen (Schdanow erfand 1947 sogar ein neues dialektisches Gesetz, durch das sie vermutlich ersetzt werden sollte: das „Gesetz“ von Kritik und Selbstkritik).[36] Der Begriff des Widerspruchs, wie er in den Philosophischen Heften dargelegt wird, zeigt, wie diese drei von Stalin missachteten Aspekte der dialektischen Methode wesentlich sind für ein richtiges Verständnis dieser Methode.

Einheit der Gegensätze

Für Lenin war Dialektik „die Lehre, wie die Gegensätze identisch sein können und es sind (wie sie es werden) – unter welchen Bedingungen sie identisch sind, indem sie sich ineinander verwandeln –, warum der menschliche Verstand diese Gegensätze nicht als tote, erstarrte, sondern als lebendige, bedingte, bewegliche, sich ineinander verwandelnde auffassen soll“.[37]Subjektiv angewendet werde diese Geschmeidigkeit, Flexibilität, Elastizität des dialektischen Denkens zu Eklektizismus und Sophistik; objektiv angewendet, d. h. so, dass sie die Allseitigkeit und Einheit des materiellen Prozesses des Werdens widerspiegelt, sei sie die genaue, dialektische Widerspiegelung der ewigen Entwicklung der Welt.[38] Die Einheit der Gegensätze sei die „Anerkennung (Aufdeckung) widersprechender, einander ausschließender, gegensätzlicher Tendenzen in allen Erscheinungen und Vorgängen der Natur (darunter auch des Geistes und der Gesellschaft)“.[39] Dieser Seite der Dialektik werde, wie Lenin hervorhob, gewöhnlich nicht genügend Aufmerksamkeit geschenkt: Die Identität der Gegensätze sei keine Summe von Beispielen, sondern ein Gesetz der Erkenntnis und der objektiven Welt.[40]

Die Einheit der Gegensätze ist natürlich eine Abstraktion, und zwar auf einem außerordentlich hohen Niveau: Sie ist eines der allgemeinsten Gesetze des weltumfassenden Werdens. Das Wort „Einheit“ wird hier nicht im üblichen, sondern in einem speziellen, philosophischen Sinne gebraucht, der auch die Gedanken enthält von der Ganzheit (oder Unteilbarkeit) in einem einzigen Vorgang, von der gegenseitigen Durchdringung, der gegenseitigen Abhängigkeit, dem gegenseitigen Ineinander-Übergehen. Die Einheit der Gegensätze beinhaltet, dass die Existenz und Entwicklung eines jeden Gegensatzes die Bedingung für die Existenz und Entwicklung des anderen ist; dass unter gewissen Bedingungen jede Eigenschaft oder jeder Aspekt in sein Gegenteil umschlägt; und dass im Falle der Kategorien beide widersprüchlichen Aspekte weltumfassend auf jeder Ebene von Bewegung der Materie miteinander verflochten sind. Lenin hielt die Einheit der Gegensätze für bedingt, vorübergehend und relativ, den Kampf der Gegensätze für absolut, in dem Sinne, dass Entwicklung und Bewegung absolut seien. Entwicklung sei der Kampf von Gegensätzen; dieser Begriff von Entwicklung biete den Schlüssel zur Selbstbewegung alles Seienden, zu den Sprüngen, Kontinuitätsbrüchen und Verwandlungen ins Gegenteil, zur Zerstörung des Alten und zur Entstehung des Neuen.

