Spartacist (deutsche Ausgabe) Nummer 24

Sommer 2004

Vierzig Jahre Spartacist

„Vorwärts zur Wiedergeburt der Vierten Internationale“


ÜBERSETZT AUS SPARTACIST, ENGLISCHE AUSGABE NR. 58, FRÜHJAHR 2004

Die erste [englische] Ausgabe des Spartacist, datiert vom Februar/März 1964, erschien vor vierzig Jahren. Zu der Zeit war Spartacist die Zeitschrift der Revolutionary Tendency (RT), die im Dezember 1963 aus der rasch degenerierenden Socialist Workers Party (SWP) der Vereinigten Staaten ausgeschlossen worden war. Unser Name und unser Ziel sind in der einführenden Stellungnahme der Redaktion erläutert:

„Wir haben als Zeitschriftentitel Spartacist gewählt, nach dem Namen des Spartakusbundes unter Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, dem revolutionären linken Flügel während des Ersten Weltkriegs in Deutschland. Die deutschen Spartakisten führten in Kriegszeiten einen mutigen Kampf gegen ihre imperialistischen Herrscher und mussten zudem Schritt für Schritt ihres Weges gegen die degenerierte, patriotische Mehrheitssozialdemokratie ihrer Zeit kämpfen.

Anfang der 30er-Jahre wählte die trotzkistische Jugend in den USA den Namen Young Spartacus für ihre Zeitung, die in exemplarischer Weise das Verfechten revolutionärer Ideen mit Richtlinien zum Handeln verband. Auch heute stellen wir uns als höchstes Ziel für unsere Arbeit, dass sie des Namens würdig ist, den wir ausgewählt haben für unser Bestreben, den Standpunkt des konsequenten Trotzkismus zu vertreten — des echten revolutionären Marxismus unserer Epoche.“

Anfänglich arbeiteten die Spartacist-Anhänger als ausgeschlossene öffentliche Fraktion der zentristischen SWP und strebten die Wiederaufnahme in die Partei an. Der endgültige Sprung der SWP vom Zentrismus zum Reformismus fand Ende 1965 statt, als sie jegliche Überreste des proletarischen Klassenkampfes gegen den Vietnamkrieg über Bord warf, um stattdessen in einer klassenlosen „Friedens“bewegung einen Block mit Pazifisten und Liberalen der Demokratischen Partei anzustreben. Die Spartacist League/U.S., deren Zeitschrift Spartacist war, wurde 1966 gegründet. Als wir dann international einige Gleichgesinnte gewannen und Anfang der 70er-Jahre aus unserer akut empfundenen (und notwendigerweise deformierend wirkenden) nationalen Isolierung ausbrachen, wurde Spartacist mit der [englischen] Ausgabe Nr. 23 (Frühjahr 1977) zur Zeitschrift der internationalen Spartacist Tendenz, die 1989 ihren Namen in Internationale Kommunistische Liga (Vierte Internationalisten) änderte. Spartacist wird jetzt vom Internationalen Exekutivkomitee der IKL in vier verschiedenen Sprachen veröffentlicht (Englisch, Französisch, Deutsch und Spanisch).

Zu Ehren unseres vierzigsten Jahrestages drucken wir hier den Artikel „Vorwärts zur Wiedergeburt der Vierten Internationale“ nach, der in Spartacist Nr. 1 erschienen ist. Dieses Dokument wurde von der RT verfasst und der SWP-Konferenz 1963 vorgelegt. Als eine Stellungnahme für revolutionäre marxistische Prinzipien und Ziele gegen den pabloistischen Revisionismus, der 1951–1953 Trotzkis Vierte Internationale zerstört hatte, hat sich „Vorwärts zur Wiedergeburt der Vierten Internationale“ im Laufe der Zeit mehr als bewährt, trotz der gewaltigen politischen Veränderungen in der Welt.

Die Nachkriegsordnung war in fast ganz Osteuropa, das unter sowjetischer Besatzung stand, durch die Entstehung von bürokratisch deformierten Arbeiterstaaten gekennzeichnet, die auch (als Ergebnis stalinistisch geführter bäuerlicher Guerilla-Aufstände) in Jugoslawien, China, Nordkorea und Nordvietnam gegründet wurden. In großen Teilen der kolonialen Welt brachen Unabhängigkeitskämpfe aus. Im Januar 1959 stürzten Fidel Castro und seine kleinbürgerlichen Guerillakämpfer der Bewegung des 26. Juli die US-gestützte Batista-Diktatur. Konfrontiert mit anwachsender US-imperialistischer Feindschaft verband sich die Castro-Regierung mit der Sowjetunion und nationalisierte vom August 1960 an große Teile der kubanischen Wirtschaft, womit sie die Bourgeoisie vertrieb und einen deformierten Arbeiterstaat gründete. Dass ein kleines Land, das nicht einmal 150 km von der Küste Floridas entfernt liegt, es geschafft hatte, dem Yankee-Koloss mit der Faust zu drohen und eine soziale Umwandlung zu verwirklichen, war für eine Generation radikalisierter Jugendlicher auf der ganzen Welt eine Inspiration.

