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Spartakist Nummer 191 |
Januar 2012 |
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„Occupy Wall Street‟:
Kapitalistische Krise entfacht populistische Proteste
Enteignet die Bourgeoisie durch Arbeiterrevolution!
Folgender Artikel erschien in Workers Vanguard Nr. 989, 28. Oktober 2011, Zeitung unserer Genossen der Spartacist League/U.S. Mitte November wurde das Camp im Zuccotti Park brutal von den Bullen geräumt.
New York, 25. Oktober – Seit über einem Monat kampiert eine bunt zusammengesetzte Gruppe von Demonstranten, von Studenten über Arbeitslose bis zu langjährigen liberalen Aktivisten, im Zuccotti Park im Südzipfel Manhattans unter dem Banner „Occupy Wall Street“ [Besetzt die Wall Street] (OWS). Angesichts der weitverbreiteten Wut über die Profitgier der Konzerne, über Massenarbeitslosigkeit und krasse wirtschaftliche Ungleichheit traf OWS einen Nerv; zu Versammlungen und Demonstrationen in New York City kamen von mehreren Hundert bis zu über 10 000 Menschen.
Ähnliche Besetzungen gab es in der Folge in Boston, Chicago, Los Angeles und vielen anderen großen und kleinen Städten im ganzen Land, obwohl die Polizei wiederholt die Demonstranten angriff und viele verhaftete. In Solidarität mit der OWS-Bewegung, die wiederum selbst durch die „Indignados“ (die Empörten) in Spanien und Griechenland inspiriert worden war, gingen am 15. Oktober in ganz Europa und anderswo Hunderttausende auf die Straße. Heute umstellten in den frühen Morgenstunden hunderte Bullen in Kampfausrüstung unter Einsatz von Blendgranaten, Tränengas und Schlagstöcken die Zeltstadt „Occupy Oakland“ auf dem Frank Ogawa Plaza. Hubschrauber beleuchteten die Szenerie mit starken Suchscheinwerfern, und dann legten die Bullen los, rissen das Camp nieder und verhafteten mehr als 75 Leute. Weg mit allen Anklagen gegen die Demonstranten, von Oakland bis New York!
Drei Jahre nach Beginn der tiefen und fortdauernden Wirtschaftskrise trafen die OWS-Proteste wirklich einen Nerv in breiten Teilen der Bevölkerung. Obdachlosenheime sind zum Bersten gefüllt. Auf Collegestudenten und -absolventen lastet ein riesiger Schuldenberg, und ihre Zukunft sieht zunehmend trostlos aus. Vielen der Arbeiter, denen es gelang, ihre Jobs zu behalten, wurden Lohnkürzungen reingewürgt, ihre Sozialleistungen landeten im Reißwolf und ihre Renten wurden von den Bossen und Bankiers geplündert. Die Gewerkschaften bekommen schwere Schläge ab, und so haben viele Arbeiter die OWS-Proteste als eine Möglichkeit begrüßt, ihre eigene Wut rauszulassen. Der Großteil der herrschenden Kapitalistenklasse agiert wie Banditen mit vorgehaltener Pistole, und das Weiße Haus unter Obama – ebenso wie zuvor unter George W. Bush – kippt den Banken und Autokonzernen Hunderte Milliarden Dollar als Auslösesummen in den Schoß. Ein Demonstrant in Phoenix, der die Schnauze voll hatte von den Lügen der Regierung, von Kriegen im Ausland, dem Verbot von Marihuana und der steigenden Arbeitslosigkeit, sagte: „Die Probleme der ganzen Welt wälzen sich den Berg runter, und ganz unten stehe ich.“
Viele der jungen Besetzer nehmen das erste Mal an einem politischen Protest teil, und viele sind enthusiastisch über dessen angebliche Demokratie und „Graswurzel“-Ursprünge. Sie sehen die Möglichkeit, etwas zu tun – irgendwas zu tun gegen das, was ihnen und so vielen anderen passiert. Die OWS-Organisatoren rühmen sich zwar damit, keine klare politische Tagesordnung, Zugehörigkeit und noch nicht mal einen festgelegten Satz von Forderungen zu haben, aber ein Programm haben sie doch: liberale Reform des kapitalistischen Finanzsektors. Sie appellieren patriotisch an die angeblichen demokratischen Werte dieses Landes und haben Losungen wie: „Wir sind die 99 Prozent“, „Besteuert die Reichen“ und „Banken werden gerettet, wir werden ausverkauft“. Ihr Programm läuft wie das der Populisten vor mehr als einem Jahrhundert auf das Ziel hinaus, eine Regierung zu wählen, die die Interessen des kleinen Mannes gegen die „Räuberbarone“ der Wall Street verteidigen soll.