Die Kategorien der dialektischen Logik

„Der Mensch steht vor einem Netz von Naturerscheinungen. Der instinktive Mensch, der Wilde, hebt sich nicht aus der Natur heraus. Der bewusste Mensch hebt sich heraus, die Kategorien sind Stufen des Heraushebens, d. h. der Erkenntnis der Welt, Knotenpunkte in dem Netz, die helfen, es zu erkennen und es sich zu eigen zu machen.“ [41]

So zeigt Lenin, dass diese abstraktesten der Begriffe, die Kategorien der dialektischen Logik (d. h. der dialektisch-materialistischen Erkenntnistheorie) von der Gesamtheit der konkreten, materiellen Welt abgeleitet und mit ihr verbunden sind. Die Kategorien, die vom Stalinismus in schändlicher Weise außer Acht gelassen werden, angeblich wegen ihrer „Schwerverständlichkeit“, aber in Wahrheit, weil sie den hölzernen Schematismus von Stalins berühmter Auslegung aufdecken, sind für jede wirklich dialektische Überlegung, Untersuchung und Forschung unerlässlich. Ohne sie können wir nicht richtig und genau denken, können wir mit der sich verändernden Wirklichkeit nicht zurechtkommen. Und gerade Lenin hat mehr als jeder andere Marxist diesen grundlegenden Aspekt der dialektischen Methode herausgearbeitet und uns, ausgehend von seiner eigenen Studienerfahrung, Hinweise hinterlassen, die Methode so zu studieren, dass die Elemente aller dialektischen Kategorien, die bereits in jeder These oder Erscheinung enthalten sind, aufgezeigt werden.

„Beginnen mit dem Einfachsten, Gewöhnlichsten, Massenhaftesten etc., mit einem beliebigen Satz: die Blätter des Baumes sind grün; Iwan ist ein Mensch; Shutschka ist ein Hund u. dgl. Schon hierin ist … Dialektik: Einzelnes ist Allgemeines… Somit sind die Gegensätze (das Einzelne ist dem Allgemeinen entgegengesetzt) identisch: das Einzelne existiert nicht anders als in dem Zusammenhang, der zum Allgemeinen führt. Das Allgemeine existiert nur im Einzelnen, durch das Einzelne. Jedes Einzelne ist (auf die eine oder andere Art) Allgemeines. Jedes Allgemeine ist (ein Teilchen oder eine Seite oder das Wesen) des Einzelnen. Jedes Allgemeine umfasst nur annähernd alle einzelnen Gegenstände. Jedes Einzelne geht unvollständig in das Allgemeine ein usw. usw. Jedes Einzelne hängt durch Tausende von Übergängen mit einer anderen Art Einzelner (Dinge, Erscheinungen, Prozesse) zusammen usw. Schon hier haben wir Elemente, Keime des Begriffes der Notwendigkeit, des objektiven Zusammenhangs in der Natur etc. Zufälliges und Notwendiges, Erscheinung und Wesen sind schon hier vorhanden, denn wenn wir sagen: Iwan ist ein Mensch, Shutschka ist ein Hund, dies ist ein Baumblatt usw., so lassen wir eine Reihe von Merkmalen als zufällige beiseite, trennen wir das Wesentliche vom Erscheinenden und stellen das eine dem anderen entgegen.

Auf diese Weise kann (und soll) man in jedem beliebigen Satz, wie in einer ,Zelle‘, die Keime aller Elemente der Dialektik aufdecken und so zeigen, dass der gesamten menschlichen Erkenntnis überhaupt die Dialektik eigen ist.“[42]

Von allen Kategorien scheint Lenin die Erscheinung und das Wesen (mit denen das Phänomen und das Gesetz eng verbunden sind) als wichtigste, reichhaltigste und ergiebigste angesehen zu haben. Die Einheit und der Kampf von Erscheinung und Wesen, als zwei Aspekte (oder „Momente“) der materiellen Wirklichkeit, führen uns unmittelbar zum Kern der dialektischen Methode als einer Methode des Denkens über Vorgänge auf eine Weise, dass wir von deren inneren Beziehungen und Gesetzmäßigkeiten immer mehr, und genauere, Kenntnis erlangen. Die Erscheinung verbirgt das Wesen und legt es gleichzeitig offen, denn: „Das Scheinende ist das Wesen in seiner einen Bestimmung, in einer seiner Seiten, in einem seiner Momente.“[43]