Auf den Ausbruch des Kalten Krieges 1947/48 und die Ausbreitung des Stalinismus reagierte der damalige Führer der Vierten Internationale, Michel Pablo, impressionistisch, indem er den Kampf für den Aufbau von trotzkistischen Parteien aufgab, die das Proletariat im Kampf für die sozialistische Revolution international anführen (siehe „Ursprünge des Pabloismus“, Spartacist, deutsche Ausgabe Nr. 3, März 1975). Pablo gab das Programm der politischen Revolution zum Sturz der stalinistischen Bürokratien in der UdSSR und Osteuropa preis, indem er beharrlich behauptete, ein Prozess der „Selbstreform“ werde letztendlich die bürokratische Deformierung dieser Staaten beseitigen. Er bestand darauf, die „Kräfteverhältnisse“ würden sich international gegen den Imperialismus wenden, und behauptete: „Der objektive Prozess ist letzten Endes der einzige bestimmende Faktor, der alle Hindernisse subjektiver Art aufwiegt“ — d.h. dass eine bewusste, programmatische leninistische Avantgarde unnötig wäre („Wohin gehen wir?“, Januar 1951). Pablo schloss daraus, dass stalinistische und andere reformistische Parteien eine annähernd revolutionäre Perspektive verfolgen könnten und es die Aufgabe von Trotzkisten wäre, in solche Parteien einzutreten und diese in eine revolutionäre Richtung zu drängen. Tatsächlich wurde die Vierte Internationale durch Pablos Perspektive des „tiefen Entrismus“ zerstört.

Schon 1960 diente in Belgien Pablos Hauptverbündeter Ernest Mandel als Ratgeber und Verteidiger von André Renard, einem linksreformistischen Gewerkschaftsbürokraten. Pablo selbst wurde in Algerien zu einem Berater der bürgerlich-nationalistischen Regierung der Nationalen Befreiungsfront (FLN — Front de libération nationale), nachdem das Land 1962 die Unabhängigkeit von Frankreich errungen hatte. In dieser Funktion half er mit, die Dekrete über die „Selbstverwaltung“ zu schreiben, mit denen die algerische Arbeiterbewegung in den bürgerlichen Staatsapparat integriert und den Massenbesetzungen der Fabriken und des Grundbesitzes die Spitze abgebrochen wurde, die nach der neu errungenen Unabhängigkeit durch Algerien fegten.

Die SWP-Führung unter James P. Cannon war — wenn auch nur teilweise und verspätet — gegen Pablos Liquidatorentum aufgetreten. Die SWP und die anderen trotzkistischen Kräfte, die sich Pablo entgegenstellten — hauptsächlich Gerry Healys Gruppe in Britannien und die Mehrheit der französischen Trotzkisten, die die Organisation communiste internationaliste (OCI) gründeten —, gruppierten sich zum „Internationalen Komitee“ (IK) um, das auf den Prinzipien des „orthodoxen Trotzkismus“ basierte. Von Anfang an war das IK nur auf dem Papier eine Internationale.

Mit ihrer Reaktion auf die Kubanische Revolution 1960 übernahm die SWP die gleiche liquidatorische Methodik wie Pablo. Die SWP erklärte die Castro-Führung zum faktischen Pendant der revolutionären Bolschewiki unter Lenin und Trotzki. Tatsächlich hatte die Bewegung des 26. Juli sich mit den kubanischen Stalinisten vereinigt und ein bürokratisches Regime errichtet, das demjenigen in der UdSSR, China und Osteuropa wesensgleich war. Schon früher hatte das Castro-Regime den Schriftsatz für eine kubanische Ausgabe von Trotzkis Die permanente Revolution zerstört; 1963 verhaftete es dann fünf kubanische Trotzkisten, die mit der hauptsächlich in Lateinamerika vorhandenen Tendenz von Juan Posadas liiert waren (siehe „Freedom for Cuban Trotskyists!“, Spartacist, englische Ausgabe Nr. 3, Januar/Februar 1965). In einer Resolution des Politischen Komitees (PC) ließ die SWP-Mehrheit die qualitative Unterscheidung zwischen einem deformierten Arbeiterstaat und einem proletarischen Staat — der auf Arbeiterdemokratie in der Form gewählter Arbeiterräte beruht — fallen. Diese Resolution „For Early Reunification of the World Trotskyist Movement“ [Für eine baldige Wiedervereinigung der trotzkistischen Weltbewegung] wurde auf der Konferenz 1963 eingereicht und erklärt:

„Das Entstehen eines Arbeiterstaats in Kuba — dessen genaue Form noch nicht absehbar ist — ist von besonderem Interesse, da die Revolution dort unter einer Führung stattfand, die vollständig unabhängig von der Schule des Stalinismus ist. In ihrer Entwicklung in Richtung revolutionären Marxismus weist die Bewegung des 26. Juli ein Entwicklungsschema auf, das jetzt für eine Reihe von anderen Ländern beispielhaft ist...

(13) Im Laufe einer Revolution, die mit einfachen demokratischen Forderungen beginnt und zum Bruch kapitalistischer Eigentumsverhältnisse führt, kann ein von landlosen Bauern und halbproletarischen Kräften ausgetragener Guerilla-Krieg unter einer Führung, die sich entschließt, die Revolution bis zu Ende durchzuführen, entscheidend beitragen zur Unterminierung einer kolonialen oder halbkolonialen Macht bzw. sogar deren Untergang auslösen. Dies gehört zu den Hauptlehren der Erfahrung seit dem Zweiten Weltkrieg und muss bewusst in die Strategie zum Aufbau revolutionärer marxistischer Parteien in Kolonialländern eingebaut werden.“

Discussion Bulletin der SWP, Bd. 24, Nr. 9 (April 1963)

Absatz 15 unseres Artikels „Vorwärts zur Wiedergeburt der Vierten Internationale“ wurde explizit im Gegensatz zum Absatz 13 des Dokuments des Politischen Komitees konzipiert.