Es stimmt nicht, dass 99 Prozent der Bevölkerung gemeinsame Interessen haben. Es gibt eine grundlegende Klassenspaltung in der Gesellschaft zwischen den Kapitalisten – der winzigen Gruppe von Familien, denen die Industrie und die Banken gehören – und der Arbeiterklasse, deren Arbeit die Quelle der Profite der Kapitalisten ist. Die Arbeiterklasse ist unter den „99 Prozent“ nicht einfach ein Opfer der kapitalistischen Kahlschlagpolitk unter vielen anderen. Sie ist die einzige Kraft mit der potenziellen Macht und dem historischen Interesse, das kapitalistische System wegzufegen und die Gesellschaft auf Basis einer zentralisierten, geplanten Wirtschaft neu aufzubauen.
Bei unseren Interventionen in New York und überall im Land kämpfen die Spartacist League und die Spartacus Youth Clubs darum, Militante für das marxistische Verständnis zu gewinnen, dass der kapitalistische Staat nicht reformiert werden kann, um den Interessen der Arbeiter und der Armen zu dienen, sondern durch proletarische Revolution zerschlagen werden muss. Um Armut, Unterdrückung und imperialistischen Krieg zu beenden, ist die internationale Herrschaft der Arbeiterklasse nötig, die den Weg bereitet zu einer sozialistischen Weltgesellschaft. Wir Trotzkisten sind der Aufgabe verpflichtet, eine revolutionäre Arbeiterpartei aufzubauen, die diesen Kampf organisiert und führt. Unser Vorbild ist die bolschewistische Partei von W. I. Lenin und Leo Trotzki, die in der Russischen Revolution vom Oktober 1917 die Arbeiter an die Macht führte.
Unsere marxistische Perspektive ist diametral entgegengesetzt zum OWS-Programm des liberalen bürgerlichen Populismus, der sich in Rot-Weiß-Blau hüllt, wie man an den vielen US-Fahnen sehen kann, die im Zuccotti Park wehen. Als ein Sprecher der Spartacist League bei einer kürzlichen OWS-Generalversammlung die Präsenz des Banners des US-Imperialismus anprangerte – „Das ist die Fahne, mit der man Hiroshima und Nagasaki bombardierte! Das ist die Fahne, mit der man Vietnam bombardierte und angriff! Das ist die Fahne, in der Menschen weltweit ein Symbol für Unterdrückung sehen!“ –, rief das tatsächlich Protest hervor.