Dieser Gedanke leuchtet ein, wenn wir darüber ein wenig nachdenken. Bei der Untersuchung jeglicher Phänomene gehen wir von der oberflächlichen, wahrnehmenden Erkenntnis, Erkenntnis ihrer Erscheinung, zur Erkenntnis ihres Wesens über; diese wiederum wird für uns zu einer Erscheinung, die einen noch tieferen Wesensgehalt sowohl verbirgt als auch offenlegt. Oft dreht es sich bei der Lösung eines organisatorischen oder politischen Problems – z. B. der Analyse einer Situation, der Ausarbeitung einer Politik, der Bündelung von Kräften – darum, konkret zu entdecken, wie und warum das Wesen eines bestimmten Prozesses in einem bestimmten Stadium durch gewisse Ereignisse offengelegt und durch andere verdeckt wird. Wenn wir das Wesen erkennen, können wir die Erscheinung in einem neuen Licht sehen. Lenin gibt ein Beispiel: „die Bewegung eines Flusses – der Schaum oben und die tiefen Strömungen unten. Aber auch der Schaum ist ein Ausdruck des Wesens!“[44] Jedes Wesensmerkmal, jede Gesetzmäßigkeit, jede Notwendigkeit, die der Mensch entdeckt, ist für ihn eine Stufe in dem unendlichen Prozess, immer mehr Wissen über den weltumfassenden Prozess des Werdens in seiner Einheit, Verflechtung und wechselseitigen Abhängigkeit zu erlangen.

Es wäre falsch zu behaupten, dass sich Lenin lediglich das von Hegel herausgepickt hat, was nützlich war, ohne sein eigenes Denken auf materialistische Weise zu entwickeln. Die Dialektik von Erscheinung und Wesen zum Beispiel ist bei Lenin konkreter und dynamischer und daher dialektischer als bei Hegel. Für Hegel befanden sich Erscheinung und Wesen in einem logischen Nebeneinander. Für Lenin standen sie in stetiger dynamischer Wechselwirkung. Bisweilen finden wesentliche Widersprüche einen jähen – dramatischen und explosionsartigen – Ausdruck in der Erscheinung, wie zum Beispiel, wenn die kapitalistische Gesellschaft durch Kriege und Revolutionen erschüttert wird. Zu anderen Zeiten ist die Erscheinung der Schauplatz langsamer und allmählicher Veränderungen, hinter denen das Wesen verborgen bleibt. Mangelndes Verständnis dieser dialektischen Wechselwirkung ist größtenteils die Ursache der gegenwärtigen Verwirrung in den Köpfen von Berichterstattern und Kommentatoren bezüglich der Vorgänge in der UdSSR, die nur die Erscheinung der Dinge sehen, die diese missverstehen und die deshalb von irgendwelchen neuen und unerwarteten Wendungen der Ereignisse häufig verunsichert werden.

Die Negation der Negation

Das Gesetz von der Negation der Negation („Eine Entwicklung, die die bereits durchlaufenen Stadien gleichsam noch einmal durchmacht, aber anders, auf höherer Stufe … eine Entwicklung, die nicht geradlinig, sondern sozusagen in der Spirale vor sich geht“ [45]) ist grundlegend für ein richtiges Verständnis von der zutiefst widersprüchlichen Natur der Entwicklung in Stadien, von der Entstehung des neuen Widerspruchs aus dem alten, und von der Subsumtion, der Transzendenz, des „Aufhebens“ und „Aufbewahrens zugleich“ [46] vom Alten im Neuen. Von Stalin „abgeschafft“, wirkt dieses Gesetz hartnäckig in Natur und Gesellschaft weiter, selbst in der Sowjetunion.

