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Spartakist Nummer 190

Oktober 2011

Hongkong: Pseudotrotzkisten bejubeln Liu Xiaobo, Handlanger der Imperialisten

Der folgende Artikel ist übersetzt aus Workers Vanguard, Zeitung der Spartacist League/U.S., Nr. 981, 27. Mai 2011.

Es ist immer das Gleiche: Je abscheulicher und blutiger die Verwüstungen sind, die die Imperialisten anrichten, umso lauter schreien sie nach „Menschenrechten“ dort, wo der Kapitalismus gestürzt wurde. Genau das tat US-Außenministerin Hillary Clinton vor ein paar Wochen in Washington, als sie bei hochrangigen Gesprächen mit Repräsentanten Chinas Schimpfkanonaden vom Stapel ließ. Mit Blick auf ein erneutes scharfes Vorgehen gegen Dissidenten polterte Clinton, Chinas Führer „versuchen die Geschichte aufzuhalten, das ist ein nutzloses Unterfangen“. Liberale Leitartikler und Kolumnenschreiber haben getan, was von ihnen erwartet wird, und China über „Menschenrechte“ beschimpft. All dies zu einer Zeit, wo die herrschende Klasse der USA mörderische Besetzungen Iraks und Afghanistans betreibt und Libyen bombardiert und wo die Anwendung von Folter im „Krieg gegen Terror“ nur eine bescheidene Debatte darüber auslöst, wie effektiv das denn nun wirklich sei.

Ein wesentlicher Fokus des jüngsten Gezeters über „Menschenrechte“ in China war der inhaftierte antikommunistische Intellektuelle Liu Xiaobo. Besonders nachdem Liu letztes Jahr den Friedensnobelpreis erhielt, glorifizierten ihn die westlichen bürgerlichen Medien als unerschütterlichen Verteidiger von „Demokratie“ und „Menschenrechten“. Eine bemerkenswerte Ausnahme war ein Artikel im liberalen Londoner Guardian (15. Dezember 2010), der ihn als fanatischen Unterstützer des US-amerikanischen Militarismus bloßstellte, in der Vergangenheit und auch heute. Unter der Überschrift „Wissen Unterstützer des Nobelpreisträgers Liu Xiaobo wirklich, wofür er steht?“ kommentieren Barry Sautman und Yan Hairong:

„Wäre Lius Politik gut bekannt, würden die meisten Leute ihm keinen Preis verleihen wollen, denn er steht für Krieg, nicht für Frieden. Er unterstützte die Invasionen Iraks und Afghanistans, und in einem Aufsatz 2001 applaudierte er im Nachhinein den Kriegen in Vietnam und Korea. Bei all diesen Konflikten gab es massive Verletzungen der Menschenrechte. Aber in seinem Artikel ,Lektionen des Kalten Krieges‘ argumentiert Liu: ,Die freie Welt unter Führung der USA bekämpfte fast alle Regime, die auf den Menschenrechten herumtrampelten… Die großen Kriege, in die die USA verwickelt wurden, sind alle ethisch zu verteidigen.‘ Während der US-Präsidentenwahl 2004 lobte Liu wärmstens George Bush für seinen Krieg gegen Irak und verdammte den Kandidaten der Demokraten, John Kerry, weil der die Kriege der USA nicht genügend unterstütze.“

Um den Friedensnobelpreis verliehen zu bekommen, ist es praktisch eine Voraussetzung, imperialistischer Kriegsverbrecher zu sein (z. B. Henry Kissinger oder Barack Obama) oder Speichellecker der Imperialisten (z. B. der Dalai Lama).

Beim Lob auf Liu schließen sich den Imperialisten die Pseudotrotzkisten an, die im kapitalistischen Hongkong October Review herausgeben, in dem Teil der Volksrepublik China (neben der winzigen Enklave Macao), wo die Kommunistische Partei kein Monopol der politischen Organisierung ausübt. In einem Artikel mit der Überschrift „Liu Xiaobo muss sofort freigelassen werden! Die Menschenrechte müssen in China wiederhergestellt werden!“ beschreibt October Review (31. Dezember 2010) diesen Typen, der den amerikanischen imperialistischen Militarismus lautstark unterstützt, als jemanden, der „für Demokratie durch friedliche Mittel kämpfte“. Im Artikel wimmelt es von den antikommunistischen Codewörtern „Menschenrechte“ und (klassenlose) „Demokratie“. „Dass Liu den Friedensnobelpreis bekam, ist auch eine Kritik an den chinesischen Behörden“, lässt man uns wissen, „also kann es eine Ermutigung für die Entwicklung der Demokratiebewegung in China sein.“ Die gleiche Sprache benutzte die Washington Post (30. Januar 2009) – ein Hauptsprachrohr des amerikanischen Imperialismus –, als sie Lius Bewegung der Charta 08 als Chinas „neue Demokratiebewegung“ bejubelte.