Auch wenn die OWS-Organisatoren das Gegenteil behaupten, weist die vorherrschende Politik der Proteste direkt auf Unterstützung der Demokratischen Partei hin, die ebenso sehr wie die Republikaner eine Partei der kapitalistischen Ausbeuter ist. Ein Funktionär der Demokraten bemerkte kürzlich über die Proteste: „Klar, da gab’s auch verrücktes Anarchie-Zeugs, aber im Allgemeinen mögen die Demokraten die Botschaft [von OWS] über die Wall Street und dass Rechenschaft abgelegt werden muss.“ Er fügte hinzu: „Das überlappt sich mit unserer eigenen Botschaft.“ Tatsächlich ist es so, dass Obama die Beschwerden von OWS in seine Wahlreden einbezieht und gleichzeitig Wasserträger der Demokratischen Partei wie MoveOn.org damit beschäftigt sind, OWS-Aktionen zu organisieren, um verärgerte Wähler zurück in den Schoß der Demokraten zu holen. Gleichzeitig sind einige Strategen der Demokratischen Partei besorgt, ein Ankoppeln an die Proteste könne einige ihrer finanziellen Unterstützer befremden. Der Kampf für die politische Unabhängigkeit der Arbeiter von allen bürgerlichen Parteien – Demokraten, Republikaner und Grüne – ist für ihre Mobilisierung im Klassenkampf gegen die verfaulende kapitalistische Ordnung entscheidend.
Organisatoren der Proteste verkünden den „Glauben, dass der amerikanische Traum wieder auferstehen wird“ (wie eine der OWS-Websites sagte), und argumentieren, die Regierung – das Exekutivkomitee der herrschenden Klasse insgesamt – sollte etwas Gutes tun, z. B. die Banken regulieren. Für Jugendliche, die nach revolutionären Antworten suchen, ist das eine Sackgasse. Die amerikanische Demokratie ist die Demokratie der Kapitalistenklasse, deren Herrschaft auf brutaler Ausbeutung der Arbeiter, mörderischer Unterdrückung von Schwarzen und anderen Minderheiten und imperialistischen Plünderzügen in der ganzen Welt basiert. Malcolm X, Kämpfer in den 1960ern, sagte: „Ich bin einer von 22 Millionen Schwarzen, die Opfer des Amerikanismus sind. Einer von 22 Millionen Schwarzen, die Opfer der Demokratie sind, nichts anderes als versteckte Heuchelei… Ich sehe keinen amerikanischen Traum; ich sehe einen amerikanischen Alptraum“ („The Ballot or the Bullet“, 3. April 1964).
Amerikanischer Populismus und die Demokratische Partei
Der Appell an den einfachen Mann auf der Straße gegen die Finanzwelt hat in der amerikanischen bürgerlichen Politik eine lange Geschichte. 1892 klagte die Plattform der Populistischen Partei scharf das „Goldene Zeitalter“ [„Gilded Age“, Blütezeit der amerikanischen Wirtschaft gegen Ende des 19. Jahrhunderts] an: „Die Früchte der harten Arbeit von Millionen werden dreist gestohlen, um riesige Vermögen für ein paar wenige anzuhäufen, wie noch nie in der Geschichte der Menschheit.“ Die Populisten wollten den Despotismus der „wenigen“ nicht abschaffen, sondern nur abschwächen, die Macht einschränken und die Privilegien der Industrie- und Finanzmagnaten verringern. Die Bewegung erreichte ihren Höhepunkt 1896, als die Demokraten vorgeblich ihre Ziele übernahmen und der populistische Führer William Jennings Bryan von den Demokraten zum Präsidentschaftskandidaten ernannt wurde; im November verlor er gegen den Republikaner William McKinley.
Die Populisten waren ursprünglich eine multirassische Bewegung, ihr gehörten sowohl arme weiße und schwarze Farmer als auch kleine Geschäftsleute an. Aber die heroischen Anstrengungen ihrer Organisatoren im Süden erlitten eine Niederlage, als die örtliche herrschende Klasse eine Welle rassistischer Demagogie und Gewalt lostrat. Viele populistische Führer wie Tom Watson in Georgia wendeten sich gegen arme Schwarze und vertraten offen Rassismus. Viele taten das, um sich eine Nische in der Demokratischen Partei im Süden zu schaffen, die mittels des Jim-Crow-Systems der tief verwurzelten Rassentrennung durch Polizeistaatsterror herrschte, unterstützt durch die außerlegale Gewalt des Ku Klux Klan. Andererseits gehörten der populistischen Bewegung auch Leute an, die später eine zentrale Rolle in der Arbeiter- und sozialistischen Bewegung spielten.