Lenin hielt die Negation für das wichtigste Element der Dialektik:

„Nicht die bloße Negation, nicht die unnütze Negation, nicht das skeptische Negieren, Schwanken, Zweifeln ist charakteristisch und wesentlich in der Dialektik – die unzweifelhaft das Element der Negation, und zwar als ihr wichtigstes Element enthält –, nein, sondern die Negation als Moment des Zusammenhangs, als Moment der Entwicklung, bei Erhaltung des Positiven, d. h. ohne irgendwelche Schwankungen, ohne jeden Eklektizismus.“ [47]

Dialektisch verstanden ist Negation nicht bloß leeres Negieren, die Vernichtung und Zerstörung von etwas, sondern ist „ebensosehr positiv … die Negation ist ein bestimmtes Etwas, hat einen bestimmten Inhalt, die inneren Widersprüche führen zur Ersetzung des alten Inhalts durch einen neuen, höheren“.[48] Das Alte ist überholt, wenn es die Bedingungen für das Neue geschaffen hat, wenn es durch seine inneren Widersprüche über sich selbst, wie es war, hinausgetrieben, zu seiner „Negation“ gedrängt wurde; seine eigene Entwicklung führt zu seiner Negation; doch der im alten Stadium erreichte Fortschritt wird nicht zerstört, sondern im Neuen subsumiert, „aufgehoben“, überwunden und aufbewahrt.

Der Begriff der Negation ist sozusagen der Punkt, wo sich die dialektischen Gesetze von der Einheit und dem Kampf der Gegensätze und von dem Umschlagen von Quantität in Qualität überschneiden. Von einem Prozess sagt man, er werde negiert, wenn der Kampf der ihm innewohnenden Gegensätze ihn über seine qualitative Grenze hinaustreibt. Oft wird gesagt: „Alles trägt in sich den Samen der Zerstörung.“ Richtiger ist es, zu sagen: „seiner Negation“ – und wahrscheinlich noch richtiger: „Alles trägt in sich seine Negation.“ Denn die Negation ist das Neue, das im Schoße des Alten heranwächst und es schließlich ablöst.

Aber dies ist ein nie endender Prozess. Jedes neue Stadium wird mit der Zeit zum alten Stadium; jede Negation ist selber der Schauplatz neuer Widersprüche, der Nährboden einer neuen Negation, die unaufhaltsam zu einem neuen qualitativen Sprung vorwärts führt, zu einem noch höheren Entwicklungsstadium, wobei sie die in den früheren Stadien gemachten Fortschritte weiter trägt und dabei oftmals – auf einer höheren Ebene, bereichert durch die dazwischen liegende Entwicklung – ein schon durchlaufenes Stadium zu wiederholen scheint.

Die Negation der Negation ist somit ein weiteres „Aufheben“, ein weiteres Überwinden und Aufbewahren bereits durchlaufener Stadien im Neuen. Häufig kommt es auf einer höheren Ebene zu einer Rückkehr zum ursprünglichen Ausgangspunkt.

Allzu oft wurde die Negation der Negation als die „Gesamtheit von Beispielen“ – und dazu noch abgedroschener Beispiele – dargestellt. Beispiele müssen gegeben werden, doch das Gesetz ist eine Abstraktion, und sein Inhalt wird durch Beispiele weder erschöpft noch völlig klar gemacht, denn es ist ein universelles Gesetz der Natur, der Gesellschaft und der menschlichen Erkenntnis.

Das Entstehen von Klassen und die letztendliche Zerstörung des gesamten Gefüges der „primitiven“ kommunistischen Gesellschaft war eine Negation dieser Gesellschaft. Der Kommunismus wird in vielerlei Hinsicht eine Rückkehr zu den menschlichen Beziehungen und Einstellungen der „primitiven“ Gesellschaft im Weltmaßstab sein, bereichert durch all die wissenschaftlichen, technologischen und kulturellen Entdeckungen und Errungenschaften von fünftausend Jahren Klassengesellschaft: mit anderen Worten, die Negation der Klassengesellschaft, die Negation der Negation.