Gegründet in Opposition zur Weigerung der SWP, für eine trotzkistische Partei in Kuba zu kämpfen, trat die RT gegen die Wiedervereinigung mit dem Internationalen Sekretariat unter Pablo/Mandel auf, die später zum Vereinigten Sekretariat (VS) führte. Genauso die britische Sektion des IK, Gerry Healys Socialist Labor League (SLL). Am Anfang stand die RT in politischer Solidarität mit der SLL auf der Basis deren Dokuments von 1961, „World Prospect for Socialism“, einer machtvollen Darstellung des proletarischen und internationalistischen marxistischen Ziels.

Die RT wusste allerdings noch nicht, dass Healy ein prinzipienloser politischer Bandit war. 1962 versuchte Healy in der Meinung, es bestehe immer noch eine Chance, die SWP im IK zu behalten, die RT-Kader zu überreden, ihre Auffassung öffentlich zu widerrufen, dass die SWP zentristisch geworden war. Die Mehrheit der RT weigerte sich, aber eine Minderheit unter Tim Wohlforth spaltete sich ab und gründete eine Healy-freundliche „Reorganized Minority Tendency“. Diese prinzipienlose Spaltung in der RT schadete dem Kampf für den authentischen Trotzkismus in der SWP sehr. Im Gegensatz zu Healy machte die RT klar, dass sie als eine disziplinierte Tendenz innerhalb der neuen, vereinigten internationalen Formation arbeiten würde, falls eine Mehrheit innerhalb der SWP eine Wiedervereinigung unterstützte. Als aber Ende 1963 die Wiedervereinigung dann zustande kam, schloss die SWP-Führung die RT aus. Healy und die französische OCI entschieden sich, das papierne Internationale Komitee beizubehalten, anstatt innerhalb des neuen VS den Revisionismus zu bekämpfen.

Die Weltbewegung ist es teuer zu stehen gekommen, dass das IK keinen gründlichen und prinzipienfesten Kampf gegen den Pabolismus führte. Während die SWP immer mehr im offenen Reformismus versackte, jagten die Mandel-Anhänger einem Ersatz für eine bewusste trotzkistische Avantgarde nach dem anderen hinterher. Als im Mai 1968 der Generalstreik in Frankreich schlagend die Ansicht widerlegte, dass die revolutionäre Fähigkeit des Proletariats im Westen durch einen angeblich beispiellosen wirtschaftlichen Nachkriegsboom neutralisiert worden sei, verschoben die Mandelianer ihre Gunst vom Drittwelt-Stalinismus zu einer Reihe abwechselnder und sich überschneidender „neuer Massenavantgarden“. Von jeher schnitt das VS seine Politik auf das vorherrschende kleinbürgerliche Bewusstsein zu, anstatt es zu bekämpfen, es vergeudete damit eine Generation angehender marxistischer Revolutionäre und reihte sich schließlich in die antisowjetischen „Menschenrechts“kampagnen ein. Gerade weil wir gegen den Strom schwammen, sind wir in der Lage gewesen, den Kader für die internationale Ausweitung der Spartacist-Tendenz in den 70er-Jahren zusammenzuschließen.

Der Haupttheoretiker des revisionistischen Kurses der SWP, Joseph Hansen, nannte sowohl den deformierten Arbeiterstaat Kuba unter Fidel Castro als auch die neokoloniale kapitalistische Regierung von Ben Bella in Algerien „Arbeiter- und Bauernregierung“. Zur historischen Rechtfertigung bezog sich Hansen auf die konfuse Diskussion zur Losung der Arbeiterregierung beim IV. Weltkongress der Kommunistischen Internationale 1922 (siehe „Zur Wiederbewaffnung des Bolschewismus. Eine trotzkistische Kritik: Deutschland 1923 und die Komintern“, Spartacist, deutsche Ausgabe Nr. 22, Sommer 2001). Hansens theoretisches Konstrukt einer Regierung von unentschiedenem Klasseninhalt, die sich angeblich von selbst graduell in die Diktatur des Proletariats verwandelt, macht den grundlegenden Daseinszweck einer revolutionären marxistischen Partei zunichte: die Arbeiterklasse davon zu überzeugen, dass sie kämpfen muss, um den kapitalistischen Staat zu zerschlagen und ihren eigenen Staat zu errichten.

Einer der führenden Gründungskader der RT und der Spartacist League, James Robertson, hatte 1961 in einem weitblickenden Dokument die SWP-Mehrheit gefragt:

„Was wollt ihr, Genossen? Nehmt die Verwendung der Übergangslosung ,Arbeiter- und Bauernregierung’. Sie besitzt schon Übergangscharakter, indem sie eine Brücke ist, aber Brücken führen in zwei Richtungen. Entweder ist die Arbeiter- und Bauernregierung die Hauptforderung der Trotzkisten, mit der sie die Arbeiter und Bauern dringend auffordern, durch ihre Massenorganisationen die Macht in ihre eigenen Hände zu nehmen — d.h. der Kampf für Rätemacht (in dieser Weise haben die kubanischen Trotzkisten sie benutzt); oder sie ist ein Etikett, das man von ferne der vorhandenen Regierung aufklebt und das daher — und nicht zum ersten Mal — als orthodox klingende Formel dazu dient, die Vollendung der proletarischen Revolution zu umgehen und eine Revolution ,von oben’ durch Führer zu rechtfertigen, ,deren eine Hauptschwierigkeit darin besteht, der Arbeiterklasse ein Gefühl der revolutionären sozialen Verantwortung einzuflößen’.