Die populistische Bewegung tauchte in der Periode auf, als sich die USA darauf vorbereiteten, auf der Weltbühne als imperialistische Macht aufzutreten, eines von einer Handvoll fortgeschrittener kapitalistischer Länder, deren Konkurrenzkampf um Ausbeutungssphären auf der ganzen Welt zu den Verwüstungen zweier Weltkriege und zahlloser Kolonialkriege führte. Lenin beschrieb, dass Imperialismus die höchste Stufe des Kapitalismus ist: Die Wirtschaft wird von Monopolen beherrscht, das Kapital der großen Banken vereint sich mit dem Kapital von Industriekonzernen.
Dieses zentral wichtige Verständnis wird von populistischer Ideologie völlig vernebelt. Wie wir in unserer Artikelreihe von 1997/98 „Wall Street and the War Against Labor“ [Die Wall Street und der Kampf gegen die Arbeiter] schrieben:
„Der liberalen populistischen Sicht liegt zentral der Glaube zugrunde, dass die Kapitalistenklasse sozusagen in zwei Klassen geteilt sei: diejenigen, die direkt damit befasst sind, Waren und Dienste zu produzieren und zu vermarkten, und diejenigen, deren Einkommen aus Finanzgeschäften herrührt. Erstere werden als zumindest relativ progressiv angesehen, letztere als völlig reaktionär…
Die gemeinsamen Interessen aller Elemente der amerikanischen Kapitalistenklasse – seien es nun Investmentbankiers an der Wall Street, Fabrikanten im Mittleren Westen, Erdölleute in Texas oder Agrarunternehmer in Kalifornien – sind qualitativ größer und bedeutsamer als ihre Differenzen. Alle wollen sie die Ausbeutung der Arbeitskraft maximieren und die Kosten von Sozialprogrammen der Regierung minimieren.“ (abgedruckt in der Spartacist-Broschüre von 2009: Karl Marx Was Right: Capitalist Anarchy and the Immiseration of the Working Class)
Kern der populistischen Proteste, damals und heute, ist die Kleinbourgeoisie, eine heterogene, weit auseinanderklaffende Gesellschaftsschicht, der u. a. Studenten, Freiberufler, höhere Angestellte und kleine Geschäftsleute angehören. Die Kleinbourgeoisie hat weder soziale Macht noch eine eigene Klassenperspektive und ist daher unfähig, eine Alternative zum Kapitalismus anzubieten. Der Trotzkist James Burnham schrieb in den 30er-Jahren, während einer früheren Periode von ökonomischer Krise und massiver Unzufriedenheit: „Die Mittelklassen suchen einen Ausweg aus ihrer Sackgasse. Aber einen eigenständigen Ausweg gibt es für sie nicht. Und letztlich stehen sie, als Ganzes oder als Teil, vor der endgültigen Wahl: sich hinter einer der Hauptklassen der Gesellschaft und deren Programm zu stellen, auf die Seite der Bourgeoisie oder die des Proletariats zu schwenken“ (The People’s Front: The New Betrayal [Die Volksfront: Der neue Verrat], 1937).
Ein typisches Beispiel ist Adbusters, das kanadische Magazin, von dem der ursprüngliche Aufruf zu einer Besetzung der Wall Street stammt. Diese Gruppe, die „gegen die Konzerne“ sein will, hat Gelder der Tides Foundation erhalten – eine Verrechnungsstelle für die Stiftungen von Ford und Gates. Aber Adbusters nimmt nicht nur Geld von den fetten Bonzen an; sie betreiben ihren eigenen „Graswurzel-Kapitalismus“ – die Produktion von Sportschuhen, die sie als „ethisch“ bejubeln. Fragt die Arbeiter in Pakistan, die diese Kicker „ohne Logo“ für einen armseligen örtlichen Minimallohn produzieren, ob es sich menschlicher anfühlt, mit Hanf statt mit Nylon Sklavenarbeit zu verrichten.