Altes Wissen wird ständig durch neues ersetzt – negiert, nicht zerstört. Hegel beschrieb den Prozess ziemlich gut. „So wälzt sich“, schrieb er, „das Erkennen von Inhalt zu Inhalt fort.“ Der Begriff „erhebt auf jede Stufe weiterer Bestimmung die ganze Masse seines vorhergehenden Inhalts und verliert durch sein dialektisches Fortgehen nicht nur nichts, noch lässt es etwas dahinten“.[49] „Dieser Auszug“, kommentierte Lenin, „gibt gar nicht übel eine Art Zusammenfassung dessen, was Dialektik ist.“ [50] Doch was Hegel als die Selbstentwicklung der Idee ansah, betrachtete Lenin als die Widerspiegelung der Entwicklung der materiellen Wirklichkeit in der sich unaufhörlich vertiefenden menschlichen Erkenntnis.

In jedem Prozess der Natur, der Gesellschaft und des Denkens finden wir in der einen oder anderen Form diese „Wiederholung bestimmter Züge, Eigenschaften etc. eines niederen Stadiums in einem höheren und die scheinbare Rückkehr zum Alten“.[51]

Methode

Sein „Sich-Verlieren in philosophischen Nuancen“ brachte Lenin zweimal dazu, die Elemente der dialektischen Methode vorläufig, aber höchst eindrucksvoll darzulegen. In Noch einmal über die Gewerkschaften, die gegenwärtige Lage und die Fehler Trotzkis und Bucharins (1921) werden die Anforderungen der dialektischen Logik unter vier Punkten dargelegt. Erstens: „Um einen Gegenstand wirklich zu kennen, muss man alle seine Seiten, alle Zusammenhänge und ,Vermittelungen‘ erfassen und erforschen.“ Zweitens sollten wir „den Gegenstand in seiner Entwicklung, in seiner ,Selbstbewegung‘ … in seiner Veränderung betrachte[n]… Drittens muss in die vollständige ,Definition‘ eines Gegenstandes die ganze menschliche Praxis sowohl als Kriterium der Wahrheit wie auch als praktische Determinante des Zusammenhangs eines Gegenstandes mit dem, was der Mensch braucht, eingehen. Viertens lehrt die dialektische Logik, dass es ,eine abstrakte Wahrheit nicht gibt, dass die Wahrheit immer konkret ist‘.“ [52]

In den Philosophischen Heften wird die dialektische Methode von einem anderen Standpunkt aus in sechzehn Punkten zusammengefasst, die, wenn auch knapp und nicht durch Beispiele veranschaulicht, eine höchst dialektische Darstellung dieser Methode sind:

„1) die Objektivität der Betrachtung (nicht Beispiele, nicht Abschweifungen, sondern das Ding an sich selbst).

2) die ganze Totalität der mannigfaltigen Beziehungen dieses Dinges zu den anderen.

3) die Entwicklung dieses Dinges (resp. der Erscheinung), seine eigene Bewegung, sein eigenes Leben.

4) die innerlich widersprechenden Tendenzen (und Seiten) in diesem Ding.

5) das Ding (die Erscheinung etc.) als Summe und Einheit der Gegensätze.

6) Kampf resp. Entfaltung dieser Gegensätze, der widersprechenden Bestrebungen etc.

7) Vereinigung von Analyse und Synthese – das Zerlegen in einzelne Teile und die Gesamtheit, die Summierung dieser Teile.

8) die Beziehungen jedes Dinges (jeder Erscheinung etc.) sind nicht nur mannigfaltig, sondern allgemein, universell. Jedes Ding (Erscheinung, Prozess etc.) ist mit jedem verbunden.

9) nicht nur Einheit der Gegensätze, sondern Übergänge jeder Bestimmung, Qualität, Eigenheit, Seite, Eigenschaft in jede andere (in ihren Gegensatz?).

10) unendlicher Prozess der Erschließung neuer Seiten, Beziehungen etc.

11) unendlicher Prozess der Vertiefung der Erkenntnis des Dinges, der Erscheinungen, Prozesse usw. durch den Menschen, von den Erscheinungen zum Wesen und vom weniger tiefen zum tieferen Wesen.