Kurz gefasst, wird die Kubanische Revolution über die Brücke zur Sowjetmacht vorwärts schreiten oder wird die Mehrheit der amerikanischen SWP sich nach rückwärts wenden?“

—James Robertson, „A Note on the Current Discussion — Labels and Purposes“ [Eine Bemerkung zur gegenwärtigen Diskussion — Etiketten und Ziele], Discussion Bulletin der SWP, Bd. 22, Nr. 16 (Juni 1961)

Für die SWP war das Konstrukt einer „Arbeiter- und Bauernregierung“ die Brücke zur Versöhnung mit der kapitalistischen Ordnung. Aber aus den Reihen der SWP kamen die Kräfte für die Regeneration des revolutionären Marxismus. Spartacist führt das Erbe der RT heute fort.

 

Vorwärts zur Wiedergeburt der Vierten Internationale

RESOLUTIONSANTRAG ÜBER DIE WELTBEWEGUNG, von der Revolutionary Tendency auf der SWP-Konferenz von 1963 eingebracht. Übersetzt aus Marxist Bulletin Nr. 9, Teil I; überarbeitete Fassung der ursprünglichen deutschen Übersetzung, erschienen in Spartacist, deutsche Ausgabe Nr. 1, Frühling 1974.

EINLEITUNG

1. Seit nunmehr 15 Jahren wird die von Leo Trotzki gegründete Bewegung durch eine tief gehende theoretische, politische und organisatorische Krise zerrissen. Äußere Erscheinungsform dieser Krise ist das Verschwinden der Vierten Internationale als organisatorisches Gefüge. In der Folge hat sich die Bewegung in eine erhebliche Anzahl von Grüppchen zurückverwandelt, die nominell drei Tendenzen untergeordnet sind: dem „Internationalen Komitee“, dem „Internationalen Sekretariat (Pablo)“, und dem „Internationalen Sekretariat (Posadas)“. Oberflächliche Politiker möchten diese Krise mittels einer organisatorischen Formel wegzaubern: „Einheit“ all derjenigen Grüppchen, die bereit sind, sich auf einem als kleinsten gemeinsamen Nenner konzipierten Programm zu vereinigen — ein Vorschlag, der die eigentlichen politischen und theoretischen Ursachen der Krise nicht bloß vernebeln, sondern sogar verschärfen würde.

2. Das Aufkommen des pabloistischen Revisionismus deutete auf die Ursache hin, die der Krise unserer Bewegung zugrunde liegt: das Fallenlassen einer proletarisch-revolutionären Perspektive. Unter dem Einfluss einer relativen Stabilisierung des Kapitalismus in den westlichen Industriestaaten sowie der Teilerfolge einiger kleinbürgerlicher Bewegungen, die in einzelnen rückständigen Ländern die Herrschaft des Imperialismus stürzten, hat die revisionistische Tendenz innerhalb der trotzkistischen Bewegung eine Orientierung weg vom Proletariat hin zu diesen kleinbürgerlichen Führungen entwickelt. Die Wandlung des Trotzkismus in einen linken Satelliten der bestehenden Führungen der Arbeiter und der kolonialen Revolutionen bei klassisch zentristischer verbaler Orthodoxie zeigt sich vornehmlich bei Pablo, ist aber keineswegs auf ihn oder auf seine organisatorische Fraktion beschränkt. Im Gegenteil: Die Feuerproben der Kubanischen und der Algerischen Revolution beweisen, dass solche zentristischen Tendenzen auch in gewissen der Fraktion Pablos ursprünglich feindlich gesinnten Gruppen weit verbreitet sind.

3. Hinter den Vorschlägen für eine baldige Wiedervereinigung der zentristischen Gruppen innerhalb der trotzkistischen Bewegung steht eine einleuchtende und mächtige Logik. Eine auf zentristischer Politik beruhende „Wiedervereinigung“ kann aber keineswegs mit der Wiederherstellung der Vierten Internationale gleichgesetzt werden. Im Kampf für die Vierte Internationale geht es um ein Programm, das die marxistische Perspektive einer Revolution der Arbeiterklasse verkörpert. Zugegeben, zumindest als abstrakte Formeln sind die Grundprinzipien der Bewegung nicht formal geleugnet worden. Dennoch hat die Preisgabe einer revolutionären Perspektive seitens der Revisionisten die programmatischen Grundlagen unserer Bewegung konkret in Frage gestellt.

4. Kern der Auseinandersetzungen innerhalb der trotzkistischen Bewegung ist die Frage der Haltung des Proletariats sowie der Elemente seiner revolutionären Avantgarde gegenüber den bestehenden kleinbürgerlichen Führungen der Arbeiterbewegung, der deformierten Arbeiterstaaten und der kolonialen Revolution. Das Wesen der revolutionären Perspektive des Marxismus besteht in dem Kampf um die Klassenunabhängigkeit der Arbeiter von allen nichtproletarischen Kräften; bestimmende politische Richtschnur und theoretischer Maßstab ist dabei die Arbeiterdemokratie, deren höchste Form die Arbeitermacht ist. Dieses Grundprinzip lässt sich auf alle Länder anwenden, in denen das Proletariat fähig geworden ist, eine unabhängige Politik zu betreiben — lediglich die Form, in der sich die Frage stellt, ändert sich von Land zu Land. Selbstverständlich sind es dann diese Formen, die für die praktische Intervention der Marxisten bestimmend sind.