„Menschenrechts“-Imperialismus gegen China

Als Washingtons beliebtester antikommunistischer „Dissident“ in China tauchte Liu vor etwas mehr als zwei Jahren auf. Er war Hauptautor des Manifests Charta 08, „ein explizites Programm für kapitalistische Konterrevolution im deformierten Arbeiterstaat China, gehüllt in das Mäntelchen von ,Demokratie‘ “, wie wir damals schrieben (Spartakist Nr. 177, Mai 2009). In der Charta 08 wurde die Privatisierung der staatseigenen Betriebe – des kollektivierten Kernstücks der chinesischen Wirtschaft – und ebenso der landwirtschaftlichen Nutzflächen gefordert. Das war ein Programm, um die sozialen Errungenschaften der Revolution von 1949 zurückzurollen. Seine Umsetzung würde China in imperialistische Unterjochung und ungehinderte Ausbeutung zurückwerfen. Es überrascht nicht, dass die Organisationen, mit denen Liu zu tun hatte, finanziell von der National Endowment for Democracy [Nationale Stiftung für Demokratie] unterstützt wurden, einer berüchtigten Frontorganisation der CIA.

Zwar war uns klar, dass die Charta 08 ein konterrevolutionäres Programm darstellte, aber wir unterstützten nicht die Unterdrückung der Initiatoren und Unterzeichner durch die stalinistische Bürokratie, die ihre privilegierte Position durch heftige allseitige politische Repression verteidigt. Liu und die anderen rechten Intellektuellen führten weder damals noch heute eine Bewegung an, die die Existenz des chinesischen Arbeiterstaats bedroht, wie das zum Beispiel Solidarność in Bezug auf Polen 1981 tat. Als revolutionäre Marxisten (Trotzkisten) forderten wir „Zerschlagt die Konterrevolution der Solidarność!“ und kämpften darum, polnische Arbeiter für ein Programm der Verteidigung des polnischen und des sowjetischen Arbeiterstaats gegen kapitalistische Konterrevolution und für proletarisch-politische Revolution zu gewinnen, um die parasitären stalinistischen Bürokratien rauszuwerfen.

Dieses Programm ist heute in China die entscheidende Waffe, um der Charta-08-Bewegung und ihren Apologeten in der Linken, wie etwa October Review, eine politische Niederlage zu bereiten. Charta 08 unterstützte im Nachhinein das von den Imperialisten gestützte Regime der Guomindang (Nationale Volkspartei) unter Chiang Kaishek gegen die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) im Bürgerkrieg Ende der 40er-Jahre. Die Chinesische Revolution von 1949 war eine progressive soziale Revolution von weltgeschichtlicher Bedeutung. Hunderte Millionen Bauern erhoben sich und nahmen das Land in Besitz, auf dem ihre Vorfahren seit Urzeiten ausgebeutet worden waren. Die Einführung einer zentral geplanten, kollektivierten Wirtschaft schuf die Basis für enormen sozialen Fortschritt.

Die Revolution war jedoch von Anfang an deformiert unter der Herrschaft von Mao Zedongs KPCh-Regime, einer nationalistischen bürokratischen Kaste, die auf dem Arbeiterstaat thronte. Im Unterschied zur russischen Oktoberrevolution 1917, die von einem klassenbewussten Proletariat, das sich vom bolschewistischen Internationalismus W. I. Lenins und Leo Trotzkis leiten ließ, durchgeführt worden war, war die Chinesische Revolution das Ergebnis eines Krieges von Bauern-Guerillas, geführt von Maos stalinistisch-nationalistischen Kräften. Nach dem Muster der stalinistischen Bürokratie, die in der UdSSR die Macht an sich gerissen hatte, haben Mao und seine Nachfolger bis zum heutigen Regime unter Hu Jintao die zutiefst antimarxistische Vorstellung vertreten, dass Sozialismus – eine klassenlose, egalitäre Gesellschaft, die auf materiellem Überfluss basiert – in einem einzelnen Land aufgebaut werden könnte. In der Praxis bedeutete „Sozialismus in einem Land“ eine Anpassung an den Weltimperialismus und die Ablehnung der Perspektive internationaler Arbeiterrevolution, die für das Voranschreiten zum Sozialismus wesentlich ist.

Irgendwann werden die explosiven sozialen Spannungen innerhalb Chinas die politische Struktur der herrschenden bürokratischen Kaste zerschmettern. Und wenn das passiert, steht das Schicksal des bevölkerungsreichsten Landes der Erde auf des Messers Schneide: proletarisch-politische Revolution zur Errichtung einer Regierung, die auf gewählten Arbeiter- und Bauernräten basiert und den Weg zum Sozialismus eröffnet, oder kapitalistische Versklavung und imperialistische Unterjochung.

Auf ihre eigene Weise erkennen Chinas stalinistische Herrscher, dass sie auf einem sozialen Vulkan sitzen. Das zeigt sich ganz deutlich in ihrer Antwort auf die Massenproteste, die den ägyptischen Despoten Hosni Mubarak stürzten. Das staatlich gelenkte Fernsehen zeigte Bilder der Proteste aus großer Entfernung, wo kein einziger Demonstrant zu erkennen war. Stattdessen fokussierten sie auf zerbrochene Scheiben bei Banken, brennende LKWs und Plünderungen, dies alles begleitet von Kommentaren darüber, wie sehr die Regierung versuche, die Ordnung wiederherzustellen. Nach den politischen Turbulenzen in Nordafrika gab es in China verstärkte Repression gegen abweichende Meinungen (Festnahmen und Inhaftierung von Aktivisten, Künstlern und Anwälten sowie mehr Zensur im Internet).