Die kapitalistischen Herrscher haben ihre Polizeischläger gegen die „Occupy“-Proteste losgeschickt, obwohl diese Bewegung die Funktion des Profitsystems gar nicht behindert. Wenn Arbeiter durch Streiks und andere Aktionen den Profitfluss stoppen, sieht die Sache völlig anders aus. Als Autoarbeiter in Flint, Michigan, 1936/37 Fabriken besetzten und die Anerkennung der Gewerkschaft United Auto Workers errangen, war dies ein Teil einer militanten Welle von Arbeiterkämpfen, aus denen die Industriegewerkschaften der CIO entstanden. Diese Kämpfe waren erbitterte Schlachten zwischen den Arbeitern auf der einen Seite und Bullen, Werkschutzschlägern sowie kapitalistischen Gerichten und der Regierung auf der anderen.
Nach Jahrzehnten von Niederlagen für die Arbeiter sehen die meisten jungen Aktivisten die Arbeiterklasse bei Kämpfen für ökonomische Gerechtigkeit als irrelevant an. Die bürokratischen Irreführer der Gewerkschaftsbewegung gaben im Großen und Ganzen die Klassenkampfmethoden auf, mit denen die Gewerkschaften aufgebaut worden waren; dies bereitete den Boden für die Niederlagen. Die Bürokraten, in ihrer Rolle als Arbeiterleutnants der Kapitalisten, ketten die Arbeiter an ihren Klassenfeind, indem sie die Interessen des US-Imperialismus propagieren und die Demokratische Partei unterstützen.
Die Besetzung des Wisconsin State Capitol [starke Gewerkschaftsproteste gegen gewerkschaftsfeindliche Gesetzgebung, siehe WV Nr. 976, 18. März 2011] im Frühjahr endete genau deshalb in einer Niederlage, weil die Gewerkschaftsführung sich weigerte, die Streikwaffe der Arbeiter einzusetzen, und stattdessen den Protest in eine (fehlgeschlagene) Kampagne umlenkte, republikanische Politiker abzusetzen. Das Ergebnis ist, dass die Gewerkschaften im öffentlichen Dienst dezimiert wurden. Angesichts eines großen Ausmaßes an Enttäuschung über Obama, der ein Wall-Street-Demokrat ist, hat ein beträchtlicher Teil der etablierten Gewerkschaftsführung die OWS-Proteste unterstützt, da sie in ihnen ein Mittel sehen, der liberalen Unterstützung für Obama bei den Wahlen 2012 neue Kraft zu geben. Das gleiche Ziel treibt Pseudosozialisten wie die International Socialist Organization und die Workers World Party an; ihr Jubel über die OWS-Proteste ist nur das aktuellste Kapitel ihrer Geschichte reformistischer Druckausübe-Politik.
Bürgerliche Demokratie – ein Schwindel
Die herrschende Kapitalistenklasse und ihre Regierung werden sich durch keine Protestbewegung davon überzeugen lassen, ihre Farbe zu wechseln und anzufangen, im Interesse des „Volkes“ zu handeln. Die „Demokratie“ dieses Landes wurde auf der Grundlage der Versklavung schwarzer Afrikaner ins Leben gerufen, und bis heute ist die Unterdrückung der Schwarzen ein Grundpfeiler des amerikanischen kapitalistischen Systems. Der „American Way“ bedeutete Völkermord und Auslöschung der Ureinwohner Amerikas, Massenabschiebungen von Immigranten, blutige Schlachten gegen streikende Arbeiter und eine lange Liste grausamer Kriege auf der ganzen Welt, zuletzt die Invasionen und Besetzungen Iraks und Afghanistans und die Bombardierung Libyens dieses Jahr.