EUROPA

5. Anders als die Revisionisten jeglicher Couleur behaupten, haben die Belebung und der seit langem anhaltende Wohlstand des europäischen Kapitalismus keineswegs eine verfestigt konservative Arbeiterbewegung hervorgebracht. In Wirklichkeit steht das europäische Proletariat, was seine Stärke, seinen Zusammenhalt, seine kulturelle Entwicklung und seine potenzielle Kampfbereitschaft betrifft, auf höherem Niveau als je zuvor. Die Niederlage, die die französischen Bergarbeiter de Gaulle zufügten, sowie der andauernde und zur Zeit beschleunigte Linksruck bei den Wahlen in den bürgerlich-demokratischen Ländern Europas (am auffallendsten in Italien, Großbritannien und der BRD) veranschaulichen dieses Phänomen.

6. Die Versuche europäischer Arbeiter, über ökonomische Teilkämpfe hinauszugehen bis zur sozialistischen Umwandlung der Gesellschaft, sind durch den verräterischen Widerstand der Gewerkschaftsbürokratie vereitelt worden. Die vier Jahre Reaktion in Frankreich nach der Machtergreifung de Gaulles werfen ein starkes Licht auf den furchtbaren Preis, den die Arbeiter immer noch für die Duldung dieser Irreführer bezahlen müssen. Der belgische Generalstreik hat dann nochmals demonstriert, dass „linke“ Bürokraten vom Schlage eines Renard ebenfalls alles nur Mögliche tun werden, um eine die Herrschaft des Kapitals gefährdende Bewegung aufzuhalten bzw. von ihrem Ziel abzulenken. Indes beweisen die Ereignisse in Frankreich und Belgien das spontane Streben der Arbeiter nach einem Kampf gegen die Kapitalistenklasse, einem Kampf, der zeitweise zu einer offenen Konfrontation mit dem System führt.

7. Aufgabe der Trotzkisten in der Arbeiterbewegung Europas ist es, eine alternative Führung innerhalb der bestehenden Massenorganisationen (Gewerkschaften und in bestimmten Fällen Parteien) aufzubauen. Die Marxisten müssen aber zu jeder Zeit im Rahmen der betreffenden organisatorischen Form ihre politische und programmatische Unabhängigkeit nicht bloß erhalten, sondern auch ausüben. Richtig und sogar zwingend erforderlich ist es, Gruppierungen innerhalb der Arbeiterbürokratie zu unterstützen, insofern diese wesentliche Interessen der Arbeiterklasse verteidigen oder klassenkämpferische Tendenzen innerhalb der Arbeiterbewegung ausdrücken, wobei diese Unterstützung aber immer nur eine bedingte und kritische sein darf. Sobald der Klassenkampf das Stadium erreicht, wo die „linken“ Bürokraten eine reaktionäre Rolle spielen (was unvermeidlich ist), müssen die Marxisten sie sofort und offen bekämpfen. In krassem Widerspruch zu einer marxistischen Einstellung zur Gewerkschaftsbürokratie steht somit das Verhalten der zentristischen Tendenz um die belgische Zeitschrift La Gauche: Diese Leute haben während des Generalstreiks die richtige Parole eines Marsches auf Brüssel zurückgezogen, um nicht mit Renard brechen zu müssen.

8. Die objektiven Aussichten für die Entwicklung der trotzkistischen Bewegung in Europa sind glänzend: Viele der kämpferischsten jungen Aktivisten aller Länder, die den zynischen karrieristischen Routinismus der stalinistischen und sozialdemokratischen Bürokraten verwerfen, suchen ernsthaft nach einer sozialistischen Perspektive. Sie können zu einer Bewegung gewonnen werden, die sie praktisch und theoretisch überzeugt, dass sie ihnen eine derartige Perspektive bietet. Die Strukturwandlungen, die eine Folge der Integration Europas sind, werfen sowohl die Frage der Arbeiterdemokratie wie die der Unabhängigkeit der politischen und wirtschaftlichen Organe der Arbeiterklasse als Alternative zur staatlichen Kontrolle über die Arbeiterbewegung auf; dabei treiben sie die Arbeiterklasse zu immer bedeutenderen Klassenkämpfen an. Wenn es unter diesen objektiven Bedingungen nicht zu einem rapiden Anwachsen der westeuropäischen Trotzkisten kommt, wird ihr Scheitern daran liegen, dass sie die Perspektive des Kampfes um das Programm der Arbeiterdemokratie zugunsten einer revisionistischen Existenz als Anhängsel der Gewerkschaftsführung preisgegeben haben.

DER SOWJETBLOCK

9. Seit dem Zweiten Weltkrieg geht die Entwicklung der Länder Osteuropas zu modernen Industriestaaten ständig voran. Mit dem Wachstum des Proletariats der deformierten Arbeiterstaaten und dem Anstieg seines Lebensstandards und kulturellen Niveaus verschärft sich auch der unaufhebbare Konflikt zwischen der Arbeiterklasse und der totalitären stalinistischen Bürokratie. Trotz der Niederlage der Ungarischen Revolution hat das Proletariat des Sowjetblocks einschneidende Reformen errungen, die seine Gedankenfreiheit und seinen Handlungsspielraum wesentlich erweitert haben. Diese Reformen weisen aber keineswegs auf einen „Reformprozess“ oder „Entstalinisierungsprozess“ hin: Sie wurden nur widerwillig von der nicht reformierbaren Bürokratie gewährt, werden von der Fraktion der „Erben Stalins“ permanent angegriffen und sind ständig gefährdet, solange die bürokratische stalinistische Herrschaft fortdauert. Diese Zugeständnisse sind somit nur als Vorschule des Proletariats für die Niederwerfung der Bürokratie von historischer Bedeutung. Eine echte Entstalinisierung ist nur durch politische Revolution erreichbar.