Einige Elemente der herrschenden Kreise in den USA wiederum sahen offenbar eine Gelegenheit, ein paar chinesische Intellektuelle und andere aus der gebildeten (und materiell privilegierten) Kleinbourgeoisie zu ermutigen, im Namen der „Demokratie“ auf die Straße zu gehen. Dies taufte man „Jasmin-Revolution“. Antikommunistische Emigranten in den USA, die sich um die Demokratische Partei Chinas gruppieren, setzten sich an ihre Computer und schickten Aufrufe zu Aktionen in Beijing, Shanghai und anderen chinesischen Städten in den Cyberspace. Eine Überschrift in der New York Times (29. April) brachte es gut auf den Punkt: „Versuch, einen Volksprotest in China zu schüren – aus einem Schlafzimmer in Manhattan“. Die „Jasmin-Revolution“ entpuppte sich als Reinfall. Nur eine Handvoll Leute folgten dem Aufruf, darunter der US-Botschafter, der gerade zur rechten Zeit an einem der angekündigten Orte „zufällig vorbeikam“. Schon die Orte selbst, die für diese „Demokratie“-Proteste ausgewählt worden waren, lassen erkennen, dass hier die Oberschicht zugange war: Starbucks, McDonald’s und Wangfujing, ein schicker Einkaufsbezirk in Beijing, den ausländische Touristen und Chinas Neureiche frequentieren.

Pseudotrotzkisten drängen auf „demokratische“ Konterrevolution

Nun könnte jemand argumentieren, dass Leute, die gerne an der „Jasmin-Revolution“ teilgenommen hätten, durch effektive Polizeistaatsrepression eingeschüchtert waren. Aber in genau diesem Zeitraum gab es in Shanghai einen dreitägigen Streik und wütende Proteste von Lastwagenfahrern, meist Eigentümer ihrer Fahrzeuge, gegen rapide steigende Benzinpreise und auch gegen hohe staatliche Gebühren. An brodelnder Unzufriedenheit mangelt es in großen Teilen der chinesischen Bevölkerung überhaupt nicht – seien es Arbeiter sowohl in staatlichen als auch in privaten Betrieben, kleine Landpächter oder auch Elemente der städtischen Kleinbourgeoisie. Die Frage ist, welche politische Richtung die Opposition gegen die herrschende stalinistische Bürokratie einschlagen wird. Entscheidende Faktoren dabei werden der Charakter und die Ziele der Führung einer solchen Opposition sein.

Wenn die politische Situation in China offener wird, werden revolutionäre Marxisten auf Tendenzen treffen, die nach klassenloser „Demokratie“ streben und doch gleichzeitig behaupten, für die Interessen der Arbeiterklasse und sogar für Sozialismus einzutreten. Dazu werden auch Gruppen gehören, die fälschlicherweise behaupten, Trotzkisten zu sein, wie etwa October Review. Diese Gruppe ist international mit dem Vereinigten Sekretariat (VS) verbunden, das schon wiederholt der „bürgerlich-demokratischen“ Konterrevolution gedient hat, indem es Trotzkis revolutionäre Opposition gegen den Stalinismus prostituiert. Während der letzten Phase des Kalten Kriegs, in den 80er- und frühen 90er-Jahren, unterstützte das VS, geführt vom inzwischen verstorbenen Ernest Mandel, jegliche von den Imperialisten gestützte antikommunistische Kraft in der sowjetischen Sphäre, von Solidarność in Polen bis zu den „Demokraten“ um Boris Jelzin in Russland. Die Typen um October Review äußern ihre antikommunistische Feindschaft gegen China eher noch schriller, als es die Mandelianer gegenüber der Sowjetunion getan haben. Aber das ist nur ein Unterschied von Nuancen.

Wirklicher Trotzkismus bedeutet, das revolutionäre proletarisch-internationalistische Banner der Oktoberrevolution von 1917 weiterzutragen. Hier die Schlussfolgerung unseres Artikels über die Charta 08:

„Eine proletarisch-politische Revolution, die ein China von Arbeiter- und Bauernräten hervorbringt, wäre ein Leuchtfeuer für die unterdrückten werktätigen Massen Asiens und der ganzen Welt. Das würde der bürgerlichen Propaganda vom ,Tod des Kommunismus‘ den Todesstoß versetzen, die geknechteten Massen der ehemaligen Sowjetunion und Osteuropas aufrichten und die Arbeiter in den imperialistischen Kernländern beflügeln. Dies ist letztlich die einzige Perspektive zur Bezwingung der Sirenengesänge von ,Demokratie‘, die von Feinden der Errungenschaften der Chinesischen Revolution, imperialistisch unterstützten Gruppen ebenso wie Pseudosozialisten, verbreitet werden.“

 

Spartakist Nr. 190

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