Im Gegensatz zu den OWS-Organisatoren, die endlos darüber reden, die Demokratie wiederherzustellen, ist Marxisten bewusst, dass es keine „reine“ Demokratie gibt. Lenin bemerkte: „Auf Schritt und Tritt stoßen die geknechteten Massen auch im demokratischsten bürgerlichen Staat auf den schreienden Widerspruch zwischen der von der ,Demokratie‘ der Kapitalisten verkündeten formalen Gleichheit und den Tausenden tatsächlicher Begrenzungen und Manipulationen, durch die die Proletarier zu Lohnsklaven gemacht werden“ (Die proletarische Revolution und der Renegat Kautsky, 1918).
In einer Rede an die OWS-Leute bejubelte die liberale Ideologin Naomi Klein die Antiglobalisierungsproteste von 1999, da diese sich gegen Konzerne gerichtet hätten, die angeblich „mächtiger als Regierungen werden“, was „unseren Demokratien schadet“. Die Tatsache, dass kapitalistische Regierungen auf der ganzen Welt während der gegenwärtigen ökonomischen Krise zusammenbrechende Industrien und Banken gerettet haben, entlarvt die Vorstellung, dass Konzerne den Nationalstaat verdrängen, als Trugschluss.
Klein sät Illusionen in ein mythisches goldenes Zeitalter „demokratischer“ Verantwortung. In Wirklichkeit dient „Demokratie“ den Kapitalisten zur Verschleierung ihrer Klassendiktatur, die sie durch ihren Staatsapparat – Armee, Bullen, Gerichte und Gefängnisse – durchsetzen. Demonstranten erleben fast täglich Polizeibrutalität und Verhaftungen, was einen kleinen Geschmack gibt von dem Terror, dem Einwohner von Gettos und Barrios tagtäglich ausgesetzt sind. Doch die OWS-Organisatoren appellieren weiterhin an die „einfachen Polizisten“, an „unserem Gespräch teilzunehmen“ und „über die Verbrechen eurer Vorgesetzten“ zu reden.
Das Problem ist auch nicht einfach „polizeiliches Fehlverhalten“. Alle Bullen, egal welcher Herkunft und welches Rangs, sind die Kampfhunde der Kapitalistenklasse. Bei einer kürzlichen OWS-Generalversammlung betonte ein Redner vom Spartcus Youth Club: „Bullen sind keine Arbeiter. Sie schlagen Streikende, töten Schwarze und verhaften Demonstranten.“
Apostel der „demokratischen“ Konterrevolution
Die liberale Ideologin Naomi Klein und der pseudomarxistische Akademiker Slavoj Zizek – führende Leuchten der OWS-Proteste – hetzen gerne gegen China, es sei ein Affront gegen „Demokratie“. Damit erweisen sie der Wall Street einen ideologischen Dienst.
Die Chinesische Revolution von 1949 stürzte die Herrschaft der Kapitalisten, befreite das Land von imperialistischer Unterjochung und führte zu enormen Fortschritten für Arbeiter, Bauern und die zutiefst unterdrückten Frauen. Jedoch war die auf Bauern basierende Revolution von Anfang an deformiert und brachte ein bürokratisches nationalistisches Regime an die Macht, ähnlich dem in der Sowjetunion nach ihrer Degeneration unter Stalin. Heute sind zwar sowohl ausländische als auch einheimische Kapitalisten weit vorgeprescht, doch die Kernelemente von Chinas Wirtschaft sind weiterhin vergesellschaftet. Das Staatseigentum am Bankensystem hat, hauptsächlich durch Investitionen in die Infrastruktur, massives Wirtschaftswachstum in China gefördert. Dies steht in scharfem Kontrast zu den profitgetriebenen kapitalistischen Wirtschaften, die die Welt dominieren und die in Krisen feststecken. Als Trotzkisten treten wir für die bedingungslose militärische Verteidigung Chinas gegen Imperialismus und innere Konterrevolution ein. Gleichzeitig kämpfen wir für proletarisch-politische Revolution, um die parasitäre stalinistische Bürokratie durch eine Regierung von Arbeiter- und Bauernsowjets (Räten) zu ersetzen, die dem Kampf für die sozialistische Weltrevolution verpflichtet sind.