10. Eine neue, revolutionäre Führung entsteht jetzt aus den Reihen der proletarischen Jugend des Sowjetblocks. Inspirationsquellen dieser neuen Generation, die dabei ist, das Programm der Arbeiterdemokratie sowohl zu formulieren wie auch im Kampfe zu verwenden, sind die unauslöschbare leninistische Tradition und die unmittelbaren, greifbaren Bedürfnisse der Arbeiterklasse. Bemerkenswert ist hierzu die Aussage eines erfahrenen Teilnehmers am sowjetischen Studentenleben über den fundamentalen Charakter eines Großteils der Opposition unter der sowjetischen Jugend: „Gerade weil er Marxist-Leninist ist, ist der sowjetische Student weit unzufriedener, als wenn er ein angelsächsischer Pragmatiker wäre“ (David Burg in einem New-York-Times-Interview). Die Trotzkisten können als direkte Fortsetzer der früheren Ära zu diesem Kampf Unentbehrliches beitragen: das Konzept der internationalen Partei und eines Übergangsprogramms, das zur Durchführung der politischen Revolution unentbehrlich ist. Eine zentrale praktische Tätigkeit jeder internationalen Führung, die ihres Namens würdig ist, muss es sein, die Herausbildung einer revolutionären Führung im Sowjetblock durch persönlichen und ideologischen Kontakt zu unterstützen.

KOLONIALE REVOLUTION

11. Die programmatische Bedeutung der Arbeiterdemokratie ist am größten in den rückständigen, ehemals kolonialen Gebieten der Welt. Gerade in diesem Sektor zieht das Programm der Arbeiterdemokratie die allerklarste Trennungslinie zwischen revolutionären und revisionistischen Tendenzen. In allen diesen Ländern ist für die Arbeiterklasse der Kampf um bürgerlich-demokratische Rechte (Redefreiheit, Organisations- und Streikrecht, freie Wahlen) von großer Wichtigkeit, weil dadurch die Grundlage für den fortgeschrittenen Kampf um proletarische Demokratie und Arbeitermacht gelegt wird (Arbeiterkontrolle der Produktion, eine auf Arbeiter- und Bauernräten beruhende Staatsmacht).

12. Die Theorie der permanenten Revolution, einer der Grundpfeiler unserer Bewegung, erklärt, dass in der modernen Welt die bürgerlich-demokratische Revolution nur zu Ende geführt werden kann durch den Sieg und die Ausweitung der proletarischen Revolution — durch die Arbeiterdemokratie. Sämtliche Erfahrungen in den kolonialen Ländern haben diese Theorie vollkommen bestätigt und die offenkundigen inneren Widersprüche bloßgelegt, die ständig den jeweiligen Stand der kolonialen Revolution gegenüber dem Imperialismus erschüttern. Gerade in jenen Staaten, wo die bürgerlichen Ziele der nationalen Unabhängigkeit und Agrarreform am vollkommensten verwirklicht worden sind, fehlen ungeachtet der sozialen Errungenschaften die demokratischen politischen Rechte der Arbeiter und Bauern. Das gilt besonders für diejenigen Länder, in denen die koloniale Revolution zur Gründung deformierter Arbeiterstaaten geführt hat: China, Nordvietnam ... und Kuba. Die Bilanz ist also bis dato ein vereitelter Erfolg, entweder in Wahrheit inhaltsleer, wie bei den Neokolonien nach afrikanischem Muster, oder wie in China zutiefst deformiert und beschränkt. Dieser gegenwärtige Ausgang beruht auf der Vorherrschaft bestimmter Klassenkräfte bei den kolonialen Umwälzungen sowie auf den diesen Klassenkräften entsprechenden Kampfformen. Diesen Formen ist — trotz aller scheinbarer Verschiedenheiten — gemeinsam, dass sie ausschließlich „von oben her“ dem Kampf auferlegt sind, d.h. innerhalb eines Rahmens, der sich vom Parlamentarismus bis zum bürokratischen Militarismus erstreckt. Dementsprechend sind die an diesen Kämpfen beteiligten Klassenkräfte entweder bürgerlichen oder kleinbürgerlichen Charakters gewesen. Weil die bürgerlich-demokratische Revolution nicht zu Ende geführt wurde, ist ein Komplex von Antagonismen entstanden, der zu einer Gegenüberstellung der Klassen führt. Die kleinbürgerlichen Führungen, die durch bürokratische Formen und empirische Methoden gekennzeichnet sind, nehmen Aufstellung gegen die Teilnahme der Arbeiter als Klasse an dem Kampf. Die Beteiligung der Arbeiterklasse hat aber notwendigerweise das Erringen der Arbeiterdemokratie zum Ziel, was die Führung dieses Kampfes durch eine ihrer historischen Mission programmatisch bewusste, revolutionäre proletarische Avantgarde voraussetzt. Indem die Arbeiterklasse eine Vorrangstelle in diesem Kampf gewinnt und die unterdrückteren Schichten des Kleinbürgertums ins Schlepptau nimmt, wird die permanente Revolution vorwärts getrieben.