12) vom Nebeneinander zur Kausalität und von der einen Form des Zusammenhangs und der wechselseitigen Abhängigkeit zu einer anderen, tieferen, allgemeineren.

13) die Wiederholung bestimmter Züge, Eigenschaften etc. eines niederen Stadiums in einem höheren und

14) die scheinbare Rückkehr zum Alten (Negation der Negation)

15) Kampf des Inhalts mit der Form und umgekehrt. Abwerfen der Form, Umgestaltung des Inhalts.

16) Übergang der Quantität in die Qualität und vice versa.

((15 und 16 sind Beispiele von 9))“ [53]

Wem diese sechzehn „philosophischen Nuancen“ zu knapp vorkommen, der wird überall in den politischen Schriften Lenins praktische Beispiele ihrer konkreten Anwendung finden. „Dialektik“, schrieb er, „kann kurz als die Lehre von der Einheit der Gegensätze bestimmt werden. Damit wird der Kern der Dialektik erfasst sein, aber das muss erläutert und weiterentwickelt werden.“[54] Diese Erläuterung und Weiterentwicklung – materialistische Dialektik in Aktion – zeigen sich am konkretesten im Aufbau der bolschewistischen Partei, der Durchführung der Oktoberrevolution, der Leitung des Sowjetstaates und sogar noch in der Kampagne gegen die Bürokratie, die Lenin von seinem Krankenbett aus führte, bis der Tod ihn zum Schweigen brachte. Diejenigen, die Lenins Herangehensweise an die Probleme studieren, mit denen er im Laufe von drei Jahrzehnten politischer Aktivität konfrontiert war, studieren damit die meisterhafte Anwendung der dialektischen Methode bei der „konkrete[n] Analyse einer konkreten Situation“.

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Dieser Artikel hat das schöpferische Werk von Lenin als marxistischem Philosophen nur am Rande gestreift. Äußerst wichtige und aktuelle Gebiete, wie seine Ansichten zu Objektivität und Parteilichkeit und seine Lehre der sozioökonomischen Strukturen, wurden notgedrungen weggelassen, da dieser Artikel vor allem eine Polemik und keine Darlegung ist. Umgekehrt wurde nur ein sehr kleiner Teil von „Socialist Humanism“ behandelt: nur ein paar Seiten von achtunddreißig. Es gibt auf den anderen sechsunddreißig Seiten viele Denkanstöße (und viel Vortreffliches). Doch die hier behandelte Passage wirft Fragen auf, die für den Marxismus grundlegend sind, und „ein Löffel Teer verdirbt ein ganzes Fass Honig“. Oder wie jemand einmal bemerkte: „Irrtum unwidersprochen zu lassen bedeutet der intellektuellen Unmoral Vorschub zu leisten.“


Anmerkungen

1. The New Reasoner, Jg. 1, Nr. 1, Sommer 1957, S. 132–135 Zurück

2. Materialismus und Empiriokritizismus, Lenin Werke Bd. 14, S. 83 Zurück

3. Siehe z. B. Das Kapital Bd. 1, Nachwort zur zweiten Auflage, Marx/Engels Werke (MEW) Bd. 23, S. 27; Dialektik der Natur, MEW Bd. 20, S. 334; Anti-Dühring, MEW Bd. 20, S. 33 Zurück

4. Dennoch sollte die „Einzigartigkeit“ menschlichen Denkens nicht überbewertet werden. Auf seinen elementareren Abstraktionsebenen unterscheidet es sich nur graduell von den mentalen Prozessen der höheren Lebewesen. Zurück

5. Lenin Werke Bd. 38, S. 141 Zurück

6. Thompson betritt hier – auch wenn er sich dessen nicht bewusst sein mag – kein Neuland, sein Angriff auf die marxistisch-leninistische Widerspiegelungstheorie wurde zwei Jahre zuvor von M. Merleau-Ponty, Professor am Collège de France, in einem Buch mit dem Titel Les Aventures de la Dialectique [Die Abenteuer der Dialektik] vorweggenommen, in dem er diese Theorie eine „Rückkehr zum naiven Realismus“ nannte. Zurück