Die gegenwärtigen Proteste gegen die Wall Street tragen den dicken Stempel der Ideologie vom „Tod des Kommunismus“, die seit der Restauration der kapitalistischen Herrschaft in der ehemaligen Sowjetunion 1991/92 von der Bourgeoisie und ihren Ideologen verbreitet wird. Zizek, der manchmal „revolutionäres“ Wortgeklingel von sich gibt, wenn es seinem Image als „böser Bube“ in akademischen Kreisen dienlich ist, belehrte OWS-Demonstranten: „Kommunismus hat absolut versagt.“ Worauf seine Politik hinausläuft, sah man, als er Obamas Wahl 2008 als „Zeichen der Hoffnung in unseren so dunklen Zeiten“ bejubelte.
Ein Maßstab dafür, wie sehr bürgerliche Politik die OWS-Proteste bestimmt, ist die Einladung eines der Organisatoren an den früheren polnischen Präsidenten Lech Walesa, im Zuccotti Park zu reden. Walesa war der Hauptführer von Solidarność, die ihren Ursprung 1980 in Arbeiterstreiks im deformierten Arbeiterstaat Polen hatte, aber schnell ein offen konterrevolutionäres Programm für die Wiederherstellung der kapitalistischen Herrschaft annahm. Das war die einzige „Gewerkschaft“, die Typen wie der rechte US-Präsident Ronald Reagan und sein britisches Gegenstück, Premierministerin Margaret Thatcher, in ihr Herz schlossen. Mit Unterstützung der US- und europäischen Imperialisten, der prokapitalistischen Gewerkschaftsbürokratien und der katholischen Kirche wurde Solidarność zur Hauptkraft für eine kapitalistische Konterrevolution in Polen. Wir prangerten Solidarność damals als gelbe Gewerkschaft im Dienste von CIA, Bankiers und Vatikan an.
Die von Walesa geführte Regierung, die 1989 die Macht übernahm, demontierte Polens kollektivierte Wirtschaft und führte eine ökonomische „Schockbehandlung“ durch, die den Großteil der sozialen Errungenschaften zerstörte, die die Polen im deformierten Arbeiterstaat hatten – von praktisch kostenloser Gesundheitsfürsorge und billigen, subventionierten Mieten bis zu Renten, von denen man leben konnte. Entsprechend katholischer „Familienwerte“ wurde das Recht auf sichere und kostenlose Abtreibung abgeschafft. Mit der Einladung an Walesa, im Zuccotti-Park eine Rede zu halten, ging die Aufforderung „Besetzt die Wall Street“ an … einen Handlanger der Wall Street!
Wenn wir heute die Grundlagen des authentischen Marxismus begründen und motivieren, haben wir es mit der vorherrschenden falschen Sichtweise zu tun, die den Zusammenbruch des Stalinismus mit dem Scheitern des Kommunismus gleichsetzt. Im Gegensatz zu jenen, die mit dem „Tod des Kommunismus“ und mit Illusionen in kapitalistische „Reformen“ hausieren gehen, sagen wir revolutionären Marxisten die Wahrheit: Der einzige Weg, um wirtschaftlichen Mangel zu beseitigen, ist der Kampf für neue Oktoberrevolutionen. Wir machen uns keine Illusionen, dass dies ein einfacher Weg ist. Aber die zerstörerische Anarchie der kapitalistischen Produktionsweise wird, wenn sie nicht zu Fall gebracht wird, die gesamte Menschheit in die Barbarei stürzen. Die entscheidende Aufgabe dabei ist die Schmiedung einer leninistischen Avantgardepartei, das notwendige Instrument, um das Proletariat zu revolutionärem Bewusstsein zu bringen.
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