13. Die Kubanische Revolution hat das weit reichende Eindringen des Revisionismus in unsere Bewegung bloßgelegt. Unter dem Vorwand einer Verteidigung der Kubanischen Revolution, für unsere Bewegung an und für sich obligatorisch, hat man das Castro-Regime bedingungslos und unkritisch unterstützt trotz seines kleinbürgerlichen Charakters und seines bürokratischen Vorgehens. Dabei ist die Gegnerschaft dieses Regimes gegenüber den demokratischen Rechten der kubanischen Arbeiter und Bauern weiterhin offensichtlich: der bürokratische Rauswurf demokratisch gewählter Führer der Arbeiterbewegung aus ihren Positionen, um sie durch stalinistische Mietlinge zu ersetzen; die Unterdrückung der trotzkistischen Presse; Proklamierung eines Einparteiensystems und dergleichen noch viel mehr. Seite an Seite damit existieren die ursprünglichen ungeheuren sozialen und wirtschaftlichen Errungenschaften der Kubanischen Revolution. Deswegen sind die Trotzkisten sowohl die kampfbereitesten wie auch die bedingungslosesten Verteidiger der Kubanischen Revolution und des aus ihr entstandenen deformierten Arbeiterstaates gegen den Imperialismus. Trotzkisten geben aber keinerlei Vertrauen oder politische Unterstützung (auch nicht der allerkritischsten Art) an ein Regime, das den elementarsten Prinzipien und Bräuchen der Arbeiterdemokratie feindlich gegenübersteht, selbst wenn wir rein taktisch anders als bei einer schon gefestigten bürokratischen Kaste vorgehen.

14. Was für die Haltung der Revisionisten zum Castro-Regime gilt, zeigt sich sogar noch deutlicher in Bezug auf das Ben-Bella-Regime, das jetzt im Namen einer „sozialistischen“ Revolution in Zusammenarbeit mit dem französischen Imperialismus Algerien regiert. Nur die willentlich Blinden können den antiproletarischen Charakter dieser kleinbürgerlichen Gruppe verleugnen, die sich die Arbeiterbewegung gewaltsam unterworfen hat und alle Oppositionsparteien unterdrückt. Selbst die weitgehenden Nationalisierungen und der Aufbau von Selbstverwaltungskomitees können, sobald man diese im größeren Zusammenhang der politischen Entrechtung der Arbeiter und der Orientierung auf eine wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Frankreich betrachtet, Algerien nicht den Charakter eines Arbeiterstaates verleihen; im Gegenteil, es bleibt ein rückständiges kapitalistisches Land, das durch einen hohen Grad von Verstaatlichung gekennzeichnet ist. Unsere Pflicht als Revolutionäre ist es also, in beiden Revolutionen ebenso wie in jedem schon bestehenden Staat mit der Position Trotzkis zu intervenieren: „Wir sind keine Regierungspartei; wir sind eine Partei der unversöhnlichen Opposition“ (Verteidigung des Marxismus). Erst bei einer auf echter Arbeiterdemokratie basierenden Regierung gilt dieses Prinzip nicht mehr.

15. Die Ereignisse seit dem Zweiten Weltkrieg haben bewiesen, dass ein Guerillakrieg mit bäuerlicher Basis und unter kleinbürgerlicher Führung bestenfalls ein antiproletarisches, bürokratisches Regime hervorbringen kann. Solche Regime entstanden unter den Bedingungen des Niedergangs des Imperialismus, der Demoralisierung und Desorientierung durch den wiederholten Verrat der Stalinisten und des Fehlens einer revolutionär-marxistischen Führung der Arbeiterklasse. Die koloniale Revolution bekommt erst unter einer solchen Führung des revolutionären Proletariats einen eindeutig progressiven Charakter. Wenn Trotzkisten also Revisionismus in Bezug auf die proletarische Führung der Revolution in ihre Strategie einführen, dann ist das eine fundamentale Leugnung des Marxismus-Leninismus, egal wie viele noch so fromme Wünsche dabei über den „Aufbau revolutionär-marxistischer Parteien in Kolonialländern“ geäußert werden. Marxisten müssen sich der abenteuerlichen Bejahung des bäuerlichen Guerilla-Wegs zum Sozialismus — historisch verwandt mit dem von Lenin bekämpften taktischen Programm der Sozialrevolutionäre — entschlossen entgegenstellen. Diese Alternative wäre selbstmörderisch für die sozialistischen Ziele der Bewegung und unter Umständen auch für die Abenteurer selbst.

16. In den rückständigen Ländern, wo das Proletariat schon als Klasse existiert, ist das Grundprinzip des Trotzkismus die Unabhängigkeit der Arbeiterklasse, ihrer Gewerkschaften und ihrer Parteien, die einen unversöhnlichen Kampf gegen den Imperialismus, gegen jedwede nationale liberale Bourgeoisie und gegen kleinbürgerliche Regierungen und Parteien jeder Art führen müssen, auch wenn diese sich zum „Sozialismus“ und sogar zum „Marxismus“ bekennen. Erst auf diese Weise kann man den Boden bereiten für die Hegemonie der Arbeiterklasse im revolutionären Bündnis mit den unterdrückten Schichten des Kleinbürgertums, insbesondere der Bauernschaft. Ebenso ist es als klares Zeichen des zentristischen Opportunismus anzusehen, wenn in einem entwickelten Land eine Arbeiterpartei die Klassensolidarität mit den Arbeitern eines rückständigen Landes bricht, indem sie einer kleinbürgerlichen kolonialrevolutionären Regierung politische Unterstützung gewährt; und die Weigerung, eine koloniale Revolution wegen des nichtproletarischen Charakters ihrer Führung zu verteidigen, muss als Sektierertum oder noch Schlimmeres angesehen werden.