7. Lenin Werke Bd. 38, S. 185 Zurück

8. Lenin Werke Bd. 38, S. 213 Zurück

9. Lenin Werke Bd. 38, S. 353 Zurück

10. Lenin Werke Bd. 38, S. 172 Zurück

11. Lenin Werke Bd. 38, S. 203. Dieses und Dutzende ähnlicher Zitate, die man den Philosophischen Heften entnehmen kann, scheinen mir den zweiten „Trugschluss“, den Thompson entdeckt, in nichts aufzulösen: „die wiederholte, pathetisch vorgetragene Behauptung, dass die materielle Wirklichkeit ‚primär‘ und ‚Bewusstsein, Denken, Empfindung‘ ‚sekundär‘, ‚abgeleitet‘ sind“. Thompson bemerkt: „Teilweise wahr; doch wir müssen uns vor den emotionalen Untertönen hüten, dass deswegen das Denken weniger wichtig sei als die materielle Wirklichkeit.“ Dies sind die Worte eines „teilweisen“ Materialisten. Die Behauptung, dass das Bewusstsein sekundär und abgeleitet ist, sagt nichts über seine Wichtigkeit, sondern lediglich etwas über seinen Ursprung aus. Zurück

12. Hier tritt Thompson abermals in die Fußstapfen von … M. Merleau-Ponty, der den historischen Materialismus dadurch karikiert, dass er von „ökonomischem Determinismus“ schreibt, von der „Ableitung der gesamten Kultur aus der Ökonomie“, von angeblichen marxistischen Anforderungen, dass die Kulturgeschichte immer streng „parallel zur politischen Geschichte“ verlaufen und die Kunst nach „unmittelbaren politischen Kriterien“ und nach „der politischen Konformität des Autors“ beurteilt werden müsse. Zurück

13. Auch wenn „die Wechselwirkung zwischen gesellschaftlicher Umwelt und bewusstem Handeln … für ihr Denken zentral war“ und obwohl Marx selber „die Vernachlässigung der Tätigkeit“ als „die Schwäche des mechanischen Materialismus“ ansah. Dieses offensichtliche Paradox zu erklären versucht Thompson gar nicht erst. Zurück

14. Zur Kritik der politischen Ökonomie, MEW Bd. 13, S. 9 Zurück

15. ebd.; vgl. Das Kapital Bd. 1, MEW Bd. 23, S. 93/94 Zurück

16. MEW Bd. 39, S. 96; vgl. auch Engels an Bloch am 21./22. September 1890: „Dass von den Jüngeren zuweilen mehr Gewicht auf die ökonomische Seite gelegt wird, als ihr zukommt, haben Marx und ich teilweise selbst verschulden müssen. Wir hatten, den Gegnern gegenüber, das von diesen geleugnete Hauptprinzip zu betonen, und da war nicht immer Zeit, Ort und Gelegenheit, die übrigen an der Wechselwirkung beteiligten Momente zu ihrem Recht kommen zu lassen.“ (MEW Bd. 37, S. 465) Zurück

17. Einleitung zur Kritik der politischen Ökonomie, MEW Bd. 13, S. 640 Zurück

18. Lenin Werke Bd. 15, S. 197–201 Zurück

19. „Engels an Franz Mehring“, 14. Juli 1893, MEW Bd. 39, S. 98 Zurück

20. Georg Lukács, Studies in European Realism (1950), S. 93 Zurück

21. vgl. Die Deutsche Ideologie, MEW Bd. 3, S. 39 Zurück

22. Was tun? Lenin Werke Bd. 5, S. 379 Zurück

23. Materialismus und Empiriokritizismus, Lenin Werke Bd. 14, S. 185 Zurück

24. ebd., S. 328/329 Zurück

25. Lenin Werke Bd. 38, S. 213 Zurück

26. Anti-Dühring, MEW Bd. 20, S. 106 Zurück

27. Lenin Werke Bd. 38, S. 142 Zurück

28. Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie, MEW Bd. 21, S. 296 Zurück