17. Die im Gründungsprogramm der Vierten Internationale festgehaltene Wechselbeziehung zwischen bürgerlich-demokratischen und proletarisch-demokratischen Kämpfen in der kolonialen Revolution behält also heute noch volle Gültigkeit:

„Es geht nicht an, das demokratische Programm einfach zu verwerfen: Die Massen müssen im Kampf über dieses Programm hinauswachsen. Die Losung der Nationalen (oder Verfassungsgebenden) Versammlung bleibt in Ländern wie China und Indien vollauf in Kraft. Diese Losung gilt es, unauflöslich mit den Aufgaben der nationalen Befreiung und der Bodenreform zu verbinden. Zunächst muß man die Arbeiter mit diesem demokratischen Programm ausrüsten. Sie allein können die Bauern aufrütteln und zusammenschließen. Auf der Grundlage des revolutionär-demokratischen Programms gilt es, die Arbeiter in Gegensatz zur ,nationalen’ Bourgeoisie zu bringen.

Auf einer gewissen Stufe der Massenmobilisierung unter den Losungen der revolutionären Demokratie können und müssen Räte entstehen. Ihre geschichtliche Rolle in jeder gegebenen Periode, insbesondere ihr Verhältnis zur Nationalversammlung, wird durch das politische Niveau des Proletariats, die Verbindung zwischen ihm und der Bauernschaft und den Charakter der Politik der proletarischen Partei bestimmt. Früher oder später müssen die Räte die bürgerliche Demokratie stürzen. Nur sie sind imstande, die demokratische Revolution zu Ende zu führen und damit die Ära der sozialistischen Revolution einzuleiten.

Das relative Gewicht der verschiedenen demokratischen und Übergangsforderungen im Kampf des Proletariats, ihre wechselseitige Verbindung und ihre Reihenfolge sind durch die Eigentümlichkeiten und besonderen Bedingungen jedes rückständigen Landes, in erheblichem Maße durch den Grad seiner Rückständigkeit bestimmt. Doch kann die allgemeine Richtung der revolutionären Entwicklung in allen rückständigen Ländern mit der Formel der permanenten Revolution gekennzeichnet werden, in dem Sinne, den ihr die drei Revolutionen in Rußland (1905, Februar 1917, Oktober 1917) verliehen haben.“

—L. Trotzki, Der Todeskampf des Kapitalismus und die Aufgaben der Vierten Internationale

SCHLUSSFOLGERUNGEN

18. Die Aufgabe der internationalen revolutionär-marxistischen Bewegung besteht heute darin, wieder ein wirkliches Dasein zu begründen. Als allgemein gültige internationale Leitlinie ist folglich die Losung „Gewinnung der Massen“ eine qualitative Übertreibung. Heute entspringen die Aufgaben der meisten trotzkistischen Sektionen und Gruppen eher der Notwendigkeit des Kampfes gegen den Revisionismus, um politische Klärung zu erreichen, und zwar im Rahmen eines Arbeitsniveaus, das im allgemeinen bei vorbereitender Propaganda bleibt. Bei dieser Vorbereitung unentbehrlich sind Entwicklung und Vertiefung unserer Wurzeln in der breiteren Arbeiterbewegung, ohne die die Trotzkisten entweder zu steriler Isolierung oder politischer Entartung in Perioden aufsteigenden Klassenkampfes verdammt wären; in beiden Fällen wäre es dann unmöglich, unsere historische Aufgabe zu erfüllen, die Arbeiterklasse zur Ergreifung der Staatsmacht zu führen. Unsere Hauptaufgabe kann und muss darin bestehen, eine auf starken nationalen Sektionen fußende Weltpartei aufzubauen, indem wir einen kampfbereiten Arbeiterkader schmieden, der in Klassenkämpfen gewonnen und geprüft wurde und auf der revolutionären Perspektive der Vierten Internationale basiert, dem Programm, die Arbeiterdemokratie — deren Endziel die Arbeitermacht ist — zu verwirklichen. Eine detaillierte Darlegung dieser Grundsätze, einschließlich ihrer Opposition gegen den Pabloismus und ihrer Relevanz in den USA, findet sich in der Erklärung der [SWP-]Minderheit, „In Defense of a Revolutionary Perspective“ [Zur Verteidigung einer revolutionären Perspektive] (Discussion Bulletin der SWP, Bd. 23, Nr. 4, Juli 1962, übersetzt in Spartacist, deutsche Ausgabe Nr. 4, August 1976).

19. Eine „Wiedervereinigung“ der trotzkistischen Bewegung auf der zentristischen Basis des Pabloismus oder einer seiner Abarten würde einen Schritt weg von der echten Wiedergeburt der Vierten Internationale bedeuten. Falls aber die Mehrheit der gegenwärtig bestehenden trotzkistischen Gruppen dennoch auf der Durchführung dieser „Wiedervereinigung“ besteht, so darf die revolutionäre Tendenz der Weltbewegung diesen Kadern nicht den Rücken kehren. Im Gegenteil: Es wäre unbedingt notwendig, mit ihnen diese Erfahrung durchzumachen. Die revolutionäre Tendenz würde als Minderheitsfraktion dieser „wiedervereinigten“ Bewegung beitreten, mit der Perspektive der Gewinnung der Mehrheit zum Programm der Arbeiterdemokratie. Anpassung an den pabloistischen Revisionismus kann unmöglich die Vierte Internationale wiedergebären: Erst ein politischer und theoretischer Kampf gegen alle Formen des Zentrismus kann endlich die Weltpartei der sozialistischen Revolution errichten.

14. Juni 1963