29. Karl Marx, Lenin Werke Bd. 21, S. 45/46 Zurück

30. „Wenn das Proletariat die Auflösung der bisherigen Weltordnung verkündet, so spricht es nur das Geheimnis seines eignen Daseins aus, denn es ist die faktische Auflösung dieser Weltordnung“ – Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Einleitung, MEW Bd. 1, S. 391. Vgl. auch Das Elend der Philosophie, MEW Bd. 4, S. 143: „Aber in dem Maße, wie die Geschichte vorschreitet und mit ihr der Kampf des Proletariats sich deutlicher abzeichnet, haben sie nicht mehr nötig, die Wissenschaft in ihrem Kopfe zu suchen; sie haben nur sich Rechenschaft abzulegen von dem, was sich vor ihren Augen abspielt, und sich zum Organ desselben zu machen.“ Zurück

31. Materialismus und Empiriokritizismus, Lenin Werke Bd. 14, S. 329 Zurück

32. ebd., Lenin Werke Bd. 14, S. 187 Zurück

33. Anti-Dühring, MEW Bd. 20, S. 264 Zurück

34. Materialismus und Empiriokritizismus, Lenin Werke Bd. 14, S. 241 Zurück

35. Nach Stalins Tod fand eine gewisse „Rehabilitierung“ der dialektischen Kategorien in sowjetischen philosophischen Schriften statt. Siehe z. B. G. Gak, „Die Kategorien der materialistischen Dialektik“, Kommunist Nr. 13, 1954, aus dem Russischen ins Französische übersetzt in Recherches Soviétiques Nr. 1, 1956, S. 33–57 Zurück

36. Diese drei Mängel sind nicht die einzigen, die in dem Kapitel zur Dialektik zu finden sind. Zum Beispiel werden die vier sogenannten „Grundzüge der marxistischen dialektischen Methode“ schematisch dargelegt, als hätten sie die gleiche methodologische Bedeutung, und die Frage des qualitativen Sprungs wird plump und verwirrend dargestellt. Fünfzehn Jahre lang war diese Broschüre für Millionen Menschen die erste – und oft einzige – Darstellung der marxistischen Philosophie, was sehr schade ist. Die materialistische Dialektik ist viel dialektischer, als sie in Stalins aufpolierter Zeitungsartikelserie aus dem Jahre 1906 zu erkennen ist. Zurück

37. Lenin Werke Bd. 38, S. 99 Zurück

38. ebd., S. 100 Zurück

39. ebd., S. 339 Zurück

40. ebd., S. 338 Zurück

41. ebd., S. 85 Zurück

42. ebd., S. 340–343 Zurück

43. ebd., S. 122. Ein „Moment“ ist ein aktiver Bestimmungsfaktor bei einem Vorgang. Zurück

44. ebd., S. 119 Zurück

45. Karl Marx, Lenin Werke Bd. 21, S. 42/43 Zurück

46. Lenin Werke Bd. 38, S. 98. „Aufheben hat in der Sprache den gedoppelten Sinn, dass es soviel als aufbewahren, erhalten bedeutet und zugleich soviel als aufhören lassen, ein Ende machen.“ – Hegel, Wissenschaft der Logik, Erster Teil, Verlag von Felix Meiner, Hamburg, 1971, S. 94 Zurück

47. Lenin Werke Bd. 38, S. 218 Zurück

48. ebd., S. 89 Zurück

49. Hegel, Wissenschaft der Logik, Zweiter Teil, Verlag von Felix Meiner, Hamburg, 1969, S. 502 Zurück

50. Lenin Werke Bd. 38, S. 223 Zurück

51. ebd., S. 214 Zurück

52. Lenin Werke Bd. 32, S. 85 Zurück

53. Lenin Werke Bd. 38, S. 212–214 Zurück

54. ebd., S. 214 Zurück